[368] 35. na ca paryâyâd api avirodho, vikâra-âdibhyaḥ
auch nicht durch Abwechslung wird der Widerspruch vermieden, wegen der Wandelbarkeit und anderer [Unzuträglichkeiten].

[368] »Auch nicht durch Abwechslung«, indem einige Teilchen hinzukommen oder in Abgang kommen, lässt sich die Lehre, dass die Seele den Umfang des Leibes habe, ohne Widerspruch durchführen; warum? weil dann »die Wandelbarkeit und andere Unzuträglichkeiten« eintreten würden. Wenn nämlich die Seele fort und fort durch das Hinzukommen und Abgehen von Teilchen vermehrt und vermindert wird, so ist als Folge unabweisbar, dass die Seele wandelbar sei; ist sie aber wandelbar, so kann sie, ebenso wie die Haut und Ähnliches, nicht ewig sein. Dies aber steht in Widerspruch mit den Lehren [der Jaina's] von der Bindung und Erlösung, nach welchen die mit der Achtzahl der Werke umkleidete Seele wie eine Flaschengurke in der Tiefe des Saṃsârameeres festsitzt und nach Durchschneidung des Bandes in die Höhe getrieben wird. Ja noch mehr; jene hinzukommenden und abgehenden Teilchen sind ihrer Beschaffenheit nach kommend und gehend, und somit können sie ebenso wenig wie der Leib und anderes das Wesen der Seele (des Selbstes) ausmachen. Oder soll etwa ein bestimmter Teil beharrlich sein, | und dieser die Seele ausmachen? Dabei wäre es unmöglich zu bestimmen, welches gerade dieser Teil sein soll. – Ferner müssen wir fragen, woher denn jene hinzukommenden Seelenteilchen genommen werden und wohin sie bei ihrem Abgange abgeführt werden? Aus den Elementen können sie nicht hervortreten noch auch in sie zurückgehen, weil die Seele von anderer Natur ist als die Elemente. Ein anderer Behälter aber der Seelenteilchen, mag er gemeinsam oder nicht gemeinsam sein, lässt sich nicht absehen, weil kein Beweismittel dafür vorhanden ist. Ferner: wenn dem so wäre, so würde die Seele von unbestimmter Natur sein, denn für das Hinzukommen und Abgehen der Teilchen giebt es keine fest geregelte Grenze; damit aber würden jene [im Sûtram angedeuteten] »andern Unzuträglichkeiten« [z.B. des Verfliessens mit dem was nicht Seele ist] sich einstellen; und folglich kann man sich nicht dabei beruhigen, dass zu der Seele neue Teile hinzukommen und alte von ihr abgehen.

Oder man kann das Sûtram auch so erklären. Nachdem im vorigen Sûtram von der die Grösse des Leibes habenden Seele bewiesen war, dass sie wegen des Eingehens in einen bald grösseren bald kleineren Leib nicht allgegenwärtig und folglich nicht ewig sein könne, so wird weiter versucht, die Ewigkeit der Seele[369] zu retten, indem man annimmt, dass sie, trotz der »durch die Abwechslung« der Teilchen bedingten Unstetigkeit ihres Umfanges, sich doch ebenso erhalte, wie die Kontinuität des Stromes [wenn auch das Wasser wechselt] immerfort bestehen bleibt. | Ebenso wie also die Rotröcke (Buddhisten) trotz des Unbestandes der Vorstellung die Kontinuität derselben ewig sein lassen, in ähnlicher Weise könnten es auch die Rocklosen (Jaina's) machen. In Bezug darauf wird durch das vorliegende Sûtram die Antwort gegeben. Soll nämlich die Kontinuität etwas Nichtreales sein, so würde folgen, dass es gar keine Seele gebe; soll sie hingegen etwas Reales sein, so würden für die Seele »die Wandelbarkeit und andere Unzuträglichkeiten« sich ergeben, so dass eine derartige Annahme als unzulässig sich herausstellt.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 368-370.
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