§ 30.

[78] Der Standpunct und das Resultat der letzten, das absolute Wissen ausmachenden Reflexion war eine Bestimmtheit der Freiheit, als eines Quantitirens, durch das absolute Seyn oder Denken (§ 29, 4. a – c.). Wohlgemerkt: eines Quantitirens überhaupt, keinesweges noch etwa des Setzens eines bestimmten Quantums. Auf dieses, so hingestellt und festgehalten, muss wiederum reflectirt werden, durchaus und ganz nach Analogie der obigen Reflexionen. Wie das absolute Wissen aus sich herausging und sich vor sich hinstellte, in seiner Reflexionsform, einer Wechselwirkung von Substantialität und Accidentalität; eben also auch hier.

Noch dies ist zu bemerken: Diese Reflexion ist, wie wir gesehen haben, ein Vielfaches, wenn sie sich selbst nach ihren Bestandtheilen, die sodann kein Wissen, sondern nur die nothwendigen Bestandtheile des Wissens sind, betrachtet; als Wissen aber ist sie einfach, und eben der letzte Endpunct alles Wissens. In dieser Reihe gehen wir nun herab, um eben Standpuncte des Wissens aufzufinden, die in sich wieder ebenso mannigfaltig sind. Es ist dabei stets auf deren bestimmten Charakter zu merken.

Nun drücken wir uns hier so aus: es muss reflectirt werden, während wir oben sagten, es wird schlechthin reflectirt.[78] Dieses muss ist ein bedingtes; seine Bedeutung ist, wenn es überhaupt zu einem Wissen kommen soll, müsse reflectirt worden seyn. Da aber das Wissen in seiner höchsten absoluten Ansicht zufällig ist, so muss es nicht eben zu einem Wissen kommen, und die aufgestellte Nothwendigkeit ist nur die bedingte.

Doch haben wir eben deshalb die bedingte Nothwendigkeit dieser und aller anderen Reflexionen, die wir noch aufzeigen werden, zu erweisen, die Reflexion schlechthin zu deduciren.

Wir gehen an diese Deduction. Das aufgestellte Wissen ist das Wissen von einer Bestimmtheit des Quantitirens. Dies aber ist nicht möglich, wenn nicht das Quantitiren seiner Agilität und Beweglichkeit nach, wie es oben (§ 29, 4, e.) beschrieben worden ist, vollzogen wird, und in diesem der Focus des Wissens liegt: – wohlgemerkt, das Quantitiren, als solches, seiner Form nach, durchaus noch kein bestimmtes. Das Quantitiren nur als formales ist innerlich für sich. Woher sollte denn die Bestimmtheit kommen! Auch oben wird sie nur der Form nach gedacht.

Dies nun wäre der Grundcharakter der neuen Reflexion. Gehen wir jetzt zur Darstellung dieser Reflexion und zwar sogleich in ihren Centralpunct hinein. – Der Act ist, wie gesagt, ein freies Quantitiren, das da innerlich für sich ist, zugleich aber auf sich reflectirt, als gebunden und bestimmt durch das absolute Seyn. Die Disjunction liegt klar da: es ist der Gegensatz der Gebundenheit und Freiheit (des Quantitirens nemlich, als solchen): die erstere soll idealiter von der letzteren, die letztere soll realiter von der ersteren abhängen. – Soviel über diesen Punct.

Wir gehen sogleich nun zur Vereinigung jener Disjunction. Nur inwiefern die Freiheit des Quantitirens innerlich vollzogen wird, d. i. sich anschaut, kann sie in ein fixirendes Denken gefasst werden. Das Denken, und was daraus folgt, ist idealiter abhängig von der Anschauung. Umgekehrt, nur inwiefern dem reinen Seyn untergeordnet ist, findet laut dem Obigen sei und das von ihr unabtrennliche Quantitiren und die Anschauung[79] desselben statt. Nur inwiefern sie nicht ist, also das reine Seyn ist, und ihr Nichtseyn ihrem Seyn vorausgesetzt wird, ist sie ein absolutes Entspringen. Realiter also ist die Anschauung des Quantitirens abhängig vom absoluten Seyn und der Bestimmung, der Freiheit dadurch. In dieser geschlossenen Wechselwirkung, diesem Schweben zwischen dem Idealen und Realen (in dieser innigen Durchdringung von Anschauung und Denken) und in der Einheit beider, die unmittelbar kein Object des Wissens, sondern das Wissen selbst ist, schwebt nun auch diese, wie jede Reflexion, nach ihrem specifischen Charakter versteht sich, als Reflexion der Freiheit des Quantitirens.

