Drittes Kapitel

[101] In der zweiten Figur kann es in allen Fällen vorkommen, dass aus Falschem Wahres geschlossen wird, mögen beide Vordersätze ganz falsch angesetzt werden, oder beide theilweise falsch; oder mag der eine ganz wahr, der andere ganz falsch sein und zwar gleichviel welcher von beiden; oder mögen beide Vordersätze theilweise falsch sein oder der eine ganz wahr, der andere aber theilweise falsch, oder der eine ganz falsch, der andere zum Theil wahr, und mögen dabei die Schlüsse allgemein oder beschränkt lauten. Denn wenn A in keinem B, aber in allen C enthalten ist, wie z. B das Geschöpf in keinem Steine, aber in jedem Pferde enthalten ist, so wird, wenn man die Vordersätze entgegengesetzt lautend aufstellt und somit angenommen wird, dass A in allen B[101] und in keinem C enthalten sei, aus diesen ganz falschen Vordersätzen ein wahrer Schlusssatz sich ergehen. Dasselbe gilt, wenn A in allen B, aber in keinem C enthalten ist, denn der Schluss bleibt derselbe. Ehen so wenn der eine Satz ganz falsch und der andere ganz wahr ist, denn A kann in allen B und allen C enthalten sein, aber B in keinem C, wie z.B. die Gattung in Bezug auf die ihr untergeordneten Arten. So ist das Geschöpf in allen Pferden und in allen Menschen enthalten, aber kein Mensch in einem Pferde. Setzt man nun, dass das Geschöpf in dem Einen ganz, in dem anderen gar nicht enthalten sei, so ist der eine Vordersatz ganz falsch, der andere ganz wahr und der Schlusssatz ist wahr, mag man den Ober- oder den Untersatz falsch ansetzen. Dies gilt auch, wenn der eine Vordersatz theilweise falsch, der andere aber ganz wahr ist. Denn A kann in einigen B und in dem ganzen C enthalten sein, aber B in keinem C; so ist z.B. das Geschöpf in einigem Weissen und in allen Raben enthalten, aber das Weisse in keinem Raben. Setzt man nun, dass A in keinem B und in dem ganzen C enthalten sei, so ist der Obersatz theilweise falsch und der Untersatz ganz wahr, und dabei der Schlusssatz wahr. Dasselbe findet statt, wenn der verneinende Satz umgestellt wird; der Beweis lässt sich mit denselben Begriffen führen. Dasselbe gilt auch, wenn der bejahende Vordersatz theilweise falsch und der verneinende ganz wahr ist; denn es kann sehr wohl sein, dass A in einigen B enthalten und in dem ganzen C nicht enthalten ist und dass B in keinem C enthalten ist. So ist z.B. das Geschöpf in einigem Weissen, aber in keinem Pech und das Weisse auch in keinem Pech enthalten. Nimmt man hier nun an, dass A in dem ganzen B und in keinem C enthalten ist, so ist der Obersatz zum Theil falsch, aber der Untersatz ganz wahr und der Schlusssatz ist ebenfalls wahr. Auch wenn beide Vordersätze theilweise falsch sind, kann der Schlusssatz doch wahr sein. Denn es kann sehr wohl sein, dass A in einigen B und in einigen C enthalten ist, aber B in keinem C; wie z.B. das Geschöpf in einigem Weissen und in einigem Schwarzen, aber das Weisse in keinem Schwarzen enthalten ist. Setzt man hier nun, dass A in allen B und in keinem C enthalten sei, so sind beide Vordersätze theilweise falsch,[102] aber der Schlusssatz ist wahr. Dasselbe gilt, wenn die Verneinung gewechselt und zu dem anderen Vordersätze genommen wird.

Auch bei den beschränkten Schlüssen ist dies klar; denn es kann sehr wohl sein, dass A in allen B und in einigen C nicht enthalten ist; so ist z.B. das Geschöpf n allen Menschen und in einigen Weissen enthalten und der Mensch ist in einigen Weissen nicht enthalten. Setzt man nun, dass A in keinem B, aber in einigen C enthalten ist, so ist der allgemeine Vordersatz ganz falsch und der beschränkte wahr, und der Schlusssatz auch. Dasselbe findet statt, wenn der Obersatz A B bejahend gesetzt wird, da es sein kann, dass A in keinem B enthalten und ebenso wie B in einigen C nicht enthalten ist; z.B. ist das Geschöpf in keinem Leblosen enthalten und auch in einigen Weisen nicht enthalten und das Leblose wird in einigen Weissen nicht enthalten sein. Setzt man nun, dass A in allen B enthalten, in einigen C aber nicht enthalten ist, so ist der allgemein lautende Obersatz ganz falsch und der Untersatz wahr und auch der Schlusssatz wahr. Eben dies findet statt, wenn man den allgemeinen Satz so setzt, wie er wahr ist, aber den beschränkten falsch. Denn es kann sein, dass A von keinem B und von keinem C ausgesagt werden kann, aber das B in einigen C nicht enthalten ist, so ist z.B. das Geschöpf in keiner Zahl und in keinem Leblosen enthalten und die Zahl kann von einigem Leblosen nicht ausgesagt werden. Setzt man nun, dass A in keinem B, aber in einigen C enthalten ist, so ergiebt sich ein wahrer Schluss, wo der allgemeine Vordersatz wahr und der beschränkte falsch ist. Ebendasselbe ergiebt sich, wenn der allgemeine Vordersatz bejahend gesetzt wird; denn A kann in allen B und allen C enthalten sein, aber B von einigen C nicht ausgesagt werden, wie z.B. die Gattung in Bezug auf die Art und den Art-Unterschied, so kann das Geschöpf von allen Menschen und allen Füsse-Habenden ausgesagt wer den, aber der Mensch nicht von allen Füsse-Habenden. Nimmt man aber an, dass A in allen B enthalten, aber in einigen C nicht enthalten sei, so ist der allgemeine Vordersatz wahr, aber der beschränkte falsch, und der Schlusssatz ist dennoch wahr. Auch erhellt, dass selbst, wenn beide Vordersätze falsch sind,[103] der Schlusssatz richtig sein kann; denn es ist statthaft, dass A sowohl ganz in B wie ganz in C enthalten ist, aber B von einigen C nicht ausgesagt werden kann. Setzt man nun, dass A in keinem B, aber in einigen C enthalten, so sind beide Vordersätze falsch, aber der Schlusssatz wahr. Dasselbe ergiebt sich, wenn der allgemeine Vordersatz bejahend lautet und der beschränkte Vordersatz verneinend. Denn A kann von keinem B aber von allen C ausgesagt werden und B in einigen C nicht enthalten sein; so wird z.B. das Geschöpf von keiner Wissenschaft, aber von jedem Menschen ausgesagt, aber die Wissenschaft nicht von jedem Menschen. Setzt man nun hier, dass A in allen B enthalten ist, aber von einigen C nicht ausgesagt werden kann, so sind beide Vordersätze falsch, aber der Schlusssatz wahr.

Quelle:
Aristoteles: Erste Analytiken oder: Lehre vom Schluss. Leipzig [o.J.], S. 101-104.
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