Vorrede.

Die Philosophie der Inder hat – wie so oft das Grosse, wenn es neu in den Zusammenhang eines fertigen Kulturganzen hereintritt – im Abendlande zunächst das Schicksal erfahren, mehr besprochen und beurteilt als gekannt, mehr überschätzt und unterschätzt als verstanden zu werden. Wie aber auch immer das endgültige Urteil über ihren Wert oder Unwert sich gestalten mag, jedenfalls werden wir in ihr ein Stück der Entwickelungsgeschichte des menschlichen Geistes zu respektieren haben, welches um so interessanter und lehrreicher ist, je mehr es den Vorzug völliger Ursprünglichkeit in Anspruch nehmen kann, und je weniger es auf unsere von der biblischen und griechischen Gedankenwelt abhängigen religiösen und philosophischen Anschauungen bis auf dieses Jahrhundert herab irgend einen nennenswerten Einfluss hat ausüben können.

Gesetzt, es gäbe – was ja wohl möglich ist – auf einem der andern Planeten unseres Sonnensystems, vielleicht auf dem Mars oder der Venus, Menschen oder menschenartige Wesen, die es, wie wir, zu einer Kultur und, als höchster Blüte derselben, zu einer Philosophie gebracht hätten, und es würde uns die Möglichkeit gegeben (etwa, indem es gelänge, von dort ein Projektil bis in den Bereich der überwiegenden Erdanziehung zu schleudern) von dieser Philosophie Kenntnis zu nehmen, so würden wir ohne Zweifel den Erzeugnissen derselben ein grosses Interesse zuwenden. Mit Aufmerksamkeit würden wir sowohl Übereinstimmung als Verschiedenheit[5] jener translunaren Weltanschauung mit der unsrigen prüfen. Jede Abweichung in den Ergebnissen würde zu einer Untersuchung darüber anregen, auf wessen Seite die Wahrheit sei, jede Zusammenstimmung würde uns daran erinnern, dass es eine Gewähr für die Richtigkeit der Rechnung zu sein pflegt, wenn zwei Rechner unabhängig voneinander zu demselben Facit gelangen, – wiewohl auch hierbei der Kantische Gedanke von den natürlichen und unvermeidlichen »Sophisticationen, nicht der Menschen, sondern der reinen Vernunft selbst« in Erwägung zu ziehen sein würde.

Nicht ganz, aber doch annähernd werden die Hoffnungen, die wir an eine solche »vom Himmel gefallene« Philosophie knüpfen würden, erfüllt durch dasjenige, was die Philosophie der Inder uns thatsächlich bietet. Denn während alles, was an philosophischen Gedanken diesseits des Hindukusch hervorgebracht worden ist, von Mose und Zoroaster, von Pythagoras und Xenophanes an durch Platonismus, Christentum und Kantianismus hindurch bis auf die Gegenwart herab in einem einzigen grossen Zusammenhange steht, durch welchen unser Denken mehr als wir es oft ahnen abhängig ist von uralten Traditionen, Einseitigkeiten der Auffassung und Irrtümern, – so haben die Inder, indem sie von ihren Bruderstämmen schon in vorhistorischer Zeit abgetrennt wurden, gegen die ursprünglichen Bewohner aber des Industhales und der Gangesebene sich selbst auf das strengste absonderten, bis zu den Zeiten der vollen Ausgestaltung ihrer Weltanschauung – so weit bis jetzt zu erkennen – keinen Einfluss auf ihr Glauben und Denken irgendwoher empfangen, und als die Stürme der griechischen, skythischen, mohammedanischen und mongolischen Invasionen über Indien hereinbrachen, trafen sie, allem Anscheine nach, die indische Gedankenwelt schon in einer Erstarrung und schulmässigen Geschlossenheit an, in welcher sie dieselbe nicht mehr erheblich zu inquinieren vermochten, während vielmehr umgekehrt die fremden Eroberer zu dem geknechteten Indien vielfach in eine fast ebenso grosse geistige Abhängigkeit traten, wie das Römerreich zu dem eroberten Griechenlande.

