Viertes Capitel

[202] Von dem was bewegt und bewegt wird, bewegt und wird bewegt Einiges nebenbei, Anderes an und für sich. Nebenbei, z.B. was an demjenigen ist, welches bewegt oder bewegt wird, und das was theilweise. An und für sich aber, was nicht dadurch, daß es an dem Bewegenden oder Bewegten ist, noch daß ein Theil von ihm bewegt oder bewegt wird. Von dem aber, was an und für sich, Einiges von sich selbst, Anderes von einem Anderen; und Einiges von Natur, Anderes durch Gewalt und wider die Natur. Was nämlich von sich selbst bewegt wird, bewegt sich von Natur; z.B. das Thier. Denn es bewegt sich das Thier von selbst. Was aber den Ursprung der Bewegung in sich hat, von diesem sagen wir, es bewege sich von Natur. Darum bewegt das ganze Thier zwar von Natur sich selbst. Der Körper jedoch kann sowohl von Natur als wider die Natur bewegt werden. Wider die Natur: z.B. das Irdische nach oben, und das Feuer nach unten. Ferner die Theile der Thiere werden oftmals wider die Natur bewegt: wider ihre Lage und wider ihre Arten der Bewegung. Und am meisten ist, daß von etwas bewegt wird das sich Bewegende, in demjenigen was wider die Natur bewegt wird, ersichtlich; weil es erhellt, wie von einem Anderen es bewegt wird. Nach jenem aber, was wider die Natur, unter dem was der Natur gemäß, dasjenige, was von sich selbst, z.B. die Thiere. Denn nicht dieß ist undeutlich, ob sie von etwas[202] bewegt werden, sondern wie man zu unterscheiden hat das Bewegende und das Bewegte. Denn es scheint, wie in den Schiffen und dem nicht von Natur Zusammenbestehenden, so auch in den Thieren geschieden zu sein das Bewegende und das Bewegte, und so das Ganze sich selbst zu bewegen. – Am meisten aber ist man zweifelhaft über das Uebrige der angegebenen letzten Eintheilung. Von dem nämlich, was von einem Andern bewegt wird, setzen wir, daß Einiges wider die Natur bewegt werde; das Andere aber ist noch übrig entgegenzusetzen, nämlich von Natur. Denn dieß ist es, was die Zweifel erregen konnte, ob es von etwas bewegt wird; z.B. das Leichte und das Schwere. Dieß nämlich wird nach den entgegengesetzten Orten durch Gewalt bewegt; nach den eigenen aber, das Leichte aufwärts, das Schwere abwärts, von Natur. Wodurch aber, ist nicht mehr offenbar; wie wann es bewegt wird wider die Natur. Zu sagen nämlich, daß es von sich selbst, ist unmöglich. Denn etwas dem Leben Angehöriges ist dieß und dem Beseelten Eigenthümliches. Und auch stellen müßte es sich selbst können; z.B. wenn etwas sich selbst Ursache des Gehens ist, so auch des Nichtgehens. Also wenn es bei dem Feuer selbst stehen sollte, sich nach oben zu bewegen, so offenbar auch bei ihm, nach unten. Unbegründet auch wäre es, daß die Dinge nur in Bezug auf Eine Bewegung sich von selbst bewegten, wenn sie sich selbst bewegten. Ferner, wie kann etwas Stetiges und Zusammengewachsenes sich selber bewegen? Denn wiefern es einig und stetig nicht durch Berührung, ist es nicht eines Leidens empfänglich: sondern wiefern es getrennt ist, sofern kann ein Theil thun, der andere leiden. Nicht also bewegt von diesen Dingen etwas sich selbst: denn sie sind zusammengewachsen. Noch sonst etwas Stetiges: sondern es muß geschieden sein das Bewegende in jedem, gegen das Bewegte, wie wir bei dem Unbeseelten sehen, wenn etwas Beseeltes es bewegt. Aber es ergiebt[203] sich, daß auch dieses stets von etwas bewegt wird. Dieß würde deutlich werden, wenn wir die Ursachen mittheilen wollten. – Man kann aber auch bei dem Bewegenden die angegebenen Gattungen annehmen. Einiges nämlich davon ist zum Bewegen geschickt wider die Natur, z.B. der Hebel ist nicht von Natur von dem Gewichte das Bewegende. Anderes von Natur; z.B. das der Wirklichkeit nach Warme ist erregend für das der Möglichkeit nach Warme. Eben so auch bei dem anderen dergleichen. Und beweglich ist auf gleiche Weise von Natur, was der Möglichkeit nach irgend eine Beschaffenheit oder Größe hat, oder irgendwo ist, wenn es den Anfang zu so etwas in sich hat, und