Das große Bruchstück

Vaṉgīso

[498] 1209

Bin unverzagt als Bettler einst

Von Haus und Hof gezogen fort;

Und, ach, Gedanken dämmern auf

Voll Übermut und arger Art:


1210

»Die Heldenjünger, hochberühmt,

Erfahren, tapfer, tugendreich,

Ersehn' ich mir gesellig her,

Zu meinen Füßen tausendfach!«


1211

Und ob auch mehr als diese da

Der Mägde kommen her zu mir:

Es wird mich keine gängeln an,

In Wahrheit steh' ich unverstört.


1212

Ich hab' gehört erst einmal Ihn,

Den wachen Herrn, den Sonnensohn

Verkünden wie der Wahn vergeht:

Und innig ist mein Herz geheilt.


[499] 1213

Und weil ich immer einig bin

Willst, Böser, listig lauern auf?

Ich wandre weiter, Tag um Tag,

Du kennst, o Tod, nicht meinen Gang.


1214

Von Lust und Unlust abgeschieden,

Von allem hausgewohnten Hangen, Haften,

Ersinne nimmer neue Sehnsucht,

Entsüchtet suchtlos: also ist man Jünger.


1215

Was immer auch auf Erden und im Himmel

Als Form erformt ist, alles was da weset

Verwest im Wandel hin, vergänglich gänzlich:

Gewärtig also wandern Zielbedachte.


1216

In Unterströmen strudeln viele fort,

In Aug- und Ohrgewalt, bewußt, bedacht:

Hier staue du den Willen, dauerstark,

Wer hier nicht einsinkt, wahrlich, Denker heißt man den.


1217

Gedanken achtundsechzigfach verwirrt

Erwägt die Menge, Falschem zugetan,

Doch nimmer wer sich wendet einsam ab:

Wer nimmer taumelnd tastet, der ist Mönch.


1218

Dabbo, seit langem schon gerüstet recht,

Gerade, rein geschieden, wunschentwöhnt,

Errungen hat er still der Ruhe Reich,

Ist wahnerloschen, wartet ab die Zeit.


[500] 1219

Die Hoffart meide gänzlich, Gotamo,

Geh' nirgend wo der Pfad an Hoffart hinneigt:

In Hoffart wandelnd Wankelpfade

Hast eh' erfahren viel der Reue, reichlich.


1220

In Trug betrügt sich Volk um Volk,

Hoffärtig fährt es hin zur Hölle:

Die Wesen leiden lange Nächte,

Aus Hoffart höllisch neu geboren.


1221

Doch nimmer leidet irgendwo der Mönch,

Der Pfadvollender, heilig angelangt:

Gepriesen wird er, findet Freude hell;

»Der wahre Seher« heißt wer also west.


1222

Von Hoffart lauter also, ledig hier,

Von jeder Hemmung innig abgelöst,

In Demut wandelnd immerdar

Erdenkt er, endewirkend, Ebbung aus.


Vaṉgīso und Ānando


Vaṉgīso:


1223

In Liebeslohen lechz' ich auf,

Mein Herz ist brünstig heiß entbrannt:

Erlöschung künde, Kühlung mir

Aus Mitleid, Gotamide, lind!


Ānando:


1224

Weil hin und her dein Auge eilt

Ist brünstig heiß dein Herz entbrannt:

Was anreizt wehre weidlich ab,

Was schön erscheint, was lieblich lockt.


[501] 1225

Im Schauder schaffe heil das Herz,

Geeinigt innen, fest gefügt:

Besonnen sieh' den Leib dir an

Voll Ekel, traun, voll Überdruß!


1226

Was nirgend reizt erringe du,

Den Eigendünkel, reiß' ihn aus:

Und bist du tapfer, bist du rein,

So gehst du kühl, erloschen hin.


1227

Nur solche Rede sei gewählt,

Die keine Reue glimmen läßt

Und keinen andern kränken kann:

Wer also redet redet wohl.


