Zweite Rede

Der Bürger von Aṭṭhakam

[384] Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der ehrwürdige Ānando bei Vesālī, nahe dem Bilva-Weiler. Um diese Zeit nun war Dasamo der Hausvater, ein Bürger von Aṭṭhakam, in Pāṭaliputtam angekommen, irgendein Geschäft zu erledigen.

Und Dasamo der Hausvater, der Bürger von Aṭṭhakam, begab sich nach dem Hahnenhaine, wo einer der Mönche weilte, begrüßte diesen ehrerbietig und setzte sich zur Seite hin. Zur Seite sitzend sprach nun Dasamo der Hausvater, der Bürger von Aṭṭhakam, also zu dem Mönche:

»Wo hält sich denn, o Herr, der ehrwürdige Ānando jetzt auf? Wir möchten jenen ehrwürdigen Ānando gerne sehn.«

»Der ehrwürdige Ānando, Hausvater, der hält sich bei Vesālī auf, nahe dem Bilva-Weiler.«

Als nun Dasamo der Hausvater, der Bürger von Aṭṭhakam, sein Geschäft in Pāṭaliputtam erledigt hatte, begab er sich nach Vesālī, zum Bilva-Weiler, dorthin wo der ehrwürdige Ānando weilte, begrüßte ihn ehrerbietig und setzte sich zur Seite hin. Zur Seite sitzend sprach nun Dasamo der Hausvater, der Bürger von Aṭṭhakam, also zum ehrwürdigen Ānando:

»Ist wohl, Herr Ānando, von Ihm, dem Erhabenen, dem Kenner, dem Seher, dem Heiligen, vollkommen Erwachten, eine Weise angegeben worden, wobei dem Mönche, der unermüdlich, in heißem, innigem Ernste beharrt, das unerlöste Gemüt sich löst, der unversiegte Wahn zur Versiegung kommt, wo man die unerreichte unvergleichliche Sicherheit erreicht?«

»Es ist, Hausvater, von Ihm, dem Erhabenen, dem Kenner, dem Seher, dem Heiligen, vollkommen Erwachten, eine Weise angegeben worden, wobei dem Mönche, der unermüdlich, in heißem, innigem Ernste beharrt, das unerlöste Gemüt sich löst, und der unversiegte Wahn zur Versiegung kommt, und wo man die unerreichte unvergleichliche Sicherheit erreicht.«

»Was ist das aber, Herr Ānando, für eine Weise, die von Ihm, dem Erhabenen, dem Kenner, dem Seher, dem Heiligen, vollkommen Erwachten angegeben wurde, wobei dem Mönche, der unermüdlich, in heißem, innigem Ernste beharrt, das unerlöste Gemüt sich löst, und der unversiegte Wahn zur Versiegung kommt, und wo man die unerreichte unvergleichliche Sicherheit erreicht?«

[385] »Da weilt, Hausvater, ein Mönch, gar fern von Begierden, fern von unheilsamen Dingen, in sinnend gedenkender ruhegeborener seliger Heiterkeit, in der Weihe der ersten Schauung. Und er überlegt also: ›Auch diese erste Schauung ist zusammengesetzt, zusammengesonnen: was aber irgend zusammengesetzt, zusammengesonnen ist, das ist wandelbar, muß untergehn‹, so erkennt er. Und dahin gekommen, erlangt er die Wahnversiegung. Erlangt er aber die Wahnversiegung nicht, so wird er eben bei seiner Begier nach Wahrheit, bei seinem Genusse der Wahrheit die fünf niederzerrenden Fesseln vernichten und emporsteigen, um von dort aus zu erlöschen, nicht mehr zurückzukehren nach jener Welt. Das aber, Hausvater, ist von ihm, dem Erhabenen, dem Kenner, dem Seher, dem Heiligen, vollkommen Erwachten, als eine Weise angegeben worden, wobei dem Mönche, der unermüdlich, in heißem, innigem Ernste beharrt, das unerlöste Gemüt sich löst, und der unversiegte Wahn zur Versiegung kommt, und wo man die unerreichte unvergleichliche Sicherheit erreicht.

Weiter sodann, Hausvater: nach Vollendung des Sinnens und Gedenkens gewinnt der Mönch die innere Meeresstille, die Einheit des Gemütes, die von sinnen, von gedenken freie, in der Einigung geborene selige Heiterkeit, die Weihe der zweiten Schauung – die Weihe der dritten Schauung – die Weihe der vierten Schauung. Und er überlegt also: ›Auch diese vierte Schauung ist zusammengesetzt, zusammengesonnen: was aber irgend zusammengesetzt, zusammengesonnen ist, das ist wandelbar, muß untergehn‹: so erkennt er. Und dahin gekommen erlangt er die Wahnversiegung. Erlangt er aber die Wahnversiegung nicht, so wird er eben bei seiner Begier nach Wahrheit, bei seinem Genusse der Wahrheit die fünf niederzerrenden Fesseln vernichten und emporsteigen, um von dort aus zu erlöschen, nicht mehr zurückzukehren nach jener Welt. Das aber, Hausvater, ist von Ihm, dem Erhabenen, dem Kenner, dem Seher, dem Heiligen, vollkommen Erwachten, als eine Weise angegeben worden, wobei dem Mönche, der unermüdlich, in heißem, innigem Ernste beharrt, das unerlöste Gemüt sich löst, und der unversiegte Wahn zur Versiegung kommt, und wo man die unerreichte unvergleichliche Sicherheit erreicht.

