Vorrede

[3] Es giebt gelehrte Herren, die uns eine nicht geringe Meinung von ihrer eigenen Gründlichkeit beizubringen glauben, indem sie alles, was mit einiger Lebhaftigkeit geschrieben ist, mit dem Prädicate einer Declamation kurz abfertigen. Sollten gegenwärtige Blätter durch ein Ohngefähr bis zu den Händen eines dieser gründlichen Herren gelangen, so gestehe ich ihnen im voraus, dass dieselben gar nicht bestimmt waren, einen so reichhaltigen Gegenstand zu erschöpfen, sondern nur dem ununterrichteteren Publicum, das wenigstens durch seinen hohen Standpunct und durch seine starke Stimme Einfluss genug auf das allgemeine Urtheil hat, einige dahin einschlagende Ideen mit einiger Wärme ans Herz zu legen. Mit Gründlichkeit ist diesem Publicum gemeinhin nicht wohl beizukommen. Wenn aber jene gründlicheren Leute in diesen Blättern auch gar keine Spur eines festeren, tieferen Systems, auch gar keinen des weiteren Nachdenkens nicht unwürdigen Wink finden sollten, so könnte die Schuld zum Theil mit an ihnen liegen.

Es ist eine der charakteristischen Eigenheiten unseres Zeitalters, dass man mit seinem Tadel sich so gern an Fürsten und Grosse wagt. Reizt die Leichtigkeit, Satiren auf Fürsten zu machen, oder glaubt man durch die scheinbare Grösse seines Gegenstandes sich selbst zu erheben? In einem Zeitalter, wo doch die mehresten der deutschen Fürsten sich durch guten Willen und Popularität auszuzeichnen suchen; wo sie so viel thun, um die Etikette, die einst zwischen ihnen und ihren Mitbürgern eine ungeheure Kluft befestigte, und die ihnen selbst ebenso lästig, als diesen schädlich ward, zu vernichten; wo insbesondere manche sich das Ansehen geben, Gelehrte und Gelehrsamkeit zu schätzen, ist dies doppelt auffallend. – Kann man sich nicht vor seinem eigenen Gewissen das Zeugniss geben, dass[3] man seiner Sache sicher, und dass man fest genug sey, alle Folgen, die die Verbreitung der anerkannten und nützlichen Wahrheit für uns selbst haben könnte, mit eben der Würde zu ertragen, mit der man die Wahrheit sagte; so verlässt man sich entweder auf die Gutmüthigkeit dieser so schwer angeschuldigten Fürsten, oder auf seine eigene unbedeutende und folgenlose Obscurität. Der Verfasser dieser Blätter glaubt weder durch seine Behauptungen noch durch seinen Ton irgend einen Fürsten der Erde zu beleidigen, sondern vielmehr sie alle zu verbinden. Dass man glaubt, in einem gewissen grossen Staate werde den Sätzen, die er hier zu begründen sucht, geradezu entgegengehandelt, hat ihm freilich nicht verborgen bleiben können; aber er wusste nicht weniger, dass in benachbarten protestantischen Staaten wohl mehr geschieht, ohne dass jemand sich sonderlich dagegen ereifert, weil man es da von jeher nicht anders gewohnt war; er wusste, dass es leichter ist zu untersuchen, was geschehen solle, oder nicht solle, als unparteiisch zu beurtheilen, was wirklich geschehe; und seine Lage versagte ihm die Data für ein gründliches Urtheil der letztern Art. Er wusste, dass, wenn auch nicht alle Thatsachen als solche sich sollten vertheidigen lassen, dennoch die Triebfedern derselben sehr edel sein könnten – und in unseren Falle würde er die erfinderische Güte bewundern, die uns zur wärmeren Schätzung und zum eifrigeren Gebrauche eines Guts, gegen das der langwierige Genuss uns kaltgemacht hatte, durch den scheinbaren Versuch es uns zu rauben, kräftiger erwecken wollte, – die seltene Grossmuth anstaunen, die sich und ihre liebsten Freunde der Gefahr, verkannt, verlästert, gehasst zu werden, wohlüberlegterweise aussetzte, bloss um die Aufklärung zu befördern und höher zu bringen. Endlich wusste er, dass er selbst durch diese Blätter jedem Staate eine erwünschte Gelegenheit giebt, durch die Erlaubnis ihres Druckes und ihres öffentlichen Verkaufes, durch die Vertheilung derselben an seine Geistlichen, u.s.w. die Reinheit seiner Absichten zu beweisen. Kein Staat, in welchem diese Blätter gedruckt und öffentlich verkauft werden, sucht die Aufklärung zu unterdrücken. Hat der Verfasser geirrt, so wird der wahrheitsliebende Herr Cranz nicht säumen, ihn zu widerlegen. Es geschieht demnach[4] gar nicht aus poetischen, sondern aus schriftstellerischen Gründen, dass der Verfasser seinen Namen nicht anzeigt. Wer ein Recht hat, darnach zu fragen, und auf rechtliche Art fragt, dem wird er sich ohne Scheu nennen; und zu seiner Zeit wird er sich ungefragt nennen: denn chaque honnête homme doit avouer, ce qu'il a écrit, denkt er mit Rousseau.

