Zwölfte Vorlesung

[171] [Wie der Staat in Mittelasien entstanden sey, und in Griechenland und Rom zur Gleichheit des, Rechts Aller, als seiner zweiten Grundform, sich heraufgebildet habe. Vereinigung aller vorhandenen Cultur zu Einem Staate im römischen Reiche.]


Ehrwürdige Versammlung!


Um die Lösung unseres eigentlichen Problems: auf welcher Stufe seiner Ausbildung der Staat in unserem Zeitalter stehe? – vorzubereiten, ist in den beiden vorigen Reden überhaupt im allgemeinen, und lediglich philosophirend gezeigt worden, was der Staat seiner Form so wie seinem Materiale nach sey; auch durch welche Stufen und Mittelglieder hindurch er allmählig zu seiner Vollkommenheit vorwärtsschreite. Diese Schilderung konnte nicht anders, als trocken seyn, und nur in Beziehung auf ihren Zweck, – das Nachfolgende verständlich zu machen, ein Interesse haben. Jetzt haben wir dieses allgemeine Gemälde durch Erinnerung an wirkliche Begebenheiten zu beleben: alles in der Absicht, um Sie dadurch zu leiten, dass Sie selber entdecken, was denn eigentlich in der Einrichtung und Verwaltung der gegenwärtigen Staaten neu sey und vorher nie dagewesen, und worin somit der politische Charakter unseres Zeitalters vor allen anderen Zeitaltern bestehe. Ueber unsere Ansicht und Behandlungsart der Geschichte haben wir schon früher in einer eigenen Rede uns sattsam erklärt: aus welcher Rede wir hier nur dieses Eine wiederum in Erinnerung zu bringen für nöthig finden, dass unsere Bemerkungen über die Geschichte keinesweges selbst historische Behauptungen zu seyn begehren, sondern sich bescheiden bloss Fragen und Aufgaben zu stellen an die wirklich historische Untersuchung. Als neue Beschränkung, setzen wir nur noch hinzu, dass wir uns lediglich an den einfachen, rein bis zu uns herablaufenden Faden der Cultur halten werden; fragend eigentlich nur unsere Geschichte, die des cultivirten Europas, als des dermaligen Reiches der Cultur, liegenlassend andere Nebenzweige, die freilich von einer gemeinsamen Quelle mit uns ausgegangen[171] seyn mögen, die aber dermalen nicht wieder zum gemeinschaftlichen Ursprunge zurückgekehrt und auf uns unmittelbar eingeflossen sind, z.B. die Nebenzweige der chinesischen und indischen Cultur.

Als der erste Anfang aller Staatsverbindung wurde angegeben die Begebenheit, da zuerst Freie dem Willen anderer Freien bis auf einen gewissen Grad und in einer gewissen Rücksicht unterworfen wurden. Wie und auf welche Weise hat es nun je auch nur zu dieser Unterwerfung kommen können? ist die erste Frage, die sich hierbei uns aufdrängt. Diese Frage hängt zusammen mit der über die Entstehung der Ungleichheit unter den Menschen, welche in unserem Zeitalter so berühmt geworden, und die wir keinesweges so lösen werden, wie sie ein besonders dadurch sehr berühmt gewordener Schriftsteller gelöset hat.

Nach unserem früher aufgestellten und in der strengen Philosophie scharf zu erweisenden Systeme gab es gleich ursprünglich die höchstmöglichste Ungleichheit unter den Menschen: zwischen dem als reinem Abdrucke der Vernunft durch sein blosses Daseyn existirenden Normalvolke, und den wilden und rohen Stämmen. Auf welche Weise diese beiden Grundingredientien unseres Menschengeschlechtes zuerst gemischt worden, darüber wolle man in keiner Geschichte Nachricht suchen; denn die Existenz einer Geschichte setzt die Mischung schon als geschehen voraus. Im Zustande dieser Mischung erhält selbst der der Urcultur theilhaftige Abkömmling des Normalvolkes die Anforderung und Aufgabe einer ganz neuen, und in jener ersten Cultur nicht nothwendig liegenden Cultivirung; nemlich, der Ausbildung der Fähigkeit, seine Cultur mitzutheilen, und sich Einfluss und mächtige Wirksamkeit zu verschaffen. Es folgt gar nicht, dass alle solche Abkömmlinge in dieser ganz neuen Kunst die gleichen Fortschritte machen, oder auch nur alle derselben fähig seyn werden; sondern jeder Einzelne wird, wie es sein individueller Charakter mit sich bringt, diese Kunst in sich entwickeln: es folgt ebensowenig, dass diejenigen, welche hier zurückbleiben und ihrer Unschuld und Unbefangenheit sich nicht so leicht erledigen können, deswegen[172] schlechter sind als jene andere, denen es leicht wird, in die Krümmungen und Irrwege verdorbener Stämme hineinzugehen oder Gewalt gegen sie zu gebrauchen; aber das folgt, dass die letzteren, und keinesweges die ersteren, rathen, leiten und herrschen werden, – sogar mit dem guten Willen der ersteren, die ihnen, bei der einmal vorhandenen Lage der Dinge, dieses Vorrecht nicht beneiden, und sich selbst in die Stille und Verborgenheit zurückziehen.

