[357] 28. na abhâva' upalabdheḥ
nicht das Nichtsein, wegen der Apperception.

Nachdem in dieser Weise gegen die realistische Theorie die Unmöglichkeit, dass ein Aggregat zu Stande komme, und andere Einwendungen geltend gemacht worden sind, so tritt nunmehr derjenige Buddhist, welcher nur die Vorstellung [der Welt] für wirklich hält, in folgender Weise auf.


[Der Buddhist spricht:]


›Indem man die Hinneigung mancher Schüler zu den äusseren Dingen bemerkte, hat man ihnen zu Gefallen diese Lehrmeinung von [der Realität] der Aussenwelt aufgestellt. Nicht aber ist sie die Ansicht Sugata's; | vielmehr ist, was er wollte, die Lehre von der alleinigen Kategorie (skandha) der Vorstellung (vijñânam.) Nach dieser Vorstellungslehre beruht die Aussengestalt [nur] in dem Intellekte (buddhi), und das ganze Welttreiben von Erkennen, Erkanntem und [Genuss der] Frucht ist nur etwas Innerliches; und gäbe es selbst Aussendinge, so würde doch, ohne dass es in dem Intellekte beruhte, dieses Welttreiben von Erkennen u.s.w. nicht von statten gehen können.

Aber womit wird denn bewiesen, dass das ganze Welttreiben nur etwas Innerliches ist, und dass es über die Vorstellung hinaus keine Aussendinge giebt? – Damit, dass dieselben unmöglich sind! Angenommen nämlich, es gäbe äusserliche Objekte, so müssten dieselben, z.B. die festen Körper, entweder unendlich klein (paramâṇu) oder ein Aggregat von unendlich Kleinem sein. Unendlich klein nun kann das, was die Perception als festen Körper u.s.w. umgrenzen muss, nicht sein, weil ein unendlich Kleines nicht sichtbar und erkennbar ist; aber auch kein Aggregat von unendlich Kleinem: weil ein solches weder als verschieden von dem unendlich Kleinen noch als identisch mit ihm | gedacht werden kann [nicht als verschieden, weil es aus ihm besteht, nicht als identisch, weil es dann in allen seinen Teilen sich der Wahrnehmung entziehen würde]. – Dasselbe gilt von den Gattungen[357] [auch diese sind nicht real, weil sie weder als identisch mit den Individuen noch als von ihnen verschieden gedacht werden können].

Ferner: wenn die Erkenntnis (jñânam), die ihrer Natur nach ein Allgemeines ist, indem sie allein durch die Empfindung (anubhava) erzeugt wird, je nach den Gegenständen limitiert wird als Erkenntnis der Säule, Erkenntnis der Wand, Erkenntnis des Gefässes, Erkenntnis des Gewebes, so ist dies nicht anders möglich als durch eine Modifikation (viçesha), welche die Erkenntnis betrifft. – Somit muss man unweigerlich die Wesenseinheit (sârûpyam) der Erkenntnis mit den Gegenständen zugeben. Hat man diese aber zugegeben, so ist, da die Gestalt des Objektes in der blossen Erkenntnis beschlossen liegt, die Hypothese (kalpanâ) der Existenz von Dingen überflüssig.

Auch weil die Apperception (upalambha) notwendigerweise beide miteinander befasst, ist keine Trennung von Objekt und Vorstellung (vijñânam) möglich; denn es geht nicht an, das eine von diesen beiden zu appercipieren, ohne dass man auch das andere appercipiert; und dem wäre nicht so, wenn sie ihrer Natur nach verschieden wären, denn dann würde kein Grund vorhanden sein, der es hinderte. Auch darum also giebt es keine Dinge.