Um wie viel weniger Elend die Menschheit unter den mehresten ihrer gegenwärtigen Staatsverfassungen erdulde, als sie im Stande der gänzlichen Auflösung erdulden wurde, wollen wir hier nicht untersuchen; genug, sie duldet – und sie soll dulden: das Land unserer Staatsverfassungen ist das Land der Mühe und der Arbeit; das Land des Genusses liegt nicht unterm Monde. Aber eben dieses Elend soll ihr ein treibender Stachel seyn, ihre Kräfte zu üben, im Kampfe mit ihm, und im schwer zu erringenden Siege sich für den künftigen Genuss zu stärken. Die Menschheit sollte elend seyn, aber sie sollte nicht elend bleiben. Ihre Staatsverfassungen, die Quellen ihres gemeinsamen Elends, konnten bis jetzt freilich nicht besser seyn – sonst wären sie es – aber sie sollen immer besser werden. Dieses geschah, soweit wir die Menschengeschichte vor uns verfolgen können, und wird geschehen, so lange eine Menschengeschichte seyn wird, auf zweierlei Art: entweder durch gewaltsame Sprünge, oder durch allmähliches, langsames, aber sicheres Fortschreiten. Durch Sprünge, durch gewaltsame Staatserschütterungen und Umwälzungen kann ein Volk während eines halben Jahrhunderts weiter vorwärts kommen, als es in zehen gekommen wäre – aber dieses halbe Jahrhundert ist auch elend und mühevoll – aber es kann auch ebenso weit zurückkommen, und in die Barbarei des vorigen Jahrtausends zurückgeworfen werden. Die Weltgeschichte liefert Belege zu beiden. Gewaltsame Revolutionen sind stets ein kühnes Wagestück der Menschheit; gelingen sie, so ist der errungene Sieg des ausgestandenen Ungemachs wohl werth; misslingen sie, so drängt ihr euch durch Elend zu grösserem Elende hindurch. Sicherer ist allmähliches Fortschreiten zur grösseren Aufklärung, und mit ihr zur Verbesserung der Staatsverfassung. Die Fortschritte, die ihr macht, sind weniger bemerkbar, indem sie geschehen; aber ihr[5] seht hinter euch, und ihr erblicket eine grosse Strecke zurückgelegten Weges. So machte in unserem gegenwärtigen Jahrhunderte die Menschheit, besonders in Deutschland, ohne alles Aufsehen einen grossen Weg. Es ist wahr, der gothische Umriss des Gebäudes ist noch fast allenthalben sichtbar; die neuen Nebengebäude sind noch bei weitem nicht in ein festes Ganze vereinigt; aber sie sind doch da, und fangen an bewohnt zu werden, und die alten Raubschlösser verfallen. Sie werden, wenn man uns nicht stört, immermehr von Menschen geräumt, und den lichtscheuen Eulen und Fledermäusen zur Wohnung überlassen werden; die neuen Gebäude werden sich erweitern, und allmählich zu einem immer regelmässigeren Ganzen vereinigen.

