[169] 28. çabda', iti cen? na! ataḥ prabhavât, pratyaksha-anumânâbhyâm
in Betreff des Schriftwortes, meint ihr? Nein, weil aus diesem ihr Ursprung, nach der Wahrnehmung und Folgerung.

Man könnte einwenden: ›mag auch durch Annahme der Individualität der Götter u.s.w. kein »Widerspruch in Betreff des Werkes« eintreten, so ist doch ein solcher unvermeidlich »in Betreff des Schriftwortes«. Nämlich [bei Jaimini 1, 1, 5] wird, mit Berufung darauf, dass »die Verbindung des Wortes mit der [betreffenden] Sache eine ursprüngliche« ist, die Autorität des Vedawortes als eine »unbedingte« [nicht vom Entstehen und Vergehen der betreffenden Sachen abhängige] hingestellt. Im vorliegenden Falle nun aber folgt aus der Auffassung der Gottheiten als individueller Wesen, dass dieselben, wenn sie auch vermöge ihrer Machtvollkommenheit gleichzeitig die Spenden verschiedener Opferwerke entgegennehmen können, doch, um eben jener ihnen beigelegten Individualität willen, ebenso gut wie unser einer geboren werden und sterben müssen. Da nun zwischen dem ewigen Vedaworte und dem nichtewigen Gegenstande, von dem es redet [nämlich den Göttern], eine ewige Verbindung unmöglich ist, so scheint hierdurch »in Betreff des Schriftwortes«, eine Erschütterung der ihm zuerkannten Autorität herbeigeführt zu werden.‹ – Auf diese Behauptung erwidern wir, dass auch in dieser Hinsicht[169] [d.h. »in Betreff des Schriftwortes«, welches ewig ist und doch von nichtewigen Göttern redet] kein Widerspruch besteht, und der Grund ist, »weil aus diesem ihr Ursprung«; d.h. weil »aus diesem«, aus dem vedischen Worte, die ganze Welt mit Einschluss der Götter entsprungen ist. – ›Aber wurde nicht in dem Sûtram »woraus Ursprung u.s.w. dieses [Weltalls] ist« (1, 1, 2) gelehrt, dass die Welt aus Brahman entsprungen sei? Wie kann es also hier heissen, sie sei aus dem Schriftworte entsprungen? Gesetzt aber auch, | der Ursprung dieser Welt aus dem Vedaworte werde zugegeben, wie kann dadurch der gegenwärtige »Widerspruch in Betreff des Schriftwortes« vermieden werden? Denn [die Götter, wie z.B.] die Vasu's, Rudra's, Âditya's, Viçve devâḥ, Marut's sind sämtlich, weil sie entstanden sind, nicht ewige Wesenheiten. Sind dieselben aber nicht ewig, so folgt unvermeidlich, dass auch die von ihnen, von den Vasu's u.s.w., handelnden Vedastellen ebenfalls nicht ewig sind. Denn die Erfahrung lehrt allgemein, wie z.B. erst dann, wenn dem Devadatta ein Sohn geboren worden, diesem ein Name, z.B. Yajñadatta, gegeben wird. Somit ist allerdings jener »Widerspruch in Betreff des Schriftwortes« vorhanden.