Siebentes Kapitel

[15] Die Täuschung entsteht bei den auf der Zweideutigkeit der Worte oder der Rede beruhenden Schlüssen dadurch, dass man die verschiedenen Bedeutungen des Mehrdeutigen nicht zu sondern vermag (denn Manches lässt sich nicht leicht sondern, wie z.B. das Vieldeutige der Worte, sowie das Eine, das Seiende und das Dasselbige). Bei den auf der Verbindung oder Trennung beruhenden Widerlegungen geschieht sie, weil man meint, die Rede habe, sei sie verbunden oder getrennt, keinen verschiedenen Sinn, wie dies ja auch meistentheils der Fall ist. Gleiches gilt für die auf die Betonung sich stützenden Widerlegungen; denn die Rede mit erhobener oder mit nachlassender Stimme scheint überhaupt nicht Verschiedenes zu bezeichnen oder wenigstens in vielen Fällen nicht.

Die Widerlegungen, welche sich auf die Form des Ausdrucks stützen, täuschen durch die Gleichheit der Sprachform;[15] indem es sich da schwer unterscheiden lässt, was in gleichem und was in verschiedenem Sinne gemeint ist, und da der, welcher dies vermag, der Erkenntniss des Wahren ziemlich nahe ist und am meisten versteht, durch Zunicken es zu unterstützen, dass der Gegner alles von einem Gegenstande Ausgesagte als ein Selbstständiges auffasse und wie Eines verstehe; denn dem Einen und dem selbstständigen Dinge scheint am meisten auch das »Dieses« und das »Seiende« mitzufolgen. Deshalb muss man dieses Mittel zu denen zählen, welche sich auf die Ausdrucksweise stützen, weil erstens die Täuschung leichter geschieht, wenn man etwas in Gemeinschaft mit anderen Personen, als wenn man es für sich allein prüft (denn die Prüfung mit Anderen geschieht mittelst der Worte, aber die für sich allein geschehende nicht minder auch mittelst Erwägung der Sache selbst); und dann täuscht man sich wohl auch für sich selbst, wenn man die Untersuchung nur auf die Worte richtet; auch entspringt ja jede Täuschung aus einer Aehnlichkeit und die Aehnlichkeit liegt in der Ausdrucksweise. Bei den Widerlegungen, die sich auf ein Nebensächliches stützen, geschieht die Täuschung, wenn der Gegner nicht unterscheidet, was dasselbe und was verschieden ist, und was Eines und was Vieles ist, und dass nicht alles das, was den von einem Gegenstande ausgesagten Beschaffenheiten zukommt, auch dem Gegenstande selbst zukommt. Ebenso verhält es sich bei den auf das Mitfolgende gestützten Widerlegungen, da das Mitfolgende ein Theil des Nebensächlichen ist. Auch scheint es in vielen Fällen so, und es wird auch behauptet, dass, wenn Dieses von Diesem sich nicht trennt, auch das Andere von dem Anderen sich nicht trennt. Bei den auf Weglassung von Etwas aus der Rede und auf dem »irgend wie« und dem »überhaupt« beruhenden Widerlegungen geschieht die Täuschung, weil sie nur bei etwas Kleinem sich vollzieht; denn da das »ein« und das »in gewisser Weise« und das »wie« und das »jetzt« das in der Rede darauf Folgende noch nicht erkennen lassen, so giebt man leicht die Zustimmung zu dem Satze überhaupt. Aehnlich ist es bei denjenigen Widerlegungen, welche den anfangs aufgestellten Satz als einen bewiesenen benutzen und welche sich auf einen Nicht-Grund stützen und welche mehrere Fragen wie[16] eine stellen. In allen diesen Arten geschieht die Täuschung durch eine Kleinigkeit, indem man aus diesem Grunde es mit den Begriffen der Vordersätze und des Schlusses nicht so genau nimmt.

Quelle:
Aristoteles: Sophistische Widerlegungen. Heidelberg 1883, S. 15-17.
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