Dies waren unsere Aussichten, und diese wollte man uns durch Unterdrückung unserer Denkfreiheit rauben? – und diese könnten wir uns rauben lassen! – Hemmt man den Fortgang des menschlichen Geistes, so sind nur zwei Fälle möglich: der erstere, unwahrscheinlichere – wir bleiben stehen, wo wir waren, wir geben alle Ansprüche auf Verminderung unseres Elendes und Erhöhung unserer Glückseligkeit auf; wir lassen uns die Grenzen setzen, über die wir nicht schreiten wollen; – oder der zweite, weit wahrscheinlichere: der zurückgehaltene Gang der Natur bricht gewaltsam durch und vernichtet alles, was ihm im Wege steht, die Menschheit rächt sich auf das grausamste an ihren Unterdrückern, Revolutionen werden nothwendig. Man hat von einem schreklichen Schauspiele der Art, das unsere Tage lieferten, noch nicht die wahre Anwendung gemacht. Ich befürchte, es ist nicht mehr Zeit, oder es ist hohe Zeit, die Dämme, die man noch immer, jenes Schauspiel vor den Augen, anderwärts dem Gange des menschlichen Geistes entgegensetzt, zu lüften, damit er sie nicht gewaltsam durchbreche, und die Fluren umher schrecklich verwüste.

Nein, ihr Völker, alles, alles gebt hin, nur nicht die Denkfreiheit. Immer gebt eure Söhne in die wilde Schlacht, um sich mit Menschen zu würgen, die sie nie beleidigten, oder von Seuchen entweder aufgezehrt zu werden, oder sie in eure friedlichen Wohnungen als eine Beute mit zurückzubringen; immer[6] entreisst euer letztes Stückchen Brot dem hungernden Kinde und gebt es dem Hunde des Günstlings – gebt, gebt alles hin; nur dieses vom Himmel abstammende Palladium der Menschheit, dieses Unterpfand, dass ihr noch ein anderes Loos bevorstehe, als dulden, tragen und zerknirscht werden, – nur dieses behauptet. Die künftigen Generationen möchten schrecklich von euch zurückfordern, was euch zur Ueberlieferung an sie von euren Vätern übergeben wurde. Wären diess so feige gewesen als ihr, – ständet ihr dann nicht noch immer unter der entehrendsten Geistes- und Leibes-Sklaverei eines geistlichen Despoten? Unter blutigen Kämpfen errangen jene, was ihr nur durch ein wenig Festigkeit behaupten könnt.

Eure Fürsten hasst darum nur nicht; euch selbst solltet ihr hassen. Eine der ersten Quellen eures Elendes ist die, dass ihr von ihnen und ihren Helfern viel zu hohe Begriffe habt. Es ist wahr, sie durchwühlen die Finsternisse halbbarbarischer Jahrhunderte mit emsigen Händen, und glauben eine herrliche Perle gefunden zu haben, wenn sie einer Maxime derselben auf die Spur gekommen sind – dünken sich sehr weise, wenn sie diese spärlichen Maximen, so wie sie sie fanden, ihrem Gedächtnisse aufgezwungen haben: aber das könnt ihr sicher glauben, dass sie von dem, was sie wissen sollten, von ihrer eigenen wahren Bestimmung, von Menschenwerth und Menschenrechten, weniger wissen, als der Ununterrichtetste unter euch. Wie sollten sie so etwas je erfahren? – sie, für die man eine eigene Wahrheit hat, die nicht durch die Grundsätze, auf welche die allgemeine Menschenwahrheit sich gründet, sondern durch die Staatsverfassung, die Lage, das politische System ihres Landes bestimmt wird, sie, deren Kopfe man von Jugend auf mühsam die allgemeine Menschenform nimmt, und ihm diejenige einpresst, in welche allein eine solche Wahrheit passt, – in deren zartes Herz man von Jugend auf die Maxime einprägt: Alle die Menschen, Sire, die Sie da sehen, sind für Sie da, sind Ihr Eigenthum.1 Wie sollten sie, wenn sie es auch erführen, je[7] Kraft haben, es zu begreifen? – sie, deren Geiste man künstlich durch eine erschlaffende Sittenlehre, durch frühe Wollüste, und, wenn sie für diese verstimmt sind, durch späten Aberglauben seine Schwungkraft raubt. Man ist versucht, ein stets fortdauerndes Wunder der Fürsehung anzunehmen, wenn man in der Geschichte doch so ungleich mehr bloss schwache, als böse Fürsten antrifft; und ich wenigstens rechne den Fürsten alle Laster, die sie nicht haben, für Tugenden an, und danke ihnen für alles das Böse, das sie mir nicht thun.

