§ 4. Die Anschauung wird bestimmt in der Zeit, und das angeschaute im Raume

[391] Die Anschauung soll seyn im Ich, ein Accidens des Ich, nach dem vorherigen §, das Ich muss demnach sich setzen, als das anschauende; es muss die Anschauung in Rücksicht auf sich selbst bestimmen: ein Satz, der im theoretischen Theile der Wissenschaftslehre postulirt wird, nach dem Grundsatze: nichts kommt dem Ich zu, als dasjenige, was es in sich selbst setzt.

Wir verfahren hier nach dem gleichen Schema der Untersuchung, wie im vorherigen §, nur mit dem Unterschiede, dass dort von etwas, von einer Anschauung, hier aber lediglich von einem Verhältnisse, von einer synthetischen Vereinigung entgegengesetzter Anschauungen die Rede seyn wird; mithin da, wo dort auf Ein Glied reflectirt wurde, hier auf zwei entgegengesetzte in ihrer Verbindung wird reflectirt werden müssen; demnach hier durchgängig dreifach seyn wird, was dort einfach war.
[391]


I.

Die Anschauung, so wie sie oben bestimmt worden, d. i. die synthetische Vereinigung der Wirksamkeit des Ich und Nicht-Ich durch das zufällige Zusammentreffen in Einem Puncte wird gesetzt und aufgenommen in das Ich, heisst nach der nun sattsam bekannten Bedeutung: sie wird gesetzt, als zufällig. – Es ist wohl zu merken, dass nichts von dem einmal in ihr festgesetzten verändert werden darf, sondern alles sorgfältig beibehalten werden muss. Die Anschauung wird nur weiter bestimmt; aber alle einmal gesetzte Bestimmungen bleiben.

Die Anschauung X wird als Anschauung als zufällig gesetzt, heisst: es wird ihr eine andere Anschauung – nicht etwa ein anderes Object, eine andere Bestimmung u. dergl., sondern, worauf hier alles ankommt, eine vollkommen wie sie bestimmte andere Anschauung = Y entgegengesetzt, die im Gegensatze mit der ersteren nothwendig, und die erstere im Gegensatze mit ihr zufällig ist. Y ist insofern von dem in X anschauenden Ich völlig ausgeschlossen.

X fällt als Anschauung – nothwendig in einen Punct; Y als Anschauung gleichfalls, aber in einen dem ersteren entgegengesetzten, und also von ihm völlig verschiedenen. Der eine ist nicht der andere.

Es fragt sich nun, welches denn die Nothwendigkeit sey, die der Anschauung Y in Beziehung auf X und die Zufälligkeit, die der Anschauung X in Beziehung auf Y zugeschrieben werde, Folgende: die Anschauung Y ist mit ihrem Puncte nothwendig synthetisch vereinigt, wenn X mit dem ihrigen vereinigt werden soll; die Möglichkeit der synthetischen Vereinigung X und ihres Punctes setzt die Vereinigung der Anschauung Y mit ihrem Puncte voraus; nicht aber umgekehrt. In den Punct, in welchem X gesetzt wird, lässt sich, – so setzt das Ich – auch eine andere Anschauung setzen; in denjenigen aber, in welchem Y gesetzt ist, schlechthin keine andere, als Y, wenn X als Anschauung des Ich soll gesetzt werden können.[392]

Nur inwiefern diese Zufälligkeit der Synthesis gesetzt wird, ist X zu setzen, als Anschauung des Ich; und nur inwiefern dieser Zufälligkeit die Nothwendigkeit der gleichen Synthesis entgegengesetzt wird, ist sie selbst zu setzen.

(Es bleibt dabei freilich die weit schwierigere Frage zu beantworten übrig, wodurch denn der Punct X noch anders bestimmt und bestimmbar seyn möge, denn durch die Anschauung X, und der Punct Y anders, denn durch die Anschauung Y? Bis jetzt ist dieser Punct noch weiter gar nichts, als, dasjenige, worin eine Wirksamkeit des Ich und Nicht-Ich zusammentreffen; eine Synthesis, durch welche die Anschauung, und welche allein durch die Anschauung möglich wird; und so und nicht anders ist er im vorigen § aufgestellt worden. Nun ist klar, dass, wenn der Punct X gesetzt werden soll als derjenige, in welchem auch eine andere Anschauung sich setzen lasse, der Punct Y aber im Gegensatze als derjenige, in welchem keine andere sich setzen lasse, beide von ihren Anschauungen sich absondern, und unabhängig von ihnen sich von einander müssen unterscheiden lassen. Wie dies möglich sey, lässt sich hier freilich noch nicht einsehen; wohl aber soviel, dass es möglich seyn müsse, wenn je eine Anschauung dem Ich zugeschrieben werden solle.)


II.

Wird A gesetzt als Totalität, so wird B ausgeschlossen. Bedeutet A das durch Freiheit zu bestimmende Bild, so bedeutet B die ohne Zuthun des Ich bestimmte Eigenschaft. – In der Anschauung X, inwiefern sie überhaupt eine Anschauung seyn soll, wird nach dem vorigen § ein bestimmtes Object X ausgeschlossen; so auch in der ihr entgegengesetzten Anschauung Y. Beide Objecte sind als solche bestimmt, d.h. das Gemüth ist in Anschauung derselben genöthigt, sie gerade so zu setzen, wie es sie setzt. Diese Bestimmtheit muss bleiben, und es ist nicht die Rede davon, sie zu ändern.

Aber welches Verhältniss unter den Anschauungen ist, dasselbe ist nothwendig auch unter den Objecten. Mithin müsste das Object X in Beziehung auf Y zufällig, dieses aber in Beziehung[393] auf jenes nothwendig seyn. Die Bestimmung des setzt nothwendig die des Y voraus, nicht aber umgekehrt.

