Zweites Kapitel

[66] Dies und so vielerlei ist also das, was man zu wissen verlangt und welches man, wenn man es gefunden hat, weiss. Wenn man nun einfach das Dass oder das: Ob etwas ist sucht, so sucht man zu ermitteln, ob ein Mittleres dafür vorhanden ist; oder nicht. Wenn man aber das Dass oder das: Ob etwas ist, weiss, sei[66] es in Bezug auf einzelne Bestimmungen oder überhaupt, und wenn man dann weiter das Warum oder das Was sucht, so will man wissen, was das Mittlere ist. Mit dem Dass oder dem: Ob etwas ist, sei es eine einzelne Bestimmung des Gegenstandes, oder dieser Gegenstand überhaupt, meine ich überhaupt es so, wie wenn man frägt, ob der Mond abnimmt oder zunimmt? Denn bei solchen Fragen will man nur von einer einzelnen Bestimmung wissen, ob sie ist oder nicht ist; oder man frägt nach dem Sein überhaupt, z.B. wenn man frägt, ob der Mond, oder die Nacht sei oder nicht sei? Bei allen diesen Fragen zeigt sich also, dass man entweder wissen will, ob ein Mittleres vorhanden ist, oder was dieses Mittlere ist. Denn das Mittlere ist die Ursache und diese wird bei allen diesen Fragen gesucht. Man frägt also: Nimmt der Mond ab? Ist eine Ursache hierfür vorhanden oder nicht? Findet man nun, dass etwas besteht, so sucht man dann zu ermitteln, was es ist. Denn das Mittlere ist entweder die Ursache des Seins überhaupt und nicht eines so oder so bestimmten Seins oder es ist die Ursache nicht des Seins überhaupt, sondern des Seins von einer Bestimmung, die dem Gegenstande an sich oder nebenbei anhaftet. Unter dem Seienden überhaupt verstehe ich das Unterliegende, z.B. dem Mond oder die Erde, oder die Sonne, oder das Dreieck; unter der einzelnen Bestimmung aber z.B. die Verfinsterung, oder die Gleichheit, oder die Ungleichheit, indem man ermittelt, ob eine solche Bestimmung in einem Mittleren enthalten ist, oder nicht. In allen diesen Fällen ist offenbar das Was und das: Warum etwas ist, dasselbe. Was ist z.B. eine Mondfinsterniss? Antwort: Eine Beraubung des Lichtes am Monde durch das Dazwischentreten der Erde. Und: Warum entsteht eine Verfinsterung? oder weshalb wird der Mond verfinstert? Antwort: Weil das Licht wegen des Dazwischentretens der Erde ausbleibt. Ferner: Was ist die Harmonie? Antwort: Ein bestimmtes Zahlenverhältniss in Bezug auf Höhe oder Tiefe der Töne; und: Weshalb stimmt das Hohe mit dem Tiefen? Antwort: Weil das Hohe und das Tiefe in einem bestimmten Zahlenverhältniss zu einander steht. Ebenso ist die Frage, ob das Hohe mit den Tiefe übereinstimmt? Dieselbe,[67] wie die Frage: Ob ein bestimmtes Zahlenverhältniss zwischen ihnen besteht; und wenn man annimmt, dass es bestehe, so frägt es sich, welches Verhältniss es sei?

Dass die Frage auf das Mittlere geht, erhellt in allen den Fällen, wo das Mittlere in die Sinne fällt. Denn man frägt nur dann, ob etwas ist oder nicht ist, wenn die Wahrnehmung fehlt, z.B. ob die Mondfinsterniss ist oder nicht ist? Wäre man aber auf dem Monde, so würde man weder nach dem Sein der Finsterniss, noch nach ihrer Ursache fragen, sondern beides würde zugleich bekannt werden; denn aus der Wahrnehmung würde hier wohl auch das Wissen des Allgemeinen entstehn; denn die Wahrnehmung, dass jetzt die Erde sich dazwischenstellt macht auch klar, dass jetzt das Licht ausbleibt und daraus würde auch das Allgemeine erfasst werden.

Sonach ist also, wie ich gesagt habe, das Wissen des Was dasselbe mit dem Wissen das Warum. Dies Wissen geht nun entweder auf das einfache Sein ohne Beziehung auf eine dem Gegenstande einwohnenden Bestimmung oder es geht auf eine solche, z.B. dass das Dreieck zusammen zwei rechte Winkel enthält, oder dass Etwas grösser oder kleiner ist.

Quelle:
Aristoteles: Zweite Analytiken oder: Lehre vom Erkennen. Leipzig [o.J.], S. 66-68.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Organon
Philosophische Bibliothek, Bd.13, Sophistische Widerlegungen (Organon VI)
Organon Band 2. Kategorien. Hermeneutik oder vom sprachlichen Ausdruck. Griechisch - Deutsch
Das Organon (German Edition)