Diese Verhältnisse sind es, welche den Erzeugnissen des[6] indischen Denkens eine Originalität sichern, wie sie bis zu einer so hohen Stufe der Entwicklung hinauf nicht zum zweiten Male in der Weltgeschichte bewahrt wurde; und an diesem Vorzuge, die Dokumente einer durchaus ursprünglichen, nur in sich selbst ruhenden Bildung zu sein, nehmen, bis zu einer gewissen Grenze hin, die spätern Schriften ebenso gut teil, wie die früheren. Mag daher auch z.B. Çankara, der grosse Reformator und Wiederhersteller der Upanishadlehre, dessen Hauptwerk wir hier in der Übersetzung vorlegen, erst 800 p.C. gelebt haben1, seine Gedanken sind darum doch nicht weniger, als wenn sie tausend Jahre älter wären, eine ganz unmittelbare Fortbildung der in den Upanishad's vorliegenden Keime, womit nicht ausgeschlossen ist, dass nebenbei Çankara in ähnlicher Weise unter dem Einflusse des von ihm bekämpften und perhorrescierten (vgl. z.B. Sûtram 2, 2, 32, S. 365) Buddhismus stehen mag, wie der Katholicismus unserer Tage unter dem der lutherischen Reformation.

Je deutlicher aber sich in dieser Weise die völlige Ursprünglichkeit der indischen Gedankenwelt herausstellt und, wie wir vermuten, mit der Zeit immer noch mehr herausstellen wird2, um so überraschender ist es, auf indischem Boden ganz[7] analogen Gebilden zu begegnen, wie wir sie aus der abendländischen Religion und Philosophie her kennen. So vollzieht sich z.B. in der indischen Religion ebenso wie anderweit der Übergang vom Polytheismus zum Monismus (der nicht eben ein Monotheismus zu sein braucht); aber während dieser Schritt auf hebräischem Gebiete durch Verstossung aller andern Götter ausser dem Nationalgotte, in Ägypten durch mechanische Gleichsetzung der verschiedensten Götternamen erfolgt, so vollzieht er sich in dem philosophischer angelegten Indien in der Art, dass man durch die mannigfaltigen Gestalten des vedischen Pantheons hindurch und ohne diese zunächst anzutasten, die ewige Einheit gewahrt, auf der alle Götter und alle Welten beruhen (ekaṃ sad viprâ bahudhâ vadanti), um sodann, auf einer weitern Stufe der Entwicklung, mit nicht zu überbietendem Tiefsinne diese ewige Einheit wiederzufinden in dem eigenen Innern (tat tvam asi.) – So finden wir, um ein weiteres Beispiel anzuführen, als den Angelpunkt wie der christlichen, so auch der brahmanischen und buddhistischen Religion die Frage nach der Erlösung; nur dass diese Erlösung nach christlicher Anschauung wesentlich eine solche von der Sünde, nach brahmanischer vom Irrtume, nach buddhistischer vom Leiden des Daseins ist; und fast scheint es, als wenn es hier ein und das nämliche Phänomen sei, welches von den drei grossen Weltreligionen abwechselnd von der Seite des Wollens, des Erkennens und des Empfindens ins Auge gefasst wird. – So endlich, um nur noch eines zu erwähnen, steht das hier in der Quelle vorliegende System der Vedântalehre in der merkwürdigsten Beziehung zu der gänzlich von ihr unabhängigen Philosophie Kants, der Art, dass die Consequenzen der Kantischen Grundlehren geraden Weges zu den Hauptsätzen der Philosophie des Çankara führen, während umgekehrt die Lehre des letztern in der Kritik der reinen Vernunft ihren eigentlichen wissenschaftlichen Unterbau finden würde.