Nun aber sind beide Objecte, als Objecte der Anschauung überhaupt, vollkommen bestimmt, und das geforderte Verhältniss beider zu einander kann auf diese Bestimmtheit sich nicht beziehen, sondern auf eine andere, noch völlig unbekannte; auf eine solche, durch welche etwas nicht ein Object überhaupt, sondern nur ein Object einer, von einer anderen Anschauung zu unterscheidenden, Anschauung wird. Die geforderte Bestimmung gehört nicht zu den inneren Bestimmungen des Objects (inwiefern von ihm der Satz A = A gilt), sondern sie ist eine äussere. Da aber ohne die geforderte Unterscheidung es nicht möglich ist, dass eine Anschauung in das Ich gesetzt werde, jene Bestimmung aber die Bedingung der geforderten Unterscheidung ist, so ist das Object nur unter Bedingung dieser Bestimmtheit Object der Anschauung, und sie ist ausschliessende Bedingung aber Anschauung. Wir nennen das unbekannte, durch welches das Object bestimmt werden soll, indessen O, die Art, wie Y dadurch bestimmt ist z, die wie X dadurch bestimmt ist, v.

Das gegenseitige Verhältniss ist folgendes: X muss gesetzt werden, als synthetisch zu vereinigend mit v, oder auch nicht; also auch v als synthetisch zu vereinigend mit X, oder mit jedem anderen Objecte: Y dagegen als durch eine Synthesis nothwendig mit z vereinigt, wenn X mit v vereinigt werden soll. – Indem v als zu vereinigend mit X gesetzt wird, oder auch nicht, wird Y nothwendig gesetzt, als vereinigt mit z, und daraus geht zugleich folgendes hervor: jedes mögliche Object ist mit v zu vereinigen, nur nicht Y, denn es ist schon unzertrennlich vereinigt. So auch X mit jedem möglichen O zu vereinigen, nur nicht mit z, denn mit diesem ist Y unzertrennlich vereinigt; von diesem ist es daher schlechthin ausgeschlossen.

X und Y sind vom Ich völlig ausgeschlossen, das Ich vergisst und verliert sich selbst gänzlich in ihrer Anschauung; das Verhältniss beider also, von welchem hier die Rede ist, lässt sich schlechterdings nicht von dem Ich ableiten, sondern[394] es muss den Dingen selbst zugeschrieben werden: – es erscheint dem Ich, als nicht abhängig von seiner Freiheit, sondern als bestimmt durch die Dinge. – Das Verhältniss war: weil z mit Y vereinigt ist, ist X davon schlechthin ausgeschlossen. Dies auf die Dinge übertragen, muss ausgedrückt werden: Y schliesst X von z aus, es be stimmt dasselbe negativ. Gehe Y bis zum Puncte d, so wird X bis zu diesem Puncte, – gehe es bis c, so wird X nur bis dahin ausgeschlossen, u.s.f. Da es aber gar keinen anderen Grund giebt, warum X nicht mit z vereinigt werden kann, ausser den, dass es durch Y davon ausgeschlossen wird, und da das begründete offenbar nicht weiter gilt, als der Grund: so geht X bestimmt da an, wo Y aufhört es auszuschliessen, oder wo Y ein Ende hat; und es kommt ihnen daher Continuität zu.

Dieses Ausschliessen, diese Continuität ist nicht möglich, wenn nicht beide X und Y in einer gemeinschaftlichen Sphäre sind (welche wir hier freilich noch gar nicht kennen), und in derselben in einem Puncte zusammentreffen. Im Setzen dieser Sphäre besteht die synthetische Vereinigung beider nach dem geforderten Verhältnisse. Es wird demnach durch absolute Spontaneität der Einbildungskraft eine solche gemeinschaftliche Sphäre producirt.


III.

Wird auf das ausgeschlossene B reflectirt, so wird A dadurch ausgeschlossen von der Totalität (vom Ich). Da aber B eben durch die Reflexion in das Ich aufgenommen, mithin selbst mit A vereinigt als Totalität (als zufällig) gesetzt wird, so muss ein anderes B, in Rücksicht auf welches es zufällig ist, ausgeschlossen oder demselben als nothwendig entgegengesetzt werden. Wir wenden diesen allgemeinen Satz an auf den gegenwärtigen Fall.

Y ist jetzt, laut unseres Erweises, in Rücksicht seiner synthetischen Vereinigung mit einem noch völlig unbekannten O bestimmt; und X ist in Beziehung darauf, und vermittelst desselben gleichfalls, wenigstens negative bestimmt; es kann nicht auf die Art, wie Y durch O, bestimmt werden, sondern nur[395] auf eine entgegengesetzte; es ist ausgeschlossen von der Bestimmung des Y.

Beide müssen, inwiefern sie, was hier geschieht, mit A vereinigt, oder in das Ich aufgenommen werden sollen, auch in dieser Rücksicht gesetzt werden, als zufällig. Das heisst zuvörderst, es wird ihnen nach dem im vorigen § deducirten Verfahren entgegengesetzt ein nothwendiges Y und X, in Beziehung auf welche beide zufällig sind – die Substanzen, denen beide zukommen, als Accidenzen.

Ohne uns länger bei diesem Gliede der Untersuchung aufzuhalten, gehen wir sogleich fort zur oben gleichfalls deducirten synthetischen Vereinigung des jetzt als zufällig gesetzten mit dem ihm entgegengesetzten nothwendigen. Nemlich, das im Ich aufgefasste und insofern zufällige Y ist Erscheinung – bewirktes, Aeusserung der nothwendig vorauszusetzenden Kraft Y: X das gleiche, und zwar beide Aeusserungen freier Kräfte.

Welches Verhältniss zwischen Y und X als Erscheinungen ist, dasselbe muss auch zwischen den Kräften seyn, die durch sie sich äussern. Die Aeusserung der Kraft Y geschieht demnach völlig unabhängig von der Aeusserung der Kraft X; umgekehrt aber ist die letztere in ihrer Aeusserung abhängig von der Aeusserung der ersteren, und wird durch sie bedingt.