Es ist aber dabei wie z.B. im Traume. Wie nämlich im Traum oder bei Sinnestäuschungen (mâyâ) Perceptionen (pratyaya) von Luftspiegelungswasser, Gandharvastädten u. dgl. ohne äusseren Gegenstand in der Form von Aufzufassendem und Auffassendem [Objekt und Subjekt] entstehen, ebenso muss es | mit den Perceptionen im Wachen von Säulen u.s.w. seine Bewandtnis haben, wie daraus hervorgeht, dass sie von jenen darin, dass sie Perceptionen sind, sich nicht unterscheiden.‹

Aber woher rührt, wenn kein äusseres Objekt vorhanden ist, die Mannigfaltigkeit der Perception? – ›Wir antworten: von der Mannigfaltigkeit der [subjektiven] Erscheinungen (vâsanâ.) Indem nämlich in dem anfanglosen Saṃsâra die Vorstellungen und die Erscheinungen, so wie Samen und Pflanzen, wechselseitig voneinander Ursache und Wirkung sind, so erklärt sich die Mannigfaltigkeit ohne Widerspruch. Auch ist anzunehmen, dass für die Regel [das Wachen] so gut wie für die Ausnahme [den Schlaf] die Mannigfaltigkeit der Erkenntnis lediglich in den Erscheinungen ihren Grund hat. Und dass im Traume u.s.w. auch ohne Aussendinge eine Mannigfaltigkeit der Erkenntnis von den Erscheinungen hervorgebracht wird, darin stimmen wir ja beide überein; nur dass ich überhaupt keine Mannigfaltigkeit von Erkenntnissen, die nicht durch Erscheinungen, sondern durch Aussendinge veranlasst würde, annehme. Auch darum also giebt es keine Aussendinge.‹


[Hierauf erwidert der Vedantist:]


Auf diese Annahmen entgegnen wir: »nicht das Nichtsein wegen[358] der Apperception«; d.h. das Nichtsein der Aussendinge lässt sich nicht behaupten; warum? weil man sie appercipiert. Denn man appercipiert das äussere Objekt je nach der Perception als eine Säule, eine Wand, ein Gefäss, ein Gewebe; und was man appercipiert, das kann doch nicht nichtsein. Es kommt mir vor, wie wenn einer, der isst, während sich die durch das Essen vollbrachte Sättigung ganz unmittelbar fühlbar macht, sagen wollte: »ich esse nicht und werde auch nicht satt«. Ebenso ist es, wenn einer durch die Berührung mit den Sinnesorganen ganz unmittelbar | die Aussendinge appercipiert und dabei versichert: »ich appercipiere nicht und das Ding da ist nicht da«. – Wie lässt sich auf solches Reden etwas geben?


[Der Buddhist:]


›Aber ich sage ja gar nicht, dass ich keine Gegenstände appercipiere; ich behaupte nur, dass ich nichts ausserhalb der Apperception appercipiere.‹


[Der Vedantist:]


Ja wohl, das behauptest du! aber nur wegen der Hakenlosigkeit deines Rüssels [die Elefanten werden durch Haken gelenkt] und nicht aus Gründen! Denn wir werden gezwungen, über die Apperception hinaus Objekte anzunehmen, und zwar durch die Apperception selbst. Denn kein Mensch appercipiert eine Säule oder eine Wand als blosse Apperception, sondern als Objekte der Apperception appercipiert alle Welt die Säule und die Wand. Und dass alle Welt das thut, ergiebt sich daraus, dass auch diejenigen, welche die Aussendinge bestreiten, dafür Zeugnis ablegen, wenn sie sagen: »die innerlich erkannte Gestalt erscheint als wäre sie draussen«. Denn auch sie nehmen das von aller Welt anerkannte Bewusstsein von dem Draussen zur Hülfe, wenn sie, um die Aussendinge zu bestreiten, mit ihrem »als wäre sie draussen« das Draussen vergleichsweise heranziehen. Denn wie könnten sie sonst sagen: »als wäre sie draussen«? Denn kein Mensch sagt: »Vischṇumitra sieht aus, als wäre er der Sohn einer Unfruchtbaren.« Darum muss man, wenn man in Gemässheit mit dem, wie wir uns der Sache bewusst werden, das Wesen des Seienden auffasst, sagen: »dasselbe erscheint draussen«; nicht aber: »als wäre es draussen«.

