[81] 31. jîva-mukhyaprâṇa-li gân na, iti cen? na! upâsâ-traividhyâd, âçritatvâd, iha tad-yogât
wegen der Merkmale der individuellen Seele und des Mukhya Prâṇa nicht, meint ihr? O nein! wegen der Dreifachheit der Verehrung, wegen des Beziehens, und weil auch hier Verbindung mit ihm.

[81] Man könnte einwenden: ›wenn auch, wegen der Menge von Beziehungen auf das innere Selbst, eine Götterseele, die selbst wieder von anderen abhängig ist, nicht gemeint sein kann, so kann die Stelle doch auch nicht auf das Brahman gehen. Warum? weil ein Merkmal der individuellen Seele, und weil ein solches des Mukhya Prâṇa dabei vorkommt. Was zunächst die individuelle Seele betrifft, so liegt offenbar ein Merkmal derselben vor, wenn es heisst: »nicht die Rede soll man erforschen, sondern erkennen den, der da redet« (Kaush. 3, 8); hier wird offenbar | geboten, die individuelle Seele, wie sie durch die Organe der Rede u.s.w. sich bethätigt und der Aufseher der Organe des Wirkens ist, zu erforschen. Ebenso findet sich ein Merkmal des Mukhya Prâṇa, wenn es heisst: »aber fürwahr das Leben nur, das Erkenntnis-Selbst umspannt diesen Leib und richtet ihn auf« (Kaush. 3, 3.) Das Aufrichten des Leibes nämlich ist die Sache des Mukhya Prâṇa. Auch wird in der Stelle von dem Rangstreite der Organe (Praçna 2, 3) von den Lebensorganen gesagt: »zu ihnen sprach der edelste Prâṇa: ›Irret euch nicht; ich bin es, der ich, mich fünffach teilend, dieses Rohrgewächs stütze und aufrecht halte.‹« Diejenigen, welche (Kaush. 3, 3) lesen: imaṃ çarîraṃ parigṛihya, müssen so erklären: »indem er diesen, nämlich den individuellen Âtman oder auch den Komplex der Organe, umspannt, richtet er den Leib auf.« Auch die Bestimmung, dass der Prâṇa das Erkenntnis-Selbst sei, passt sowohl auf die individuelle Seele, wegen ihrer Geistigkeit, als auch auf den Mukhya Prâṇa, sofern er die Stütze der übrigen, die Erkenntnis bewirkenden, Organe ist. Auf die individuelle Seele und auf den Mukhya Prâṇa passt es ferner, dass einerseits zwischen dem Prâṇa und dem Erkenntnis-Selbste vermöge der Gemeinsamkeit ihres Wirkens Nichtverschiedenheit und anderseits der eignen Natur nach Verschiedenheit, beides nebeneinander, behauptet wird, indem es sowohl heisst »der Prâṇa ist die Erkenntnis und die Erkenntnis ist der Prâṇa« (Kaush. 3, 3), als auch: »zusammen wohnen beide in diesem Leibe, und zusammen ziehen beide aus« (Kaush. 3, 4.) Denkt man hingegen an Brahman, was sollte sich da unterscheiden[82] und von wem? Somit ist hier an die individuelle Seele und den Mukhya Prâṇa, sei es an eines von beiden, sei es an beide zugleich, zu denken, nicht aber an das Brahman.‹