Weiter sodann, Hausvater: liebevollen Gemütes – erbarmenden Gemütes – freudevollen Gemütes – unbewegten Gemütes weilend strahlt der Mönch nach einer Richtung, dann nach einer zweiten, dann nach der dritten, dann nach der vierten, ebenso nach oben und nach unten: überall in allem sich wiedererkennend durchstrahlt er die ganze Welt mit unbewegtem Gemüte, mit weitem, tiefem, unbeschränktem, von Grimm und Groll geklärtem. Und er überlegt also: ›Auch diese unbewegte Gemüterlösung ist zusammengesetzt, zusammengesonnen: was aber irgend zusammengesetzt, zusammengesonnen [386] ist, das ist wandelbar, muß untergehn‹: so erkennt er. Und dahinge kommen erlangt er die Wahnversiegung. Erlangt er aber die Wahnversiegung nicht, so wird er eben bei seiner Begier nach Wahrheit, bei seinem Genusse der Wahrheit die fünf niederzerrenden Fesseln vernichten und emporsteigen, um von dort aus zu erlöschen, nicht mehr zurückzukehren nach jener Welt. Das aber, Hausvater, ist von Ihm, dem Erhabenen, dem Kenner, dem Seher, dem Heiligen, vollkommen Erwachten, als eine Weise angegeben worden, wobei dem Mönche, der unermüdlich, in heißem, innigem Ernste beharrt, das unerlöste Gemüt sich löst, und der unversiegte Wahn zur Versiegung kommt, und wo man die unerreichte unvergleichliche Sicherheit erreicht.

Weiter sodann, Hausvater: nach völliger Überwindung der Formwahrnehmungen, Vernichtung der Gegenwahrnehmungen, Verwerfung der Vielheitwahrnehmungen gewinnt der Mönch in dem Gedanken ›Grenzenlos ist der Raum‹ das Reich des unbegrenzten Raumes – gewinnt der Mönch nach völliger Überwindung der unbegrenzten Raumsphäre in dem Gedanken ›Grenzenlos ist das Bewußtsein‹ das Reich des unbegrenzten Bewußtseins – gewinnt der Mönch nach völliger Überwindung der unbegrenzten Bewußtseinsphäre in dem Gedanken ›Nichts ist da‹ das Reich des Nichtdaseins. Und er überlegt also: ›Auch dies Erfassen der Nichtdaseinsphäre ist zusammengesetzt, zusammengesonnen: was aber irgend zusammengesetzt, zusammengesonnen ist, das ist wandelbar, muß untergehn‹: so erkennt er. Und dahin gekommen erlangt er die Wahnversiegung. Erlangt er aber die Wahnversiegung nicht, so wird er eben bei seiner Begier nach Wahrheit, bei seinem Genusse der Wahrheit die fünf niederzerrenden Fesseln vernichten und emporsteigen, um von dort aus zu erlöschen, nicht mehr zurückzukehren nach jener Welt. Das aber, Hausvater, ist von Ihm, dem Erhabenen, dem Kenner, dem Seher, dem Heiligen, vollkommen Erwachten, als eine Weise angegeben worden, wobei dem Mönche, der unermüdlich in heißem, innigem Ernste beharrt, das unerlöste Gemüt sich löst, und der unversiegte Wahn zur Versiegung kommt, und wo man die unerreichte unvergleichliche Sicherheit erreicht.«

Nach dieser Rede wandte sich Dasamo der Hausvater, der Bürger von Aṭṭhakam, also an den ehrwürdigen Ānando:

»Gleichwie etwa, Herr Ānando, wenn ein Mann, der eine Schatzmulde sucht, auf einmal elf Schatzmulden fände: ebenso nun auch habe ich, o Herr, der eine Pforte der Ewigkeit suchte, auf einmal von elf Pforten der Ewigkeit erfahren. Gleichwie etwa, o Herr, ein Mann, der ein Haus mit elf Pforten hat, bei einer Feuersbrunst durch eine jede der Pforten sich zu retten vermöchte: ebenso nun auch könnte ich, o Herr, durch eine jede dieser elf Pforten der [387] Ewigkeit mich retten. – Da nun, o Herr, die anderen Geistlichen gewiß nicht ausbleiben werden, für ihren Lehrer das Lehrgeld einzusammeln46, warum sollt' ich nicht auch dem ehrwürdigen Ānando meine Ehrfurcht bezeugen?«

Und Dasamo, der Hausvater, der Bürger von Aṭṭhakam, bat die Mönche von Pāṭaliputtam und von Vesālī zu Gast und bediente und versorgte sie eigenhändig mit ausgewählter fester und flüssiger Speise; und er gab jedem der Mönche ein neues Paar Kleider, dem ehrwürdigen Ānando den Mantel dazu. Und er ließ dem ehrwürdigen Ānando ein Wohnhaus für fünfhundert Mönche erbauen47.

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 1, Zürich/Wien 41956, S. 384-388.
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