Zweiunddreissigstes Kapitel

[60] Was die Sprachfehler anlangt, so habe ich bereits früher gesagt, woraus sie sich scheinbar ergeben; wie aber dergleichen aufzulösen sind, ergiebt sich aus den Begründungen des Sophisten selbst. Alle solche Reden wollen nämlich das herbeiführen, was die nachfolgenden Beispiele ergeben. Also: Was Du richtig nennst, ist das auch richtig? Antwort: Ja. Nun nennst Du etwas einen Stein, also ist es »einen Stein«. – Allein das »den Stein Nennen« gebraucht nicht den Nominativ, sondern den Accusativ und sagt auch nicht »dieses«, sondern »diesen«. Fragte also jemand: Ist das, was Du richtig einen nennst, ein »diesen«, so würde der Fragende nicht der Sprachregeln gemäss sprechen. Ebensowenig der, welcher sagte: Die, deren Dasein Du behauptest, ist das dieser, indem er damit das Holz meint, oder überhaupt etwas von alle dem meint, was weder etwas Männliches noch Weibliches bezeichnet, da das Einzelne hier gleichgültig ist Deshalb ist es auch kein Sprachfehler, wenn das, von dem Du sagest, es sei, ein Dieses (Neutrum) ist, nennst Du es also das Holz (Accusativ), so ist es auch das Holz (Nominativ). Der Stein aber und das »Dieser« hat einen männlichen Namen. Wenn aber jemand sagte: Ist Dieser nicht Diese? und dann auf das Nein des Gefragten, sagte: Was ist es denn? und: Ist dieser nicht Koriskos und man dann folgerte, dass das »Dieser« eine »Diese« sei, so wäre dies kein richtiger Schluss auf einen begangenen Sprachfehler, und selbst wenn das Wort: Koriskos ein Weibliches bezeichnete, brauchte der Antwortende dies nicht zuzugeben, da es hätte vorausgesagt werden müssen. Wenn dies aber weder geschehen ist, noch der Antwortende es zugegeben hat, so ist ein Schluss weder in der Sache, noch in Bezug auf den Gefragten[60] begründet. Ebenso muss auch in dem obigen Beispiele vorher gefragt werden, ob »etwas einen Stein Nennen« ein »Dieses« bedeute. Ist dies nicht geschehen und auch nicht eingeräumt worden, so kann der Schluss auf einen Sprachfehler nicht gezogen werden, obgleich es so scheint, weil, trotz des verschiedenen Lautes der Beugungsfälle, sie doch dasselbe bedeuten sollen. Ferner: Kann man in Wahrheit sagen, dass »Dieser« es ist, welchen Du »Diesen« nennst? Antwort: Ja. – Nun nennst Du ihn »diesen« Schild, also ist er »diesen« Schild. – Allein dies ist nicht nothwendig, wenn nicht das »Dieser« den Schild, sondern »der Schild« bedeutet, und »den« Schild »diesen« Schild. Auch wenn das, was Du mit diesen bezeichnest, ein Dieser ist, Du also ihn z.B. einen Menschen nennst, so ist dieser doch nicht »einen« Menschen, denn dieser ist nicht »Menschen«; denn ich habe schon gesagt, dass der, den ich »dieser« nenne, dieser ist und nicht »diesen«; denn man würde nicht richtig sprechen, wenn man die Frage so stellte. – Ferner: Kennst Du dieses? – Ja. – Aber dieses ist ein Stein, also kennst Du »ein Stein«. – Allein das »Dieses« in dem »kennst Du dieses« bedeutet nicht dasselbe, wie in »dieses ist ein Stein«, sondern im ersten Falle bedeutet es ein »diesen« und in dem anderen Falle ein »dieser«. Ferner: Wessen Wissenschaft Du besitzt, weisst Du das? – Ja. – Nun hast Du Wissenschaft des Steins, also weisst Du »des Steins«. – Allein Du sagst bald »des Steins«, bald »den Stein«, während nur zugegeben ist, dass man das wisse, dessen Kenntniss man habe, also nicht, dass man dessen wisse, sondern dass man »das wisse«, mithin man nicht des Steines wisse, sondern den Stein.

Somit erhellt aus dem Gesagten, dass dergleichen Reden einen Sprachfehler durch Schlüsse nicht beweisen, sondern nur zu beweisen scheinen, und es erhellt, wodurch dieser Schein entsteht und wie man solchen Reden entgegenzutreten hat.

Quelle:
Aristoteles: Sophistische Widerlegungen. Heidelberg 1883, S. 60-61.
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