Auf diese Einwendung heisst es [im Sûtram]: dem ist nicht so, »wegen der Dreifachheit der Verehrung«. Wäre dem nämlich so, dann würde hier eine dreifache Verehrung stattfinden, d.h. eine Verehrung der individuellen Seele, eine Verehrung des Mukhya Prâṇa und eine Verehrung des Brahman. | Dieses aber lässt sich für eine und dieselbe Stelle nicht annehmen, und dass unsere Stelle eine einheitliche ist, ergiebt sich sowohl aus dem Eingange als auch aus dem Schlusse derselben. Denn zu Eingang hiess es: »so erkenne mich«, und weiter: »ich bin der Prâṇa, bin das Erkenntnis-Selbst; als dieses, als unsterbliches Leben, verehre mich;« und zum Schlusse: »dieser Prâṇa allein ist das Erkenntnis-Selbst, ist die Wonne, er altert nicht und stirbt nicht.« Hieraus ist ersichtlich, dass Anfang und Ende übereinstimmen, dass man somit einen einheitlichen Gegenstand anzunehmen hat. Auch lässt sich gerade das Merkmal des Brahman, welches dabei vorkommt, nicht so umdeuten, dass es sich auf etwas anderes bezieht, indem das Befestigtsein der zehn Wesenselemente und Erkenntniselemente in ihm [als der Radnabe] von einem anderen als Brahman nicht verstanden werden kann. – Ferner muss Brahman verstanden werden »wegen des Beziehens«, d.h. weil auch anderweit das Wort Prâṇa, wegen dabei vorkommender Merkmale des Brahman, sich auf das Brahman bezieht. »Und weil auch hier«, z.B. wegen der Erwähnung, dass [ihn zu erkennen] das Erspriesslichste sei, eine »Verbindung mit ihm«, d.h. mit einem Merkmale des Brahman, vorliegt, deswegen muss die ganze Unterweisung auf das Brahman bezogen werden. Wenn aber [vom Gegner] auf das Merkmal des Mukhya Prâṇa verwiesen wurde, sofern es heisst: »er umspannt diesen Leib und richtet ihn auf«, so beweist dies nichts, weil die Funktion des Prâṇa, wegen seiner Abhängigkeit von dem höchsten Âtman, bildlich auch auf den höchsten Âtman übertragen werden kann. Denn die Schrift sagt (Kâṭh. 5, 5):


»Nicht lebt durch Einhauch oder Aushauch irgend wer;

Durch einen andern leben beide, der sie trägt.«


Wenn weiter auf das Merkmal der individuellen Seele hingewiesen wurde, welches in den Worten liegt: »nicht die Rede soll man erforschen, sondern erkennen den, der da redet« (Kaush. 3, 8), so reicht auch das nicht hin, um die Auffassung [des Prâṇa] als Brahman zu widerlegen; denn das, was man »individuelle Seele« nennt, ist im absoluten Sinne gar nicht von Brahman verschieden, wie dies Schriftstellen wie: »das bist du« (Chând. 6, 8, 7), »ich bin Brahman« (Bṛih. 1, 4, 10) u.s.w. beweisen. Vielmehr ist es[83] das Brahman selbst, welches, indem es in die durch die Upâdhi's der Buddhi (Intellekt) u.s.w. bedingte Bestimmtheit eingeht, als die | handelnde und leidende individuelle Seele bezeichnet wird. Wenn es daher, um auszudrücken, dass diese, nach Aufhebung der durch die Upâdhi's gesetzten Bestimmungen, mit Brahman identisch ist, an unserer Stelle (Kaush. 3, 8) heisst: »nicht die Rede soll man erforschen, sondern erkennen den, der da redet«, so liegt in einer derartigen, zur Vergegenwärtigung des innern Selbstes dienenden Aufweisung [der individuellen Seele als Brahman] kein Widerspruch. Und auch eine andere Schriftstelle beweist, dass eben jenes Selbst, welches die Thätigkeiten des Sprechens u.s.w. ausübt, das Brahman ist, wenn es heisst (Kena 1, 4):


»Was unaussprechlich durch das Wort,

Wodurch das Wort aussprechlich ist,

Das sollst du wissen als das Brahman,

Nicht jenes, was man dort verehrt.«


Wenn weiter noch mit Beziehung auf die Worte »zusammen weilen diese beiden in dem Leibe und zusammen ziehen sie aus« (Kaush. 3, 4) eingewendet wurde, dass diese Erwähnung der Verschiedenheit des Prâṇa und des Erkenntnis-Selbstes zu der Behauptung, dass hier Brahman gemeint sei, nicht stimme, so hat das nichts zu sagen, indem eine solche Hervorhebung der Verschiedenheit von Buddhi (Intellekt) und Prâṇa (Leben), als zweier Upâdhi's der innern Seele, welche in ihren beiden Kräften (çakti) des Erkennens und des Wirkens wurzeln, wohl zulässig ist. Und damit steht nicht in Widerspruch, dass die mit der Zweiheit jener Upâdhi's behaftete innere Seele ihrem eigentlichen Wesen nach einheitlich ist, und dass demgemäss in den Worten »der Prâṇa ist die Erkenntnis« (Kaush. 3, 3) diese beiden wiederum zur Einheit zusammengefasst werden.