Wie nun auch immer diese und andere Parallelen bei näherer Beleuchtung sich gestalten mögen, jedenfalls beweisen sie, welch tiefdringende Fragen von den Indern aufgeworfen und in ihrer Weise beantwortet worden sind, und wie unberechtigt es ist, aus dem Kreise der philosophischen Disciplinen,[8] wie sie in Lehrbüchern und Vorlesungen vorgetragen werden, die Philosophie der Inder auszuschliessen. Dieser Zustand muss und wird sich mit der Zeit ändern. Er kann sich aber erst ändern – da eine Kenntnis des Sanskrit nicht wie die des Griechischen von den Vertretern der Philosophie wird gefordert werden können – wenn es gelingt, alle hauptsächlichen Denkmäler der Philosophie der Inder in anerkannt zuverlässigen deutschen Übersetzungen allgemein zugänglich zu machen. Eine Zusammenfassung derselben müsste zunächst die philosophisch wichtigen Abschnitte des Veda, also namentlich die Upanishad's und was ihnen verwandt ist, enthalten, sodann die Sûtra's der sechs philosophischen Hauptsysteme nebst den erforderlichen Commentaren, endlich was von sonstigen Schriften für die indische Philosophie von Bedeutung ist. Eine Sammlung dieser Art würde, wenn man von der Litteratur der Bauddha's und Jaina's zunächst noch absähe, nicht mehr als vier Bände etwa von dem Umfange des vorliegenden füllen, nach folgender Anordnung:


Band I. Die Upanishad's nebst den Vorstufen derselben aus den Saṃhitâ's und Brâhmaṇa's.

Band II. Die Sûtra's des Vedânta nebst dem Commentare des Çankara, also das, was im gegenwärtigen Bande vorliegt.

Band III. Die Sûtra's der übrigen Systeme: Sânkhyam und Yoga, Nyâya und Vaiçeshikam nebst den je ältesten oder besten Commentaren. Von der Mîmâṅsâ würde es vielleicht genügen nur Auszüge des philosophisch Wichtigen aufzunehmen, da sie im Wesentlichen nur der Form, nicht dem Inhalte nach ein philosophisches System bildet.

Band IV. endlich würde die übrigen, für die Philosophie wichtigen Schriften befassen, also namentlich: Bhagavadgîtâ nebst Auszügen aus andern Abschnitten des Mahâbhâratam und aus Manu; Sâ khya-kârikâ, Sâ khya-sâra; Vedânta- sâra, Bâlabodhanî; Çâṇḍilya-sûtram; Prabodha- candrodaya; Sarva-darçana-saṃgraha u.s.w.


Ob es mit einzelnen oder vereinten Kräften möglich sein wird, eine solche Bibliothek der indischen Philosophie in deutscher Übertragung in den nächsten Jahrzehnten zu Stande[9] zu bringen, muss dahingestellt bleiben. Einstweilen haben wir die Befriedigung, mit Dank gegen die Königliche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, welche durch ihre Unterstützung den Druck des vorliegenden Werkes ermöglichte, dem Publikum dasjenige vorzulegen, was den zweiten Band einer solchen Sammlung bilden würde, aber auch für sich allein eine selbstständige Bedeutung hat: das Hauptwerk derjenigen Lehre, welche, wie keine andere, im Mittelpunkte der religiösen und philosophischen Weltanschauung der Inder steht: die Sûtra's des Vedânta mit Çankara's Commentare, welche beide hier zum ersten Male vollständig in eine europäische Sprache übersetzt worden sind.

Indem wir es wagen (aus Gründen, welche zu erörtern hier nicht weiter von Belang ist), zunächst gerade dieses Werk in einer Übersetzung, deren Treue die Sanskritgelehrten prüfen mögen, deren Klarheit, wie wir denken, in keiner Zeile des Buches etwas zu wünschen übrig lässt, dem philosophischen und theologischen Publikum vorzulegen, eröffnen wir dem occidentalischen Leser den Einblick in eine Halle des Heiligtumes indischer Metaphysik, welche allerdings in absonderlichem, auf den ersten Blick wenig einladendem Stile gebaut ist. Von vorn herein werden die meisten sich abgestossen fühlen von der scholastischen Trockenheit und doch keineswegs in unserm Sinne wissenschaftlichen Haltung des Ganzen: weder die änigmatische Kürze der Sûtra's noch die Prolixität des Auslegers wird ihren an den Mustern der Griechen gebildeten Sinn ansprechen, und wenn sie vollends sehen, wie unser Autor weniger mit Gründen als mit Citaten aus dem Veda seine Sache führt, wie er an diese als höchste und letzte Instanz appelliert und nicht selten mit Wortklaubereien und Ausführungen, die uns teils ohne Belang, teils selbstverständlich, ja stellenweise höchst verschroben vorkommen, lange Seiten füllt, so werden viele ihre Zeit als zu edel erachten, um sie einem Buche dieser Art zu widmen.