Es kommt hierzu noch ein äusserer, unseres Erachtens in der Geschichte höchst wichtiger Umstand: der Besitz der Metalle und der Kunst ihrer zweckmässigsten Anwendung; – der Metalle, sage ich, und ersuche dabei doch ja nicht an Geld zu denken. Wie die Kenntniss dieser Metalle zuerst entstanden, und wie dieselben aus dem Schoosse der Erde hervor und in die wohl nicht zu erwartende neue Gestalt, die sie durch die Kunst annehmen, übergegangen seyen, darüber hat unseres Erachtens keine Geschichte in Nachdenken sich zu ermüden; jene Kenntniss war ohne Zweifel eher als alle Geschichte, und so lange als die Welt ein Besitz des Normalvolkes: welchen Besitz nur, nach der geschehenen Vermischung der Geschicktere ganz anders zu gebrauchen wusste, als der Unbefangene. Welchen Werth diese Metalle durch ihre Dauerhaftigkeit, durch ihre Zweckmässigkeit, die schwache menschliche Kraft zu bewaffnen, – durch ihre Verborgenheit erhalten mussten; und besonders, welche Furchtbarkeit in den Händen dessen, der sie zuerst in tödtende Waffen umwandelte, leuchtet von selbst ein. Sind doch Metalle vom Beginn der Geschichte an die allgemein gesuchte Waare; sind sie doch bis diesen Tag das Kostbarste, was die Gesitteten den Wilden bringen können; ist doch die Vervollkommnung der Waffen und die Verfertigung zweckmässiger oder neuer Mordwerkzeuge aus Metallen das wahrhaft entwickelnde Princip unserer ganzen Geschichte!

Vermittelst dieser beiden aufgestellten Principien konnte nun in den Ländern, durch welche zuerst das Normalvolk zerstreut wurde, – fürs erste noch unvermischt mit den Wilden, obwohl von ihnen umgeben, – die Unterwerfung der Einwohner unter Einen oder wenige Anführer entstehen. Wären sie[173] auch anfangs lediglich zum Kriegführen, mit dargebotenen Waffen gegen die wilden Thiere oder wilde, den Zwecken der Cultur noch nicht unterworfene Menschen, vereinigt worden; die Vereinigung blieb auf den Fall, dass das Bedürfniss eines solchen Krieges wiederum eintrete. Der Regent hatte nicht nöthig, für die Erhaltung der Unterworfenen sonderliche Sorge zu tragen; diese, selber vom Stamme der Cultur entsprossen, konnten, wenn sie nur äusserlichen Frieden hatten, durch sich selbst bestehen: er hatte ebensowenig nöthig, ihre Kraft und Arbeit sehr in Anspruch zu nehmen, da die Verbindung nur einen vorübergehenden und leicht zu erreichenden Zweck hatte. – Bald wurde dieses einfache Verhältniss mannigfaltiger. Seine Fähigkeit, andere zu lenken, zu documentiren; besonders sie durch wirkliche Beherrschung anderer zu documentiren, wurde ein Gegenstand des Ehrgeizes: und sowie die zuerst willig sich Unterwerfenden ihre Fähigkeit mehr entwickelten, mussten sie ihre Beherrschung durch andere mit neidischen Augen anzusehen anfangen. So rissen sich durch gemeinschaftliche Abstammung und Wohnsitze vereinigte Völkerschaften los vom Ganzen, und errangen auch wohl, wenn es ihnen glückte, selber die Herrschaft über das Ganze.