Man kann aber auch die Worte [des Sûtram]: »O nein! wegen der Dreifachheit der Verehrung, wegen des Beziehens, und weil auch hier Verbindung mit ihm«, anders erklären, nämlich so: auch wenn Brahman gemeint ist, so widersprechen dem die dabei vorkommenden Merkmale der individuellen Seele und des Mukhya Prâṇa nicht; warum? »wegen der Dreifachheit der Verehrung«, d.h. weil hier von einer dreifachen Verehrung des Brahman die Rede ist, nämlich in seiner Eigenschaft als Prâṇa, in seiner Eigenschaft als Erkenntnis und seiner eigentlichen Beschaffenheit nach. Denn wenn es heisst: »als das unsterbliche Leben verehre mich; Leben ist Odem« (Kaush. 3, 2) und »er umspannt diesen Leib und richtet ihn auf, darum soll man ihn verehren als die Erbauung« (Kaush. 3, 3), | so erscheint hier Brahman in seiner Eigenschaft als Prâṇa. Weiter, wenn es heisst: »wir wollen[84] auslegen, wie in dieser Erkenntnis alle Wesen eins sind« (Kaush. 3, 4) und sodann: »die Rede molk aus ihr einen Teil heraus; ihr nach aussen versetztes Wesenselement ist der Name« (Kaush. 3, 5) und: »durch die Erkenntnis besteigt er die Rede und erlangt mittels der Rede alle Namen« (Kaush. 3, 6), so erscheint Brahman hier in seiner Eigenschaft als Erkenntnis. Endlich wenn es heisst: »diese zehn Wesenselemente beziehen sich auf die Erkenntnis und die zehn Erkenntniselemente auf die Wesen; denn wären die Wesenselemente nicht, so wären auch die Erkenntniselemente nicht, und wären die Erkenntniselemente nicht, so wären auch die Wesenselemente nicht; denn durch eins ohne das andere kommt keine Erscheinung (rûpam) zu Stande; auch ist dies nicht | eine Vielheit [von Aussendingen und Organen], sondern wie bei einem Wagen der Radkranz an den Speichen und die Speichen an der Nabe befestigt sind, so sind diese Wesenselemente an den Erkenntniselementen und die Erkenntniselemente an dem Prâṇa befestigt; dieser Prâṇa ist das Erkenntnis-Selbst« (Kaush. 3, 8), so ist hier [von dem Prâṇa] die Rede in seiner Eigenschaft als Brahman. Somit wird hier die einheitliche Verehrung des Brahman, sofern dasselbe in seiner Eigenschaft als jene beiden Upâdhi's und dann noch seiner eigentümlichen Natur nach vorkommt, als eine dreifache dargelegt. [Dies ist statthaft »wegen des Beziehens«, d.h. weil] auch an andern Orten, z.B. in Stellen wie »Geist ist sein Stoff, Leben sein Leib« u.s.w. (Chând. 3, 14, 2) das Beziehen einer Verehrung auf Brahman in Gestalt seiner Upâdhi's vorkommt; »und weil auch hier Verbindung mit ihm« [d.h. eine solche Verbindung des Brahman mit einem Upâdhi] anzunehmen ist, indem aus Anfang und Ende der Stelle sich ergiebt, dass hier überall nur von demselben Gegenstande gehandelt wird, und doch dabei Merkmale des Prâṇa, der Erkenntnis und des Brahman zu Tage treten.

Somit ist bewiesen, dass diese Stelle als eine solche, die von Brahman handelt, | aufzufassen ist.


So lautet in dem Kommentare zur erhabenen Çârîraka-mîmâṅsâ, dem Werke der verehrungswürdigen Füsse des erlauchten Çankara, im ersten Adhyâya der erste Pâda.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 81-85.
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