Sechstes Kapitel

[13] Wenn in demselben Begriffe ein anderer ganz und ein dritter gar nicht enthalten ist, oder wenn beide letztere in jenem ganz oder beide gar nicht enthalten sind, so nenne ich eine solche Schlussfigur die dritte. Mittelbegriff nenne ich hier denjenigen, von dem die beiden anderen ausgesagt werden und Aussenbegriffe diese ausgesagten; denjenigen von diesen, welcher am weitesten von dem Mittelbegriff entfernt ist, nenne ich den grösseren und den näheren den kleineren. Der Mittelbegriff wird hier ausserhalb der Aussenbegriffe gesetzt und ist seiner Stellung nach der letzte. Ein vollkommener Schluss entsteht auch in dieser Figur nicht, aber er kann daraus abgeleitet werden, gleichwohl ob die Aussenbegriffe all gemein, oder nicht allgemein von dem Mittelbegriff ausgesagt werden. Wenn sie allgemein lauten und wenn P und R in dem ganzen S enthalten ist, so muss nothwendig P in einigen R enthalten sein. Denn da bejahende Sätze sich umkehren lassen, so muss S in einigen R enthalten sein, und wenn sonach P in dem ganzen S, und S in einigen R enthalten ist, so muss auch P in einigen R enthalten sein, womit sich dann ein Schluss in der ersten Figur ergiebt. Der Beweis lässt sich auch aus der Unmöglichkeit des Gegentheils und durch Heraussetzung führen; denn wenn beide Aussenbegriffe in dem S enthalten sind und man von S einen Theil N herausnimmt,[13] so wird in diesem sowohl P wie R enthalten sein, mithin wird auch P in einigen R enthalten sein.

Wenn R in dem ganzen S, P aber gar nicht in S enthalten ist, so ergiebt sich der Schluss, dass P in einigen R nicht enthalten ist. Der Beweis geschieht in derselben Weise, durch Umkehrung des Vordersatzes R S. Es kann aber auch durch die Unmöglichkeit das Gegentheil bewiesen werden, wie im vorhergehenden Falle.

Wenn dagegen R gar nicht in S und P in dem ganzen S enthalten ist, so entsteht kein Schluss. Man nehme für die Bejahung die Begriffe: Geschöpf, Pferd, Mensch, und für die Verneinung die Begriffe: Geschöpf, Leblos, Mensch.

Auch wenn beide Aussenbegriffe von keinem S ausgesagt werden, ergiebt sich kein Schluss. Man nehme für die Bejahung die Begriffe: Geschöpf, Pferd, Leblos; und für die Verneinung: Mensch, Pferd, Leblos, wobei Leblos der Mittelbegriff ist.

Sonach erhellt, dass auch in dieser Schlussfigur, wenn die Begriffe allgemein genommen werden, bald ein Schluss sich ergiebt, bald nicht. Denn wenn beide Aussenbegriffe bejahend lauten, so ergiebt sich der Schluss, dass ein Aussenbegriff in einigen des anderen enthalten ist; lauten sie aber verneinend, so er giebt sich kein Schluss. Lautet dagegen ein Aussenbegriff verneinend und der andere bejahend, so ergiebt sich dann, wenn der grössere Aussenbegriff verneinend und der andere bejahend lautet, der Schluss dass der eine in einigen des anderen nicht enthalten ist; verhalten sie sich aber umgekehrt, so ergiebt sich kein Schluss.

Wenn aber der eine Aussenbegriff allgemein in Bezug auf den Mittelbegriff lautet und der andere nur beschränkt, so muss sich, wenn sie beide bejahend lauten, ein Schluss ergeben, gleichviel welcher von beiden allgemein lautet. Denn wenn R in dem ganzen S und wenn P in einigen S enthalten ist, so muss P in einigen R enthalten sein. Denn in Folge der Umkehrung des bejahenden Satzes ist S in einigen P enthalten und da R in dem ganzen S enthalten ist und S in einigen P, so wird auch R in einigen P enthalten sein, folglich auch P in einigen R.

Wenn aber R in einigen S und P in allen S enthalten ist, so muss P in einigen R enthalten sein. Der[14] Beweis geschieht hier in derselben Weise; auch kann man es durch die Unmöglichkeit des Gegentheils und durch Heraussetzung, wie bei den früheren Fällen beweisen.