‹ – Hierauf entgegnen wir, dass dem nicht so ist, weil die Verbindung zwischen dem Worte, z.B. dem Worte »Kuh«, und der entsprechenden Sache sich als eine ewige erweist. Denn wenn auch die Individuen (vyakti, wörtlich: Manifestationen) der Kühe u.s.w. entstehen, so folgt daraus doch nicht, dass auch die Gattungen (âkṛiti, wörtlich: Gestalt, ειδος, species) derselben entstanden sind; vielmehr sind es bei Substanzen, Qualitäten und Aktionen immer nur die individuellen Erscheinungen (vyakti), nicht aber die Gattungen (âkṛiti), welche entstehen. Nun sind aber die Vedaworte mit den Gattungen, nicht mit den Individuen, verbunden; denn wegen der Zahllosigkeit der Individuen ist eine Verbindung des Vedawortes mit ihnen nicht zu bewerkstelligen. Wenn also auch die Individuen erst in der Zeit entstehen, so bleiben doch die Gattungen ewig bestehen, und darum liegt in der Benennung derselben durch die ewigen Vedaworte, Kuh u.s.w., kein Widerspruch. | Ganz ebenso steht es auch bei den Göttern. Wenn auch zuzugeben ist, dass die individuellen Erscheinungen derselben entstanden sind, so bleiben doch ihre Gattungen ewig bestehen, und darum liegt kein Widerspruch darin, dass diese mit den im Veda ewig vorhandenen Worten, Vasu u.s.w., verbunden sind. Was aber bei den Göttern u.s.w. die nähere Bestimmung der Gattungen betrifft, so hat man diese aus den in den Mantra's und Arthavâda's (Erläuterungen) vorliegenden individuellen Bestimmungen zu entnehmen. Nämlich solche Worte wie Indra u.s.w. bedeuten, ähnlich wie z.B. das Wort »General«, nur das Innehaben eines bestimmten Postens. Wer also gerade den betreffenden Posten bekleidet, der führt den Titel Indra u.s.w., so dass hier kein[170] Anstoss zu finden ist. Übrigens ist dieses Entstandensein der Welt aus dem Vedaworte nicht in dem Sinne zu nehmen, als handelte es sich, wie bei dem Entstandensein aus Brahman, um eine materielle Ursache; sondern es ist vielmehr so zu verstehen, dass, während das Vedawort, als der Ausdruck des beharrlichen Seins ewig und für ewig mit der entsprechenden Sache verbunden ist, nur das dem Ausdrucke des Vedawortes konforme Hervorgehen der Individuen der Dinge ein Entspringen derselben aus dem Vedaworte genannt wird. Aber woher wissen wir, dass die Welt aus dem Vedaworte entsprungen ist? Wir wissen es »nach der Wahrnehmung und Folgerung«. Die »Wahrnehmung« bedeutet hier die Çruti (Schriftoffenbarung), weil sie keines Beweisgrundes ausser ihr bedarf, und die »Folgerung« bedeutet die Smṛiti, weil diese noch eines Beweisgrundes ausser ihr bedürftig ist. Diese beiden also lehren, dass vor der Schöpfung schon das Vedawort bestand; denn eine Schriftstelle sagt [in einer allegorischen Auslegung von Ṛigv. 9, 62, 1: »Da rannen Tropfen durch das Sieb schnell hin zu allem Glücksgenuss«]: »›Da‹, | nach diesem Worte schuf Prajâpati die Götter, ›rannen‹, nach diesem die Menschen, ›Tropfen‹, nach diesem die Väter, ›durch das Sieb‹, nach diesem die Dämonen (graha), ›s chnell hin‹, nach diesem den Lobgesang, ›zu allem‹, nach diesem das Preislied, ›Glücksgenuss‹, nach diesem die übrigen Kreaturen« [nach der Glosse aus einem Chandoga-brâhmaṇam]. Ebenso sagt eine andere Stelle: »da genoss er in seinem Geiste die Rede [das vorweltliche Vedawort] als Begattung« (Bṛih. 1, 2, 4.) In dieser Weise wird an manchen Stellen von der Schrift gelehrt, dass vor der Schöpfung schon das Vedawort da war. Und ebenso sagt die Smṛiti (Mahâbh. 12, 8534):


