[354] 26. na asato, 'dṛishṭatvât
nicht aus dem Nichtseienden, wegen der Erfahrungswidrigkeit.

[354] Auch darum ist die Lehre der Nihilisten falsch, weil aus ihrer Leugnung einer beharrenden kontinuierlichen Ursache folgen würde, dass das Sein aus dem Nichtsein entstünde; ja dieses Entstehen des Seins aus dem Nichtsein lehren sie selbst mit den Worten: »weil es nur nach vorheriger Vernichtung offenbar wird«; d.h. ›nur indem z.B. der Same vergeht, entsteht die Pflanze; ebenso entsteht durch den Vergang der Milch die saure Milch, durch den des Thonklumpens das fertige Gefäss; ginge die Wirkung aus einer Ursache hervor, die über den Vorgang erhaben [folglich, da alles Individuelle wechselt, nicht individuell bestimmt] wäre, so würde aus ihr ohne Unterschied alles allerwärts entstehen können. Weil also aus dem Samen u.s.w. nur, indem er von dem Nichtsein verschlungen wird, die Pflanze u.s.w. hervorgeht, darum entsteht das Sein aus dem Nichtsein‹; das ist ihre Meinung. – Hierauf ist zu erwidern: »nicht aus dem Nichtseienden, wegen der Erfahrungswidrigkeit«; d.h. das Sein entsteht nicht aus dem Nichtsein; entstünde das Sein aus dem Nichtsein, so würde, weil das Nichtsein ein Unterschiedloses ist, die Annahme einer bestimmten Ursache unnötig werden, denn das Nichtsein, welches aus der Vernichtung des Samens u.s.w. hervorgeht, würde | mit einem Hasenhorn und anderen [Unmöglichkeiten] in seiner Eigenschaft des Nichtseins gänzlich übereinstimmen; es würde mithin in dieser Beschaffenheit als ein Nichtsein kein Unterschied liegen, der es forderte, dass nur aus dem Samen die Pflanze, nur aus der Milch die saure Milch entspränge, dass mithin in dieser Weise die Aufsuchung einer bestimmten Ursache das Richtige wäre. Nimmt man als Ursache ein unterschiedloses Nichtsein an, so könnte auch aus einem Hasenhorn u.s.w. eine Pflanze u.s.w. entspringen; das aber ist erfahrungswidrig. Wird hingegen an dem Nichtsein selbst ein Unterschied angenommen, wie an der Lotosblume die blaue oder sonstige Farbe, nun so würde daraus für das mit den Unterschieden behaftete Nichtsein ein Sein ähnlich dem der Lotosblume folgen, nicht aber würde das Nichtsein die Ursache sein, dass irgend etwas entstünde, eben weil es ein blosses Nichtsein ist, ganz so wie das Hasenhorn u.s.w. Ferner würde, falls aus dem Nichtsein das Sein entstünde, jede Wirkung als mit diesem Nichtsein [der Ursache] behaftet sich zeigen; das aber ist gegen die Erfahrung, weil ein jedes Ding in seiner Art nur als vermöge des Seins [seiner bestimmten Ursache] besteht und sich zeigt. Denn niemand[355] hat noch behauptet, dass die aus Thon bestehenden Gefässe Umwandlungen aus den Fäden oder anderem seien, vielmehr sind alle darin einig, dass das aus Thon bestehende Sein nur eine Umwandlung des Thones sein könne. Wenn ferner behauptet wurde, dass kein | Ding ohne Vernichtung seiner Natur, folglich kein über diese erhabenes Ding eine Ursache abgeben könne, und dass darum das Entstehen des Seins aus dem Nichtsein geschehen müsse, so ist das eine unglückliche Behauptung, denn die Erfahrung zeigt, wie z.B. das Gold, indem es in seinem Sein beharrt, daher auch als solches wiedererkannt wird, für die Wirkungen des Goldschmuckes u.s.w. die beharrende Ursache ist. Wenn ferner bei dem Samenkorn und anderen Dingen eine Vernichtung sich zeigt, so ist auch hierbei nicht jener der Vernichtung anheimfallende frühere Zustand für den späteren Zustand als Ursache anzusehen; vielmehr bilden die nicht vernichteten, kontinuierlichen Teilchen des Samenkorns u.s.w. das ursächliche Sein für die Pflanze u.s.w. Weil somit die Erfahrung zeigt, dass aus dem, was nicht ist, z.B. aus dem Hasenhorn, kein Seiendes entstehen kann, weil sie ferner zeigt, wie aus einem Seienden, z.B. aus dem Golde, ein Seiendes entspringt, daher ist jene Behauptung eines Hervorgehens des Seins aus dem Nichtsein ungerechtfertigt. Auch nehmen die Gegner ja selbst an, dass aus den »vieren« [Ding, Werkzeug, Mitwirkendes, Anstrengung] der Geist und das Geistige, und wiederum aus den Atomen das Aggregat der Elemente und des Elementartigen entspringe; und wenn sie nun wieder mit der Behauptung kommen, dass das Sein aus dem Nichtsein hervorgehe, so wird von den Nihilisten jene ihre andere Annahme abgeleugnet, und die ganze Welt auf den Kopf gestellt.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 354-356.
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