nicht nebenbei. Denn es kann wohl das Nämliche auch eine Größe haben und Beschaffenheit, aber so, daß sie als Anderes einem Anderen anhängt, und nicht an und für sich vorhanden ist. Das Feuer nun und die Erde werden bewegt von etwas: durch Gewalt, wenn wider die Natur; von Natur aber, wenn nach ihren Wirksamkeiten hin als der Möglichkeit nach seiende. Da aber das der Möglichkeit nach mehrerlei bedeutet, so ist dieß Grund, daß es nicht offenbar ist, von was dergleichen bewegt wird; z.B. das Feuer nach oben und die Erde nach unten. Es ist aber der Möglichkeit nach auf andere Weise der Lernende wissend, und der schon Besitzende aber nicht Anschauende. Stets aber, wenn zusammen das Thun und das zum Leiden Geeignete sind, wird bisweilen der Wirklichkeit nach das Mögliche: z.B. das Lernende wird aus einem der Möglichkeit nach seienden ein Anderes an Möglichkeit. Denn wer die Wissenschaft besitzt, aber nicht in der Anschauung begriffen ist, ist gewissermaßen der Möglichkeit nach ein Wissender; aber nicht eben so, wie auch ehe er lernte. Wenn er aber so sich verhält, und nichts hindert, so tritt er in Wirksamkeit und schaut an; oder er wird sich befinden in dem Gegentheile, nämlich der Unwissenheit. Auf gleiche Weise verhält dieses sich auch bei[204] dem Natürlichen. Das Kalte nämlich ist der Möglichkeit nach ein Warmes; wenn aber es übergeht, so ist es bereits Feuer, und brennt, dafern nichts hindert oder im Wege steht. Eben so verhält es sich auch in Bezug auf das Schwere und Leichte. Das Leichte nämlich entsteht aus Schwerem, wie aus Wasser Luft. Dieses nämlich war der Möglichkeit nach zuerst, und ist bereits Leichtes, und wird in Wirksamkeit treten sogleich, wenn nichts hindert. Wirksamkeit aber des Leichten ist, an einem bestimmten Orte zu sein, und zwar oben. Es wird aber gehindert, wenn es an dem entgegengesetzten Orte ist. Und dieß verhält sich gleichergestalt sowohl bei der Größe, als bei der Beschaffenheit. – Indeß wird eben darnach gefragt, von was doch nach seinem Orte hin bewegt wird das Leichte und das Schwere. Der Grund ist, daß es von Natur so ist, und eben hiedurch das Leichte und das Schwere als das was es ist, bestimmt ist, daß das eine oben, das andere unten ist. Der Möglichkeit nach aber ist Leichtes und Schweres auf vielfache Art, wie gesagt. Wenn es nämlich Wasser ist, so ist es auf gewisse Weise der Möglichkeit nach leicht; und wenn Luft, so ist es ebenfalls der Möglichkeit nach. Denn es läßt sich denken, daß es wegen eines Hindernisses nicht oben ist; aber sobald dieses entfernt wird, so tritt es in Wirksamkeit und geht immer mehr nach oben. Auf gleiche Weise geht auch die Beschaffenheit in das der Wirklichkeit nach seiende über. Sogleich nämlich beginnt anzuschauen das Wissende, wenn nichts hindert. Und die Größe dehnt sich aus, wenn nichts hindert. Derjenige aber, der das im Wege stehende und Hindernde entfernt, bewegt gewissermaßen zwar, gewissermaßen aber auch nicht. Z.B. wer die Säule wegzieht, oder wer den Stein wegnimmt von dem Schlauche im Wasser. Beiläufig nämlich bewegt er; gleichwie auch der zurückprallende Ball nicht durch die Mauer bewegt wird, sondern durch den Werfenden. Daß nun nichts hievon[205] sich selber bewegt, ist klar. Sondern es enthält der Bewegung Ursprung, nicht des Bewegens; noch des Thuns, sondern des Leidens. Wenn nun alles was sich bewegt, entweder von Natur bewegt wird oder wider die Natur und durch Gewalt, und das wider die Natur alles von etwas und von einem Anderen; unter dem aber, was von Natur, wiederum sowohl was durch sich selbst sich bewegt, von etwas bewegt wird, als auch was nicht durch sich selbst, z. B. das Leichte und das Schwere (entweder nämlich von dem, was erzeugt und gemacht hat Leichtes und Schweres, oder von dem, der das im Wege stehende und Hindernde löst): so möchte wohl alles was sich bewegt, von etwas bewegt werden.

Quelle:
Aristoteles: Physik. Leipzig 1829, S. 202-206.
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