[510] 7. tad-abhvo; nâḍîshu, tac-chruter, âtmani ca
ihr Nichtvorhandensein; in den Adern, weil so die Schrift, und in dem Âtman.

Nachdem wir den Zustand des Traumes betrachtet haben, so ist nunmehr der Zustand des Tiefschlafes zu untersuchen. Hierbei kommen die folgenden | auf den Tiefschlaf bezüglichen Schriftstellen in Betracht. Einmal heisst es: »wenn er dann so eingeschlafen ist ganz und gar und völlig zur Ruhe gekommen, dass er kein Traumbild schaut, dann ist er in diese Adern geschlüpft« (Chând. 8, 6, 3); an einer andern Stelle hingegen, wo doch gerade die Adern besprochen werden, heisst es mit Bezug auf sie: »durch diese hineingeschlüpft, liegt er im Perikardium« (Bṛih. 2, 1, 19); ebenso heisst es anderweit, wo gleichfalls von den Adern die Rede war: »alsdann weilt er in diesen, wenn er eingeschlafen kein Traumbild schaut. Sodann wird er in diesem Prâṇa zur Einheit« (Kaush. 4, 19-20); ebenso heisst es anderswo: »was dieser Raum inwendig im Herzen ist, darin liegt er« (Bṛih. 4, 4, 22); ebenso anderweit: »alsdann ist er, o Teurer, vereinigt mit dem Seienden; in sich selbst ist er eingegangen« (Chând. 6, 8, 1); und ebenso: »von dem erkenntnisartigen Selbste umschlungen, hat er kein Bewusstsein von dem was aussen oder innen ist« (Bṛih. 4, 3, 21.) Somit erhebt sich hier der Zweifel, ob die Genannten, die Adern u.s.w., in Unabhängigkeit voneinander verschiedene Orte des Tiefschlafes bedeuten, oder ob sie in der Art voneinander abhängig sind, dass es nur einen Ort des Tiefschlafes giebt.

Angenommen also, ›es seien verschiedenartige Orte; warum? weil sie denselben Zweck erfüllen; denn Dinge, welche jedes für sich denselben Zweck erfüllen, | pflegen nicht voneinander abhängig zu sein, wie z.B. Reis und Gerste [die beide Nahrungsmittel sind]. Dass aber die Adern und die übrigen [Behälter] im Tiefschlafe alle denselben Zweck erfüllen, zeigt sich daran, dass in Worten wie »er ist in die Adern geschlüpft«, oder »er liegt in dem Perikardium«, das eine wie das andere in gleicher Weise im Lokativ steht.‹ – Aber bei dem »Seienden« findet sich doch diese Bezeichnung im Lokativ nicht, denn es heisst »alsdann ist er vereinigt mit dem Seienden (satâ)?« – ›Das schadet nicht,[510] weil auch hier dem Sinne nach ein Lokativ zu verstehen ist, da im Folgenden gesagt wird, dass die Seele, nach einer Zuflucht verlangend, in das Seiende eingehe, wenn es heisst: »nachdem er anderwärts keine Zuflucht gefunden, so nimmt er seine Zuflucht zu dem Prâṇa« (Chând. 6, 8, 2); hier wird mit dem Worte »Prâṇa« das in Rede stehende Seiende herangezogen; eine Zuflucht aber hat den Sinn eines Lokativs; übrigens zeigt sich im Verlaufe der Stelle auch geradezu eine lokative Bezeichnung, wenn es heisst: »nachdem sie in das Seiende (sati) eingegangen, haben sie kein Bewusstsein, dass sie eingegangen sind in das Seiende« (Chând. 6, 9, 2.) Hierzu kommt, dass in allen diesen Fällen der Tiefschlaf gleichsehr das Merkmal eines Aufhörens der individuellen Erkenntnis behält. Weil somit die Adern und die übrigen [Behälter] denselben Zweck erfüllen, so mag die Seele wahlweise bald in diese bald in jene Örtlichkeit zum Tiefschlafe eingehen.‹

Auf diese Annahme versetzt der Lehrer: »ihr Nichtvorhandensein; – in den Adern und in dem Âtman«; ihr Nichtvorhandensein, d.h. das Nichtvorhandensein der vorher besprochenen Traumschöpfung | macht den Tiefschlaf aus; und bei ihm befindet sich die Seele »in den Adern und in dem Âtman«, d.h. in beiden zugleich, nicht aber geht sie wahlweise in die Adern oder die andern [Behälter] zum Tiefschlafe ein; warum? »weil so die Schrift«; d.h. weil in dieser Weise hier und dort die Adern u.s.w. alle zusammen als der Ort des Tiefschlafes erwähnt werden; und dem wird man nur gerecht, wenn man eine Zusammenfassung aller dieser Orte annimmt; denn bei Annahme einer Wahl zwischen ihnen würde ein Teil derselben ausgeschlossen bleiben. – ›Aber bemerkten wir nicht, dass zwischen den Adern u.s.w. eine Wahl bestehen müsse, weil sie, ähnlich wie Reis, Gerste u.s.w. [demselben Zwecke der Ernährung], alle dem gleichen Zwecke dienen?