Und doch wird, wer Geduld und Sammlung genug hat, um das Ganze bis zu Ende durchzugehen – etwa, indem er alles Bemerkenswerte zum Zwecke künftiger Rekapitulation anstreicht – sich für seine Mühe reichlich belohnt finden.[10] Er wird sehr bald inne werden, dass die jedem zunächst sich aufdrängende Ähnlichkeit der indischen Scholastik mit der abendländischen des Mittelalters nur eine äussere ist. Letztere ist bestrebt, eine historische und schon darum unphilosophische Grundlage mit einer ganz heterogenen Philosophie zu contaminieren, indess der Veda nicht Geschichten sondern nur Ideen darreicht, und zwar solche, welche gar sehr in die Tiefe führen, ohne im übrigen der freien Entwicklung des philosophischen Gedankens erhebliche Fesseln anzulegen. Und so wird aus dem wunderlichen Rahmen exegetischer Erörterungen und Kontroversen dem hingebenden Leser eine religiös-philosophische Weltanschauung entgegentreten, wie sie in dieser Tiefe, Folgerichtigkeit und Durchbildung ihres Gleichen in der Welt nicht leicht finden dürfte, – eine Weltanschauung, welche namentlich in der durchgeführten Unterscheidung einer exoterisch-mythischen und einer esoterisch-philosophischen Auffassung gleichmässig den Bedürfnissen des Volkes und den Anforderungen des denkenden Geistes Rechnung trägt und in diesem Sinne vielleicht noch einmal berufen sein wird, für die Fortbildung unserer eigenen Theologie vorbildlich zu werden. – Doch wir wollen es der Sache selbst überlassen, auf Geist und Gemüt zu wirken was sie vermag, indem wir den Freunden theologischer und philosophischer Studien ein Werk in unverkürzter und möglichst urkundlicher Form zugänglich machen, welches die bedeutendste und in Indien selbst angesehenste Zusammenfassung derjenigen Gedanken enthält, welche viele Jahrhunderte hindurch einer grossen und gebildeten Nation der Angelpunkt ihres Denkens und Treibens, der Trost im Leben und im Sterben gewesen sind.

Mancherlei wäre hier noch, zur Einführung in das Werk des Bâdarâyaṇa und Çankara vorauszuschicken, hätten wir nicht alles, was zu einem volleren Verständnisse desselben zunächst erforderlich ist, zusammengefasst in unserer vor vier Jahren veröffentlichten Darstellung des Vedântasystemes.3[11] Beide Arbeiten, jene Darstellung und die gegenwärtige Übersetzung ergänzen sich gegenseitig, sofern die Übersetzung die Quelle darbietet, auf welcher, neben Upanishad-Texten, die Darstellung beruhte, und dadurch auch den des Sanskrit nicht kundigen Leser instandsetzt, über unsere Auffassung des Systemes sich aus eigener Anschauung ein Urteil zu bilden, während hinwiderum unser früheres Werk durch seine einleitenden Betrachtungen, Analysen und Übersichten als eine Art fortlaufenden Commentares angesehen werden kann, welcher die Lehre des Çankara aus dem Zusammenhange des Systemes heraus von Punkt zu Punkt erläutert. Insbesondere sind dort auch die Upanishad-Texte, so weit auf ihnen das System des Bâdarâyaṇa und Çankara beruht, mitgeteilt und bearbeitet worden. Eine vollständige deutsche Übersetzung der Upanishad's, so weit dieselben uns erhalten sind, ist in Arbeit und wird hoffentlich in einiger Zeit erscheinen können. Eine englische Übersetzung derselben hat Max Müller für die Sacred Books of the East unternommen und in Band I und XV dieser Sammlung zum grösseren Teile bereits geliefert. Der erste Band (1879) enthält Chândogya, Kena, Aitareya, Kaushîtaki und Îçâ, der zweite (1884 erschienene) Kâṭhaka, Muṇḍaka, Taittirîya, Bṛihadâraṇyaka, Çvetâçvatara, Praçna und Maitrâyaṇa; so dass nahezu alle Upanishad's, so weit sie von Çankara's Werk vorausgesetzt werden (vgl. System des Vedânta, S. 32 fg.), in dieser Übersetzung mit Einleitungen und Anmerkungen versehen vorliegen. Die Arbeit Müller's ist in manchen Punkten nicht ohne Grund angegriffen worden; indessen ist zu wünschen, dass das Bessere, welches zu hoffen und anzustreben uns freisteht, nicht der Feind des schon vorhandenen Guten werde.

