Siebente Rede

Der Hundelehrling

[420] Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der Erhabene im Lande der Koḷiyer, zu Haliddavasanam, einer Burg im Koḷiyergebiete.

Da nun begab sich der Koḷiyer Puṇṇo, ein Kuhlehrling, und Seniyo der Unbekleidete, ein Hundelehrling, dorthin wo der Erhabene weilte. Dort angelangt begrüßte der Koḷiyer Puṇṇo, der Kuhlehrling, den Erhabenen ehrerbietig und setzte sich seitwärts nieder; während Seniyo der Unbekleidete, der Hundelehrling, mit dem Erhabenen höflichen Gruß und freundliche, denkwürdige Worte wechselte und sich dann wie ein Hund eingerollt seitwärts hinsetzte.

Seitwärts sitzend sprach nun der Koḷiyer Puṇṇo, der Kuhlehrling, zum Erhabenen also:

»Dieser Unbekleidete, o Herr, Seniyo der Hundelehrling, übt schwere Buße: auf die Erde geworfene Nahrung nimmt er zu sich. Er hat das Hundegelübde lange Zeit hindurch befolgt und bewahrt: wohin wird er gelangen, was darf er erwarten?«

[420] »Genug, Puṇṇo, laß' es gut sein, frage mich das nicht!«

Und zum zweitenmal, und zum drittenmal sprach der Koḷiyer Puṇṇo, der Kuhlehrling, zum Erhabenen also:

»Dieser Unbekleidete, o Herr, Seniyo der Hundelehrling, übt schwere Buße: auf die Erde geworfene Nahrung nimmt er zu sich. Er hat das Hundegelübde lange Zeit hindurch befolgt und bewahrt: wohin wird er gelangen, was darf er erwarten?«

»Wohlan denn, Puṇṇo, du gibst mir nicht nach: genug, Puṇṇo, laß' es gut sein, frage mich das nicht; so will ich dir nun Rede stehn. Da verwirklicht, Puṇṇo, einer das Hundegelübde, kommt ihm ganz und gar nach, verwirklicht die Hundegewohnheit, kommt ihr ganz und gar nach, verwirklicht das Hundegemüt, kommt ihm ganz und gar nach, verwirklicht das Hundegehaben, kommt ihm ganz und gar nach. Und hat er das Hundegelübde verwirklicht, ist ihm ganz und gar nachgekommen, hat er die Hundegewohnheit verwirklicht, ist ihr ganz und gar nachgekommen, hat er das Hundegemüt verwirklicht, ist ihm ganz und gar nachgekommen, hat er das Hundegehaben verwirklicht, ist ihm ganz und gar nachgekommen, so gelangt er bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, unter Hunden wieder zum Dasein. Wenn er aber die Meinung hegt: ›Durch diese Übungen oder Gelübde, Kasteiung oder Entsagung, werd' ich ein Gott werden oder ein Göttlicher!‹, so ist es eine falsche Meinung. Und seine falsche Meinung, sag' ich, Puṇṇo, läßt ihn nach der einen oder nach der anderen Seite gelangen: in höllische Welt oder in tierischen Schoß. So führt also, Puṇṇo, das Hundegelübde, wenn es gelingt, zu den Hunden hin, und wenn es mißlingt, in höllische Welt.«

Auf diese Worte brach Seniyo der Unbekleidete, der Hundelehrling, in Wehklagen und Tränen aus. Und der Erhabene sprach nun zum Koḷiyer Puṇṇo, dem Kuhlehrling, also:

»Du hast mir ja, Puṇṇo, nicht nachgeben wollen: genug, Puṇṇo, laß' es gut sein, frage mich das nicht!«

»Nicht klage ich, o Herr, weil der Erhabene solches über mich ausgesagt hat, sondern weil ich, o Herr, dieses Hundegelübde lange Zeit hindurch befolgt und bewahrt habe! – Dieser Koḷiyer Puṇṇo, o Herr, der Kuhlehrling, hat das Kuhgelübde lange Zeit hindurch befolgt und bewahrt: wohin wird er gelangen, was darf er erwarten?«

