Achtes Kapitel

[17] Nachdem ich ermittelt habe, in wie vielerlei Weisen die scheinbaren Schlüsse zu Stande kommen, so habe ich damit auch ermittelt, wie die sophistischen Schlüsse und Widerlegungen zu Stande kommen dürften. Zu einem sophistischen Schluss und einer solchen Widerlegung rechne ich nämlich nicht blos den scheinbaren Schluss und die scheinbare Widerlegung, sondern auch die, welche zwar die logischen Regeln einhalten, aber nur scheinbar den Gegenstand betreffen. Es sind dies die, welche nicht in Bezug auf den Gegenstand widerlegen und die Unwissenheit des Antwortenden darlegen, was das Geschäft der prüfenden Kunst ist, die einen Theil der Dialektik bildet und welche etwas Falsches zu schliessen vermag, weil der Antwortende aus Unwissenheit die Begründung zugiebt. Dagegen lassen die sophistischen Widerlegungen, selbst wenn sie ihren entgegengesetzten Satz durch einen Schluss beweisen, nicht erkennen, ob der Gegner unwissend ist, weil sie auch den Kundigen durch solche Begründungen in Schwierigkeiten verwickeln.

Dass nun diese Art der Widerlegungen auf demselben Verfahren beruht, ist klar; denn durch alle die Mittel, welche bei den Zuhörern den Schein erzeugen, als sei aus den gefragten Vordersätzten der Schlusssatz richtig abgeleitet worden, wird auch bei den Antwortenden diese Meinung entstehen, und die falschen Schlüsse werden deshalb ebenfalls durch alle diese Mittel, oder doch durch mehrere derselben zu Stande gebracht, da auch der Nicht-Gefragte glauben wird, er habe das zugegeben, was er auf Befragen zugeben würde. Nur bei einigen Widerlegungen trifft es sich, dass das noch Nöthige gefragt und so das Falsche offenbar gemacht wird, wie dies bei den auf der Ausdrucksweise ruhenden und auf die Sprachfehler gerichteten Widerlegungen der Fall ist. Wenn nun die falschen Schlüsse für den entgegengesetzten[17] Satz zu den scheinbaren Widerlegungen gehören, so ist klar, dass die Schlüsse auf das Falsche sich auf eben dieselben Mittel stützen werden, durch welche der scheinbare Schluss zu Stande kommt. Die scheinbare Widerlegung stützt sich aber auf einzelne Theile des Wahrhaften; denn wenn Einzelnes weggelassen wird, so verwandelt sich die Widerlegung in eine scheinbare, wie dies bei denen geschieht, die sich auf etwas stützen, was aus der Begründung nicht folgt, so wie bei denen, welche zu dem Unmöglichen führen, und bei Widerlegungen, die zwei Fragen zu einer machen und damit gegen den Begriff des Vordersatzes verstossen; ferner bei denen, welche das Nebensächliche als ein An-sich benutzen, oder bei der Art derselben, welche sich auf das Mitfolgende stützt; ferner bei denen, wo der Schluss nur für die Worte, aber nicht für die Sache sich ergiebt; ferner bei denen, welche ihren Gegensatz nicht so allgemein wie den zu widerlegenden Streitsatz fassen und ihn nicht auf dasselbe, und nicht in Bezug auf dasselbe richten und so gegen einzelne oder gegen alle diese Erfordernisse verstossen; ferner bei denen, welche in ihrem Schlusssatze sich auf einen Obersatz stützen, der doch erst bewiesen werden soll. Damit wären die Weisen dargelegt, in welchen die Fehlschlüsse entstehen; in noch weiteren Weisen dürfte dies nicht geschehen, vielmehr werden alle in den hier angegebenen Verfahrungsweisen sich bewegen.

Die sophistische Widerlegung ist nun keine Widerlegung überhaupt, sondern nur eine Widerlegung in Bezug auf eine bestimmte Person, und dasselbe gilt für den sophistischen Schluss. Denn wenn der Fragende gerade nicht zugestanden bekommt, dass das zweideutige Wort nur Eines bedeutet und dass das in gleichen Sprachformen ausgedrückte Mehrere nur dieses Bestimmte bedeutet, und wenn nicht bei den übrigen Arten Aehnliches geschieht, so kommt weder eine Widerlegung, noch ein Schluss zu Stande, und zwar weder überhaupt, noch in Bezug auf den Gefragten. Gesteht dieser es ihm aber zu, so werden sie zwar gegen diesen Zugestehenden Widerlegungen sein, aber nicht überhaupt; denn es ist ihm nicht etwas zugestanden, was in Wirklichkeit nur einen Sinn hat, sondern was nur so scheint, und darauf ist die Widerlegung gestützt.

Quelle:
Aristoteles: Sophistische Widerlegungen. Heidelberg 1883, S. 17-18.
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