Vorwort
[zur ersten Auflage 1841]

Die in verschiedenen Arbeiten zerstreuten, meist nur gelegentlichen, aphoristischen und polemischen Gedanken des Verfassers über Religion und Christentum, Theologie und spekulative Religionsphilosophie findet der geneigte und ungeneigte Leser im vorliegenden Werke konzentriert, aber jetzt ausgebildet, durchgeführt, begründet – konserviert und reformiert, beschränkt und erweitert, gemäßigt und geschärft, je nachdem es eben sachgemäß und folglich notwendig war, aber keineswegs – wohlgemerkt! vollständig erschöpft, und zwar schon aus dem Grunde nicht, weil der Verfasser, abgeneigt allen nebulosen Allgemeinheiten, wie bei allen seinen Schriften so auch bei dieser nur ein ganz bestimmtes Thema verfolgte.

Vorliegendes Werk enthält die Elemente – wohlgemerkt! nur die und zwar kritischen Elemente zu einer Philosophie der positiven Religion oder Offenbarung, aber natürlich, wie sich im voraus erwarten läßt, einer Religionsphilosophie weder in dem kindisch-phantastischen Sinne unserer christlichen Mythologie, die sich jedes Ammenmärchen der Historie als Tatsache aufbinden läßt, noch in dem pedantischen Sinne unserer spekulativen Religionsphilosophie, welche, wie weiland die Scholastik, den Articulus fidei ohne weiteres als eine logisch-metaphysische Wahrheit demonstriert.

Die spekulative Religionsphilosophie opfert die Religion der Philosophie, die christliche Mythologie die Philosophie[1] der Religion auf, jene macht die Religion zu einem Spielball der spekulativen Willkür, diese die Vernunft zum Spielball eines phantastischen religiösen Materialismus, jene läßt die Religion nur sagen, was sie selbst gedacht und weit besser sagt, diese läßt die Religion anstatt der Vernunft reden, jene unfähig, aus sich herauszukommen, macht die Bilder der Religion zu ihren eigenen Gedanken, diese, unfähig, zu sich zu kommen, die Bilder zu Sachen.

Es versteht sich allerdings von selbst, daß Philosophie oder Religion im allgemeinen, d.h. abgesehen von ihrer spezifischen Differenz, identisch sind, daß, weil es ein und dasselbe Wesen ist, welches denkt und glaubt, auch die Bilder der Religion zugleich Gedanken und Sachen ausdrücken, ja, daß jede bestimmte Religion, jede Glaubensweise auch zugleich eine Denkweise ist, indem es völlig unmöglich ist, daß irgendein Mensch etwas glaubt, was wirklich wenigstens seinem Denk- und Vorstellungsvermögen widerspricht. So ist das Wunder dem Wundergläubigen nichts der Vernunft Widersprechendes, vielmehr etwas ganz Natürliches, als eine sich von selbst ergebende Folge der göttlichen Allmacht, die gleichfalls für ihn eine sehr natürliche Vorstellung ist. So ist dem Glauben die Auferstehung des Fleisches aus dem Grabe so klar, so natürlich als die Wiederkehr der Sonne nach ihrem Untergang, das Erwachen des Frühlings nach dem Winter, die Entstehung der Pflanze aus dem in die Erde gelegten Samen. Nur wann der Mensch nicht mehr in Harmonie mit seinem Glauben ist, fühlt und denkt, der Glaube also keine den Menschen mehr penetrierende Wahrheit ist, nur dann erst wird der Widerspruch des Glaubens, der Religion mit der Vernunft mit besonderm Nachdruck hervorgehoben. Allerdings erklärt auch der mit sich einige Glaube seine Gegenstände für unbegreiflich, für widersprechend der Vernunft; aber er unterscheidet zwischen christlicher und heidnischer, erleuchteter und natürlicher Vernunft. Ein Unterschied, der[2] übrigens nur soviel sagt: Dem Unglauben nur sind die Glaubensgegenstände vernunftwidrig; aber wer sie einmal glaubt, der ist von ihrer Wahrheit überzeugt, dem gelten sie selbst für die höchste Vernunft.

