Drittes Capitel

[80] Nach diesem ist zu nehmen, auf wie viele Art Eines in dem Andern ist. Auf eine Art also: wie der Finger in der Hand, und überhaupt wie der Theil in dem Ganzen. Nicht nämlich ist außerhalb der Theile das Ganze. Auf andere Art: wie der Mensch in dem Thiergeschlechte, und überhaupt wie die Art in der Gattung.[80] Auf andere, wie die Gattung in der Art, und überhaupt wie der Theil der Formbestimmung in dem Begriffe der Formbestimmung. Ferner wie Gesundheit in Warm und Kalt, und überhaupt wie die Formbestimmung in dem Stoffe. Ferner wie in dem Willen des Königs die Angelegenheiten der Griechen, und überhaupt wie in dem zuerst Bewegenden. Ferner wie in dem Guten und überhaupt in dem Endziel: dieß aber ist das Weswegen. Unter allen aber das eigentlichste ist das, wie in einem Gefäße, und überhaupt das im Raume. – Man könnte zweifeln, ob vielleicht auch etwas in sich selbst vermag zu sein, oder nicht, sondern alles entweder nirgends oder in einem andern. Auf zwiefache Weise aber kann dieß sein: nämlich entweder in Bezug auf sich selbst oder in Bezug auf ein anderes. Wenn nämlich Theile des Ganzen sind, sowohl das in dem es, als das was in ihm sein soll, so wird man sagen können, das Ganze sei in sich selbst. Denn es heißt so auch nach seinen Theilen: z.B. weiß, dessen Oberfläche weiß ist, und einsichtvoll, dessen Verstand dieß ist. Der Behälter nun wird sonach nicht in sich selbst sein, noch auch der Wein, wohl aber der Behälter des Weins. Denn das Was und das Worin sind beides Theile des Nämlichen. – So nun vermag etwas in sich selbst zu sein; unmittelbar aber vermag es dieß nicht. Z.B. das Weiße ist in dem Körper, denn die Oberfläche ist in dem Körper; die Einsicht aber in der Seele. Hier nun bezeichnen die besonderen Benennungen wirkliche Theile, wie z.B. in dem Menschen. Der Behälter aber und der Wein sind für sich, also nicht Theile, sondern nur zusammen. Also wenn etwas Theile hat, wird es in sich selbst sein können, gleichwie das Weiße in dem Körper, und in diesem, weil in der Oberfläche, in dieser aber nicht mehr mittels eines anderen. Und diese nun sind der Formbestimmung nach verschieden, und haben jedes eine andere Natur und Bedeutung; die Oberfläche[81] und das Weiße. – Auch wenn wir es durch Beispiele betrachten, sehen wir nichts, das in sich selbst wäre, nach keiner unserer Bestimmungen; und dem Begriffe nach ist es offenbar unmöglich. Denn es würde müssen beides als jedes von beiden gelten; z.B. der Behälter zugleich Gefäß und Wein sein, und der Wein zugleich Wein und Behälter, wenn etwas sollte in sich selbst sein können. Vielmehr wenn sie noch so sehr in einander gegenseitig sind, so kann doch nur der Behälter den Wein aufnehmen, nicht wiefern er selbst der Wein, sondern wiefern er jenes ist, und der Wein in dem Behälter sein, nicht wiefern Behälter er selbst, sondern wiefern jener Behälter ist. Daß nun dem Sein nach beides verschieden bleibt, ist klar. Denn ein anderer ist der Begriff dessen, was in etwas ist, und dessen, worin es ist. – Aber auch nebenbei geht es nicht. Denn zugleich zwei Körper würden in dem Nämlichen sein. Sowohl nämlich in sich selbst würde der Behälter sein, wenn, wessen Natur eine empfängliche ist, dieß vermag in sich selbst zu sein, als auch zu gleich jenes, für das es empfänglich ist, z.B. wenn für den Wein, der Wein. – Daß nun also nicht vermag in sich selbst etwas zu sein auf unmittelbare Weise, ist klar. Was aber den Einwurf des Zenon betrifft, wenn der Raum etwas ist, worin er denn sein soll; so ist dieser zu lösen nicht schwer. Denn nichts hindert, daß in einem Andern zwar sei der erste Raum, nicht jedoch wie in einem Raume darin, sondern gleichwie die Gesundheit in dem Warmen als Eigenschaft, das Warme aber in dem Körper als Zustand. So daß es nicht nöthig ist, ins Unbegrenzte zu gehen. – So viel aber ist ersichtlich, daß, da nichts ist das Gefäß von dem was in ihm ist (denn verschieden sind das unmittelbare Was und Worin): so auch nicht sein kann weder der Stoff, noch die Formbestimmung der Raum, sondern etwas verschiedenes. Denn von jenem etwas dem Darinseienden sind diese,[82] der Stoff und die Form. – So viel nun sei von den Zweifeln gesagt.

Quelle:
Aristoteles: Physik. Leipzig 1829, S. 80-83.
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