Zweites Capitel

[78] Wenn nun Einiges durch sich selbst, Anderes durch Vermittlung von Anderem für das gilt, was es ist, und der Raum theils der gemeinschaftliche ist, worin alle Körper sind, theils der besondere, worin zunächst, (ich meine es aber so, wie z.B. du bist im Himmel, weil in der Luft, diese aber im Himmel; und in der Luft, weil auf der Erde; eben so auf dieser, weil an diesem bestimmten Orte, der weiter nichts umfaßt als dich): so wird nun der Raum, wiefern er das zunächst einen jeden Körper Umfassende ist, eine Begrenzung sein. So daß es den Anschein hätte, als sei die Formbestimmung und Gestalt eines Dinges der Raum, wo durch begrenzt wird die Größe und der Stoff der Größe. Denn darin besteht eines jeden Begrenzung. So nun betrachtet ist der Raum eines jeden Dinges Formbestimmung. Wiefern aber der Raum für die Entfernung der Größe gilt, der[78] Stoff. Dieß nämlich ist verschieden von der Größe. Es ist das von der Formbestimmung Umgebene, und Bestimmte, wie von einer Fläche und Begrenzung. – Es ist aber ein solches der Stoff und das Unbestimmte. Nimmt man weg die Begrenzung und die Zustände z.B. der Kugel, so bleibt nichts übrig als der Stoff. Darum nennt auch Platon den Stoff und den Raum Dasselbe in dem Timäus. Das Aufnehmende nämlich und der Raum sei Eines und dasselbe. Auf verschiedene Weise zwar spricht er hier von dem Aufnehmenden, und in den sogenannten ungeschriebenen Lehren, aber dennoch lehrte er allgemein, daß Ort und Raum mit jenem Dasselbe sei. Es behaupten nämlich zwar Alle, daß etwas sei der Raum; was er aber sei, hat jener allein unternommen zu erklären. – Natürlich wohl muß, sobald man es hienach betrachtet, schwierig zu sein scheinen, zu erforschen, was der Raum ist; wenn er von diesen beiden eines ist, sei es Stoff, sei es Formbestimmung. Denn theils überhaupt gehört diese Betrachtung zu den feinsten und höchsten, theils ist es insbesondere nicht leicht, abgesondert von einander sie kennen zu lernen.

Nun aber daß keines von diesen beiden der Raum sein kann, ist nicht schwer zu sehen. Denn die Formbestimmung und der Stoff finden sich nicht getrennt von dem Dinge; der Raum aber kann dieß. In welchem nämlich Luft war, in diesem wird, wie wir sagen, wiederum Wasser, wenn gegenseitig den Ort wechseln mit einander die Luft und das Wasser, und die übrigen Körper gleichergestalt. Also weder ein Theil noch eine Eigenschaft, sondern trennbar ist der Raum von jedem Dinge. Nämlich es scheint so etwas zu sein der Raum, wie das Gefäß. Denn es ist das Gefäß ein beweglicher Raum; das Gefäß aber ist nichts von dem Dinge. – Wiefern er nun trennbar ist von dem Dinge, sofern ist er nicht die Formbestimmung. Wiefern er aber umfaßt,[79] sofern verschieden von dem Stoffe. Es scheint aber stets das, was irgendwo ist, sowohl selbst etwas zu sein, als auch etwas Anderes außer ihm. – Platon aber hätte sagen sollen – dafern dieß beiläufig erwähnt werden darf, – warum nicht im Raume die Formwesen und die Zahlen sind, wenn doch das Aufnehmende der Raum ist; sei nun das Große und das Kleine das Aufnehmende, oder der Stoff, wie er in Timäus geschrieben hat. – Sodann wie sollte etwas sich hinbewegen nach seinem Orte, wenn dieser Ort der Stoff oder die Formbestimmung wäre? Denn nicht kann, was weder Bewegung, noch ein Oben und Unten hat, Raum sein. Vielmehr offenbar in diesen hat man den Raum zu suchen. Ist aber in dem Dinge selbst der Raum (er muß es aber sein, wenn er Form oder Stoff), so ist der Raum in einem Raume. Denn es verändert zugleich mit dem Dinge und bewegt sich sowohl die Formbestimmung als auch das Unbestimmte, und sind nicht stets in dem Nämlichen, sondern wo auch das Ding ist. So daß es also einen Ort des Ortes geben würde. – Ferner wenn aus der Luft Wasser wird, so geht dann unter der Raum; denn nicht mehr in demselben Raume ist der nun werdende Körper. Worin nun besteht dieser Untergang? – Woraus also sich ergiebt das Sein des Raumes, und wiederum woraus man zweifeln könnte über sein Wesen, ist jetzt gesagt worden.

Quelle:
Aristoteles: Physik. Leipzig 1829, S. 78-80.
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