Eine weitgehende Erörterung würde die Polemik gegen andere philosophische Schulen erfordern, welche das ganze Werk des Bâdarâyaṇa und Çankara durchzieht, namentlich aber in Pâda II, 2 zusammengefasst ist. Doch wird ein Eingehen auf diese Fragen am besten bis dahin aufgeschoben, wo auch die Hauptwerke der andern Schulen in Übersetzungen vorliegen werden. Auch die mit dem Ritual sich berührenden Teile, wie namentlich Pâda III, 3, sind noch mancher Aufhellung[12] bedürftig; vielleicht regt unsere Übersetzung mit dazu an, diesen Fragen weiter nachzugehen.

Der Text, welcher der Übersetzung zu Grunde liegt, ist der in der Bibliotheca Indica 1863 herausgegebene, mit welchem in zweifelhaften Fällen die ältere Ausgabe von 1818 verglichen wurde. Neues handschriftliches Material wurde nicht benutzt. Ebenso wurde von einer durchgehenden Verwertung der unter dem Texte der Bibliotheca Indica abgedruckten ṭîkâ oder Glosse des Govindânanda (für III, 4 des Ânandagiri) Abstand genommen, nachdem eine Prüfung derselben ergab, dass sie geeignet ist, das Verständnis, durch Hinleitung auf spätere Vorstellungen, irre zu führen. Sie wurde daher nur da, wo der Text des Çankara einen weiteren Aufschluss wünschenswert machte, mit Vorsicht zu Rate gezogen, in der Regel freilich ohne Erfolg, da sie meist alles erklärt mit Ausnähme dessen, was, für uns wenigstens, einer Erklärung gerade bedürftig ist. Somit beschränkte sich unser Verfahren wesentlich darauf, alle Aufmerksamkeit auf den Text des Çankara, in welchem jede Wortstellung, jedes eva und iti von Bedeutung ist4, zu concentrieren, nicht zu ruhen bis sich von hier aus der Gedanke in voller Klarheit darstellte, und dann diesen, so weit es der grundverschiedene Periodenbau beider Sprachen gestattete, in möglichst engem Anschlusse an das Original deutsch wiederzugeben. Hierbei waren manche Verbesserungen des Textes unumgänglich, welche, so weit sie sich nicht von selbst ergeben, in Klammern angemerkt wurden. Ebenso wurden alle von uns herrührenden erklärenden Zusätze in eckige Klammern eingeschlossen. Die fortlaufenden Zahlen am Rande sind die Seitenzahlen der Ausgabe in der Bibliotheca Indica; es wäre zu wünschen, dass dieselben, um eine einheitliche Weise des Citierens zu gewinnen, auch von künftigen Herausgebern und Übersetzern berücksichtigt würden; mit p. wurde auf sie, mit S. auf die Seiten unserer Übersetzung[13] verwiesen. Alle übrigen Abkürzungen sind die im »Systeme des Vedânta« gebrauchten und dort S. VII und 515 erklärten. Indem wir die ebendaselbst S. 41 fg. gegebene Inhaltsübersicht hier wieder abdrucken lassen, wollen wir, zum Vergleiche mit derselben, noch die Inhaltsangabe hier übersetzen, welche Madhusûdana-Sarasvatî in seinem Prasthânabheda (Weber's Indische Studien, I, p. 19) von dem vorliegenden Werke giebt:


»Die aus vier Adhyâya's bestehende Çârîraka-Mimaṅsâ, wie sie beginnt mit den Worten: ›nunmehr daher die Brahmanforschung‹ und endigt mit den Worten: ›keine Wiederkehr nach der Schrift‹, hat als Zweck, die Einheit des Brahman und der Seele vor Augen zu stellen, sowie die Regeln aufzuzeigen, welche die Betrachtung der sogenannten Schriftoffenbarung lehren5, und ist verfasst von dem verehrungswürdigen Bâdarâyaṇa.«