Aber auch inmitten dieser Harmonie zwischen dem christlichen oder religiösen Glauben und der christlichen oder religiösen Vernunft bleibt doch immer ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Glauben und der Vernunft übrig, weil auch der Glaube sich nicht der natürlichen Vernunft entäußern kann. Die natürliche Vernunft ist aber nichts andres als die Vernunft kat' exochên, die allgemeine Vernunft, die Vernunft mit allgemeinen Wahrheiten und Gesetzen; der christliche Glaube oder, was eins ist, die christliche Vernunft dagegen ist ein Inbegriff besonderer Wahrheiten, besonderer Privilegien und Exemtionen, also eine besondere Vernunft. Kürzer und schärfer: die Vernunft ist die Regel, der Glaube die Ausnahme von der Regel. Selbst in der besten Harmonie ist daher eine Kollision zwischen beiden unvermeidlich, denn die Spezialität des Glaubens und die Universalität der Vernunft decken sich, sättigen sich nicht vollkommen, sondern es bleibt ein Überschuß von freier Vernunft, welcher für sich selbst, im Widerspruch mit der an die Basis des Glaubens gebundenen Vernunft, wenigstens in besondern Momenten, empfunden wird. So wird die Differenz zwischen Glauben und Vernunft selbst zu einer psychologischen Tatsache.

Und nicht das, worin der Glaube mit der allgemeinen Vernunft übereinstimmt, begründet das Wesen des Glaubens, sondern das, wodurch er sich von ihr unterscheidet. Die Besonderheit ist die Würze des Glaubens – daher sein Inhalt selbst äußerlich schon gebunden ist an eine besondere, historische Zeit, einen besondern Ort, einen besondern Namen. Den Glauben mit der Vernunft identifizieren heißt den Glauben diluieren, seine Differenz auslöschen.[3] Wenn ich z.B. den Glauben an die Erbsünde nichts weiter aussagen lasse als dies, daß der Mensch von Natur nicht so sei, wie er sein soll, so lege ich ihm nur eine ganz allgemeine rationalistische Wahrheit in den Mund, eine Wahrheit, die jeder Mensch weiß, selbst der rohe Naturmensch noch bestätigt, wenn er auch nur mit einem Felle seine Scham bedeckt, denn was sagt er durch diese Bedeckung anders aus, als daß das menschliche Individuum von Natur nicht so ist, wie es sein soll. Freilich liegt auch der Erbsünde dieser allgemeine Gedanke zugrunde, aber das, was sie zu einem Glaubensobjekt, zu einer religiösen Wahrheit macht, dies ist gerade das Besondere, das Differente, das nicht mit der allgemeinen Vernunft Übereinstimmende.

Allerdings ist immer und notwendig das Verhältnis des Denkens zu den Gegenständen der Religion als ein sie be– und erleuchtendes, in den Augen der Religion oder wenigstens der Theologie ein sie diluierendes und destruierendes Verhältnis – so ist es auch die Aufgabe dieser Schrift, nachzuweisen, daß den übernatürlichen Mysterien der Religion ganz einfache, natürliche Wahrheiten zugrunde liegen –, aber es ist zugleich unerläßlich, die wesentliche Differenz der Philosophie und Religion stets festzuhalten, wenn man anders die Religion, nicht sich selbst expektorieren will. Die wesentliche Differenz der Religion von der Philosophie begründet aber das Bild. Die Religion ist wesentlich dramatisch. Gott selbst ist ein dramatisches, d.h. persönliches Wesen. Wer der Religion das Bild nimmt, der nimmt ihr die Sache, hat nur das Caput mortuum in Händen. Das Bild ist als Bild Sache.

Hier in dieser Schrift nun werden die Bilder der Religion weder zu Gedanken – wenigstens nicht in dem Sinne der spekulativen Religionsphilosophie – noch zu Sachen gemacht, sondern als Bilder betrachtet – d.h. die Theologie wird weder als eine mystische Pragmatologie wie von[4] der christlichen Mythologie noch als Ontologie wie von der spekulativen Religionsphilosophie, sondern als psychische Pathologie behandelt.