Auf diese Weise hat unseres Erachtens in dem mittleren Asien, als der Wiege des Menschengeschlechtes für die Geschichte, der Staat begonnen. Wohl mag der erste, der in diesem Welttheile den Willen Freier dem seinigen unterwarf, nach dem Ausdrucke einer bekannten Urkunde, ein gewaltiger Jäger gewesen seyn; nur dass die einmal zusammengebrachte Menge hinterher noch zu anderen Zwecken, als zu denen der Jagd gebraucht wurde. Später treten Assyrer, Meder, Perser auf, – und welcher anderer Völkerschaften Namen noch verloren seyn mögen, und bemächtigen sich nacheinander der Oberherrschaft über ihre vorherigen Beherrscher, sowie über die Mitbeherrschten. Von diesen herrschenden Stämmen allein und derselben Oberhäuptern redet die Geschichte; von den Unterworfenen, und welche nie zur Oberherrschaft gekommen, ihren Kenntnissen, ihren häuslichen Verhältnissen, ihren Sitten, ihrer Cultur, schweigt sie: ihr Leben fliesst verborgen und von[174] der Staatsgeschichte ganz unbeachtet dahin. Dass aber dieselben im wesentlichen keinesweges schlechter als ihre Herrscher, sondern wahrscheinlich weit vorzüglicher gewesen seyn mögen, beweiset die Culturgeschichte der Juden, welche erst während ihrer Zerstreuung in diesen Ländern ihres früheren rohen Aberglaubens erlediget und zu besseren Begriffen über Gott und die Geisterwelt erhoben wurden; ferner die der Griechen, welche das Erhabenste in ihrer Philosophie aus denselben Ländern erhalten zu haben bekennen; endlich die Geschichte des Christenthums, welches nach einer früher gemachten Bemerkung, sich selbst asiatischen, nichtjüdischen Ursprung zuschreibt. Auf die herrschenden Stämme fiel denn auch in jenem Reiche der grösste Antheil an den öffentlichen Unternehmungen, eben so wie die Ehre derselben; die Mitglieder der beherrschten Völker waren in der Regel ausgeschlossen von allem Antheil an der Regierung; aber es fehlte auch viel, dass die Regierung alle Kräfte der von ihr Beherrschten auch nur gekannt, und noch weit mehr, dass sie dieselben ohne Rückhalt und Schonung für ihre Zwecke in Anspruch genommen hätte. Dass der sogenannte grosse König der Perser, Beherrscher dieses ungeheueren Landstriches und unzählbarer Nationen bei alle dem doch ziemlich unbeholfen gewesen, beweiset die Reihe von Jahren, deren diese Könige bedurften, um ihre Rüstung gegen Griechenland zu vollenden: und noch mehr der beschämende Erfolg des Feldzuges.

Diese Verfassung war unseres Erachtens der erste Anfang des Staates: Unterwerfung freier Völker, – und für gewisse Zwecke eines herrschenden Volkes, – doch nicht vollständige und nach irgend einer Regel einhergehende Unterwerfung, sondern wie Bedürfniss, Leichtigkeit es zu nehmen, und ohngefähre Gegenwart eines Satrapen oder Bassen, es an die Hand gaben; – übrigens bei vollkommener Freiheit, allenfalls auch bei Anarchie der Unterthanen, in ihren übrigen Handlungen: mit einem Worte: Despotie, – deren Wesen keinesweges in der Grausamkeit der Behandlung, sondern nur darin besteht, dass ein herrschender Völkerstamm vorhanden, die beherrschten Völker von der Verwaltung ausgeschlossen, und in Rücksicht[175] der Weise ihrer Subsistenz ganz sich selber überlassen seyen; und dass in der Zuziehung derselben zu den Lasten der Verbindung, sowie in der Verwaltung der Polizei und der Civilgesetzgebung, nur Laune, keinesweges Regel herrsche, und was daraus folgt, nirgends ein bestehendes Gesetz sey: Despotie, – so wie diese Verfassung noch in Europa am türkischen Reiche dem Auge des Beobachters daliegt: welches Reich, bei allem Fortschritte des Staates um dasselbe herum, noch bis diesen Augenblick in der allerältesten Epoche der Staatsentwickelung steht.