»Der durch sich selbst ist liess zuerst ausströmen

Das Wort, das ewige, ohn' End' und Anfang,

Das göttliche, das wir im Veda lesen,

Von welchem alle Weltentwicklung ausging.«


Das Ausströmenlassen des Wortes bedeutet hier [nicht eine Schöpfung desselben; sondern nur] dass er seine Fortüberlieferung in Gang brachte, indem eine andere Art der Ausströmung (Schöpfung) für etwas, was »ohn' End' und Anfang« ist, sich nicht annehmen lässt; denn so heisst es weiter (Mahâbh. 12, 8535):


»Es schuf der Wesen Name und Gestalt

Und ihrer Werke fortgesetztes Treiben

Gemäss dem Vedaworte Gott zu Anfang«;


| und ebenso heisst es (Manu 1, 21):


»Er schuf die Namen aller Wesen

Und ihrer Werke Einzelheit

Dem Vedawort gemäss zu Anfang

Und die Zustände mannigfach.«[171]


Dass man übrigens, wenn man sich anschickt, irgend eine Sache hervorzubringen, zuerst an das Wort denkt, welches sie ausdrückt, und erst dann sich an die Sache begiebt, das ist uns allen aus der Erfahrung bekannt. In ähnlicher Weise schwebten dem Geiste des Weltschöpfers Prajâpati vor der Schöpfung die Vedaworte vor, und erst darauf schuf er die ihnen entsprechenden Dinge. Und so sagt auch die Schrift: »dieses ist die Erde, so sprach er, und schuf die Erde« u.s.w. (Taitt. br. 2, 2, 4, 2.) Diese Stelle beweist, dass entsprechend den seinem Geiste vorschwebenden Worten, Erde u.s.w., die ihm vorschwebenden Welten, Erde u.s.w., erschaffen worden sind.

Aber wie sollen wir uns das Wort vorstellen, welchem gemäss die Dinge geschaffen worden sind?

›Man muss‹, so spricht einer [ein Gegner], ›darunter [nicht die Summe der einzelnen Buchstaben des Wortes, sondern] den Sphoṭa [das Aufplatzen, das plötzliche Bewusstwerden beim Anhören der Buchstaben des Wortes] verstehen; denn bei der Annahme, dass die Buchstaben [des Wortes die Träger seiner Bedeutung seien], ist, da diese, [kaum] entstanden, zerstieben, ein Entstehen der Individuen, wie Götter u.s.w., aus dem ewigen [Veda-]worte nicht möglich. Dazu kommt, dass die, [kaum] entstanden, zerstiebenden Buchstaben je nach der Aussprache anders und wieder anders vernommen werden. | So ist es z.B. möglich, einen bestimmten Menschen, auch ohne dass man ihn sieht, indem man ihn vorlesen hört, an dem Tone mit Bestimmtheit zu erkennen und zu sagen »Devadatta liest« oder »Yajñadatta liest«. Und diese entgegengesetzte Auffassung der [nämlichen] Buchstaben beruht doch nicht auf Irrtum, indem keine Auffassung vorhanden ist, welche sie widerlegte. – Überhaupt kann man nicht annehmen, dass der Sinn eines Wortes aus den [blossen] Buchstaben erkannt werde, denn [erstlich] lässt sich nicht annehmen, dass jeder einzelne Buchstabe für sich den Sinn kund macht, weil sie voneinander verschieden sind; [zweitens] ist auch [der Wortsinn] keine [blosse] Vorstellung der Summe der Buchstaben, weil dieselben der Reihe nach folgen [wobei die einen schon zerstoben sind, wenn die anderen ausgesprochen werden]. Steht es nun vielleicht [drittens] so, dass der letzte Buchstabe, unterstützt von dem Eindrucke (saṃskâra), den die Perception der vorhergehenden Buchstaben erzeugt hat, den Sinn kund macht? Auch das geht nicht. Denn [nur] das Wort selbst, unter Voraussetzung der Auffassung der [Buchstaben-]Verbindung, thut, aufgefasst, den Sinn kund, wie der Rauch [dessen zerstiebende und immer neu sich erzeugende Teilchen für sich allein die Vorstellung des Rauches nicht zu geben vermögen]. Auch ist eine Auffassung des »letzten Buchstabens, unterstützt von dem Eindrucke, den die Perception der vorhergehenden Buchstaben erzeugt hat«, nicht möglich, weil die[172] Eindrücke nichts Wahrnehmbares [mehr] sind. – Ist es denn nun vielleicht [viertens] der letzte Buchstabe, unterstützt von den in ihrer Nachwirkung percipierten Eindrücken [der vorhergehenden], welcher den Sinn kund macht? – Auch nicht; denn auch das Sicherinnern, wie es die Nachwirkung der Eindrücke ist, ist eine Reihe [von Vorstellungen in der Zeit, – was oben, zweitens, schon besprochen wurde]. – Sonach bleibt nur übrig, dass das Wort [als Ganzes, d.h. sein Sinn] ein Sphoṭa [ein Aufplatzen] ist, welcher dem Percipierenden, | nachdem dieser durch Perception der einzelnen Buchstaben den Samen der Eindrücke empfangen und denselben mittels der Perception des letzten Buchstabens zur Reife gebracht hat, in seiner Eigenschaft als eine einheitliche Vorstellung plötzlich einleuchtet. Und diese einheitliche Vorstellung ist keine Rückerinnerung, die sich auf die Buchstaben bezöge; denn die Buchstaben sind mehrere und können daher nicht das Objekt der einheitlichen Vorstellung sein. Dieser [Sphoṭa, die Wortseele, wie man sagen könnte], wird bei Gelegenheit der Aussprache [nur] wiedererkannt [nicht erzeugt], und ist daher ewig, [sowie auch einheitlich,] indem die Vorstellung der Vielheit sich nur auf die Buchstaben bezieht. Somit ist das Wort [d.h. sein Sinn] in Gestalt des Sphoṭa ewig, und aus ihm als Benennendem entspringt als zu Benennendes die zum Behuf der Vergeltung der Werke an dem Thäter entstandene Welt.‹