Bedingt sage ich, d.h. die Aeusserung von Y bestimmt die Aeusserung X nicht positiv, welche Behauptung in dem vorher deducirten nicht den mindesten Grund haben wurde; es liegt nicht etwa in der Aeusserung Y der Grund, dass die Aeusserung X gerade so, und nicht anders ist; aber sie bestimmt sie negativ, d.h. es liegt in ihr der Grund, dass X auf eine gewisse bestimmte Art unter allen möglichen sich nicht äussern kann.

Dies scheint dem obigen zu widersprechen. Es ist ausdrücklich gesetzt, dass X sowohl als Y sich durch freie, schlechthin uneingeschränkte Wirksamkeit äussern sollen. Nun soll, wie soeben gefolgert worden, die Aeusserung von X durch die von Y bedingt seyn. Wir können dies vor der Hand nur negativ erklären. X wirkt so gut, als Y, schlechthin, weil es wirkt; demnach ist die Wirksamkeit von Y nicht etwa die Bedingung[396] der Wirksamkeit von X überhaupt und ihrer Form nach; und der Satz ist gar nicht so zu verstehen, als ob Y X afficire, auf dasselbe wirke, es dringe und treibe, sich zu äussern. – Ferner, X ist in der Art und Weise seiner Aeusserung völlig frei, so wie Y; also kann das letztere ebensowenig die Art der Wirksamkeit der ersteren, die Materie derselben, bedingen und bestimmen. Es ist demnach eine wichtige Frage, welche Beziehung denn nun noch wohl übrig bleiben möge, in welcher eine Wirksamkeit die andere bedingen könne?

Y und X sollen beide in einem synthetischen Verhältnisse zu einem völlig unbekannten O stehen. Denn beide stehen, laut unseres Erweises, nothwendig, so gewiss dem Ich eine Anschauung zugeeignet werden soll, gegen einander selbst in einem gewissen Verhältnisse, lediglich in Absicht ihres Verhältnisses zu O. Sie müssen demnach beide selbst, und unabhängig von einander, in einem Verhältnisse zu O stehen. (Die Folgerung ist, wie sie seyn würde, wenn ich nicht wüsste, ob A und B eine bestimmte Grösse hätten; aber wüsste, dass A grösser sey, als B. Daraus könnte ich sicher folgern, dass allerdings beide ihre bestimmte Grösse haben müssten.)

O muss so etwas seyn, das die Freiheit beider in ihrer Wirksamkeit völlig ungestört lässt, denn beide sollen, wie ausdrücklich gefordert wird, frei wirken, und in, bei, und unbeschadet dieser freien Wirksamkeit, mit O synthetisch vereinigt seyn. Alles, worauf die Wirksamkeit einer Kraft geht (was Object derselben ist, die einzige Art der synthetischen Vereinigung, die wir bis jetzt kennen), schränkt durch seinen Widerstand diese Wirksamkeit nothwendig ein. Mithin kann O gar keine Kraft, keine Thätigkeit, keine Intension haben; es kann gar nichts wirken. Es hat daher gar keine Realität, und ist Nichts. – Was es etwa doch noch seyn möge, werden wir wahrscheinlich in der Zukunft sehen. Das oben aufgestellte Verhältniss war: Y und z sind synthetisch vereinigt, und dadurch wird X von z ausgeschlossen. Wie wir eben gesehen haben, ist diese synthetische Vereinigung des Y mit z durch eigene, freie, ungestörte Wirksamkeit der inneren Kraft Y geschehen; doch ist z keinesweges Product dieser Wirksamkeit[397] selbst, sondern mit demselben nur nothwendig vereinigt, muss daher von ihm auch unterschieden werden können. Nun wird ferner, eben durch diese Vereinigung, die Wirksamkeit des X und ihr Product ausgeschlossen von z; demnach ist z die Sphäre der Wirksamkeit von Y; – z ist, nach obigem, nichts, denn diese Sphäre; es ist gar nichts an sich, es hat keine Realität, und es lässt sich ihm gar kein Prädicat beilegen, als das soeben deducirte. – Ferner: z ist die Sphäre der Wirksamkeit bloss und lediglich von Y, denn dadurch, dass es als solche gesetzt wird, wird X und jedes mögliche Object davon ausgeschlossen. Die Sphäre der Wirksamkeit von Y oder z bedeuten Eins und ebendasselbe, sie sind völlig gleichgeltend; z ist nichts weiter, denn diese Sphäre, und diese Sphäre ist nichts anderes, denn z. z ist nichts, wenn Y nicht wirkt, und Y wirkt nicht, wenn z nicht ist. Die Wirksamkeit von Y erfüllt z, d.h. sie schliesst alles andere davon aus, was nicht die Wirksamkeit von Y ist. (An eine Extension ist hier noch nicht zu denken, denn sie ist noch nicht nachgewiesen, und sie soll durch jenen Ausdruck keinesweges erschlichen werden.)

Geht z bis zum Puncte c d e u.s.f., so ist die Wirksamkeit des X ausgeschlossen bis c d e u.s.f. Da die letztere aber mit z lediglich darum nicht vereinigt werden kann, weil sie durch Y davon ausgeschlossen wird, so ist nothwendig Continuität zwischen den Sphären der Wirksamkeit beider, und sie treffen in einem Puncte zusammen. Die Einbildungskraft vereinigt beides, und setzt z und – z, oder, wie wir es oben bestimmten, v = 0.

