Fünfzehntes Kapitel

[30] So wie es statthaft war, dass A in B unvermittelt enthalten ist, so ist es auch statthaft, dass es unvermittelt darin nicht-enthalten ist. Unter »unvermittelt enthalten« oder »unvermittelt nicht-enthalten sein« verstehe ich, dass kein Mittleres zwischen ihnen besteht; denn nur dann ist das Eine in dem Andern nicht vermittelst eines Dritten enthalten oder nicht-enthalten. Wenn also das A oder das B ganz in dem Umfange eines Dritten enthalten ist, oder wenn beide darin enthalten sind, so geht es nicht an, dass A in B unvermittelt nicht-enthalten ist. Es sei z.B. A ganz in dem Umfange von C enthalten, wenn nun B in dem Umfange von C gar nicht enthalten ist, (denn es ist statthaft, dass A ganz in dem Umfange eines Dritten enthalten und B gar nicht darin enthalten ist), so ergiebt sich dann vermittelst eines Schlusses, dass A in B nicht enthalten ist; denn wenn C in dem ganzen A, aber in keinem B enthalten ist, so kann A in keinem B enthalten sein. Dasselbe gilt, wenn B ganz in dem Umfange eines Dritten, z.B. in D enthalten ist, denn dann ist D in dem ganzen B und A in keinem D enthalten und deshalb wird dann auch vermittelst eines Schlusses A in keinem B enthalten sein. In gleicher Weise lässt sich dies darlegen, wenn jedes von beiden ganz in dem Umfange eines Begriffes enthalten ist.

Dass es aber statthaft ist, dass B ganz in dem Umfange eines Dritten nicht enthalten ist, in welchem A enthalten ist, oder dass wieder A nicht in dem Umfange eines Dritten enthalten ist, in welchem B enthalten ist,[30] erhellt auch aus den Doppelreihen verwandter Begriffe, wo die einander gegenüberstehenden Begriffe sich nicht austauschen lassen. Denn wenn kein Begriff in der einen Reihe A C D von einem in der andern Reihe B E Z ausgesagt werden kann, A aber ganz in dem Umfange von T enthalten ist, welches mit ihm zu derselben Reihe gehört, so ist klar, dass B nicht in dem Umfange von T enthalten sein kann; denn sonst würden die einander gegenüberstehenden Begriffsreihen sich austauschen lassen. Ebenso verhält es sich, wenn B ganz in dem Umfange eines dritten Begriffs seiner Reihe enthalten ist.

Wenn aber weder A noch B in irgend einem Begriffe enthalten sind, und A in dem B nicht enthalten ist, so muss dieses Nicht-enthalten sein ein unvermitteltes sein; denn würde dies durch ein Mittleres bewirkt, so müsste eines von beiden ganz in dem Umfange eines Dritten enthalten sein und es würde sich ein Schluss auf das Nichtenthaltensein des A in B entweder nach der ersten oder zweiten Figur ergeben. Geschähe dies nach der ersten Figur, so müsste B ganz in dem Umfange eines Dritten enthalten sein (denn zu dem Behufe muss der Untersatz bejahend lauten); geschähe es aber nach der zweiten Figur, so kann A oder B, wie es sich trifft, ganz in dem Umfange eines Dritten enthalten sein, denn der verneinende Vordersatz mag A oder B befassen, so ergiebt sich doch ein Schluss, und nur wenn beide Vordersätze verneinend gesetzt werden, findet kein Schluss statt.

Es ist somit klar, dass sehr wohl Eines in einem Andern unvermittelt nicht-enthalten sein kann und ich habe dargelegt, wann und wie dies stattfinden kann.

Quelle:
Aristoteles: Zweite Analytiken oder: Lehre vom Erkennen. Leipzig [o.J.], S. 30-31.
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