Hingegen erklärt der ehrwürdige Upavarsha [ein alter Mîmâṅsâ- und Vedânta-Lehrer]: nur die Buchstaben sind das Wort. – [Gegner:] ›Aber ich habe doch gesagt, dass die Buchstaben, sowie sie entstehen, zerstieben.‹ – [Upavarsha:] Dem ist nicht so, denn man erkennt sie wieder als die nämlichen. – [Gegner:] ›Dass man sie wiedererkennt, beruht bei ihnen darauf, dass sie den [früheren] ähnlich sind, etwa so wie bei den Haaren.‹ – [Upavarsha:] O nein! denn dass es ein Wiedererkennen [der nämlichen, nicht bloss ähnlicher] ist, wird durch keine andere Erkenntnis widerlegt. – [Gegner:] ›Das Wiedererkennen hat nur in den Gattungen (âkṭiti) seinen Grund [wenn ich wiederholt a spreche, so ist es nicht das Individuum a, sondern die Gattung a, welche in den verschiedenen Individuen wiederkehrt].‹ – [Upavarsha:] Nein, sondern es ist ein Wiedererkennen der Individuen. Ja, wenn man beim Sprechen, wie sonst bei Individuen, z.B. bei Kühen, | immer andere und andere Buchstaben-Individuen vernähme, so würde das Wiedererkennen in den Gattungen seinen Grund haben; dem aber ist nicht so; denn es sind die Buchstaben-Individuen selber, welche beim Sprechen [immer wiederkehren und] wiedererkannt werden, und [wenn einer das nämliche Wort, z.B. »Kuh«, wiederholt, so] nimmt man an, dass er zweimal das Wort »Kuh«, nicht aber dass er zwei Worte »Kuh« ausgesprochen habe. – [Gegner:] ›Aber die Buchstaben werden doch [wie oben geltend gemacht] je nach der[173] Verschiedenheit der Aussprache als verschiedene vernommen, da man, wie schon gesagt, den Unterschied zwischen Devadatta und Yajñadatta aus dem blossen Tone ihres Vorlesens heraushören kann. [Das Wiedererkennen eines Buchstaben muss also ein solches der Species, nicht des je nach der Aussprache verschiedenen Individuums sein.]‹ – [Upavarsha:] Unbeschadet der genauen Bestimmtheit des auf die Buchstaben sich beziehenden Erkennens, lassen sich doch die Buchstaben [mehr] verbunden oder [mehr] getrennt aussprechen; und sonach hat die verschiedene Auffassung der Buchstaben in der Verschiedenheit des Aussprechenden ihren Grund, nicht aber in der Natur der Buchstaben. Ferner: auch der, welcher die Verschiedenheit in die Individuen der Buchstaben [statt in die Art ihrer Aussprache] verlegt, muss, wenn eine Erkenntnis möglich werden soll, [zunächst] Gattungen für die Buchstaben ansetzen und dann annehmen, dass diese [Gattungen] durch fremde Einflüsse verschieden aufgefasst werden; | und da ist doch die Annahme als einfacher vorzuziehen, dass bei den Individuen der Buchstaben durch fremde Einflüsse die Auffassung der Verschiedenheit, durch ihre eigene Natur hingegen das Wiedererkennen derselben bedingt ist. Denn dadurch eben wird die Annahme, als läge eine Verschiedenheit in den Buchstaben, widerlegt, dass ein Wiedererkennen derselben stattfindet. – [Gegner:] ›Aber wie kann es geschehen, dass der Laut ga, welcher doch einer ist, zugleich ein verschiedenartiger ist, wenn zur selben Zeit mehrere ihn aussprechen, und [ebenso] wenn er mit dem Akut, dem Gravis, dem Circumflex, mit dem Nasal, ohne Nasal ausgesprochen wird? Willst du etwa diesem Einwande dadurch entgehen, dass du behauptest, diese Verschiedenheit der Auffassung werde nicht durch die Buchstaben, sondern durch den Ton (dhvani) veranlasst, so möchte ich fragen, was denn das ist, was du unter »Ton« verstehst?