Die Methode, die aber der Verfasser hiebei befolgt, ist eine durchaus objektive – die Methode der analytischen Chemie. Daher werden überall, wo es nur nötig und möglich war, Dokumente, teils gleich unter dem Text, teils in einem besondern Anhange, angeführt, um die durch die Analyse gewonnenen Konklusionen zu legitimieren, d.h. als objektiv begründete zu erweisen. Findet man daher die Resultate seiner Methode auffallend, illegitim, so sei man so billig, die Schuld nicht auf ihn, sondern auf den Gegenstand zu schieben.

Daß der Verf. diese seine Zeugnisse aus dem Archiv längst vergangner Jahrhunderte herholt, das hat seine guten Gründe. Auch das Christentum hat seine klassischen Zeiten gehabt – und nur das Wahre, das Große, das Klassische ist würdig gedacht zu werden; das Unklassische gehört vor das Forum der Komik oder Satire. Um daher das Christentum als ein denkwürdiges Objekt fixieren zu können, mußte der Verf. von dem feigen, charakterlosen, komfortabeln, belletristischen, koketten, epikureischen Christentum der modernen Welt abstrahieren, sich zurückversetzen in Zeiten, wo die Braut Christi noch eine keusche, unbefleckte Jungfrau war, wo sie noch nicht in die Dornenkrone ihres himmlischen Bräutigams die Rosen und Myrten der heidnischen Venus einflocht, um über den Anblick des leidenden Gottes nicht in Ohnmacht zu versinken; wo sie zwar arm war an irdischen Schätzen, aber überreich und überglücklich im Genusse der Geheimnisse einer übernatürlichen Liebe.

Das moderne Christentum hat keine andern Zeugnisse mehr aufzuweisen als – Testimonia paupertatis. Was es allenfalls noch hat – das hat es nicht aus sich –, es lebt vom[5] Almosen vergangner Jahrhunderte. Wäre das moderne Christentum ein der philosophischen Kritik würdiger Gegenstand, so hätte sich der Verfasser die Mühe des Nachdenkens und Studiums, die ihm seine Schrift gekostet, ersparen können. Was nämlich in dieser Schrift sozusagen a priori bewiesen wird, daß das Geheimnis der Theologie die Anthropologie ist, das hat längst a posteriori die Geschichte der Theologie bewiesen und bestätigt. »Die Geschichte des Dogmas«, allgemeiner ausgedrückt: der Theologie überhaupt, ist die »Kritik des Dogmas«, der Theologie überhaupt. Die Theologie ist längst zur Anthropologie geworden. So hat die Geschichte realisiert, zu einem Gegenstande des Bewußtseins gemacht, was an sich – hierin ist die Methode Hegels vollkommen richtig, historisch begründet – das Wesen der Theologie war.

Obgleich aber »die unendliche Freiheit und Persönlichkeit« der modernen Welt sich also der christlichen Religion und Theologie bemeistert hat, daß der Unterschied zwischen dem produzierenden heiligen Geist der göttlichen Offenbarung und dem konsumierenden menschlichen Geist längst aufgehoben, der einst übernatürliche und übermenschliche Inhalt des Christentums längst völlig naturalisiert und anthropomorphosiert ist, so spukt doch immer noch unsrer Zeit und Theologie, infolge ihrer unentschiedenen Halbheit und Charakterlosigkeit, das übermenschliche und übernatürliche Wesen des alten Christentums wenigstens als ein Gespenst im Kopfe. Allein es wäre eine Aufgabe ohne alles philosophische Interesse gewesen, wenn der Verfasser den Beweis, daß dieses moderne Gespenst nur eine Illusion, eine Selbsttäuschung des Menschen ist, zum Ziele seiner Arbeit sich gesetzt hätte. Gespenster sind Schatten der Vergangenheit – notwendig führen sie uns auf die Frage zurück: Was war einst das Gespenst, als es noch ein Wesen von Fleisch und Blut war?[6]

Der Verf. muß jedoch den geneigten, insbesondere aber den ungeneigten Leser ersuchen, nicht außer acht zu lassen, daß er, wenn er aus der alten Zeit herausschreibt, darum noch nicht in der alten, sondern in der neuen Zeit und für die neue Zeit schreibt, daß er also das moderne Gespenst nicht außer Augen läßt, während er sein ursprüngliches Wesen betrachtet, daß überhaupt zwar der Inhalt dieser Schrift ein pathologischer oder physiologischer, aber doch ihr Zweck zugleich ein therapeutischer oder praktischer ist.