›Aber wurde nicht daraus, dass keine Aussendinge möglich sind, geschlossen, dass es bloss scheine, als wären sie draussen?‹ – | Ja, aber dieser Schluss ist nicht berechtigt. Denn nach dem, was bewiesen oder nicht bewiesen wird, entscheidet sich was möglich oder nicht möglich ist; nicht aber umgekehrt nach dem, was möglich oder nicht möglich ist, das, was zu beweisen oder nicht zu beweisen ist. Denn was durch eines der Erkenntnismittel,[359] Wahrnehmung u.s.w., appercipiert wird, das ist möglich [oder: wirklich: sambhavati], und was durch kein Erkenntnismittel appercipiert wird, das ist nicht möglich [wirklich]. Die Aussendinge nun werden, je nach ihrer Art, durch alle Erkenntnismittel appercipiert; wie kann man da auf Grund so willkürlicher Reflexionen, wie die über die Verschiedenheit oder Nichtverschiedenheit der Dinge [von den Atomen] behaupten, dass sie nicht möglich sind, wo man sie doch appercipiert!

Und darum, weil die Erkenntnis dem Objekte konform ist, kommt das Objekt nicht in Wegfall. Denn gäbe es kein Objekt, so würde jene Konformität mit ihm nicht statthaben; dass aber das Objekt existiert, folgt daraus, dass man es als draussen appercipiert. | Somit hat die Notwendigkeit, Perceptionen und Objekte zugleich zu appercipieren, darin ihren Grund, dass beide sich verhalten wie Mittel und Vermitteltes, nicht darin, dass sie identisch sind.

Weiter: wenn man die Erkenntnis des Gefässes und die Erkenntnis des Gewebes unterscheidet, so liegt die Verschiedenheit in dem, was unterscheidet, dem Gefässe, dem Gewebe, nicht in dem, was unterschieden wird, der Erkenntnis. Denn eine weisse Kuh und eine schwarze Kuh sind verschieden in der Weisse und Schwärze, nicht darin, dass sie Kühe sind. Also durch die zwei wird die Unterscheidung des einen vollbracht und durch das eine die der zwei. [Sie würden nicht unterschieden werden, wären sie nicht eins darin, dass sie Erkenntnis sind; – oder soll man lesen: naikasmâc ca »und nicht durch das eine«?] Folglich sind Objekt und Erkenntnis verschieden. Und auch darauf können wir uns hierbei berufen, dass man das Sehen des Gefässes und die Erinnerung an das Gefäss unterscheidet. Denn auch hier liegt die Differenz in dem, was unterschieden wird, dem Sehen, dem Erinnern, nicht in dem, was sie unterscheidet, dem Gefässe; ebenso wie bei den Worten Milchgeruch und Milchgeschmack die Differenz in dem, was unterschieden wird, dem Geruch und dem Geschmack, nicht in der sie unterscheidenden Milch liegt.

Auch kann zwischen zwei [blossen] Vorstellungen (vijñânam), die zeitlich verschieden sind, da sie sich durch ihr eigenes Zum-Bewusstsein-Kommen aufzehren, kein gegenseitiges | Verhältnis von Aufzufassendem (grâhya) und Auffassendem (grâhaka) stattfinden, [die Vorstellungen müssen ein vorstellendes Subjekt sich gegenüber haben], indem dadurch die eigenen Annahmen [der Buddhisten] von der Verschiedenheit der Vorstellungen, von der Dauerlosigkeit u.s.w. als Bestimmungen der Dinge, von dem Individuellen [welches sie allein gelten lassen] und dem Generellen [welches sie verwerfen], von dem was erscheint (vâsyam) und dem, woran es zur Erscheinung kommt (vâsakam) u.s.w., von der auf der Überschwemmung mit dem Nichtwissen beruhenden Beschaffenheit [der Dinge][360] als seiender und zugleich nichtseiender, von der Bindung und von der Erlösung, – diese und andere in der eigenen Bestimmung der Gegner vorkommenden Annahmen hinfällig werden würden.