Einem anderen Zwecke entgegenstrebend begann der Staat in Europa: – ursprünglich wohl nur dem Sitze der Wildheit. Nicht ganze Massen von Abkömmlingen des Normalvolkes vermischten sich hier, sondern nur wenige, aus dem Reiche der in Asien schon begonnenen Cultur vielleicht mit geringem Gefolge vertrieben, und ohne Hoffnung der Rückkehr: wobei ich nur an die Namen Cekrops, Kadmus, Pelops, und wie mancher Name noch untergegangen seyn mag, erinnern will. Mit allen Künsten und Wissenschaften der damaligen alten Welt im Oriente, mit unverarbeitetem Metall, mit Waffen und Ackergeräth, vielleicht mit brauchbaren Sämereien, Pflanzen und Hausthieren versehen, treten sie zunächst an des nachmaligen Griechenlands Küste, unter blöde Wilde, die mit Mühe ihre Existenz durchbrachten, die des Menschenfressens vielleicht noch nicht, der Menschenopfer selbst nach historischen Nachrichten sicherlich noch nicht sich entwöhnt hatten; – nur mit besseren Gesinnungen, übrigens auf dieselbe Weise, wie noch bis an diesen Tag eine englische Colonie unter den Neuseeländern einen bleibenden Wohnsitz nehmen könnte. Durch Geschenke, durch Mittheilung mannigfaltiger Vortheile und Ackerwerkzeuge zur Gewinnung des Unterhaltes, durch Aufbewahrung von Nahrungsmitteln für alle, von einer Erndte zur anderen, zogen sie diese Wilden an sich und versammelten sie um sich her, erbauten durch sie Städte und hielten in diesen sie zusammen, führten menschlichere Sitten ein und dauernde Gewohnheiten, die allmählig zu Gesetzen wurden; und wurden so unvermerkt ihre Regenten. Da diese fremden Abkömmlinge mit ihren Familien[176] allein oder doch nur schwach begleitet ankamen, so konnten sie keine sehr grossen Haufen übersehen und um sich vereinigen; überdies kamen von Zeit zu Zeit andere ihresgleichen, welche in anderen Gegenden auf dieselbe Weise Staaten errichteten; und so geschah es, dass in diesem zuerst cultivirten Erdstriche von Europa nicht, wie in Asien, ein grosses und ausgebreitetes Reich, sondern mehrere kleinere Staaten nebeneinander entstanden. Der Krieg gegen die in ihren Bezirken noch herumstreifenden und ihre Zwecke störenden Wilden konnte nicht ausbleiben: was sich nicht hinausdrängen liess, wurde in die Knechtschaft gebracht; und so mag in diesem Erdtheile die Sklaverei entstanden seyn.

Die freien Unterthanen dieser neuen Staaten, – gleich vom Anfange an gütig behandelt, und hinterher sorgfältig unterrichtet und ausgebildet; unter der Regierung nicht, wie in Asien, eines herrschenden Volkes, sondern grösstentheils einer einzigen fremden Familie, welche überdies immer unter aller Augen lebte und von allen beobachtet werden konnte: – diese Unterthanen, sage ich, liessen sich ohne Zweifel nicht alle Forderungen und Einrichtungen ihres Regenten blindlings gefallen sondern sie wollten selbst einsehen, wie diese zum allgemeinen Wohl abzweckten; darum musste der Regent sehr behutsam und sehr rechtlich mit ihnen verfahren. Und aus diesen Umständen entwickelte sich denn zuerst der scharfe Sinn für Recht: – unseres Erachtens der wahre Charakterzug der europäischen Völkerschaften; im Gegensatze mit der religiösen Ergebung und Erduldung, die dem Asiaten eigen ist.

Diese regierenden Familien verloren endlich, über entlegene öffentliche Unternehmungen, ihr Ansehen, oder sie starben aus oder wurden vertrieben: und so konnten, da Rechtsbegriffe schon ziemlich allgemein verbreitet waren, Republiken an die Stelle der bisherigen kleinen Königreiche treten. Die Regierungsform und die politische Freiheit in diesen Staaten verschlägt uns hier nichts. Der politische Volksglaube der Griechen selbst verwechselte das Wesentliche mit dem Zufälligen, und den Zweck mit dem Mittel; ihm war König und Tyrann gleichbedeutend, und das Andenken ihrer alten Herrscherfamilien[177] wurde dem Schrecken geweiht: eine Verwechselung, die bis auf uns, ihre spätesten politischen Abkömmlinge, herabgekommen ist, und gegen welche wir hier durch die obigen Unterscheidungen uns verwahrt haben. Dies, sage ich, verschlägt uns hier nichts; was die Griechen eigentlich suchten, und was sie erhielten, war Gleichheit des Rechts aller Bürger. In einem gewissen Sinne könnte man sogar sagen: Gleichheit der Rechte, denn es gab durchaus keine durch die Constitution begünstigte Abstammung; – aber es herrschte eine grosse Ungleichheit des Vermögens, die zwar nur durch das Ohngefähr, keinesweges durch die Verfassung herbeigeführt wurde, welcher aber die Verfassung nicht abzuhelfen vermochte; und insofern war die Gleichheit der Rechte nicht.