‹ – Wir antworten: nein! denn daraus allein, dass sie alle in demselben Casus stehen, folgt noch nicht, dass sie dem gleichen Zwecke dienen, und dass eine Wahl zwischen ihnen statthaft sei; denn auch dann, wenn sie verschiedenen Zwecken dienen, und eine Zusammenfassung derselben anzunehmen ist, kann derselbe Casus gebraucht werden; und wie man von einem sagen kann, »es liegt in dem Hause« und zugleich »er liegt in dem Bette«, ebenso ist auch hier, wenn es heisst, er schläft in den Adern, in dem Perikardium und in dem Brahman, eine Zusammenfassung möglich. Und so sagt auch die Schrift: »in ihnen befindet er sich dann, wenn er eingeschlafen kein Traumbild schaut; alsdann wird er in diesem Prâṇa zur Einheit« (Kaush. 4, 19-20.) Hier lehrt die Schrift für den Tiefschlaf eine Zusammenfassung der Adern und des Prâna, indem sie beide an derselben Stelle anführt. Dass aber der Prâna das Brahman bedeutet, haben wir erkannt[511] an der Stelle: »der Prâṇa, weil man dies ersieht« (Sûtram 1, 1, 28.) Und auch da, wo die Schrift die Adern für sich allein als den Ort des Tiefschlafes nennt, z.B. in der Stelle: »alsdann ist er in diese Adern geschlüpft« (Chând. 8, 6, 3), auch da ist, da das aus einer andern Stelle als Ort des Tiefschlafes feststehende Brahman dadurch nicht ausgeschlossen wird, die Sache so zu verstehen, dass die Seele durch Vermittelung der Adern in dem Brahman sich befindet. Auch bei dieser Auffassung nämlich ist der Lokativ »in den Adern« nicht unzulässig; denn auch wenn die Seele vermittelst der Adern in das Brahman hineinschlüpft, | ist sie eine in die Adern hineingeschlüpfte; denn wer vermittelst der Ga gâ in den Ocean fährt, der ist eben auf der Ga gâ gefahren. Hierzu kommt, dass es sich an der betreffenden Stelle darum handelt, den Weg zur Brahmanwelt, welcher durch den Sonnenstrahl und die Adern geht, zu beschreiben, und dass dabei zur Verherrlichung der Adern das Hineinschlüpfen in dieselben erwähnt wird; denn nach den Worten »dann ist er in die Adern geschlüpft« heisst es weiter: »darum rühret ihn kein Übel an« (Chând. 8, 6, 3); in diesen Worten werden die Adern gepriesen; und als Ursache dafür, dass ihn kein Übel anrühre, sagt die Schrift: »denn alsdann ist er eingegangen in die Kraft (tejas)« (Chând. 8, 6, 3); d.h. weil die Organe der Seele von der in den Adern wohnenden Kraft, welche Galle (pittam) genannt wird, überzogen sind, deswegen sieht die Seele die Dinge der Aussenwelt nicht. Oder auch man kann annehmen, dass unter der »Kraft« das Brahman zu verstehen ist, indem auch in einer andern Stelle »ist lauter Brahman, ist lauter Kraft« (Bṛih. 4, 4, 7) der Ausdruck Kraft von Brahman gebraucht wird; nämlich mit dem Brahman ist die Seele dann auf dem Wege der Adern vereinigt worden, »darum rührt sie kein Übel an« (Chând. 8, 6, 3.) Denn es war vorher gelehrt worden, dass es der Eingang in das Brahman ist, auf welchem die Unberührbarkeit vom Übel beruht, indem es hiess: »alle Übel kehren vor ihm zurück, denn frei vom Übel | ist diese Brahmanwelt« u.s.w. (Chând. 8, 4, 2.) Da dem so ist, so hat man anzunehmen, dass wegen des an einer andern Stelle dafür genannten Brahman der als Ort des Tiefschlafes angenommene Komplex der Adern hier erwähnt wird. Ebenso ergiebt sich für das Perikardium, da es an einer andern Stelle erwähnt wird, die von Brahman handelt, dass es nur in Analogie mit Brahman als der Ort des Tiefschlafes bezeichnet wird; denn nachdem in den Worten: »was dieser Raum in dem Herzen ist, darin liegt er« (Bṛih. 4, 4, 22), der Raum im Herzen als Ort des Tiefschlafes erwähnt war, heisst es [wie Çankara irrtümlich annimmt] weiter: »er liegt in dem Perikardium« (Bṛih. 2, 1, 19.) Das Wort »Perikardium (purîtat)« bezeichnet die Umkleidung des Herzens; und sofern die Seele in dem von dieser umschlossenen Herzensraume[512] liegt, kann gesagt werden, sie liege im Perikardium; denn wer sich innerhalb der von einer Mauer umgebenen Stadt befindet, von dem kann man sagen, er befinde sich innerhalb der Mauer. Dass aber der Raum im Herzen das Brahman bedeute, sahen wir an der Stelle: »der kleine [Raum], wegen des Folgenden« (Sûtram 1, 3, 14.) In derselben Weise ist es auch aufzufassen, wenn in den Worten: »in sie (die Adern) hineingeschlüpft, liegt er im