Vierundvierzigstes Kapitel

[85] Auch muss man nicht versuchen, die auf Voraussetzungen beruhenden Schlüsse auf Schlussfiguren zurückzuführen. Denn dies kann aus den hierbei aufgestellten Vordersätzen nicht geschehen, da sie sämmtlich nicht durch Schlüsse bewiesen sind, sondern in Folge von Uebereinkunft zugestanden sind. Wenn z.B. man annähme, dass, wenn nicht eine und dieselbe Kraft für gegentheilige Dinge bestehe, es auch nicht eine Wissenschaft davon geben könne und wenn dann gezeigt wird, dass nicht eine Kraft für die Gegentheile bestehe, wie z.B. für das Gesunde und das Kranke; weil dann derselbe Gegenstand zugleich gesund und krank sein würde. Hier ist nun zwar gezeigt, dass nicht für alle Gegentheile nur eine Kraft besteht, aber es ist nicht bewiesen, dass nicht eine Wissenschaft für dieselben besteht. Dennoch ist es nothwendig, auch letzteres zuzugeben; aber nicht vermöge eines Schlusses, sondern weil es so vorausgesetzt worden ist. Man kann also den letzteren Satz nicht auf eine Schlussfigur zurückführen, sondern nur den ersteren Satz, dass nicht eine Kraft für die Gegentheile bestehe; dieser Satz ist vielleicht auf einen Schluss[85] gestützt worden, aber jener Satz ist nur als eine zugestandene Voraussetzung angenommen worden.

Aehnlich verhält es sich mit den vermittelst der Unmöglichkeit des Gegentheils bewiesenen Schlusssätzen; solche Beweise kann man nicht auf Figuren zurückführen, wohl aber kann man den Beweis, welcher auf das unmögliche führt, so zurückführen; (denn dieser Beweis ist durch einen Schluss geführt worden) aber bei jenem geht es nicht, weil er aus einer Voraussetzung abgeleitet wird. Diese Schlüsse unterscheiden sich von vorigen darin, dass man dort vorher sich über einen Satz vereinigen muss, wenn man nachher eine Uebereinstimmung erreichen will; also z.B. über den Satz, dass, wenn gezeigt worden, dass für Gegentheile nur eine Kraft bestehe, auch die Wissenschaft von ihnen nur eine sei; hier stimmt man dagegen auch ohne vorherige Uebereinkunft zu, weil die falsche Folge klar erkennbar ist, wie z.B. bei Annahme, dass der Durchmesser eines Quadrats ein gemeinsames Maass mit den Seiten des Quadrats habe, dies für die daraus sich ergebene Folge, dass das Ungerade dem Geraden gleich ist, gilt.

Auch vieles Andere wird auf Grund von Voraussetzungen geschlossen; auf solche Schlusssätze muss man Acht haben und sie klar bezeichnen. Später werde ich darlegen, welche Unterschiede hier bestehen und in wie vielerlei Art ein Satz aus Voraussetzungen abgeleitet werden kann. Für jetzt haben wir nur als richtig anzunehmen, dass solche Schlüsse nicht auf Schluss-Figuren zurückgeführt werden können; auch habe ich bereits gesagt, weshalb nicht.

Quelle:
Aristoteles: Erste Analytiken oder: Lehre vom Schluss. Leipzig [o.J.], S. 85-86.
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