Auf diese Weise hat sich die oben als zweite Stufe des Staates aufgestellte Gleichheit des Rechtes aller in Europa entwickelt, keinesweges erst hindurchgegangen durch die erste Stufe, die der Despotie, sondern lediglich dadurch, dass der Staat in Griechenland unter anderen Bedingungen entstand, als unter denen er im mittleren Asien entstanden war.

Noch in grösserem Umfange und unter höchst interessanten Umständen entwickelte sich diese Gleichheit des Rechts in dem zweiten Lande Europens, welches cultivirt wurde, in Italien. Hier waren unseres Erachtens die ersten Stifter der Cultur nicht, wie in Urgriechenland, einzelne Familien, sondern wirkliche Colonien, d.i. ein Zusammenfluss einer Menge von Familien, kommend aus Altgriechenland. Blieben diese Colonien, sowie in Unteritalien geschah, für sich allein, und bildeten sie aus ihren eigenen Bestandtheilen geschlossene Staaten; so war dies eben eine blosse Fortsetzung von Altgriechenland, keinesweges aber etwas neues, und es gehört um deswillen nicht in unsere Untersuchung. Vermischten sich aber jene Colonien mit den eingeborenen wilden Stämmen und flossen mit ihnen zu Staaten zusammen, wie dies in Mittelitalien geschah; so mussten daraus allerdings neue Phänomene erfolgen. Gerade durch dieselben Mittel, wodurch die einzelnen neuen Ankömmlinge in Griechenland sich unbemerkt der Herrschaft bemächtigten, erhielt auch hier der ganze Stamm der Colonisten Ansehen[178] und Gewalt unter den vereinigten Wilden, und es entstand, welche Regierungsform auch diese Colonisten unter sich selbst eingeführt haben mochten, dennoch in Beziehung auf die Eingeborenen eine aristokratische Regierung. Alte einheimische Sitten, sogar bis auf die ursprüngliche Landessprache, wurden durch die Ankömmlinge verdrängt. Die Colonisten wurden der herrschende Völkerstamm, gerade so wie es im mittleren Asien herrschende Völker gab. Wohl hätte, ebenso wie in Asien, daraus ein sehr ausgedehntes Reich erwachsen können, wenn nicht, als kaum die Colonisten die zuerst unterworfenen Eingeborenen für ihre Zwecke hinlänglich gebildet hatten, neue Colonien gekommen wären, die abermals einen Theil der Eingeborenen sich unterwarfen. So lange nur die Aristokraten nicht zu nahe unter den Augen der Unterworfenen wohnen mussten, – so lange nur nicht durch Noth die ersteren gedrängt wurden, den letzteren Lasten über ihr Vermögen aufzulegen, und diese, durch dieselbe Noth gedrängt, sich aufzulehnen, konnten die Sachen in dieser Lage bleiben. Fielen diese Bedingungen weg, so musste ein Streit beider Parteien gegeneinander ausbrechen. In einer Colonie eines aus diesen beiden Ingredientien der mittelitalischen Völkerschaften bestehenden Staates, in Rom nemlich, fielen die Bedingungen der Erträglichkeit jenes Zustandes zuerst hinweg. Wir abstrahiren hier davon, dass Rom anfangs Könige hatte: immer waren diese Könige aus den durch ganz Mittelitalien zerstreuten aristokratischen Stämmen: sie waren im Grunde die Oberhäupter der Aristokraten, und fielen, sobald sie an diesen sich vergriffen. Soviel aber ist klar, dass in Rom von Anbeginn zwei Hauptklassen der Einwohner waren: die Patricier, oder die Abkömmlinge aristokratischer Colonistenstämme, und das Volk, oder die Abkömmlinge der Urbewohner Italiens. Diese beiden höchst ungleichen Ingredientien sehen wir zusammengedrängt in den engen Bezirk einer Stadt, immer einander unter den Augen bleibend; gegen die versuchte Verbreitung nach aussen beengt durch den allgemeinen und wohl verdienten Hass der Nachbarstaaten; in dieser Noth die Aristokraten fest zusammenhaltend, begierig auf Kosten des Volkes zu leben, das sie wie Sklaven behandeln;[179] dieses Volk dagegen sich auflehnend, jedoch, mit richtig europäischem Nationalsinne, nicht die Unterdrückung der Unterdrücker, sondern nur Gleichheit des Rechts und des Gesetzes begehrend; die Aristokraten wiederum der Kräfte desselben für die Erhaltung des Staates gegen auswärtige Feinde bedürfend, darum im Gedränge der Noth nachgebend, was sie, wenn die Noth vorüber, gern wieder zurücknahmen. Es entstand dadurch ein viele Jahrhunderte dauernder Kampf zwischen beiden Parteien: der damit anhob, dass die Aristokraten die Verschwägerung mit Volksfamilien für entheiligende Befleckung erklärten, und dem Volke vermittelst der Abläugnung seiner Fähigkeit zu den Auspicien allen Antheil an der Gottheit absprachen; und damit endete, dass dieselben Aristokraten den Besitz der höchsten Staatswürden mit Männern aus dem Volke theilen, und erleben mussten, dass diese Würden von den letzteren ebenso glücklich und geschickt verwaltet wurden, als von ihnen selber. Dennoch konnten die Aristokraten diese langen Jahrhunderte hindurch ihre ehemaligen Vorzüge nicht vergessen, und liessen keine Gelegenheit unbenutzt, um das Volk wiederum zu bevortheilen; welches von seiner Seite fast nie ermangelte, auch dagegen ein Verwahrungsmittel zu finden: alles dieses so lange, bis alle Gewalt in die Hände eines Einzigen fiel, und beide Kämpfer auf die gleiche Weise unterjocht wurden. In diesem vielhundertjährigen Streite des mit dem höchsten Witze versehenen Strebens nach Gleichheit des Rechts, gegen die mit nicht geringerem Witze ausgerüstete Begierde nach Ungleichheit, entstand eine Meisterschaft in der bürgerlichen Gesetzgebung und in der inneren und äusseren Staatsverwaltung, und eine beinahe erschöpfende Uebersicht aller möglichen Auswege, das Gesetz zu umgehen, wie sie vor den Römern keine Nation besessen; so dass auch nach ihnen wir noch gar vieles in diesem Fache von ihnen zu lernen hätten.