Und nun weiter: du nimmst doch eine Reihe von Vorstellungen an; warum denn nimmst du nicht die Aussendinge, wie Säule und Wand, an? – Du meinst, weil die Vorstellung empfunden wird? – Aber die Aussendinge werden ja doch auch empfunden! – Oder meinst du, dass die Vorstellungen, weil es, ähnlich wie bei einer Lampe, in ihrem Wesen liege, zu leuchten, ganz von selbst [und ohne erkennendes Subjekt] sich zum Bewusstsein bringen, die Aussendinge hingegen dies nicht zu thun vermögen? Nun dann nimmst du also das absolut Widerspruchsvolle an, nämlich das Gerichtetsein der Thätigkeit auf das Subjekt des Thuns selbst, welches ist, als wenn du sagtest, das Feuer verbrenne sich selbst; und die widerspruchlose, allgemeine Annahme, dass vermittelst der von dem eigenen Selbste [als Subjekte] verschiedenen Vorstellung das Aussending empfunden werde, | die nimmst du nicht an! Das ist ja eine grosse Weisheit, die du an den Tag legst!

Übrigens kann, selbst wenn die Vorstellung von dem Aussendinge verschieden ist, doch dieselbe nicht an sich selbst [d.h. ohne erkennendes Subjekt] empfunden werden, eben weil es ein Widerspruch ist, dass eine Handlung sich auf sich selbst [als Objekt der Handlung] beziehe. – ›Aber folgt nicht daraus, dass eine Vorstellung durch ein von ihr verschiedenartiges [vorstellendes Subjekt] aufgefasst werden muss, 1) dass auch dieses [Subjekt] wiederum von einem andern, und dieses wieder von einem andern [Subjekte] aufgefasst werden muss, dass somit ein regressus in infinitum entsteht? Und ferner 2): wenn doch das Vorstellen [d.h. das vorgestellte Objekt] seinem Wesen nach schon wie eine Lampe erleuchtend ist, und man nimmt gleichwohl noch ein weiteres Vorstellen [ein vorstellendes Subjekt] an, folgt dann nicht, da doch zwischen beiden wegen ihrer Gleichartigkeit das Verhältnis von Erleuchtendem und Erleuchtetem nicht statthaben kann, dass diese Annahme unnötig ist?‹ – Diese Einwendungen sind beide unzutreffend; denn da es sich 1) nur um das Auffassen der Vorstellung handelt, so erwächst gar kein Bedürfnis, das Subjekt der Vorstellung aufzufassen, und somit ist ein regressus in infinitum nicht zu besorgen. Da ferner 2) das Subjekt und die Perception ihrer Natur nach wesensverschieden sind, so können sie sehr wohl als Apperception und zu Appercipierendes sich zu einander verhalten; das Subjekt aber ist an sich selbst gewiss und kann daher nicht geleugnet werden. Ja noch mehr. Wenn du behauptest, dass die (Vorstellung wie eine Lampe, ohne dass sie noch eines andern Erleuchters [des Subjektes] bedürfe, von selbst sich kund thue, so bedeutet dies so viel, wie dass die Vorstellung eines Erkenners entbehrend, somit der Erkenntnis unzugänglich ist, so gut wie[361] Lampen, und wären ihrer tausend, wenn sie mitten in einem Felsblock sitzen. – ›Das mag ja sein; aber da [nach meiner Auffassung] die Vorstellung ihrem Wesen nach Empfindung ist, so ist es die von mir vertretene Meinung, | welche du damit anerkennst.‹ – O nein! denn die Erfahrung zeigt, wie nur, sofern noch ein anderes, Erkennendes, z.B. das Auge u.s.w., als Werkzeug vorhanden ist, die Lampe u.s.w. scheinen kann; woraus folgt, dass die Vorstellung, ebenso gut wie die Lampe, da sie nicht weniger als diese noch der Sichtbarmachung bedarf, nur kund werden kann, sofern ein anderes Erkennendes dabei vorhanden ist. – ›Aber wenn du so sehr betonst, dass das Subjekt der Erkenntnis an sich selbst gewiss sei, so ist das nur meine Meinung von dem sich selbst Kundmachen der Vorstellung, die du dir da in etwas anderer Wendung der Ausdrücke zu eigen machst.‹ – Keineswegs! denn die Vorstellung ist [von dem vorstellenden Subjekte] sehr wohl zu unterscheiden, sofern sie entstehend, vergehend, vielheitlich u.s.w. ist.

Somit haben wir bewiesen, dass auch die Vorstellung, ebenso gut wie die Lampe, erst noch des Erkanntwerdens durch ein von ihr verschiedenes [Subjekt] bedarf.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 357-362.
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