»Hierbei wird die Übereinstimmung (samanvaya), mit welcher alle Vedântatexte unmittelbar oder mittelbar auf das innerliche, unteilbare, zweitlose Brahman abzwecken, im ersten Adhyâya nachgewiesen. – Im ersten Pâda desselben werden diejenigen Stellen besprochen, in welchen deutliche Merkmale des Brahman vorkommen. – Im zweiten Pâda hingegen diejenigen, welche undeutliche Merkmale des Brahman enthalten und sich auf das Brahman als Gegenstand der Verehrung beziehen. – Im dritten Pâda solche, welche gleichfalls undeutliche Merkmale des Brahman enthalten, jedoch zumeist sich auf Brahman als Gegenstand der Erkenntnis beziehen. – Nachdem in dieser Weise die Untersuchung der Textstellen durch die drei ersten Pâda's zum Abschlusse gebracht ist, so werden hingegen im vierten Pâda gewisse Schriftworte, bei denen es zweifelhaft sein kann, ob sie sich nicht auf das Pradhânam (die Urmaterie der Sâ khya's) beziehen, z.B. das von dem. avyaktam, von der ajâ u.s.w., in Erwägung gezogen.«[14]

»Nachdem in dieser Weise die Übereinstimmung der Vedântatexte in Betreff des zweitlosen Brahman erwiesen worden, so wird weiter, in Erwartung eines Einspruches auf Grund der Argumente, wie sie von der in Ansehen stehenden Smṛiti, Reflexion u.s.w. vorgebracht werden, die Beseitigung dieses Einspruches unternommen, und somit im zweiten Adhyâya die Unwidersprechlichkeit (avirodha) dargelegt. – Hierbei wird im ersten Pâda der Einspruch gegen die Übereinstimmung des Vedânta widerlegt, welcher aus den Smṛiti's des Sânkhyam, des Yoga, der Kaṇâdianer u.s.w., sowie aus den von den Sâ khya's u.s.w. vorgebrachten Reflexionen herrührt. – Im zweiten Pâda wird die Verfehltheit der Lehrsätze der Sâ khya's u.s.w. dargelegt, so dass diese Betrachtung aus zweien, einerseits der Befestigung der eigenen, anderseits der Bestreitung der fremden Lehre dienenden Teilen besteht. – Im dritten Pâda wird der gegenseitige Widerspruch der Schriftstellen in Betreff der Schöpfung u.s.w. der Elemente im ersten Teile gehoben, im zweiten Teile hingegen der in Betreff der individuellen Seele. – Im vierten Pâda wird der Widerspruch der auf die Sinnesorgane bezüglichen Schriftstellen gehoben.«

»Im dritten Adhyâya folgt die Erörterung der Mittel (sâdhanam.) – Hierbei wird im ersten Pâda durch Betrachtung des Hingehens der Seele in die andere Welt und ihres Wiederkommens die Entsagung [als das Mittel, der Seelenwanderung zu entgehen, vgl. p. 740, 3, S. 474] in Betracht gezogen. – Im zweiten Pâda wird in der ersten Hälfte der Begriff des ›Du‹ (der Seele) und in der zweiten Hälfte der Begriff des ›Das‹ (des Brahman) ins Reine gebracht [wie sie in der Formel tat tram asi ›Das bist Du‹, Chând. 6, 8, 7, identisch gesetzt werden]. – Im dritten Pâda wird in Betreff des attributlosen Brahman eine Zusammenfassung der in den verschiedenen Çâkhâ's vorkommenden, so weit nicht tautologischen, Aussprüche vorgenommen, und bei dieser Gelegenheit wird erörtert, in wie weit in Betreff der attributhaften sowohl als attributlosen Lehren die in verschiedenen Çâkhâ's vorkommenden Attribute zusammenzufassen oder nicht zusammenzufassen sind. – Im vierten Pâda werden die Mittel[15] der Erkenntnis des Brahman und zwar sowohl die aussenseitigen (unwesentlichen) Mittel, wie Lebensstadien, Opfer u.s.w., als auch die innenseitigen (wesentlichen) Mittel, wie Beruhigung, Bezähmung, Überdenkung u.s.w. in Betracht gezogen.«