Es war auch hier, und zwar auf eine höchst künstliche Weise gesichert, Gleichheit des Rechts: keinesweges aber noch, theils wegen des rastlosen Strebens der Aristokraten, theils durch den Zufall, den die Verfassung nicht aufzuheben vermochte, fand Gleichheit der Rechte statt.[180]

Der Staat, haben wir in einer der vorigen Reden erinnert, – der Staat betrachtet sich als das geschlossene Reich der Cultur, und steht in dieser Qualität in natürlichem Kriege wider die Uncultur. So lange die Menschheit in verschiedenen Staaten sich noch einseitig ausbildet, ist zu erwarten, dass jeder besondere Staat seine eigene Cultur für die rechte und einzige hält und die anderen Staaten geradezu für Uncultur und die Bewohner derselben für Barbaren achtet, – und darum sich für berufen, dieselben zu unterjochen. Auf diese Weise konnte es zwischen den drei von uns genannten Hauptstaaten der alten Zeit gar leicht zum Kriege, und zwar zum wahren und eigentlichen Kriege, zum Unterwerfungskriege, kommen. Was zuvörderst die griechischen Staaten betrifft, so constituirten diese sehr bald sich als Griechen, d.h. als die durch diese bestimmten Ansichten über Bürgerrecht und Staat, durch diese gemeinsame Sprache, Feste und Orakel vereinigte Nation, vermittelst eines Völkerbundes und eines unter ihnen allgemein geltenden Völkerrechtes, – zu einem einzigen Reiche der Cultur, von welchem Reiche sie alle übrigen Völker durch den Namen der Barbaren ausschlossen. Mochten sie auch ohnerachtet dieses Bundes in Kriege miteinander gerathen, immer doch wurden diese Kriege ganz anders geführt, als die gegen Barbaren: mit Maass und Schonung, und nie bis zur Austilgung des Staatskörpers; mochten auch späterhin die zwei Republiken, die den Vorrang behaupteten, sogar in ihrer Politik in Beziehung auf das Ausland uneinig seyn und sich darüber befehden: dennoch wurden die Griechen, als sie ihre eigentliche Weltrolle spielen sollten, durch Macedoniens Könige wiederum zu Einem Zwecke vereint. Ihre Cultur war unmittelbar für den Staat und seine Zwecke: Gesetzgebung, Verwaltung, Krieg zu Land und Wasser; und hierin übertrafen sie ohnstreitig ihren natürlichen Gegner, das Reich in Asien, bei weitem. In dem letzteren wurde verborgen, und vielleicht dem regierenden Volke selbst unbekannt, die wahre Religion aufbewahrt: zu welcher wiederum die Griechen sich nicht zu erheben vermochten. Was insbesondere die damals, als die Gegnerschaft zum Ausbruche kam, herrschende Nation der Perser berechtigte,[181] sich über die Griechen zu erheben, ist nicht ganz klar: doch ist sicher, dass auch sie ihres Theils dieselben für Barbaren gehalten, d.h. für solche, die an Staatskräften, und in der Wissenschaft ihres Gebrauchs, tief unter ihnen ständen; indem ohne dies ihnen nie hätte einfallen können, dieselben unterjochen zu wollen.