Jetzt zu den Nebengliedern:

1) Die Freiheit des Quantitirens denkt sich. Erleichtern wir uns das Verständniss durch Erinnerung an den Begriff der Causalität aus der oberen Synthesis. Dort war die Freiheit, als Grund, dasjenige, wohindurch das Quantum (wenn eines wäre und gesetzt werden sollte), seiner Bestimmtheit nach, erblickt wurde. Es war so realiter bestimmt, weil die Freiheit es so gemacht hatte, und wurde erblickt (idealiter), weil die Freiheit, als sich über und in demselben haltend, erblickt wurde. Dieses Denken aber (dies ist die entscheidende Betrachtung) ist kein reines, ursprüngliches, sondern ein synthesirendes, vereinigendes, reflectirendes, und die Freiheit wurde in ihm immer in der factischen Form der Bestimmtheit (aber nur Form) gesetzt. Dieselbe wird hier rein und absolut gedacht, heisst: sie wird, in der höchsten Allgemeinheit, als absoluter, ewiger, unveränderlicher Grund aller möglichen Quantität gedacht, die da nur gedacht werden kann. (Der Sinn lässt sich leicht klar machen: sein Ausdruck ist der allgemeine Satz, der von der Wissenschaftslehre schon oft geäussert worden ist, der aber hier in das wirkliche Wissenssystem eingeführt wird: schlechthin nur die Freiheit (ob factisch oder nicht, wird hier noch nicht entschieden) ist der Grund aller möglichen Quantität. Uns aber kommt es auf die Einsicht in die Abstammung und in den Zusammenhang an (wie dieser Punct denn auch von den wichtigsten Folgen ist): daher noch einige Worte darüber.

In der gewöhnlichen Ansicht verhält das hier zu erörternde[80] Denken sich zu dem vorigen, wie der allgemeine abstracte Satz zu den concreten: dort wird irgend eine Bestimmung der Freiheit gesetzt, als Grund irgend eines bestimmten Quantums; hier die Freiheit schlechthin ihrer blossen Form nach als einzig möglicher Grund aller Quanten. Dort Anwendung des Causalitätsbegriffes, hier der eigene Grund desselben. Nun wissen wir wohl, dass diese gewöhnliche Ansicht grundfalsch und verkehrend ist, dass beide Glieder einander setzen und es Abstractionen in dem gewöhnlichen Sinne gar nicht giebt. – Im oberen Gliede war die Freiheit formal, seyn könnend oder auch nicht. Hier ist sie, wie in der ganzen Reflexion, positiv gesetzt, und ist material bestimmt, eben als quantitirend, und als das einzige Quantitirende. – Der Grund dieser Einzigkeit, Absolutheit, Allgemeinheit ist selbst absolut, das reine, auf sich selbst ruhende, in sich unveränderliche und daher eine Unveränderlichkeit aussagende Denken. Die Freiheit wird so sub stantialisirt und jede mögliche ihrer quantitativen Bestimmungen wird ein Accidens, indem eben das freie Quantitiren das Mittelglied beider ist.

2) Zum zweiten Gliede. Wie wir in der ersten Synthesis bei Darstellung der absoluten Substantialität argumentirten: es könne nicht gedacht werden, ohne dass angeschaut sei, so hier: die Freiheit des Quantitirens kann nicht gedacht werden, ohne dass sie angeschaut worden, also ohne dass ein Quantitiren sey als schon vorhanden gefunden werde. Alles Denken der Freiheit, als Grund aller Quantität, setzt wieder eine Quantität, von der man nicht sagen kann, sie werde innerhalb des Bewusstseyn mit (factischer) Freiheit vollzogen (denn hier erst geht das Bewusstseyn an), sondern die jenseits alles Bewusstseyns, in seinem Nichtseyn, liegt, und im Bewusstseyn nur gedacht wird, als begründet durch die – eben darum nicht factische – Freiheit.3 Wo das Bewusstseyn anhebt, ist dieses Quantitiren schon, nicht als ein gemachtes, sondern als ein im Bewusstseyn vorgefundenes,[81] seyendes, – wovon wir hier nichts weiter sagen wollen, als dass es nur die Sphäre künftiger möglicher Acte der Freiheit innerhalb des Bewusstseyns – der als solcher sich setzenden und sich kennenden Freiheit seyn möchte. Nur inwiefern das anschauende Bewusstseyn – und ohne Anschauung ist ja überall kein Bewusstseyn – in sich selbst aus sich selbst herausgeht, sich denkt und sich als absolut frei denkt, bezieht es diese Anschauung auf die Freiheit, als ihren einzig möglichen (nicht factisch erkennbaren, sondern denkbaren) Grund. Nur enthalte man sich, über die Weise dieses Grundseyns Etwas abzusprechen. Sie ist uns hier noch unbekannt, und es soll durchaus Nichts gedacht werden, als das Gesagte.

Indem ich nur noch, um doch Sie Etwas denken zu lassen, hinzusetze, was ich unbedenklich hinzusetzen kann, dass diese letztere Ansicht Grund einer Natur (was man Natur nennt, der absoluten, in allem Wissen und vor allem Wissen vorausgesetzten) sey, gehe ich sogleich zu folgenden weiteren Betrachtungen;

3

Für eine einstige Nacharbeitung: es muss genau nachgewiesen werden und sich genau nachweisen, dass selbst die Quantität Nichts ist, als das Fürsich der formalen Freiheit, des Seynkönnens oder auch nicht: der Zufälligkeit. [Randbemerkung]

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 2, Berlin 1845/1846, S. 78-82.
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