»Im vierten Adhyâya erfolgt die Darlegung der besonderen Frucht (phalam) der attributhaften und der attributlosen Wissenschaft. – Im ersten Pâda wird ausgeführt, wie, nachdem durch wiederholtes Anhören der Schrift u.s.w. das attributlose Brahman vor Augen gestellt worden, für den noch Lebenden schon die durch Nichtanhaftung der bösen und guten Werke gekennzeichnete Erlösung-bei-Lebzeiten eintritt. – Im zweiten Pâda wird die Art, wie die Seele des Sterbenden auszieht, überdacht. – Im dritten Pâda wird der weitere Weg des das attributhafte Brahman Wissenden nach dem Tode auseinandergesetzt. – Im vierten Pâda wird in der ersten Hälfte gezeigt, wie der das attributlose Brahman Wissende die körperlose [erst mit dem Tode eintretende] Absolutheit erlangt, während die zweite Hälfte zeigt, wie der das attributhafte Brahman Wissende in der Brahmanwelt seine bleibende Stätte findet.«

»Dieses Lehrbuch ist unter allen das hauptsächlichste; alle andern Lehrbücher dienen nur zu seiner Ergänzung. Darum sollen es hochhalten die nach Erlösung verlangen; und zwar in der Auffassung, wie sie von des erlauchten Çankara verehrungswürdigen Füssen dargelegt worden ist.«

»So viel über die Geheimlehre.«

Berlin, im Juli 1887.

P.D.

1

Über Çankara's Zeitalter vgl. mein »System des Vedânta« S. 37. Mit dem dort aus dem Âryavidyâsudhâkara mitgeteilten Geburtsjahre Kaliyuga 3889=787-789 p.C. stimmt überein Pathak im Indian Antiquary XI, 174, der Çankara's Lebenszeit auf Kaliyuga 3889-3921 ansetzt; während hingegen Telang im Ind. Ant. XIII, 95 auf 590 p.C. als spätesten Termin für Çankara's Blüte gelangt, und, von ihm unabhängig, Fleet den nepâlischen König Vṛishadeva, gegen Ende von dessen Regierung (nach Wright, History of Nepal, p. 118 fg., 123) Çankara nach Nepâl gekommen sein und dessen Sohn und Thronfolger von ihm den Namen Çankaradeva erhalten haben soll, um spätestens 630 bis 655 p.C. ansetzt. Vgl. darüber Fleet im Indian Antiquary, Januarheft 1887, p. 41 fg.

2

Gegenüber dem Bestreben von Weber, Lorinser, Seydel, v. Schröder u.a., teils indische Gedanken aus occidentalischen (biblischen und griechischen), teils occidentalische aus indischen abzuleiten, wollen wir hier nur bemerken, dass uns bis jetzt auf beiden Gebieten noch kein Gedankenmoment begegnet ist, welches sich nicht leichter aus seinen natürlichen Voraussetzungen, als aus einem solchen internationalen Austausche ableiten, liesse, der für die alte Zeit gewiss grössere Schwierigkeit hat, als man vielfach sich vorstellen mag.

3

Das System des Vedânta, nach den Brahmasûtra's des Bâdarâyaṇa und dem Commentare des Çankara über dieselben, als ein Compendium der Dogmatik des Brahmanismus vom Standpunkte des Çankara aus dargestellt (Leipzig 1883.)

4

Wie genau es damit hält, mag (neben System des Vedânta, S. 31, Anm. 20) als eines unter zahlreichen Beispielen p. 1129, 14 lehren, wo nicht leicht jemand (wie auch wir System des Vedânta S. 120 noch nicht) in dem unscheinbaren tataḥ çesheṇa eine Hinweisung auf die auch p. 754, 4 vorkommende Smritistelle erkennen wird.

5

Besser zu lesen: çravana-âdya-vicâra-pratipâdakân, »welche die Betrachtung [jener Einheit] mittels Anhören des Schriftwortes u.s.w. (vgl. Vedântasâra 196 Boehtl.) lehren.«

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. V5-XVI16.
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