»Genug, Seniyo, laß' es gut sein, frage mich das nicht!«

Und zum zweitenmal, und zum drittenmal sprach Seniyo der Unbekleidete, der Hundelehrling, zum Erhabenen also:

»Dieser Koḷiyer Puṇṇo, o Herr, der Kuhlehrling, hat das Kuhgelübde lange Zeit hindurch befolgt und bewahrt: wohin wird er gelangen, was darf er erwarten?«

[421] »Wohlan denn, Seniyo, du gibst mir nicht nach: genug, Seniyo, laß' es gut sein, frage mich das nicht; so will ich dir nun Rede stehn. Da verwirklicht, Seniyo, einer das Kuhgelübde, kommt ihm ganz und gar nach, verwirklicht die Kuhgewohnheit, kommt ihr ganz und gar nach, verwirklicht das Kuhgemüt, kommt ihm ganz und gar nach, verwirklicht das Kuhgehaben, kommt ihm ganz und gar nach. Und hat er das Kuhgelübde verwirklicht, ist ihm ganz und gar nachgekommen, hat er die Kuhgewohnheit verwirklicht, ist ihr ganz und gar nachgekommen, hat er das Kuhgemüt verwirklicht, ist ihm ganz und gar nachgekommen, hat er das Kuhgehaben verwirklicht, ist ihm ganz und gar nachgekommen, so gelangt er bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, unter Kühen wieder zum Dasein. Wenn er aber die Meinung hegt: ›Durch diese Übungen oder Gelübde, Kasteiung oder Entsagung werd' ich ein Gott werden oder ein Göttlicher!‹, so ist es eine falsche Meinung. Und seine falsche Meinung, sag' ich, Seniyo, läßt ihn nach der einen oder nach der anderen Seite gelangen: in höllische Welt oder in tierischen Schoß. So führt also, Seniyo, das Kuhgelübde, wenn es gelingt, zu den Kühen hin, und wenn es mißlingt, in höllische Welt.«

Auf diese Worte brach der Koḷiyer Puṇṇo, der Kuhlehrling, in Wehklagen und Tränen aus. Und der Erhabene sprach nun zu Seniyo dem Unbekleideten, dem Hundelehrling, also:

»Du hast mir ja, Seniyo, nicht nachgeben wollen: genug, Seniyo, laß' es gut sein, frage mich das nicht!«

»Nicht klage ich, o Herr, weil der Erhabene solches über mich ausgesagt hat, sondern weil ich, o Herr, dieses Kuhgelübde lange Zeit hindurch befolgt und bewahrt habe. – So viel trau' ich, o Herr, dem Erhabenen zu und glaube, der Erhabene kann die Lehre derart zeigen, daß ich eben von diesem Kuhgelübde, Seniyo aber der Unbekleidete, der Hundelehrling, von dem Hundegelübde abstehn mag!«

»So höre denn, Puṇṇo, und achte wohl auf meine Rede.«

»Gewiß, o Herr!« erwiderte da aufmerksam der Koḷiyer Puṇṇo, der Kuhlehrling, dem Erhabenen. Der Erhabene sprach also:

»Vier Arten von Taten, Puṇṇo, hab' ich mir offenbar gemacht, verwirklicht und erklärt: welche vier sind das? Es gibt, Puṇṇo, dunkle Tat, die dunkle Folge hat; es gibt, Puṇṇo, lichte Tat, die lichte Folge hat; es gibt, Puṇṇo, dunkel-lichte Tat, die dunkel-lichte Folge hat; es gibt, Puṇṇo, weder dunkle noch lichte Tat, die weder dunkle noch lichte Folge hat, Tat, die zur Tatenversiegung führt. Was ist das aber, Puṇṇo, für eine Tat, die dunkel ist und dunkle Folge hat? Da begeht einer, Puṇṇo, in Werken beschwerhafte Handlung, begeht in Worten beschwerhafte Handlung, begeht in Gedanken beschwerhafte Handlung. Und hat er in Werken beschwerhafte Handlung begangen, in Worten [422] beschwerhafte Handlung begangen, in Gedanken beschwerhafte Handlung begangen, so gelangt er in beschwerhafter Welt wieder zum Dasein. Und ist er in beschwerhafter Welt wieder zum Dasein gelangt, so empfangen ihn beschwerhafte Empfindungen. Und von beschwerhaften Empfindungen empfangen fühlt er ein beschwerhaftes Gefühl, einzig leidvoll, gleichwie etwa hollische Wesen. Also kommt, Puṇṇo, nach dem Wirken des Wesens Wiedersein zustande. Was einer wirkt läßt ihn wiedersein; wiedergeworden empfangen ihn Empfindungen. Darum aber, Puṇṇo, sag' ich: Erben der Werke sind die Wesen. Das heißt man, Puṇṇo, dunkle Tat, die dunkle Folge hat.

Und was ist das, Puṇṇo, für eine Tat, die licht ist und lichte Folge hat? Da begeht einer, Puṇṇo, in Werken beschwerlose Handlung, begeht in Worten beschwerlose Handlung, begeht in Gedanken beschwerlose Handlung. Und hat er in Werken beschwerlose Handlung begangen, in Worten beschwerlose Handlung begangen, in Gedanken beschwerlose Handlung begangen, so gelangt er in beschwerloser Welt wieder zum Dasein. Und ist er in beschwerloser Welt wieder zum Dasein gelangt, so empfangen ihn beschwerlose Empfindungen. Und von beschwerlosen Empfindungen empfangen fühlt er ein beschwerloses Gefühl, einzig freudvoll, gleichwie etwa strahlende Götter. Also kommt, Puṇṇo, nach dem Wirken des Wesens Wiedersein zustande. Was einer wirkt läßt ihn wiedersein; wiedergeworden empfangen ihn Empfindungen. Darum aber, Puṇṇo, sag' ich: Erben der Werke sind die Wesen. Das heißt man, Puṇṇo, lichte Tat, die lichte Folge hat.

Und was ist das, Puṇṇo, für eine Tat, die dunkel-licht ist und dunkel-lichte Folge hat? Da begeht einer, Puṇṇo, in Werken beschwerhafte Handlung und beschwerlose Handlung, begeht in Worten beschwerhafte Handlung und beschwerlose Handlung, begeht in Gedanken beschwerhafte Handlung und beschwerlose Handlung. Und hat er in Werken beschwerhafte Handlung und beschwerlose Handlung begangen, in Worten beschwerhafte Handlung und beschwerlose Handlung begangen, in Gedanken beschwerhafte Handlung und beschwerlose Handlung begangen, so gelangt er in beschwerhafter und beschwerloser Welt wieder zum Dasein. Und ist er in beschwerhafter und beschwerloser Welt wieder zum Dasein gelangt, so empfangen ihn beschwerhafte und beschwerlose Empfindungen. Und von beschwerhaften und beschwerlosen Empfindungen empfangen fühlt er ein beschwerhaftes und beschwerloses Gefühl, freudvoll und leidvoll gemischt, gleichwie etwa Menschen, und manche Götter und manche Geister66. Also kommt, Puṇṇo, nach dem Wirken des Wesens Wiedersein zustande. Was einer wirkt läßt ihn wiedersein; wiedergeworden empfangen ihn Empfindungen. Darum aber, Puṇṇo, sag' ich: Erben der Werke sind die Wesen. Das heißt man, Puṇṇo, dunkellichte Tat, die dunkel-lichte Folge hat.

