Erstes Bruchstück

[657] Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Sāvatthī, im Siegerwalde, im Garten Anāthapiṇḍikos.

Um diese Zeit nun lebte im Reiche König Pasenadis von Kosalo ein Räuber, Aṉgulimālo genannt, grausam und blutgierig, an Mord und Totschlag gewohnt, ohne Mitleid gegen Mensch und Tier. Der machte die Dörfer undörflich, die Städte unstädtlich, die Länder unländlich. Er brachte die Leute um und hing sich die Fingerlein um den Hals220.

[657] Und der Erhabene, zeitig gerüstet, nahm Mantel und Schale und begab sich nach Sāvatthī um Almosenspeise. Und als der Erhabene, von Haus zu Haus tretend, Almosen erhalten, kehrte er zurück und nahm das Mahl ein; dann brach er das Lager ab und ging, mit Mantel und Schale versehn, des Weges hin, nach der Gegend wo Aṉgulimālo der Räuber hauste.

Es sahn aber Hirten und Landleute den Erhabenen des Weges hingehn, nach der Gegend wo Aṉgulimālo der Räuber hauste; und als sie den Erhabenen gesehn sprachen sie also zu ihm:

»Nicht dahin, Asket, wolle gehn! In jener Gegend, Asket, haust ein Räuber, Aṉgulimālo genannt, grausam und blutgierig, an Mord und Totschlag gewohnt, ohne Mitleid gegen Mensch und Tier. Der macht die Dörfer undörflich, die Städte unstädtlich, die Länder unländlich. Er bringt die Leute um und hängt sich die Fingerlein um den Hals. Nach jener Gegend, Asket, sind ja zehn Mann, und zwanzig Mann, und dreißig Mann, und vierzig Mann vereint ausgezogen, sind aber alle in die Gewalt Aṉgulimālo des Räubers geraten!«

Also angeredet schritt der Erhabene schweigend weiter.

Und ein zweites Mal, und ein drittes Mal sprachen Hirten und Landleute den Erhabenen also an: aber schweigend schritt der Erhabene weiter.

Und Aṉgulimālo der Räuber sah den Erhabenen von ferne herankommen, und als er ihn gesehn gedacht' er bei sich: ›Wunderbar, wahrlich, außerordentlich ist es! Auf diesem Wege sind ja zehn Mann, und zwanzig Mann, und dreißig Mann, und vierzig Mann vereint ausgezogen und sind alle in meine Gewalt geraten: und dieser Asket da kommt einzeln, allein, wie ein Eroberer heran! Wie, wenn ich nun diesem Asketen den Garaus machte?‹

Und Aṉgulimālo der Räuber nahm Schwert und Schild, hing Bogen und Köcher um und ging dem Erhabenen Schritt um Schritt nach.

Da ließ nun der Erhabene eine magische Erscheinung von solcher Art erscheinen, daß Aṉgulimālo der Räuber den Erhabenen, der gelassen dahinschritt, mit aller Macht laufend nicht einholen konnte. Und Aṉgulimālo der Räuber gedachte bei sich: ›Wunderbar, wahrlich, außerordentlich ist es! Ich habe ja früher einen flüchtigen Elefanten überrascht und erreicht, ein flüchtiges Roß überrascht und erreicht, einen flüchtigen Wagen überrascht und erreicht, ein flüchtiges Reh überrascht und erreicht: aber diesen Asketen da, der gelassen dahingeht, kann ich mit aller Macht laufend nicht einholen!‹ Und er blieb stehn und rief dem Erhabenen zu:

»Stehe, Asket! Stehe, Asket!«

»Ich stehe, Aṉgulimālo: steh' auch du.«

Da kam nun Aṉgulimālo dem Räuber der Gedanke: »Diese Asketen des Sakyersohnes reden die Wahrheit, bekennen die Wahrheit: gleichwohl aber sagt dieser Asket, der da wandelt, ›Ich stehe, Aṉgulimālo: steh' auch du.‹ [658] Wie, wenn ich nun diesen Asketen fragte?« Und Aṉgulimālo der Räuber sprach den Erhabenen mit dem Spruche an:


»Du wandelst, Büßer, wähnst dich aber stetig,

Und mich, der stetig ist, mich wähnst du wandelnd;

Ich frage dich, o Büßer, gib mir Kunde:

Wie bist du stetig denn, wie bin ich unstet?«


Der Herr:


»Beständig immerdar, Aṉgulimālo,

Bin ich, der keinem Wesen Leides antut;

Doch du hast wild gewütet gegen Wesen:

So bin ich stetig denn, so bist du unstet.«

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 1, Zürich/Wien 41956, S. 657-659.
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