Wenn aber von den Aussenbegriffen der eine bejahend und der andere verneinend, und dabei jener allgemein lautet und es der kleinere Aussenbegriff ist, so ergiebt sich ein Schluss. Denn wenn R in dem ganzen S enthalten ist, P aber in einigen S nicht enthalten ist, so muss P in einigen R nicht enthalten sein. Denn wäre P in allen R enthalten, so würde, da R in allen S enthalten, P auch in allen S enthalten sein, was doch nicht angenommen ist. Dies lässt sich auch auf direkte Weise darthun, wenn man einige von S heraussetzt, in denen P nicht enthalten ist.

Lautet aber der grössere Aussenbegriff bejahend, so giebt es keinen Schluss; nämlich, wenn P in den ganzen S enthalten ist und R in einigen S nicht enthalten ist. Als Begriffe für den Fall, dass denn P in dem ganzen R enthalten, nehme man: Lebendig, Mensch, Geschöpf; dagegen lassen sich für den Fall, dass P gar nicht in R enthalten, keine Begriffe aufstellen, wenn R in einigen S enthalten und in einigen S nicht enthalten ist; denn wenn P in den ganzen S und R in einigen S enthalten ist, so ist auch P in einigen R enthalten; während doch P in keinen R enthalten sein soll. Indess muss man den Ausdruck »einigen« wie früher verstehn; denn der Ausdruck »in einigen nicht enthalten sein« ist zweideutig und auch von dem »in keinem enthalten sein« kann man in Wahrheit sagen, dass es »in einigen nicht enthalten« ist, und wenn R in keinem P enthalten, so findet, wie oben gezeigt worden, kein Schluss statt, folglich kann dann auch hier kein Schluss statt haben.

Lautet dagegen der verneinende Satz allgemein und gilt dies für den grösseren Aussenbegriff, während der kleinere bejaht, so ergiebt sich ein Schluss. Denn wenn P in keinem S, R aber in einigen S enthalten ist, so wird P in einigen R nicht enthalten sein. Es ergiebt sich nämlich auch hier eine erste Schlussfigur, wenn der Vordersatz R S umgekehrt wird. Lautet dagegen der kleinere Aussenbegriff verneinend, so giebt es keinen Schluss; denn die Begriffe: Geschöpf, Mensch, Raubthier[15] ergeben einen bejahenden Schlusssatz und die Begriffe: Geschöpf, Wissenschaft, Raubthier einen verneinenden Schlusssatz, wobei Raubthier den Mittelbegriff abgiebt.

Auch wenn beide Vordersätze verneinend und der eine allgemein, der andere beschränkt lautet, giebt es keinen Schluss. Für den Fall, dass der kleinere Begriff allgemein lautet, nehme man das einemal die Begriffe: Geschöpf, Wissenschaft, Raubthier und dann: Geschöpf, Mensch, Raubthier. Lautet aber der grössere Begriff allgemein, so nehme man für den verneinenden Schlusssatz die Begriffe: Rabe, Schnee, Weiss; dagegen kann man für den bejahenden Schlusssatz keine Begriffe aufstellen im Fall R in einigen S enthalten und in einigen S nicht enthalten ist. Denn wenn P in dem ganzen R enthalten wäre, so würde, da R in einigen S enthalten ist, auch P in einigen S enthalten sein; während doch gesetzt ist, dass es in keinem S enthalten ist. Dagegen lässt sich der Beweiss, dass P in allen R enthalten ist, führen, wenn man den Satz, dass R in einigen S nicht enthalten, als unbestimmt nimmt, so dass er auch den Fall befasst, wo R in keinem S enthalten ist.

Auch giebt es keinen Schluss, wenn beide Aussenbegriffe von einigen des Mittelbegriffs bejahend oder verneinend lauten, oder der eine bejahend und der andere verneinend lautet; oder wenn der eine in einigen des Mittelbegriffs enthalten und der andere nicht in dem ganzen Mittelbegriff enthalten ist, oder wenn die Sätze unbestimmt lauten. Für alle diese Fälle können dienen die Begriffe: Geschöpf, Mensch, Weiss und Geschöpf, Leblos, Weiss.

Hiernach erhellt, wenn in dieser Schlussfigur ein Schluss sich ergiebt und wenn nicht und dass, wenn die Begriffe sich angegebener Maassen verhalten, nothwendig auch ein Schluss sich ergiebt und dass, wenn ein Schluss statt hat, nothwendig auch die Begriffe sich so wie angegeben verhalten müssen. Auch erhellt, dass alle Schlüsse in dieser Figur unvollkommen sind (denn alle werden erst durch Hinzunahme von anderem vollkommen) und dass allgemeine Schlusssätze in dieser Figur sich weder als bejahende noch als verneinende ableiten lassen.[16]


Quelle:
Aristoteles: Erste Analytiken oder: Lehre vom Schluss. Leipzig [o.J.], S. 13-17.
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