[423] Und was ist das, Puṇṇo, für eine Tat, die weder dunkel noch licht ist und weder dunkle noch lichte Folge hat, Tat, die zur Tatenversiegung führt? Es ist da, Puṇṇo, was dunkle Tat anlangt, die dunkle Folge hat, deren Verleugnung, die gedacht wird; und ist was lichte Tat anlangt, die lichte Folge hat, deren Verleugnung, die gedacht wird; und ist was dunkel-lichte Tat anlangt, die dunkel-lichte Folge hat, deren Verleugnung, die gedacht wird. Das heißt man, Puṇṇo, weder dunkle noch lichte Tat, die weder dunkle noch lichte Folge hat, Tat, die zur Tatenversiegung führt.

Das aber, Puṇṇo, sind die vier Arten von Taten, die ich mir offenbar gemacht, verwirklicht und erklärt habe.«

Nach diesen Worten wandte sich der Koḷiyer Puṇṇo, der Kuhlehrling, also an den Erhabenen:

»Vortrefflich, o Herr, vortrefflich, o Herr! Gleichwie etwa, o Herr, als ob man Umgestürztes aufstellte, oder Verdecktes enthüllte, oder Verirrten den Weg wiese, oder ein Licht in die Finsternis hielte: ›Wer Augen hat wird die Dinge sehn‹: ebenso auch hat der Erhabene die Lehre gar mannigfach gezeigt. Und so nehm' ich, o Herr, beim Erhabenen Zuflucht, bei der Lehre und bei der Jüngerschaft: als Anhänger möge mich der Erhabene betrachten, von heute an zeitlebens getreu.«

Seniyo aber der Unbekleidete, der Hundelehrling, sprach zum Erhabenen also:

»Vortrefflich, o Herr, vortrefflich, o Herr! Gleichwie etwa, o Herr, als ob man Umgestürztes aufstellte, oder Verdecktes enthüllte, oder Verirrten den Weg wiese, oder ein Licht in die Finsternis hielte: ›Wer Augen hat wird die Dinge sehn‹: ebenso auch hat der Erhabene die Lehre gar mannigfach gezeigt. Und so nehm' ich, o Herr, beim Erhabenen Zuflucht, bei der Lehre und bei der Jüngerschaft: möge mir, o Herr, der Erhabene Aufnahme gewähren, die Ordensweihe erteilen!«

»Wer da, Seniyo, erst einem anderen Orden angehörte und in diese Lehre und Zucht aufgenommen werden, die Weihe erhalten will, der bleibt vier Monate bei uns; und nach Verlauf von vier Monaten wird er, wenn er also verblieben ist, von innig erfahrenen Mönchen aufgenommen und eingeweiht in das Mönchtum: denn ich habe hier manche Veränderlichkeit erfahren.«

»Wenn, o Herr, die früheren Anhänger anderer Orden, welche in diese Lehre und Zucht aufgenommen werden, die Weihe erhalten wollen, vier Monate bleiben, und nach Verlauf von vier Monaten, wenn sie also verblieben sind, von innig erfahrenen Mönchen aufgenommen und eingeweiht werden in das Mönchtum, so will ich vier Jahre bleiben67: und nach Verlauf von vier Jahren sollen mich, wenn ich also verblieben bin, innig erfahrene Mönche aufnehmen und einweihen in das Mönchtum.«

[424] Es wurde Seniyo der Unbekleidete, der Hundelehrling, vom Erhabenen aufgenommen, wurde mit der Ordensweihe belehnt.

Nicht lange aber war der ehrwürdige Seniyo in den Orden aufgenommen, da hatte er, einsam, abgesondert, unermüdlich, in heißem, innigem Ernste gar bald was edle Söhne gänzlich vom Hause fort in die Hauslosigkeit lockt, jenes höchste Ziel des Asketentums noch bei Lebzeiten sich offenbar gemacht, verwirklicht und errungen. ›Versiegt ist die Geburt, vollendet das Asketentum, gewirkt das Werk, nicht mehr ist diese Welt‹ verstand er da. Auch einer war nun der ehrwürdige Seniyo der Heiligen geworden68.

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 1, Zürich/Wien 41956, S. 420-425.
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