§ 40.

[124] Umfassen wir nun, nach Schilderung des formellen Charakters der Wahrnehmung, die ganze Synthesis kunstmässig Ihr innerer Mittelpunct – Focus des Wissens – ist, der Form nach, ein materiales Gefühl (§ 39, 6.). Dieses ist im Denken (keinesweges in der unmittelbaren Wahrnehmung, wie daher vorläufig nur wir noch wissen, keinesweges aber es selbst weiss,) Aeusserung der absoluten Kraft des Ich. Die letztere ist Substanz des Ich, sein eigenstes innerstes Wesen, in welchem das Wissen ewig ruht: die Aeusserung ist Accidens, aber nur formaliter, seyn könnend überhaupt, oder auch nicht, wenn sie aber ist, durchaus nothwendig diejenige seyend, welche sie ist, denn sie ist bestimmt durch das unveränderliche Verhältniss zum Universum. – a) Es tritt hier durchaus dieselbe synthetische Form ein, wie in der höchsten Synthesis der Substantialität: wie sich verhält das Eine Wissen zum absoluten Seyn, als formales Accidens desselben (§ 28.), so verhält sich das individuelle Wissen zum Seyn der Individualität, welche selbst ja Nichts ist, als das in unbestimmbar vielen Durchdringungspuncten[124] factisch sich findende Seyn des Einen Wissens selbst. b) Die Kraft, sagte ich, ist das Substantielle des Ich; sie ist immer, die Aeusserung möge seyn, oder auch nicht, – nicht etwa an sich, denn wenn nicht alles Dieses ist, so ist kein Wissen, – sondern nur nachdem das Wissen zu Stande gekommen ist und sich denkt, ist die Kraft jeder bestimmten (seyn oder auch nicht seyn könnenden). Aeusserung vorauszusetzen. c) Die ganze Synthesis ist im Denken, daher nur durch Freiheit zu Stande gebracht. Das wirkliche Wissen kann seyn, ohne dass dieses Denken wäre. Das Wissen selbst ruht im Gefühle, und dies ist der erste absolute Punct, der da seyn muss, wenn ein wirkliches Wissen seyn soll.

Das materiale Gefühl ist für das sich zu einem Momente verschliessende und darin sich ergreifende Wissen (welches, insofern es quantitatibel ist, ins Unendliche zur Klarheit sich steigern kann, § 39, 7.) – ein blosses, reines Seyn – des Ich im unmittelbaren Gefühle, – des Universums in der Anschauung. – Man bemerke diesen letzten Punct: er ist zwar durch alles Bisherige hinlänglich begründet und erklärt; seine Wichtigkeit aber verdient schon einige Worte. In der Anschauung verliert bekanntlich das Anschauende Sich, es ist daher in ihr durchaus kein Ich, ohnerachtet der Anschauung: erst im Gefühle fasst es sich in der Form des Denkens. Nun liegt das Bewusstseyn weder in dem einen, noch in dem anderen, sondern in beiden. Wenn daher das materiale Gefühl (roth, sauer, u. dgl.) betrachtet wird, von der einen Seite als Affection des Ich, von der anderen als Qualität des Dinges; so ist diese Duplicität schon eine Folge der spaltenden Reflexion. Im eigentlichen, durch keine Reflexion zu erreichenden Wissen ist es weder das eine, noch das andere, sondern beides, aber beides unzertrennlich und noch unterschiedlos, und zufolge dieser absoluten Identität muss auch die unterscheidende Reflexion beides als unzertrennlich setzen. Kein Subjectives Gefühl, ohne objective Qualität, und umgekehrt. (Der Strenge nach wird daher nicht das Innere herausgetragen auf das Object, wie der transcendentale Idealismus im Streite mit dem Dogmatismus sich wohl ausgedrückt hat, noch das Objective kommt herein[125] in das Gemüth sondern beides ist eben durchaus Eins: das Gemüth, objectiv und fühlbar genommen, ist nichts Anderes, denn die Welt selbst, und die Welt, mit der wir es hier zu thun haben, ist nichts Anderes, denn das Gemüth selbst.)

Die Anschauung, mit der wir hier zu thun haben, ist ein Construiren des Raumes = Materie. Mit der Materie sonach wird das Gefühl, als Qualität, verschmolzen, mit einer Materie im festen, ewig stehenden Raume, von der, in welcher ich lebe (meinem Leibe), ausgeschlossen; denn hier wird wahrgenommen; meine Materialität aber nehme ich nicht wahr, sondern denke sie nur als den terminus a quo aller Wahrnehmung. (Hier wird wiederum klar, warum kein Individuum Etwas ausser sieh mit sich selbst verwechseln kann; denn das Wahrgenommene liegt immer ausser ihm.) Aber es ist ein Construiren mit einem Quantum der Materie, da die Unendlichkeit durch die Form des Denkens zur Einheit geschlossen werden muss. So ist hier Materie der Träger der qualitativen Eigenschaft und diese ihr Accidens.

(Es giebt in dem Wissen eine Menge Stellen, wo man den Dogmatismus gänzlich widerlegen, den Idealismus greiflich beweisen kann. Hier ist eine der Art. Soll die Materie durchaus empfindbar, auch in ihrem Inneren, seyn? Offenbar nehme ich dies an. Woher weiss ich nun dies? Durch besondere Wahrnehmung nicht; also durch das Gesetz der Wahrnehmung überhaupt. Ich muss wohl die Materie sogleich in meinem Wissen mit dem Gedanken des Empfindbaren durchdrungen haben, diesem als beständiges Substrat unterlegen. Sie ist daher ein Begriff, und beruht auf dem Denken eines Verhältnisses.)

Dies zur Charakteristik der Anschauung in Bezug auf Raum und Materie; – jetzt dasselbe in Hinsicht auf die Zeit.

Die Kraft des Ich äussert sich nur in einer absolut bestimmten Zeitreihe, bestimmt nemlich durch den Grundcharakter der Zeit, nur eine einseitig bedingende Reihe von Momenten zuzulassen. Offenbar ist jedes neue Moment ein neuer, vorher durchaus nicht gekannter Charakter der bestimmten Kraft; die Kraft, als eine bestimmte, kommt daher nur im Verlaufe[126] der Zeit zum Bewusstseyn, immer mehr und klarer; und ganz klar würde sie erkannt nur durch die Vollendung der unendlichen Zeit, welches real unmöglich, ist, hier aber schematisirend wohl gedacht werden kann. Der Inhalt aller Momente der Lebensdauer ist sonach bestimmt durch den Grundcharakter der Kraft, und ihre Folge, wie gesagt, durch die Aufklärung des Wissens von diesem Charakter. Eine solche Zeit liegt daher in einem solchen Seyn, das da unmittelbar von sich weiss. Ein anderes Seyn, wenn es möglich wäre, würde einen anderen Zeitinhalt, und eine andere Zeitfolge geben. Nur im reinen Denken wird das Seyn in einen Punct zusammengedrängt, im empirischen Wissen erhält es einen Zeitcharakter, der als solcher durchaus und unwiederbringlich bestimmt ist. In aller möglichen Zeit daher liegt das einzig mögliche wahre, nur sich selbst noch nicht völlig klar gewordene, sondern durch einen Grad der Klarheit tragende Seyn (vgl. § 39, 7.); in jedem Momente mit dem Grade der Klarheit, der im Systeme der vorhergegangenen und ins Unendliche noch bevorstehenden Zeit möglich und darum nothwendig ist.

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 2, Berlin 1845/1846, S. 124-127.
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