Dieser Zweck ist – Beförderung der pneumatischen Wasserheilkunde – Belehrung über den Gebrauch und Nutzen des kalten Wassers der natürlichen Vernunft –, Wiederherstellung der alten einfachen jonischen Hydrologie auf dem Gebiete der spekulativen Philosophie, zunächst auf dem der spekulativen Religionsphilosophie. Die alte jonische, insbesondere Thalessche Lehre lautet aber bekanntlich in ihrer ursprünglichen Gestalt also: Das Wasser ist der Ursprung aller Dinge und Wesen, folglich auch der Götter; denn der Geist oder Gott, welcher nach Cicero dem Wasser bei der Geburt der Dinge als ein besonderes Wesen assistiert, ist offenbar nur ein Zusatz des spätern heidnischen Theismus.

Nicht widerspricht das sokratische Gnôthi sauton, welches das wahre Epigramm und Thema dieser Schrift ist, dem einfachen Naturelement der jonischen Weltweisheit, wenn es wenigstens wahrhaft erfaßt wird. Das Wasser ist nämlich nicht nur ein physisches Zeugungs- und Nahrungsmittel, wofür es allein der alten beschränkten Hydrologie galt; es ist auch ein sehr probates psychisches und optisches Remedium. Kaltes Wasser macht klare Augen. Und welche Wonne ist es, auch nur zu blicken in klares Wasser! Wie seelquickend, wie geisterleuchtend so ein optisches Wasserbad! Wohl zieht uns[7] das Wasser mit magischem Reize zu sich hinab in die Tiefe der Natur, aber es spiegelt auch dem Menschen sein eignes Bild zurück. Das Wasser ist das Ebenbild des Selbstbewußtseins, das Ebenbild des menschlichen Auges – das Wasser der natürliche Spiegel des Menschen. Im Wasser entledigt sich ungescheut der Mensch aller mystischen Umhüllungen; dem Wasser vertraut er sich in seiner wahren, seiner nackten Gestalt an; im Wasser verschwinden alle supranaturalistischen Illusionen. So erlosch auch einst in dem Wasser der jonischen Naturphilosophie die Fackel der heidnischen Astrotheologie.

Hierin eben liegt die wunderbare Heilkraft des Wassers – hierin die Wohltätigkeit und Notwendigkeit der pneumatischen Wasserheilkunst, namentlich für so ein wasserscheues, sich selbst betörendes, sich selbst verweichlichendes Geschlecht, wie großenteils das gegenwärtige ist.

Fern sei es jedoch von uns, über das Wasser, das helle, sonnenklare Wasser der natürlichen Vernunft uns Illusionen zu machen, mit dem Antidotum des Supranaturalismus selbst wieder supranaturalistische Vorstellungen zu verbinden. Ariston hydôr, allerdings; aber auch ariston metron. Auch die Kraft des Wassers ist eine in sich selbst begrenzte, in Maß und Ziel gesetzte Kraft. Auch für das Wasser gibt es unheilbare Krankheiten. So ist vor allem inkurabel die Venerie, die Lustseuche der modernen Frömmler, Dichtler und Schöngeistler, welche, den Wert der Dinge nur nach ihrem poetischen Reize bemessend, so ehr- und schamlos sind, daß sie selbst auch die als Illusion erkannte Illusion, weil sie schön und wohltätig sei, in Schutz nehmen, so wesen- und wahrheitslos, daß sie nicht einmal mehr fühlen, daß eine Illusion nur so lange schön ist, solange sie für keine Illusion, sondern für Wahrheit gilt. Doch an solche grundeitle, lustsüchtige Subjekte wendet sich auch nicht der pneumatische Wasserheilkünstler. Nur wer den[8] schlichten Geist der Wahrheit höher schätzt als den gleisnerischen Schöngeist der Lüge, nur wer die Wahrheit schön, die Lüge aber häßlich findet, nur der ist würdig und fähig, die heilige Wassertaufe zu empfangen.

Quelle:
Ludwig Feuerbach: Das Wesen des Christentums. Band 2, Berlin 1956., S. 1-9.
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