Der Anfall erfolgte von Seiten der Griechen, und die asiatische Herrschaft war vernichtet; welches denn auch der ersten Nation von wirklichen Bürgern leicht seyn musste, gegen ein Reich, in welchem eigentlich nur Ein Volk frei war, und Bürger: – die übrigen blosse Unterthanen, denen nach dem Falle ihrer Vorfechter, die für die eigene Herrschaft stritten, es sehr gleichgültig seyn konnte, in wessen Hände nunmehr eine Obergewalt fiele, die sie für ihre Person zu führen nicht gewohnt waren.

Inzwischen hatte die errungene Oberherrschaft der Griechen über Asien keinesweges die weiter eingreifenden Folgen, die man davon hätte erwarten sollen: der Geist des Eroberers, der wohl allein fähig gewesen wäre, das grosse Ganze zusammenzuhalten und nach griechischem Ideale zu gestalten, verliess seine Hülle, und die Feldherren desselben theilten die Eroberung als einen Raub unter sich. Da alle gleiches Recht, oder auch gleiches Unrecht, auf alles halten; so entspannen sich endlose Kriege zwischen diesen neu entstandenen Reichen, – abwechselnd mit Vertreibungen und Wiedereinsetzungen von Herrscherfamilien, – wenig Zeit übriglassend für die Künste des Friedens – und entkräftend alle ohne Ausnahme. Zugleich wurde das alte gemeinsame Vaterland, durch Auswanderung, der jungen streitbaren Mannschaft in die Kriegsdienste dieser Könige, entvölkert und für eigene Unternehmungen entkräftet: so dass, nach allem, der Anfang der griechischen Oberherrschaft zugleich der Anfang des Verfalls dieses ganzen Volkes wurde. Fast lässt kein bedeutendes Resultat dieser Begebenheit für die Weltgeschichte sich aufstellen, als dies, dass dadurch die griechische Sprache durch ganz Asien verbreitet wurde: – ein Haupterleichterungsmittel der nachmaligen Verbreitung des Christenthums durch Asien und von Asien aus;[182] ferner, dass durch diese Abschwächung in innerlichen Kriegen den Römern die Eroberung und der ruhige Besitz aller dieser Länder sehr erleichtert wurde.

