Vorrede zur ersten Auflage.1

[12] Dieser Aufsatz heisst ein Versuch, nicht als ob man überhaupt bei Untersuchungen der Art blind herumtappen und nach Grund fühlen müsse, und nie ein sicheres Resultat finden könne; sondern darum, weil ich mir noch nicht die Reife zutrauen darf, die dazu gehören würde, dies sichere Resultat hinzustellen. Wenigstens war diese Schrift ihrer ersten Bestimmung nach nicht für die Presse; verehrungswürdige Männer beurtheilten sie gütig, und sie waren es, die mir den ersten Gedanken, sie dem Publicum vorzulegen, gaben.

Hier ist sie. Stil und Einkleidung sind meine Sache; der Tadel oder die Verachtung, die diese trifft, trifft nur mich, und das ist wenig. Das Resultat ist Angelegenheit der Wahrheit, und das ist mehr. Dieses muss einer strengen, aber sorgfältigen und unparteiischen Prüfung unterworfen werden. Ich wenigstens verfuhr unparteiisch.

Ich kann geirrt haben, und es wäre ein Wunder, wenn ich es nicht hätte. Welchen Ton der Zurechtweisung ich verdiene, entscheide das Publicum.

Jede Berichtigung, in welchem Tone sie auch abgefasst sey, werde ich dankbar anerkennen; jedem Einwurfe, der mir der Sache der Wahrheit zuwider scheint, begegnen, so gut ich kann. Ihr, der Wahrheit, weihe ich mich feierlich, bei meinem ersten Eintritte ins Publicum. Ohne Rücksicht auf Partei, oder auf eigene Ehre, werde ich immer dafür anerkennen, was ich dafür halte, es komme, woher es wolle, und nie dafür anerkennen, was ich nicht dafür halte. – Das Publicum verzeihe es mir, dieses erste und einzige mal vor ihm von mir[12] gesprochen zu haben. Ihm kann diese Versicherung sehr unwichtig seyn; aber mir war es wichtig für mich selbst, dasselbe zum Zeugen meines feierlichen Gelübdes zu nehmen.

Königsberg, im December 1791.


Vorrede zur zweiten Auflage.

Auch nach dieser zweiten Ausgabe bleibt gegenwärtige Schrift noch immer ein Versuch; so unangenehm es mir auch war, mich der gütigen Meinung, die ein verehrungswürdiger Theil des Publicums etwa von ihrem Verfasser gefasst haben könnte, nur aus einer grossen Entfernung anzunähern. So fest auch meines Erachtens noch die Kritik der Offenbarung auf dem Boden der praktischen Philosophie als ein einzelnes Nebengebäude steht; so kommt sie doch erst durch eine kritische Untersuchung der ganzen Familie, wozu jener Begriff gehört, und welche ich die der Reflexionsideen nennen möchte, mit dem ganzen Gebäude in Verbindung, und wird erst dadurch unzertrennlich mit ihm vereinigt.

Diese Kritik der Reflexionsideen war es, welche ich lieber als eine zweite Ausgabe der gegenwärtigen Schrift hätte geben mögen, wenn meine Musse hingereicht hätte, mehr zu leisten, als ich wirklich geleistet habe. Jedoch werde ich, ohne Anstand, zur Bearbeitung der dafür gesammelten Materialien schreiten, und dann wird diese Schrift eine weitere Auseinandersetzung eines dort nur kurz zu behandelnden Theils jener Kritik seyn.

Was ich in dieser zweiten Ausgabe hinzugefügt oder geändert habe, und warum – wird hoffentlich jeder Kenner selbst bemerken. Einige Erinnerungen, worunter ich deren in den Göttingschen gelehrten Anzeigen mit Achtung erwähne,2 kamen[13] mir zu spät zu Gesicht, als dass ich ausdrücklich auf sie hätte Rücksicht nehmen können. Da sie jedoch nicht mein Verfahren im Ganzen treffen, sondern durch eine weitläufigere Erläuterung einzelner Resultate zu heben sind, so hoffe ich in der künftigen Kritik der Reflexionsideen den würdigen Recensenten völlig zu befriedigen.

Noch bin ich eine nähere Bestimmung des in der ersten Vorrede gegebenen Versprechens, mich auf jeden mir ungegründet scheinenden Einwurf gegen diese Kritik einzulassen, dem Publicum schuldig – – Ich konnte dieses Versprechen nur in dem Sinne geben, insofern es mir scheinen würde, dass die Wahrheit selbst, oder ihre Darstellung durch Erörterung der Einwürfe gewinnen könnte; und dieser Zweck scheint mir auf keine würdigere Art erreicht werden zu können, als wenn ich in meinen künftigen Arbeiten auf Einwürfe gegen das, was ich wirklich behaupte, oder zu behaupten scheine – nicht aber etwa gegen das, was ich ausdrücklich läugne – da, wo ich den Urheber derselben nicht mit der grössten Hochachtung nennen könnte, nur stillschweigend Rücksicht nehme.

Zur Jubilate-Messe 1793.[14]

1

Diese Vorrede, und das ächte vom Verfasser mit seinem Namen unterzeichnete Titelblatt wurden durch ein Versehen nicht in der Ostermesse, aber wohl späterhin, mit ausgegeben.

Der Verleger.

2

Verfasst von C. Fr. Stäudlin; vergl. desselben »Geschichte des Rationalismus und Supranaturalismus.« Göttingen, 1826, S. 166. [Anm. d. Herausg.]

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 5, Berlin 1845/1846, S. 12-15.
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