§ 6. Dritter Lehrsatz.

[285] Im Streben des Ich wird zugleich ein Gegenstreben des Nicht-Ich gesetzt, welches dem ersteren das Gleichgewicht halte.

Zuvörderst einige Worte über die Methode! – Im theoretischen Theile der Wissenschaftslehre ist es uns lediglich um das Erkennen zu thun, hier um das Erkannte. Dort fragen wir: wie wird etwas gesetzt, angeschaut, gedacht u.s.f., hier: was wird gesetzt! Wenn daher die Wissenschaftslehre doch eine Metaphysik, als vermeinte Wissenschaft der Dinge[285] an sich, haben sollte, und eine solche von ihr gefordert würde, so müsste sie an ihren praktischen Theil verweisen. Dieser allein redet, wie sich immer näher ergeben wird, von einer ursprünglichen Realität; und wenn die Wissenschaftslehre gefragt werden sollte: wie sind denn nun die Dinge an sich beschaffen? so könnte sie nicht anders antworten als: so, wie wir sie machen sollen. Dadurch nun wird die Wissenschaftslehre keinesweges transcendent; denn alles, was wir auch hier aufzeigen werden, finden wir in uns selbst, tragen es aus uns selbst heraus, weil in uns etwas sich findet, das nur durch etwas ausser uns sich vollständig erklären lässt. Wir wissen, dass wir es denken, es nach den Gesetzen unseres Geistes denken, dass wir demnach nie aus uns herauskommen, nie von der Existenz eines Objects ohne Subject reden können.

Das Streben des Ich soll unendlich seyn, und nie Causalität haben. Dies lässt sich lediglich unter Bedingung eines Gegenstrebens denken, das demselben das Gleichgewicht halte, d. i. die gleiche Quantität innerer Kraft habe. Der Begriff eines solchen Gegenstrebens und jenes Gleichgewichts ist im Begriffe des Strebens schon enthalten, und lässt durch eine Analyse sich aus ihm entwickeln. Ohne diese beiden Begriffe steht er im Widerspruche mit sich selbst.

1) Der Begriff des Strebens ist der Begriff einer Ursache, die nicht Ursache ist. Jede Ursache aber setzt Thätigkeit voraus. Alles strebende hat Kraft, hätte es keine Kraft, so wäre es nicht Ursache, welches dem vorigen widerspricht.

2) Das Streben, inwiefern es das ist, hat nothwendig seine bestimmte Quantität als Thätigkeit. Es geht darauf aus, Ursache zu seyn. Nun wird es das nicht, es erreicht demnach sein Ziel nicht, und wird begrenzt. Würde es nicht begrenzt, so würde es Ursache, und wäre kein Streben, welches dem vorigen widerspricht.

3) Das strebende wird nicht durch sich selbst begrenzt, denn es liegt im Begriffe des Strebens, dass es auf Causalität ausgehe. Begrenzte es sich selbst, so wäre es kein strebendes.[286] Jedes Streben muss also durch eine der Kraft des strebenden entgegengesetzte Kraft begrenzt werden.

4) Diese entgegengesetzte Kraft muss gleichfalls strebend seyn, d. b. zuvörderst, sie muss auf Causalität ausgehen. Ginge sie nicht darauf aus, so hätte sie keinen Berührungspunct mit dem Entgegengesetzten. Dann, sie muss keine Causalität haben; hätte sie Causalität, so vernichtete sie das Streben des Entgegengesetzten völlig, dadurch, dass sie seine Kraft vernichtete.

5) Keines von den beiden entgegenstrebenden kann Causalität haben. Hätte sie eines von beiden, so würde dadurch die Kraft des entgegengesetzten vernichtet, und sie hörten auf entgegenstrebend zu seyn. Mithin muss die Kraft beider sich das Gleichgewicht halten.

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 1, Berlin 1845/1846, S. 285-287.
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