Viertes Kapitel

[104] Auch in der dritten Figur kann man aus falschen Vordersätzen Wahres schliessen, und zwar wenn beide Vordersätze ganz falsch, als wenn sie theilweise falsch sind, oder wenn der eine ganz wahr und der andere ganz falsch ist, oder wenn der eine theilweise falsch und der andere ganz wahr ist, oder umgekehrt, oder wie vielfach sonst man die Vordersätze wechseln kann. Denn es kann sehr wohl A wie B in keinem C enthalten sein, und A dabei in einigen B enthalten sein. So kann z.B. der Mensch und das Fuss-Habende von keinem Leblosen ausgesagt werden, während der Mensch doch in einigen Füsse-Habenden enthalten ist. Setzt man nun, dass A und B in dem ganzen C enthalten sind, so sind zwar diese Vordersätze ganz falsch, aber der Schlusssatz dennoch wahr. Ebenso verhält es sich, wenn der eine Vordersatz verneinend, der andere bejahend lautet. Denn es ist statthaft, dass B in keinem C, aber A in allen C enthalten ist und dabei das A in einigen B nicht enthalten ist; so ist z.B. das Schwarze in keinem Schwane, aber das Geschöpf in allen Schwanen enthalten und dabei ist das Geschöpf nicht in allem Schwarzen enthalten. Setzt man nun, dass B in allen C und A in keinem C enthalten ist, so wird A in einigen C nicht enthalten sein;[104] hier ist also der Schluss wahr, aber die Vordersätze sind falsch. Auch wenn jeder der beiden Vordersätze nur theilweise falsch ist, kann der Schlusssatz wahr sein. Denn A und B können in einigen C enthalten sein und doch das A in einigen von B; so kann z.B. das Weisse und das Schöne in einigen Geschöpfen enthalten und dabei das Weisse in einigen Schönen enthalten sein. Setzt man nun, dass A und B beide in dem ganzen C enthalten sein, so sind diese Vordersätze theilweise falsch, aber der Schlusssatz ist wahr. Dasselbe geschieht, wenn der Satz mit A und C verneinend lautet. Denn nichts hindert, dass A in einigen C nicht enthalten und B in einigen C enthalten ist und dass A nicht in dem ganzen B enthalten ist; so ist z.B. das Weisse in einigen Geschöpfen nicht enthalten, und das Schöne ist in einigen enthalten und dabei ist das Weisse nicht in allem Schönen enthalten. Setzt man nun, dass A in keinem C und B in allem C enthalten sei, so sind beide Vordersätze theilweise falsch, aber der Schlusssatz ist wahr. Dasselbe findet statt, wenn der eine Vordersatz ganz falsch und der andere ganz wahr angesetzt wird. Denn es ist statthaft, dass A und B von dem ganzen C ausgesagt werden und dass doch A in einigen B nicht enthalten ist; so ist der erste Satz ganz wahr und der letzte ganz falsch und es ergiebt sich dennoch ein wahrer Schluss. Dasselbe findet statt, wenn der erste Satz ganz falsch und der andere wahr ist; auch hier können dieselben Begriffe, schwarz, Schwan, Lebloses, zum Beweise benutzt werden. Selbst wenn beide Vordersätze bejahend genommen werden, gilt dasselbe. Denn nichts hindert, dass B von dem ganzen C ausgesagt werde, aber A in dem ganzen C nicht enthalten ist, und dass doch A in einigen B enthalten sein kann; so ist z.B. dass Geschöpf in allen Schwanen enthalten und das Schwarz ist in keinem Schwan enthalten und das Schwarze ist in einigen Geschöpfen enthalten. Setzt man nun, dass A und B in dem ganzen C enthalten seien, so ist der Satz B C ganz wahr und der Satz A C ganz falsch und der Schluss ist doch wahr. Dasselbe ergiebt sich, wenn der Satz A C wahr ist; der Beweis kann durch dieselben Begriffe geführt werden. Auch ergiebt sich das Gleiche, wenn der eine Vordersatz ganz wahr und der andere zum Theil[105] falsch ist. Denn es ist statthaft, dass B in allen C und A in einigen C enthalten ist und dabei A in einigen B; so ist z.B. der Zweifüssige in allen Menschen, das Schöne aber nicht in allen enthalten und das Schöne ist in einigen Zweifüssigen enthalten. Setzt man nun hier, dass sowohl A wie B in dem ganzen C enthalten sei, so ist der Satz B C ganz wahr und der Satz A C zum Theil falsch, aber der Schlusssatz ist wahr. Dasselbe ergiebt sich, wenn der Satz A C wahr und der Satz B C theilweise falsch angesetzt wird; denn stellt man dieselben Begriffe um, so ergiebt sich der Beweis. Ebenso verhält es sich, wenn der eine Vordersatz verneinend und der andere bejahend lautet; denn es ist statthaft, dass B in dem ganzen C und A in einigen C enthalten ist und in solchem Falle ist A nicht in allen B enthalten; setzt man nun, dass B in dem ganzen C, A aber in keinem C enthalten, so ist der verneinende Satz zum Theil falsch, und der andere ganz wahr und ebenso der Schluss wahr. Da ferner gezeigt worden, dass wenn A in keinem C enthalten ist, aber B in einigen C, es statthaft ist, dass A in einigen B nicht enthalten ist, so erhellt, dass wenn auch der Satz A C ganz wahr ist, aber der Satz B C falsch, es statthaft ist, dass der Schluss wahr sei. Denn wenn man sagt, dass A in keinem C und B in allem C enthalten, so ist der erste Satz ganz wahr und der zweite zum Theil falsch.