Aber die Wirksamkeit des X soll, unbeschadet der Freiheit desselben, ausgeschlossen seyn von z. Dieses Ausschliessen geschieht nicht unbeschadet seiner Freiheit, wenn durch die Erfüllung des z durch Y etwas in X negirt, aufgehoben, eine ihm an sich mögliche Kraftäusserung unmöglich gemacht wird. Die Erfüllung von z durch seine Wirksamkeit muss demnach gar keine mögliche Aeusserung des X seyn; es muss in ihm gar keine Tendenz dafür und dahin liegen. z ist schon aus einem inneren, in X selbst liegenden Grunde nicht Wirkungssphäre desselben, oder vielmehr, es liegt in X gar kein[398] Grund, dass z seine Wirkungssphäre seyn könnte; sonst würde dasselbe beschränkt, und wäre nicht frei.

Mithin treffen beide Y und X zufällig in einem Puncte, der absoluten synthetischen Einheit des absolut entgegengesetzten (nach obigem), zusammen, ohne alle gegenseitige Einwirkung, ohne alles Eingreifen in einander.


IV.

A + B soll bestimmt werden durch B. Bisher ist dadurch nur B bestimmt worden; aber mittelbar wird auch A dadurch bestimmt. Dies hiess oben: das, was im Ich ist, und da weiter nichts im Ich ist, als die Anschauung, – das Ich selbst ist durch das Nicht-Ich bestimmt, und das, was in ihm ist, und dasselbe ausmacht, ist mittelbar selbst ein Product desselben. Wir wenden dies auf den gegenwärtigen Fall an.

X ist Product des Nicht-Ich, und ist seiner Wirkungssphäre nach bestimmt im Ich; Y gleichfalls, beide durch sich selbst in ihrer absoluten Freiheit. Beide durch ihr zufälliges Zusammentreffen bestimmen auch den Punct dieses ihres Zusammentreffens, und das Ich verhält dagegen sich bloss leidend.

So soll und kann es nicht seyn. Das Ich, so gewiss es Ich ist, muss mit Freiheit die Bestimmung entwerfen. – Oben lösten wir im Allgemeinen diese Schwierigkeit auf folgende Weise: die ganze Reflexion überhaupt auf etwas als Substanz – auf das dauernde und wirkende, – das dann, wenn es einmal so gesetzt ist, freilich in nothwendigem synthetischem Zusammenhange mit seinem Producte steht, und davon nicht mehr zu trennen ist – hängt von der absoluten Freiheit des Ich ab. Hier wird sie gerade so gelöst. Es hängt von der absoluten Freiheit des Ich ab, ob es auf Y und X als auf ein dauerndes, einfaches reflectiren wolle, oder nicht. Reflectirt es darauf, so muss es nach diesem Gesetze freilich Y in den Wirkungskreis z und denselben ausfüllend, und in C den Grenzpunct zwischen dem Wirkungskreise beider setzen; aber es könnte auch nicht so reflectiren, sondern es könnte statt Y und X jedes mögliche als Substanz durch absolute Freiheit setzen.[399]

Um dies sich recht deutlich zu machen, denke man sich die Sphäre z und die Sphäre v als zusammenhängend im Puncte C, wie sie denn wirklich also gesetzt worden sind. Das Ich kann in die Sphäre z statt Y setzen ein a und ein b; z zum Wirkungskreise beider machen, und es theilen im Puncte g. Dasjenige, was jetzt Wirkungskreis des a ist, heisse h. Aber es ist ebensowenig genöthigt in h a als untheilbare Substanz zu setzen, sondern es konnte statt desselben auch setzen e und d und demnach h im Puncte e theilen in f und k und so ins unendliche. Wenn es aber einmal ein a und ein b gesetzt hat, so muss es ihnen einen in Einem Puncte zusammentreffenden Wirkungskreis anweisen, nach dem oben deducirten Gesetze.

Diese Zufälligkeit des Y und ebenso seines Wirkungskreises rar das Ich muss dasselbe durch die Einbildungskraft wirklich setzen, aus dem schon oft angegebenen Grunde.

Also O wird gesetzt als ausgedehnt, zusammenhängend, theilbar ins unendliche, und ist der Raum.

1) Indem die Einbildungskraft, wie sie soll, die Möglichkeit ganz anderer Substanzen mit ganz anderen Wirkungskreisen in dem Raume z setzt, sondert sie den Raum von dem Dinge, das ihn wirklich erfüllt, ab, und entwirft einen leeren Raum; aber lediglich zum Versuche, und im Uebergehen, um ihn sogleich wieder mit beliebigen Substanzen, die beliebige Wirkungskreise haben, zu erfüllen. Demnach ist gar kein leerer Raum, als lediglich in diesem Uebergehen der Einbildungskraft von der Erfüllung des Raumes durch A zur beliebigen Erfüllung desselben mit b c d u.s.f.

2) Der unendlich kleinste Theil des Raumes ist immer ein Raum, etwas, das Continuität hat, nicht aber ein blosser Punct, oder die Grenze zwischen bestimmten Stellen im Raume; und dieses darum, weil in ihm gesetzt werden kann, und inwiefern er selbst gesetzt wird, wirklich durch die Einbildungskraft gesetzt wird, eine Kraft, die sich nothwendig äussert, und die nicht gesetzt werden kann, ohne als sich äussernd gesetzt zu werden, laut der im vorigen § vorgenommenen Synthesis der freien Wirksamkeit; sie kann sich aber nicht äussern ohne eine[400] Sphäre ihrer Aeusserung zu haben, die auch nichts weiter ist, denn eine solche Sphäre, laut der in diesem § vorgenommenen Synthesis.

