Zweites Capitel

[196] Was aber diesem entgegensteht, ist nicht schwer zu widerlegen. Es könnte scheinen, wenn man es etwa auf folgende Weise betrachtet, daß die Bewegung als nicht seiend sich denken ließe. Zuerst nun, weil keine Veränderung eine ewig dauernde ist. Denn jede Veränderung ist natürlicher Weise von etwas zu etwas. So daß also jeder Veränderung Grenze die Gegensätze sein müssen, innerhalb deren sie geschieht; in das Unbegrenzte aber nichts sich bewegt. Ferner sehen wir, daß fähig ist sich zu bewegen, was weder sich bewegt, noch in sich irgend eine Bewegung hat; z.B. bei dem Unbeseelten, wovon weder ein Theil, noch das Ganze sich bewegt, dieses bewegt sich doch einmal. Es mußte aber entweder stets sich bewegen oder nie, wenn sie nicht werden kann, ohne zu sein. Bei weitem am meisten aber ist dergleichen an dem Beseelten[196] ersichtlich. Denn öfters, indem keine Bewegung in uns ist, sondern wir ruhen, bewegen wir uns auf einmal; und es entsteht in und aus uns selbst ein Anfang der Bewegung öfters, auch ohne daß etwas von außen bewegte. Dieß nämlich sehen wir bei dem Unbeseelten nicht auf gleiche Weise, sondern stets bewegt dasselbe etwas Anderes von außen. Das Thier aber, sagen wir, bewege sich selbst. Also wenn es zu Zeiten gänzlich ruht, so müßte in Unbewegtem entstehen von selbst, und nicht von außen. Wenn aber in dem Thiere dieß geschehen kann, was hindert, daß dasselbe sich begebe auch hinsichtlich des Ganzen? Denn wenn etwas in der kleinen Welt geschieht, so auch in der großen, und wenn in der Welt, so auch in dem Unbegrenzten, dafern fähig ist sich zu bewegen das Unbegrenzte und zu ruhen als Ganzes. – Hievon nun wird das zuerst Gesagte, daß nicht eine stets und dieselbe der Zahl nach sei die Bewegung nach den Gegensätzen hin, mit Recht gesagt. Denn dieß vielleicht ist nothwendig, wenn nicht stets eine und dieselbe der Zahl nach sein kann, die Bewegung des Einen und selben. Ich meine es aber so: z.B. hat die Eine Saite einen und denselben Ton, oder stets einen andern, indem sie sich gleich verhält und bewegt? Allein wie es auch sich verhalte, so hindert nichts, daß eine Bewegung eine und dieselbe sei, indem sie eine stetige ist und unvergängliche. Klarer aber noch wird dieß werden aus dem Nachfolgenden. – Daß nun etwas sich bewege ohne daß es sich bewegte, ist nichts Auffallendes, wenn bald da ist dasjenige, das von außen bewegt, bald nicht. Wie aber dieß so sein könnte, ist aufzusuchen: ich meine, daß das Nämliche von dem Nämlichen das zum Bewegen geschickt ist, bald bewegt wird, bald aber nicht. Denn nichts anderes fragt der, welcher so spricht, als warum nicht stets ein Theil der Dinge ruht, der andere sich bewegt. – Am meisten aber könnte scheinen das Dritte eine Schwierigkeit zu enthalten: wie[197] eine Bewegung hineinkommen kann, die früher nicht darin war: was sich begiebt mit dem Beseelten. Da nämlich es zuvor ruhte, so geht es hierauf, ohne daß etwas von außen es bewegt hätte, wie es scheint. Dieß aber ist falsch. Denn wir sehen stets etwas sich bewegen in dem Thiere von dem Zusammengewachsenen. Von der Bewegung von diesem aber ist nicht das Thier selbst Ursache, sondern das Umgebende vielleicht. Daß es aber sich selbst bewege, sagen wir nicht in Bezug auf jede Bewegung, sondern allein auf die räumliche. Nichts nun hindert, vielmehr ist es vielleicht nothwendig, daß in dem Körper viele Bewegungen entstehen durch das Umgebende; und daß einige von diesen das Denk- oder das Begehrvermögen bewegen; daß aber diese nunmehr das ganze Thier in Bewegung setzen: dergleichen geschieht in Bezug auf den Schlaf. Indem nämlich keine empfindende Bewegung vorhanden ist, und dennoch eine gewisse vorhanden ist, erwachen die Thiere wiederum. Allein auch über dieses wird Licht sich verbreiten aus dem was folgt.

Quelle:
Aristoteles: Physik. Leipzig 1829, S. 196-198.
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