Einunddreissigstes Kapitel

[59] Rücksichtlich derjenigen sophistischen Ausführungen, welche den Antwortenden dazu verleiten sollen, dass er dasselbe mehrmals sagt, erhellt, dass der Antwortende nicht zugeben darf, dass Begriffe, die zu den Beziehungen gehören, getrennt und für sich etwas bezeichnen, wie z.B. das Doppelte ohne die Hälfte des Doppelten, weil anscheinend das eine in dem anderen enthalten ist; denn die Zehn ist ja auch in der »Zehn weniger Eins« und das Thun in dem Nicht-Thun enthalten, und überhaupt die Bejahung in der Verneinung. Aber deshalb sagt jemand mit den Worten, dass dieses Ding nicht weiss sei, nicht, dass es weiss ist. – Auch das Doppelte bezeichnet wohl überhaupt nichts, so wenig wie das Halbe; und selbst wenn es etwas bezeichnete, so doch nicht dasselbe, als wenn es verbunden ausgesagt wird. Auch das Wort: Wissenschaft, als das Allgemeine, bedeutet nicht dasselbe, wie mit einer Art verbunden, z.B. wie in dem Wort: Arzneiwissenschaft; jenes ist vielmehr die Wissenschaft des Wissbaren. Bei den Bezeichnungen, durch welche die Dinge dem Anderen bekannt gemacht werden, muss man geltend machen, dass derselbe Ausdruck für sich und in der Begründung des Sophisten nicht dasselbe bezeichne. So bezeichnet das Hohle, als ein Gemeinsames, sowohl bei der Nase, wie bei den Beinen dasselbe; als ein Hinzugefügtes kann es aber sehr wohl Verschiedenes bedeuten, je nachdem es der Nase, oder den Beinen hinzugefügt wird; bei der Nase bedeutet es das Hohlnäsige, bei den Beinen das Krummbeinige, und es ist gleich, ob ich sage: stumpfe Nase oder hohle Nase. Auch[59] darf man solchen Ausdruck nicht sogleich zugeben, da er falsch ist; denn das Stumpfe ist nicht eine hohle Nase, sondern eine Beschaffenheit der Nase, wie ein Zustand derselben. Deshalb ist es nichts Verkehrtes, wenn man sagt, dass die Stumpfnase eine Nase ist, welche eine Hohlheit an sich hat.

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Aristoteles: Sophistische Widerlegungen. Heidelberg 1883, S. 59-60.
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