3) Demnach sind Intensität und Extensität nothwendig synthetisch vereinigt, und man muss das eine nicht ohne das andere deduciren wollen. Jede Kraft erfüllt (nicht durch sich selbst, sie ist nicht im Raume, und ist an sich, ohne eine Aeusserung, gar Nichts, aber durch ihr nothwendiges Product, welches eben der synthetische Vereinigungsgrund der Intensität und Extensität ist) nothwendig eine Stelle im Raume; und der Raum ist nichts weiter, als das durch diese Producte erfüllte oder zu erfüllende:

4) Ausser den inneren Bestimmungen der Dinge, die sich aber lediglich auf das Gefühl (des mehreren oder minderen Gefallens oder Misfallens) beziehen, und dem theoretischen Vermögen des Ich gar nicht zugänglich sind, z.B. dass sie bitter oder süss, rauh oder glatt, schwer oder leicht, roth oder weiss u.s.f. sind, und von denen man demnach hier völlig abstrahiren muss, sind die Dinge durch gar nichts zu unterscheiden, als durch den Raum, in welchem sie sich befinden. Dasjenige also, was den Dingen so zukommt, dass es ihnen, und gar nicht dem Ich zu geschrieben wird, aber doch nicht zu ihrem inneren Wesen gehört, ist der Raum, den sie einnehmen.

5) Aber aller Raum ist gleich, und durch ihn ist demnach auch keine Unterscheidung und Bestimmung möglich, ausser unter der Bedingung, dass schon ein Ding = Y in einem gewissen Raume gesetzt, und dieser dadurch bestimmt und charakterisirt sey, und nun von X gesagt werde: es ist in einem anderen Raume – (versteht sich als Y). Alle Raumbestimmung setzt einen erfüllten und durch die Erfüllung bestimmten Raum voraus. – Setzet A in den unendlichen leeren Raum; es bleibt so unbestimmt, als es war, und ihr könnt mir die Frage, wo es sey, nicht beantworten, denn ihr habt keinen bestimmten Punct, nach welchem ihr messen, von welchem aus ihr euch orientiren könntet. Die Stelle, welche es einnimmt, ist durch nichts bestimmt, als durch A, und A ist[401] durch nichts bestimmt, als durch seine Stelle. Mithin ist da schlechthin keine Bestimmung als lediglich, weil und inwiefern ihr eine setzet; es ist eine Synthesis durch absolute Spontataneität. – Um es sinnlich auszudrücken: A könnte sich, für irgend eine Intelligenz, die einen Punct, von welchem, und einen Punct, zu welchem im Gesichte hätte, unaufhörlich im Raume fortbewegen, ohne dass ihr es bemerktet, weil für euch keine solche Puncte da sind, sondern nur der grenzenlose, leere Raum. Für euch wird es daher immer in seiner Stelle bleiben, so gewiss es im Raume bleibt, denn es ist in ihr, absolut dadurch, dass ihr es in sie setzt. Setzet B daneben; dieses ist bestimmt, und wenn ich euch frage, wo es sey, so antwortet ihr mir: neben A; und ich bin dadurch allerdings befriedigt, wenn ich nur nicht weiter frage; aber wo ist denn A? Setzet neben B – C D E u.s.f. ins unbedingte, so habt ihr für alle diese Gegenstände relative Ortsbestimmungen; aber ihr mögt den Raum erfüllen, so weit ihr wollt, so ist dieser erfüllte Raum doch immer ein endlicher, der zum unendlichen gar kein Verhältniss haben kann, und mit welchem es beständig fort die gleiche Bewandtniss hat, wie mit A. Er ist bestimmt, lediglich weil ihr ihn bestimmt habt, kraft eurer absoluten Synthesis. – Eine handgreifliche Bemerkung, wie mir es scheint, von welcher aus man schon längst auf die Idealität des Raumes hätte fallen sollen.

6) Das Object der gegenwärtigen Anschauung wird, als solches, dadurch bezeichnet, dass wir es in einen Raum, als leeren Raum, durch die Einbildungskraft setzen; aber dies ist, wie gezeigt worden, nicht möglich, wenn nicht ein schon erfüllter Raum vorausgesetzt wird. – Eine abhängige Succession der Raumerfüllung; in welcher man aber, aus Gründen, die tiefer unten sich zeigen werden, immer wieder zurückgehen kann.


V.

Die Freiheit des Ich sollte dadurch wieder hergestellt, und das Nicht-Ich (die Bestimmung des Y und des X im Raume) als zufällig gesetzt werden, dass das Ich gesetzt[402] würde, als frei mit z Y zu verbinden, oder auch a b c u.s.f. und dadurch, dass diese Freiheit gesetzt wurde, zeigte sich erst O als Raum. Diese Art der Zufälligkeit ist ausgemittelt, und sie bleibt; aber es ist die Frage, ob die Schwierigkeit dadurch befriedigend gelöst worden.

Zwar ist das Ich überhaupt frei, im Raume Y X oder a b c u.s.f. zu setzen; aber wenn es auf X als Substanz reflectiren soll, von welcher Voraussetzung wir ausgegangen sind, so muss es nothwendig, laut des oben aufgezeigten Gesetzes, Y als bestimmte Substanz, und dasselbe als durch den Raum z bestimmt, setzen; es ist daher unter jener Bedingung nicht frei. Ferner ist es sodann auch in Absicht der Ortsbestimmung von X bestimmt, und nicht frei; es muss dasselbe neben Y setzen. Das Ich bleibt demnach, unter der zu Anfange des § gemachten Voraussetzung bestimmt und gezwungen. Aber es muss frei seyn: und der noch fortdauernde Widerspruch muss gelöst werden. Er lässt sich nur folgendermaassen lösen. Y und X müssen beide noch auf eine andere Art bestimmt und entgegengesetzt seyn, ausser durch ihre Bestimmtheit und Bestimmbarkeit im Raume, denn beide wurden oben abgesondert von ihrem Raume, demnach gesetzt, als etwas für sich bestehendes und für sich unterschiedenes von jedem anderen. Sie müssen noch anderweitige charakteristische Merkmale haben, kraft welcher von ihnen der Satz A = A gilt, z.B. X sey roth, Y gelb u. dergl. Nun bezieht sich die Regel der Ortsbestimmung gar nicht auf diese Merkmale, und es ist nicht gesagt, dass Y als gelbes das im Raume bestimmte, und X als rothes das nach jenem im Raume bestimmbare seyn solle; sondern sie geht auf Y als auf ein bestimmtes, und in keiner anderen Rücksicht, auf X als auf ein bestimmbares, und in keiner anderen Rücksicht; sie sagt, dass das Object der zu setzenden Anschauung nothwendig ein bestimmbares seyn müsse, und kein bestimmtes seyn könne, und dass ihm ein bestimmtes entgegengesetzt werden müsse, das insofern kein bestimmbares seyn könne. Ob eben X als anderweitig durch seihe inneren Merkmale bestimmtes; oder Y als durch die seinigen bestimmtes, – bestimmbares oder bestimmtes im Raume[403] seyn solle, bleibt dadurch gänzlich unentschieden. Und hier hat denn die Freiheit ihren Spielraum; sie muss ein bestimmtes und ein bestimmbares entgegensetzen; aber sie kann unter anderweitig entgegengesetzten zum bestimmten machen, welches sie will, und zum bestimmbaren, welches sie will. Es ist lediglich von der Spontaneität abhängig, ob X durch Y oder Y durch X bestimmt werde.