Perikardium« (Bṛih. 2, 1, 19), eine Zusammenfassung der Adern und des Perikardium an derselben Stelle vorkommt. Dass aber »das Seiende« und die allweise Seele das Brahman bedeuten, ist bekannt. Es werden somit an diesen Schriftstellen allerdings drei Orte des Tiefschlafes erwähnt, nämlich die Adern, das Perikardium und das Brahman; dabei dienen aber die Adern und das Perikardium nur als Mittel, während das Brahman allein der einzige unabänderliche Ort des Tiefschlafes ist. Hierzu kommt, dass die Adern oder das Perikardium dabei nur als Behälter der Upâdhi's der individuellen Seele dienen, sofern ihre Organe sich in diesen aufhalten. Denn wenn wir von der Verbindung mit den Upâdhi's absehen, so ist für die individuelle Seele an sich (svatas) | ein Behälter nicht möglich, weil sie, mit dem Brahman identisch, in ihrer eigenen Majestät steht (Chând. 7, 24, 1.) Und wenn sie im Tiefschlafe in Brahman enthalten ist, so ist dies nicht dahin aufzufassen, dass dabei eine Verschiedenheit zwischen dem Behälter und dem Inhalte ausgedrückt werden soll, sondern es soll vielmehr die Wesenseinheit ausgedrückt werden; daher die Schrift sagt: »alsdann ist er, o Teurer, vereinigt mit dem Seienden; er ist in sich eingegangen« (Chând. 6, 8, 1); das Wort »sich« bedeutet dabei das eigene Selbst, und der Sinn ist, dass der Tiefschlafende in seine eigene Wesenheit eingegangen sei. Allerdings ist die Eingegangenheit der Seele in das Brahman niemals unverwirklicht, weil sie von ihrem eigenen Wesen nicht abgehen kann; aber im Traume und Wachen geschieht es, kraft ihrer Bemengung mit den Upâdhi's, dass es ist, als wäre sie in eine fremde Natur übergegangen; daher das Ruhe-haben von den Upâdhi's im Tiefschlafe als ein Eingang der Seele in ihre eigene Natur aufgefasst wird. Aus diesen Gründen ist es unannehmbar, dass die Seele im Tiefschlafe zuweilen mit dem Seienden vereinigt werde und zuweilen nicht. Wollte man aber selbst eine Auswahl unter den verschiedenen Orten zugeben, so würde doch darin Übereinstimmung bestehen, dass der Tiefschlaf als Merkmal das Aufhören der individuellen Erkenntnis hat; zu einem Einswerden mit dem Seienden nun passt es, dass die Seele wegen der Einswerdung nicht erkenne, »wie sollte er da irgendwen erkennen«, wie die Schrift sagt (Bṛih. 2, 4, 14); bei einem blossen Liegen in den Adern und dem Perikardium hingegen lässt sich kein Grund absehen, warum die Seele nicht erkennen soll, indem diese in[513] den Bereich der Vielheit gehören, von dem die Schrift sagt: »wo aber ein anderes gleichsam ist, da sieht einer den andern« (Bṛih. 4, 5, 15.) – | ›Aber kann nicht auch in dem Bereiche der Vielheit eine allzugrosse Entfernung u.s.w. Ursache des Nichterkennens sein?‹ – Das möchte wohl angehen, wenn es denkbar wäre, dass die Seele sich von sich selbst lostrennte, wie Vishṇumitra auf Reisen geht und darum sein Haus nicht sieht. Es ist aber vielmehr bei der Seele eine Trennung, ausser von den Upâdhi's, nicht möglich. – ›Aber jene allzugrosse Entfernung als Ursache des Nichterkennens könnte ja als eine solche von den Upâdhi's betrachtet werden.‹ – Auch dann bleibt es dabei, dass die Seele zufolge des Ruhehabens von den Upâdhi's mit dem Seienden eins geworden ist und darum nicht erkennt. Auch behaupten wir nicht, dass die hier geforderte Zusammenfassung der Adern u.s.w. in dem Sinne geschehen soll, als wären dieselben gleichberechtigt; denn die Erkenntnis, dass die Adern und das Perikardium der Ort des Tiefschlafes seien, hat an sich gar keinen Zweck; denn nirgends ist in der Schrift von einer Frucht die Rede, welche sich an diese Erkenntnis knüpfte; und ebenso wenig wird diese Erkenntnis als Teil irgend einer Erkenntnis mit Fruchtverheissung bezeichnet. Vielmehr behaupten wir, dass das Brahman der unabänderliche Ort des Tiefschlafes sei; und diese Erkenntnis hat allerdings einen Zweck, nämlich den, zu lehren, dass die Seele ihrem Wesen nach Brahman ist, und dass sie im Tiefschlafe von dem Treiben des Traumes und des Wachens befreit ist. Darum ist der Âtman allein der Ort des Tiefschlafes.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 510-514.
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