Und solche Fürsten überredet man die Denkfreiheit zu unterdrücken- nicht etwa um euretwillen. Möchtet ihr doch denken und untersuchen, und auf den Dächern predigen, was ihr wolltet; die Satelliten des Despotismus achten eurer nicht; ihre Gewalt steht viel zu fest; ihr mögt von der Rechtmässigkeit ihrer Forderungen überzeugt seyn oder nicht: was verschlägt ihnen dies? sie werden euch schon durch Entehrung oder durch Hunger, durch Festungsstrafe, oder durch Hinrichtungen zu zwingen wissen. Aber ihr macht bei euren Untersuchungen ein grosses Geschrei – sie werden es zwar freilich an Sorgfalt nicht fehlen lassen, das Ohr des Fürsten zu bewachen – aber es könnte doch, es wäre doch möglich, dass irgend einmal ein unglückliches Wort bis zu demselben gelangte, dass er weiter forschte, dass er endlich weiser würde und erkännte, was zu seinem und eurem Frieden diente. Daran nur wollen sie euch verhindern; und daran, ihr Völker, müsst ihr euch nicht verhindern lassen!

Ruft es, ruft es in jedem Tone euren Fürsten in die Ohren, bis sie es hören, dass ihr euch die Denkfreiheit nicht werdet nehmen lassen, und beweist ihnen die Zuverlässigkeit dieser Versicherung durch euer Betragen. Lasset euch nicht durch die Furcht des Vorwurfs der Unbescheidenheit abschrecken. Gegen was könntet ihr denn unbescheiden seyn? Gegen das Gold und die Diamanten an der Krone, gegen den Purpur am Kleide eures Fürsten; nicht – gegen Ihn. Es gehört wenig Selbstzutrauen dazu, um zu glauben, dass man Fürsten Dinge sagen könne, die sie nicht wissen.

Und besonders ihr alle, die ihr Kräfte dazu habt, kündigt[8] doch jenem ersten Vorurtheile, woraus alle unsere Uebel folgen, jener giftigen Quelle alles unseres Elendes, jenem Satze: dass es die Bestimmung des Fürsten sey, für unsere Glückseligkeit zu wachen, den unversöhnlichsten Krieg an; verfolgt ihn in alle die Schlupfwinkel, durch das ganze System unseres Wissens, in die er sich versteckt hat, bis er von der Erde vertilgt, und zur Hölle zurückgekehrt sey, daher er kam. Wir wissen nicht, was unsere Glückseligkeit befördere: weiss es der Fürst, und ist er dazu da, uns zu ihr zu leiten, so müssen wir mit verschlossenen Augen unserem Führer folgen; er thut mit uns, was er will, und wenn wir ihn fragen, so versichert er uns auf sein Wort, dass das zu unserer Glückseligkeit nöthig sey; er legt der Menschheit den Strick um den Hals und ruft: stille, stille es geschieht alles zu deinem Besten.2

Nein, Fürst, du bist nicht unser Gott. Von ihm erwarten wir Glückseligkeit; von dir die Beschützung unserer Rechte. Gütig sollst du nicht gegen uns seyn; du sollst gerecht seyn.[9]

1

Worte, die der Führer Ludwigs des XV. diesem königlichen Knaben bei einer grossen Volksversammlung sagte.

2

So sagte der Henker der Inquisition zu Don Carlos bei der gleichen Beschäftigung. Wie sonderbar doch Leute von verschiedenen Handwerken aufeinander treffen!

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 6, Berlin 1845/1846, S. 3-10.
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