(Es ist gleichgültig, welche Reihe im Raume man beschreibe, ob von A zu B oder umgekehrt; ob man B neben A setze, oder A neben B, denn die Dinge schliessen sich im Raume wechselseitig aus.)


VI.

Das Ich kann zum bestimmten oder bestimmbaren machen, welches es will, und es setzt diese seine Freiheit durch die Einbildungskraft auf die soeben angezeigte Art. Es schwebt zwischen Bestimmtheit und Bestimmbarkeit, schreibt beiden beides, oder, was das gleiche heisst, keinem keines zu. Aber, so gewiss eine Anschauung und ein Object einer Anschauung vorhanden seyn soll, muss, laut dem Gesetze, von welchem wir ausgegangen sind, das Ich Eins von den beiden an sich bestimmten zum bestimmbaren im Raume machen.

Warum es eben X oder Y oder jedes mögliche andere als bestimmbares setze, darüber lässt sich kein Grund anführen, und es soll gar keinen solchen Grund geben, denn es wird durch absolute Spontaneität gehandelt. Dieses nun zeigt sich durch Zufälligkeit. Nur hat man wohl zu merken, worin eigentlich diese Zufälligkeit liege.

Durch Freiheit wurde ein bestimmbares, dessen Bestimmbarkeit als solche nach dem Gesetze nothwendig ist, und welches als Object der Anschauung ein bestimmbares seyn muss, gesetzt; im Gesetztseyn oder Daseyn des bestimmbaren liegt demnach die Zufälligkeit. Das Setzen des bestimmbaren wird ein Accidens des Ich, welches selbst, zum Gegensatze, gesetzt wird als Substanz, nach der im vorigen § angeführten Regel.


VII.

[404] Gerade, wie im vorigen § bei dem gegenwärtigen Puncte unseres synthetischen Verfahrens überhaupt, so sind auch hier Ich und Nicht – Ich völlig entgegengesetzt, und von einander unabhängig. Innere Kräfte im Nicht-Ich wirken mit absoluter Freiheit, erfüllen ihre Wirkungssphäre, fallen zufällig in Einem Puncte zusammen, und schliessen dadurch, gegenseitig unbeschadet der Freiheit beider, sich aus von ihren Wirkungssphären, oder wie wir jetzt wissen, aus ihren Räumen. – Das Ich setzt als Substanz, was es will, theilt gleichsam den Raum aus an Substanzen, wie es will; bestimmt sich selbst durch absolute Freiheit, was es zu dem im Raume bestimmten, was es in ihm zum bestimmbaren machen wolle; oder wählt durch Freiheit; nach welcher Richtung es den Raum durchlaufen wolle. Dadurch ist aller Zusammenhang zwischen dem Ich und Nicht-Ich aufgehoben; beide hängen durch nichts mehr zusammen, als durch den leeren Raum, welcher aber, da er völlig leer, und gar nichts weiter seyn soll, als die Sphäre, in welche das Nicht-Ich frei seine Producte realiter, und das Ich gleichfalls frei seine Producte, als erdichtete Producte eines Nicht-Ich, idealiter setzt, keines von beiden beschränkt, noch sie an einander knüpft. Das Entgegengesetztseyn, und dies unabhängige Daseyn des Ich und des Nicht-Ich ist erklärt, nicht aber die geforderte Harmonie zwischen beiden. – Den Raum nennt man mit Recht die Form, d. i. die subjective Bedingung der Möglichkeit der äusseren Anschauung. Giebt es nicht noch eine Form der Anschauung, so bleibt die geforderte Harmonie zwischen der Vorstellung und denn Dinge, die Beziehung derselben auf einander, demnach auch sogar ihre Entgegensetzung durch das Ich, unmöglich. Wir setzen unseren Weg fort, und werden auf ihm ohne Zweifel diese Form finden.


VIII.

1) Y und X in allen ihren möglichen Verhältnissen und Beziehungen unter einander, so auch in ihrem Verhältnisse[405] zu einander im Raume, – beide sind Producte der freien Wirksamkeit des vom Ich völlig unabhängigen Nicht-Ich. Sie sind dieses aber nicht, und sind überhaupt gar nicht für das Ich, ohne eine eigene freie Wirksamkeit desselben von seiner Seite.

2) Diese Wirksamkeit beider, des Ich und Nicht-Ich, muss Wechselwirksamkeit seyn, d. i. die Aeusserungen beider müssen zusammentreffen in einem Puncte: der absoluten Synthesis beider durch die Einbildungskraft. Diesen Vereinigungspunct setzt das Ich durch sein absolutes Vermögen, und es setzt ihn, als zufällig, d. i. das Zusammentreffen der Wirksamkeit beider entgegengesetzten ist zufällig, laut des vorigen §.