‹ – [Upavarsha:] Es ist dasjenige, welches, wenn man es aus der Ferne hört und den Unterschied der Buchstaben nicht auffasst, an das Ohr schlägt, und welches die nahe Sitzenden veranlasst, die Unterschiede der Tiefe [lies mandratva°] und Höhe [des Tones] den Buchstaben aufzuhängen. Und allerdings ist es dieser [Ton], durch welchen die Unterschiede der Betonung mit dem Akut u.s.w. bedingt sind, nicht aber durch die eigene Natur der Buchstaben. | Denn die Buchstaben werden, [unabhängig vom Ton] so wie sie ausgesprochen werden, wiedererkannt. Nimmt man dies an, so haben die Wahrnehmungen der Accentuation eine Basis, im anderen Falle nicht; denn was die Buchstaben betrifft, so werden sie nur wiedererkannt und sind [ein jeder von sich] nicht verschieden; man müsste also annehmen, dass die Unterschiede der Accentuation in ihrer Verbindung und Trennung lägen; Verbindung und Trennung aber sind nichts Wahrnehmbares, und man kann sich nicht auf sie stützen, um zur Erklärung der Unterschiede[174] bei den Buchstaben stehen zu bleiben; folglich würden die Wahrnehmungen der Accentuation u.s.w. keine Basis haben [ohne Annahme des Tones]. Auch darein darf man sich nicht verrennen, dass, weil die Accentuation verschieden ist, auch die zu erkennenden Buchstaben verschieden seien. Denn weil die eine Sache Spaltungen zeigt, darum braucht sie eine andere, nicht mitgespaltene, nicht auch zu zeigen; wie man denn z.B. deswegen, weil die Individuen unter sich verschieden sind, noch nicht annimmt, dass auch die Gattung verschieden sei. Und da es somit möglich ist, aus den Buchstaben den Sinn zu erkennen, so ist die Hypothese des Sphoṭa unnötig. – [Gegner:] ›Aber der Sphoṭa ist gar keine Hypothese, sondern ein Gegenstand der Wahrnehmung. Denn in der Erkenntnis [buddhi], nachdem sie [verschiedene] Eindrücke durch Auffassen der einzelnen Buchstaben empfangen hat, | leuchtet urplötzlich [der Sinn des Wortes] auf.‹ – [Upavarsha:] Dem ist nicht so: denn auch diese Erkenntnis [des Sinnes des Wortes] bezieht sich auf die Buchstaben. Nachdem nämlich die Auffassung der einzelnen Buchstaben [z.B. des Wortes »Kuh«] der Zeit nach vorhergegangen ist, so folgt ihnen diese einheitliche Erkenntnis (buddhi) »Kuh«, deren Gegenstand die Gesamtheit der Buchstaben und sonst nichts weiter ist. – [Gegner:] ›Womit beweisest du das?‹ – [Upavarsha:] Damit, dass auch der so entstandenen Erkenntnis [»Kuh«] die Buchstaben K.u.s.w., nicht aber die Buchstaben T.u.s.w. anhaften; denn wenn der Gegenstand dieser Erkenntnis ein Sphoṭa, ein von dem Buchstaben K.u.s.w. verschiedenes Ding wäre, so würden ebenso wenig wie die Buchstaben T.u.s.w. auch die Buchstaben K.u.s.w. mit ihm etwas zu thun haben; dem aber ist nicht so; und darum ist diese einheitliche Erkenntnis [des Begriffes nicht ein Sphoṭa, sondern] nur eine auf die Buchstaben sich beziehende Erinnerung (varṇa-vishayâ smṛitiḥ.) – [Gegner:] ›Aber wie ist es möglich, dass die verschiedenen Buchstaben der Gegenstand einer einheitlichen Erkenntnis sind?