Diese Römer nemlich waren es, welche wiederum alle bis jetzt durch die Mischung hervorgebrachte Cultur in Einem Staate vereinigten, dadurch die ganze alte Zeit vollendeten, und den bisher einfach herabgelaufenen Faden der Cultivirung schlossen. In Absicht seines Einflusses auf die Weltgeschichte war dieses Volk, mehr als ein anderes, blindes und bewusstloses Werkzeug in den Händen des höheren Weltplans: nachdem es nur erst, durch seine eigenen oben erwähnten innern Schicksale, zu einem sehr tüchtigen Werkzeuge sich gemacht hatte. An Verbreitung der Cultur, bei der Unterwerfung anderer Völker, dachte es nur nicht; seines nicht glänzenden Anfangs eingedenk, war es wohl sogar seines wahren, aber nur allmählig und langsam entwickelten Vorzuges in der Staatskunst sich kaum bewusst: – es begegnete den Römern wohl, dass sie ganz treuherzig sich selbst Barbaren nannten, und die Künste und Sitten fremder Völker, mit denen sie bekannt wurden, anzunehmen, so gut es ihre eigenen Umstände zuliessen, waren sie stets bereit. Das Bedrängniss, anfangs von den benachbarten italiänischen Staaten und Völkerschaften, sodann die Furcht vor den zu sehr gegen ihre Macht vorgerückten Karthagern, hatte sie zu guten Kriegern gemacht; bei ihren innern Händeln hatten sie schon früher die Politik gewonnen, mit der sie zum Ueberflusse auch ihre Streitkräfte zu leiten und zu ordnen wussten. Nachdem durch ihre Siege das Bedrängniss vom auswärtigen Feinde abgewehrt war, fingen ihre Grossen an für sich selbst des Krieges zu bedürfen: um sich hervorzuthun und über die Menge zu erheben; um ihre in Festen für das zu beschäftigende Volk erschöpften Schätze zu ersetzen; um die Augen der Bürger von den ununterbrochen fortdauernden innern Machinationen der Aristokratie auf auswärtige Ereignisse und auf Triumphzüge und gefangene Könige zu richten; der Krieg wurde fortdauernd aus Noth geführt, indem nur äusserer Krieg ihnen innern Frieden verschaffen konnte. Auch gab es, nachdem die Eroberung des Reichs der allen Cultur durch die[183] Römer vollendet, neue Eroberungen aber unter Barbaren zu machen weit schwieriger war: wirklich kein anderes Mittel, den Staat zu erhalten, als dass beide innerlich kriegende Parteien der Herrschaft eines Einzigen unterworfen wurden. – Es konnte den Römern nicht schwer fallen, die so sehr geschwächten und durch gar kein Band an ihren Regenten hangenden Völkerschaften der ehemaligen macedonischen Monarchie zu unterwerfen; und das nicht weniger geschwächte alte Griechenland musste dem Sieger umsomehr zufallen, da derselbe alles an den Griechen, selbst bis auf ihre Eitelkeit, schonte.

Durch diese römische Regierung wurden zu allererst bürgerliche Freiheit, Theil am Rechte für alle Freigebornen und Rechtsspruch nach einem Gesetze, Finanzverwaltung nach Principien und wirkliche Sorge für die Existenz der Regierten, mildere und menschlichere Sitten, Achtung für die Gebräuche, die Religionen und die Denkart aller Völker, über die ganze cultivirte Welt – wenigstens verfassungsgemäss – verbreitet: wenn auch zuweilen in der wirklichen Verwaltung gegen jene Grundsätze verstossen wurde.

Dies war die Blüthe der allen Cultur: ein, wenigstens in der Form rechtlicher Zustand; bis zu ihm musste die Menschheit sich erst erhoben haben, ehe eine neue Entwicklung beginnen konnte. Kaum aber hatte sie sich dazu erhoben, so begann diese neue Entwicklung. Die wahre Religion des Normalvolkes ging aus ihrem, der Geschichte verborgenen Sitze, der sie bisher im Dunkeln aufbewahrt hatte, hervor an das helle Licht, und verbreitete sich fast ungestört durch das Reich der Cultur, welches zum Glück nun auch nur Ein Staat war. Es gehörte schon zu den ursprünglichen Maximen dieses Staats, von den religiösen Meinungen der unterworfenen Völker keine Kunde zu nehmen: diese Religion vollends zu verstehen, und das von ihr aus ihm selber bevorstehende Schicksal aus ihr sich zu prophezeien, – dazu war dieser Staat nicht gemacht; wäre diese Religion nicht von ohngefähr mit der gebotenen huldigenden Verehrung der Bilder der Imperatoren in Streit gerathen,[184] so wäre sie ohne Zweifel sehr lange Zeit unbeachtet geblieben.

In diesem also entsponnenen Kriege erhielt diese Religion endlich auch den äussern Sieg: sie wurde die herrschende Staatsreligion. Aber selbst nicht entsprungen aus diesem Staate, noch er aus ihr entsprungen: – blieb sie an ihm nur fremde Zuthat, mit welcher er nie innig sich durchdringen konnte. Diese Religion wollte und sollte selbstschöpferisches Princip eines neuen Staates werden; darum musste der alte, unfähig der Umschaffung, zu Grunde gehen: – wie es scheint, ganz eigentlich dazu im Dunkel und entfernt von der Weltgeschichte aufbewahrte Volkselemente mussten hervortreten: – und nun erst konnte die neue Schöpfung, über welche wir inskünftige uns unterreden wollen, beginnen.

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 7, Berlin 1845/1846, S. 171-185.
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