3) So wie eins von beiden Y oder X gesetzt werden soll, muss ein solcher Punct gesetzt werden. Es wird ein Object gesetzt, heisst: es wird mit einem solchen Puncte, Und vermittelst seiner mit einer Wirksamkeit des Ich synthetisch vereinigt.

4) Das Ich schwebt in Rücksicht der Bestimmtheit oder Unbestimmtheit des Y oder X frei zwischen entgegengesetzten Richtungen, heisst demnach: es hängt lediglich von der Spontaneität des Ich ab, ob es Y oder X mit dem Puncte, und dadurch mit dem Ich synthetisch vereinigen werde.

5) Diese so bestimmte Freiheit des Ich muss gesetzt werden durch die Einbildungskraft; die blosse Möglichkeit einer Synthesis des Punctes und einer Wirksamkeit des Nicht-Ich muss gesetzt werden. Dies ist nur möglich unter der Bedingung, dass der Punct von der Wirksamkeit des Nicht-Ich abgesondert gesetzt werden könne.

6) Aber ein solcher Punct ist gar nichts, denn eine Synthesis der Wirksamkeit des Ich und Nicht-Ich; mithin kann von ihm nicht alle Wirksamkeit des Nicht-Ich abgesondert werden, ohne dass er selbst gänzlich verschwinde. Demnach wird nur das bestimmte X davon abgesondert, und dagegen ein unbestimmtes Product, das a b c u.s.f. seyn kann, ein Nicht-Ich überhaupt, mit ihm synthetisch vereidas[406] letztere, damit er seinen bestimmten Charakter als synthetischer Punct behalte. (Dass es so seyn muss, ist aus schon oben angeführten Gründen klar. Das Zusammentreffen des X mit der Wirksamkeit des Ich, soviel als mit dem jetzt zu untersuchenden Puncte, sollte zufällig seyn, und als solches gesetzt werden; das heisst offenbar soviel als, es soll gesetzt werden, als damit zu vereinigend, oder auch nicht, demnach an seiner Stelle jedes mögliche Nicht-Ich.)

7) Das Ich soll, laut unserer ganzen Voraussetzung, den Punct mit X wirklich synthetisch vereinigen; denn es soll eine Anschauung von X vorhanden seyn, welche schon als solche, als blosse Anschauung, ohne diese Synthesis nicht möglich ist, laut des vorigen §. Diese Synthesis nun geschieht, wie vorher erwiesen worden, mit absoluter Spontaneität ohne allen Bestimmungsgrund. Aber dadurch, dass X mit dem Puncte vereinigt wird, wird alles mögliche übrige von ihm ausgeschlossen; denn er ist der Vereinigungspunct des Ich mit einer, als Substanz, als selbstständig, einfach und freiwirkend gesetzten Kraft im Nicht-Ich; also werden mehrere mögliche Kräfte dadurch ausgeschlossen.

8) Dieses Zusammensetzen soll nun wirklich ein Zusammensetzen seyn, und als solches gesetzt werden, d. i. es soll geschehen durch absolute Spontaneität des Ich, und das Zeichen derselben, die Zufälligkeit, in keiner der oben angeführten Rücksichten, sondern auch, indem die Synthesis wirklich geschieht, und wirklich alles übrige ausgeschlossen wird, an sich tragen, und mit diesem Zeichen und Merkmale gesetzt werden. Dies ist nicht möglich, ausser durch Entgegensetzung einer anderen nothwendigen Synthesis eines bestimmten Y mit einem Puncte; und zwar nicht mit dem des X, denn von ihm wird durch diese Synthesis alles andere ausgeschlossen, sondern mit einem anderen entgegengesetzten Puncte. Er heisse der Punct c, und der, mit welchem X vereinigt ist, d.[407]

9) Dieser Punct c ist, was der Punct d ist – synthetischer Vereinigungspunct der Wirksamkeit des Ich und Nicht-Ich. Aber darin ist er dem Puncte d entgegengesetzt, dass mit dem letzteren die Vereinigung betrachtet wird, als abhängig von der Freiheit; also, als auch anders seyn könnend; in c aber als nothwendig; sie kann nicht gesetzt werden, als anders seyn könnend. (Die synthetische Handlung ist geschlossen, völlig vorbei, und sie steht nicht mehr in meiner Hand.)

10) Die Zufälligkeit der synthetischen Vereinigung mit d muss gesetzt werden, mithin muss auch die Nothwendigkeit der Vereinigung mit c gesetzt werden. Es müssen demnach beide in dieser Beziehung gesetzt werden, als nothwendig und zufällig in Rücksicht auf einander. Wenn die synthetische Vereinigung mit d gesetzt werden soll, so muss die mit c als geschehen gesetzt werden; nicht aber wird umgekehrt, wenn die mit c gesetzt wird, die mit d als geschehen gesetzt.

11) Nun soll die Synthesis mit d geschehen, laut Postulats; wird sie als solche gesetzt, so wird sie nothwendig gesetzt als abhängig, bedingt durch die Synthesis mit c. Nicht aber ist umgekehrt c bedingt durch d.

12) Nun soll ferner die Synthesis mit c gerade das seyn, was die mit d ist, eine willkürliche, zufällige Synthesis. Wird sie als solche gesetzt, so muss ihr wieder eine andere mit b als nothwendig entgegengesetzt werden, von welcher sie abhängig und durch sie bedingt ist, nicht aber umgekehrt diese durch sie. Ferner ist b das gleiche, was c und d ist, eine zufällige Synthesis; und inwiefern sie als solche gesetzt wird, wird ihr eine andere nothwendige mit a entgegengesetzt, zu welcher sie sich gerade so verhält, wie sich zu ihr c und zu c d verhält; und so ins unendliche hinaus. Und so bekommen wir eine Reihe Puncte, als synthetische Vereinigungspuncte einer Wirksamkeit des Ich und des Nicht-Ich in der Anschauung, wo jeder von einem bestimmten anderen abhängig ist, der umgekehrt von ihm nicht wieder abhängt, und jeder einen bestimmten anderen[408] hat, der von ihm abhängig ist, ohne dass er selbst hinwiederum von ihm abhänge; kurz eine Zeit-Reihe.

