Fünfzehntes Kapitel

[40] Das Haben wird in verschiedenem Sinne gebraucht; theils bezeichnet es eine Eigenschaft oder einen Zustand, oder irgend eine andere Beschaffenheit; denn man sagt, dass Jemand eine Wissenschaft oder Tugend besitze; theils gebraucht man das Wort bei der Grosse, z.B. wenn Jemand eine bestimmte Grosse hat; denn man sagt dann von ihm, dass er eine Grosse von drei oder vier Ellen habe; theils gebraucht man das Wort bei der Bekleidung des Körpers z.B. bei einem Mantel oder Rock; theils bei dem, was man an einem Theile hat, z.B. bei dem Fingerringe an der Hand; theils bei dem, was man als[40] Glieder hat, z.B. die Hand und den Fuss; theils bei dem was in einem Gefässe ist; so hat z.B. der Scheffel den Weitzen oder der Krug den Wein; denn man sagt, dass der Krug den Wein habe (enthalte) und der Scheffel den Weitzen; man gebraucht von alle dem das Haben wie bei dem Gefässe. Auch wird das Haben in Bezug auf das Vermögen gebraucht; denn man sagt, dass Jemand ein Haus oder ein Ackerstück habe.

Auch sagt man: eine Frau haben und dass die Frau einen Mann habe; diese Bedeutung von Haben ist die allerentfernteste, denn man versteht unter »ein Frauenzimmer haben« nichts anderes, als ihr beiwohnen.

Vielleicht lassen sich noch andere Bedeutungen von Haben aufzeigen; indess werden die hier genannten wohl die gebräuchlichsten sämmtlich befassen.


Ende.[41]

Quelle:
Aristoteles: Kategorien oder Lehre von den Grundbegriffen. Aristoteles: Hermeneutica oder Lehre vom Urtheil. Leipzig 1876, S. 40-42.
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