Es erhellt ferner, dass auch bei den beschränkten Schlüssen in allen Fällen aus falschen Vordersätzen wahre Schlusssätze gefolgert werden können. Man hat dann dieselben Begriffe, wie bei den allgemein lautenden Vordersätzen, zu benutzen und zwar bejahend, wo sie dort bejahend lauten und verneinend, wo sie dort verneinend lauten; denn es ist für die Aufstellung der Begriffe gleich, ob man setzt, dass das, was in keinem enthalten ist, in allem enthalten sei, oder dass das, was in einigem enthalten ist, in allen enthalten sei. Eben so verhält es sich mit den verneinenden Sätzen.

Es erhellt sonach, dass wenn der Schlusssatz falsch ist, nothwendig die Sätze, aus denen er gefolgert worden, alle oder einige falsch sein müssen; ist aber der Schlusssatz wahr, so ist es nicht nothwendig, dass die Vordersätze zum Theil oder sämmtlich wahr seien, vielmehr[106] kann es sein, dass wenn auch kein Vordersatz wahr ist, doch der daraus gefolgerte Schlusssatz wahr ist. Doch ist dies nicht nothwendig, weil, wenn zwei Dinge sich so zu einander verhalten, dass, wenn das erste ist, nothwendig auch das zweite ist, dann, wenn letzteres nicht ist, auch das erste nicht ist; aber wenn das zweite ist, nicht nothwendig das erste zu sein braucht. Dagegen kann für die beiden Fälle, dass das erste ist, und dass es nicht ist, unmöglich ein und dasselbe als notwendige Folge bestehen, z.B. dass wenn A weiss ist und B dann nothwendig gross ist, auch wenn A nicht weiss ist, B ebenfalls nothwendig gross sein müsste. Denn wenn im Fall A weiss ist, B nothwendig gross sein muss, und wenn B gross ist, C nicht-weiss ist, so folgt, dass wenn A weiss ist, nothwendig C nicht-weiss ist. Und wenn von zwei Dingen das zweite nothwendig sein muss, wenn das erste ist, so muss auch, wenn das zweite nicht ist, das erste, also das A, nicht sein; wenn also B nicht gross ist, so kann auch A nicht weiss sein; wenn aber doch für den Fall, dass A nicht weiss ist, B nothwendig gross sein müsste, so würde nothwendig folgen, dass, obgleich B nicht gross ist, dasselbe B doch gross wäre, was doch unmöglich ist. Denn wenn B nicht gross ist, so muss A nothwendig nicht weiss sein. Wenn aber B, auch wenn A nicht weiss ist, gross sein müsste, so würde wie bei den drei Begriffen des Schlusses folgen, dass wenn das B nicht-gross ist, es doch gross ist.

Quelle:
Aristoteles: Erste Analytiken oder: Lehre vom Schluss. Leipzig [o.J.], S. 104-107.
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