‹ – [Upavarsha:] Darauf erwidern wir: auch ein Nicht-Einheitliches kann Gegenstand einer einheitlichen Erkenntnis sein, wie man ersieht an Beispielen wie: eine Reihe, ein Wald, ein Heer, zehn, hundert, tausend u.s.w. Denn die Erkenntnis des Wortes »Kuh« als einer Einheit ist, indem sie bedingt wird durch die Aussonderung des einen Sinnes in den vielen Buchstaben, eine accessorische (aupacârikî), so wie die Erkenntnis von Wald, Heer u.s.w. es ist. – [Gegner:] ›Aber wenn | die blossen Buchstaben dadurch, dass sie in ihrer Gesamtheit in die Sphäre einer einheitlichen Erkenntnis eintreten, das Wort ausmachten, so würde zwischen Worten wie: jârâ (die Liebhaber) und râjâ (der König), kapi (der Affe) und pika (der Kuckuk) ein Unterschied nicht gemacht werden, denn es sind dieselben Buchstaben; und doch geben sie in anderer Verbindung einen anderen Sinn.‹ – [Upavarsha:][175] Darauf antworten wir: auch wenn eine Betastung sämtlicher Buchstaben stattfindet, so können doch, so wie Ameisen nur, wenn sie ihre Aufeinanderfolge einhalten, zur Vorstellung einer Reihe werden, auch die Buchstaben nur dann, wenn sie ihre Aufeinanderfolge einhalten, zur Vorstellung des Wortes werden, [womit dem Einwande des Gegners aber nur ausgewichen ist,] und darin, dass, auch bei Nicht-Verschiedenheit der Buchstaben, zufolge der Verschiedenheit ihrer Reihenfolge, eine Verschiedenheit der Worte aufgefasst wird, liegt kein Widerspruch. Indem also bestimmte Buchstaben, in ihrer Reihenfolge u.s.w. aufgefasst, nach dem überlieferten Sprachgebrauche mit einem bestimmten, [durch sie] aufgefassten, Sinne verbunden sind, so kommen sie, wiewohl in ihrem eigenen Gebrauche als einzelne Buchstaben aufgefasst, sofort in der das Ganze umtastenden Erkenntnis gerade als die und die zum Bewusstsein | und übermitteln dadurch ohne Fehl den und den bestimmten Sinn. – Somit ist die Annahme, dass die Buchstaben [der Träger des Sinnes] sind, die einfachere, wohingegen die Annahme des Sphoṭa das Sinnfällige verlässt und ein Übersinnliches hypostasiert, wobei angenommen wird, dass diese bestimmten Buchstaben, der Reihe nach aufgefasst, den Sphoṭa offenbaren, und dieser Sphoṭa dann erst den Sinn offenbart, was doch eine ziemlich schwierige Annahme ist. Zugegeben also, dass die Buchstaben, je nachdem man sie ausspricht, andere und wieder andere sind, so muss man doch unweigerlich annehmen, dass als das, worauf sich das Wiedererkennen stützt, ein Identisches in den Buchstaben vorhanden ist, und dass bei den Buchstaben die vorgesetzte Absicht, den Sinn mitzuteilen, in diesem Identischen übermittelt wird.

Somit ist es kein Widerspruch, anzunehmen, dass die Individuen der Götter u.s.w. aus den ewigen Vedaworten entstanden sind.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 169-176.
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