13) Das Ich setzte sich, nach obiger Erörterung, als völlig frei, mit dem Puncte zu vereinigen, was es nur wollte, also das gesammte unendliche Nicht Ich. Der so bestimmte Punct ist nur zufällig, und nicht nothwendig; nur abhängig, ohne einen anderen zu haben, der von ihm abhängt, und heisst der gegenwärtige.

14) Demnach sind, wenn von der synthetischen Vereinigung eines bestimmten Punctes mit dem Objecte, mithin von der gesammten Wirksamkeit des Ich, die nur durch diesen Punct mit dem Nicht-Ich vereinigt ist, abstrahirt wird, die Dinge, an sich und unabhängig von dem Ich betrachtet, zugleich (d. i. synthetisch vereinbar mit einem und ebendemselben Puncte) im Raume; aber sie können nur nach einander, in einer successiven Reihe, deren jegliches Glied von einem anderen abhängig ist, ohne dass dasselbe von ihm abhänge wahrgenommen werden in der Zeit.

Wir machen hierbei noch folgende Bemerkungen:

a. Es ist für uns überhaupt gar keine Vergangenheit, als inwiefern sie in der Gegenwart gedacht wird. Was gestern war (man muss sich wohl transcendent ausdrücken, um sich überhaupt ausdrücken zu können), ist nicht; es ist lediglich, inwiefern ich im gegenwärtigen Augenblicke decke, dass es gestern war. Die Frage: ist denn nicht wirklich eine Zeit vergangen? ist mit der: giebt es denn ein Ding an sich, oder nicht? völlig gleichartig. Es ist allerdings eine Zeit vergangen, wenn ihr eine setzet, als vergangen; und wenn ihr jene Frage aufwerft, setzet ihr eine vergangene Zeit; wenn ihr sie nicht setzet, werft ihr jene Frage nicht auf, und es ist sodann keine Zeit für euch vergangen. – Eine sehr greifliche Bemerkung, welche schon längst zu den richtigen Vorstellungen über die Idealität der Zeit hätte führen sollen.

b. Aber es ist für uns nothwendig eine Vergangenheit; denn nur unter Bedingung derselben ist eine Gegenwart, und nur unter Bedingung einer Gegenwart ein Bewusstseyn[409] möglich. Wir wiederholen im Zusammenhange den Beweis des letzteren, welcher eben in diesem § geführt werden sollte. – Bewusstseyn ist nur möglich unter der Bedingung, dass das Ich ein Nicht-Ich sich entgegensetze; dieses Entgegensetzen begreiflicherweise nur unter der Bedingung, dass es seine ideale Thätigkeit auf das Nicht-Ich richte. Diese Thätigkeit ist die seinige, und nicht die des Nicht-Ich, lediglich inwiefern sie frei ist, inwiefern sie demnach auf jedes andere Object gehen könne, als auf dieses. So muss sie gesetzt werden, wenn ein Bewusstseyn möglich seyn soll, und so wird sie gesetzt, und das ist der Charakter des gegenwärtigen Moments, dass auch jede andere Wahrnehmung in ihn fallen könnte. Dies ist nur möglich unter Bedingung eines anderen Moments, in den keine andere Wahrnehmung gesetzt werden kann, als diejenige, welche in ihn gesetzt ist; und das ist der Charakter des vergangenen Moments. Das Bewusstseyn ist also nothwendig Bewusstseyn der Freiheit und der Identität; das letztere darum, weil jeder Moment, so gewiss er ein Moment seyn soll, an einen anderen geknüpft werden muss. Die Wahrnehmung B ist keine Wahrnehmung, wenn nicht eine andere A desselben Subjects vorausgesetzt wird. Möge jetzt A immer verschwinden, soll das Ich zur Wahrnehmung C fortgehen, so muss wenigstens B als Bedingung derselben gesetzt werden; und so ins unendliche fort. An dieser Regel hängt die Identität des Bewusstseyns, für welche, der Strenge nach, wir immer nur zweier Momente bedürfen. – Es giebt gar keinen ersten Moment des Bewusstseyns, sondern nur einen zweiten.

c. Allerdings kann der vergangene Moment und jeder mögliche vergangene Moment wieder zum Bewusstseyn erhoben, repräsentirt oder vergegenwärtiget, gesetzt werden, als in denselben Subjecte vorgekommen, wenn darauf reflectirt wird, dass in ihn doch auch eine andere Wahrnehmung hätte fallen können. Dann wird demselben wieder ein anderer ihm vorhergehender entgegengesetzt, in welchen, wenn in den letzteren einmal eine gewisse bestimmte[410] Wahrnehmung gesetzt werden soll, keine andere fallen konnte, als die, welche in ihn gefallen ist. daher kommt es, dass wir immer, soweit wir nur wollen, ja ins unbedingte und unendliche hinaus, zurückgehen können.

d. Eine bestimmte Quantität des Raumes ist immer zugleich; eine Quantität der Zeit immer nach einander. Daher können wir das eine nur durch das andere messen: den Raum durch die Zeit, die man braucht, um ihn zu durchlaufen; die Zeit durch den Raum, den wir, ohne irgend ein regelmässig sich fortbewegender Körper (die Sonne, die Zeiger an der Uhr, der Pendul) in ihr durchlaufen kann.

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 1, Berlin 1845/1846, S. 391-411.
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