1228

Nur sanfte Rede sei geübt,

Nur solche, die das Herz erhebt:

Was ohne Übel, ohne Arg

Den Menschen innig mutet an.


1229

Die Wahrheit ist ein ewig Wort,

Bestanden unzerstörbar echt;

In wahrer Ordnung, wahrer Art

Bestehn die Edlen unverstört.


1230

Und was der Meister meldet hier,

Gewisser Wahnerrettung Heil,

Zu roden Harm und Elend aus,

Ist wahrlich allererstes Wort.


[502] Vaṉgīso preist Sāriputto


1231

Der tief bedacht ist, weise will,

Den Weg und Abweg deutlich schaut,

Gescheites weiß, der Sārī Sohn,

Die Jünger lehrt er Wahrheit licht.


1232

In Kürze lehrt er Satz um Satz,

Ausführlich legt er dar den Sinn;

Gleichwie der Vogel Sārī singt

Verkündet sanft er was er fühlt.


1233

Und weil er also innig lehrt,

Gar holde Laute hören läßt

Und heiter redet, heiter rät,

So lieblich klingend, lieblich klar:

Da leihn die Mönche, mildgemut,

Mit hellem Geiste gern Gehör.


Vaṉgīso preist den Meister und die Jünger


1234

In voller Mondnacht heute hier vereint,

Fünfhundert Mönche beichten offenbar,

Von Band und Fessel völlig frei, entfrönt,

Entwesen ewig, wahnversiegt.


1235

Gleichwie der König siegeskühn,

Gefolgt von seiner Fürsten Schar,

Durch Lande karrt und Länder hin,

Durch alle Marken bis zum Meer:


[503] 1236

So ist auch Er, der ausgekämpft,

Als höchster Kärrner hat gesiegt,

Von Jüngern, dreifach treu bewährt,

Von Toderlösten licht gefolgt.


1237

Sind echte Söhne allesamt,

Und Neid ist nimmer hier zu Haus;

Den Durstversieger, heil von Gram,

Den Sonnenhelden grüß' ich da!


1238

Der Jünger tausend sind gesellt,

Und mehr noch, um den Meistergast,

Der klare Satzung offenbart,

Erlöschung sicher überall.


1239

Die reiche Lehre regt sie an,

Der wache Seher weckt sie auf:

Der Meister leuchtet, ach, so hell

Zuhäupten seiner Mönche Schar!


1240

Du heißest »Held«, erhabner Herr,

Der Denker bester, der bist du:

Wie Wolkenguß gewaltig quillt

Erquickst du jedes Jüngerohr.


1241

Aus Wald und Höhle kommt er her,

Den Meister mocht' er wiedersehn,

Der Schüler, der dich Großen grüßt:

O sieh' zu Füßen Vaṉgīso!


[504] 1242

Durch Todesirrsal tapfer durchgedrungen

Durchbrichst du brache Wüstenei:

O seht ihn Dorn und Dickicht trefflich trennen,

Gleichwie die Sichel Garbe trifft um Garbe!


1243

Zu kreuzen diesen Todeskreis

Hast vielfach deutlich du die Furt gezeigt:

Und weil gezeigt ist Ewigkeit

Erzittert nimmer wer da sieht.


1244

Der licht uns leuchtet hat erspürt,

Erspäht was über allen Stäten steht,

Er hat erkannt, er hat erkämpft,

Er hat uns höchste Aussicht offenbart.


1245

Wo also echt ist Wort um Wort,

Wer bliebe blöde, sieht er solche Art?

In seiner Weise, wie der Herr erhaben sinnt,

Entblödet folg' ihm, treu vertrauend, immer nach.


Vaṉgīso preist Koṇḍañño vor dem Meister


1246

Der nach dem Herrn ist auferwacht,

Koṇḍañño, ledig, abgelöst,

Auf hohen Warten weilt er heil,

Beseligt einsam, oft und oft.


1247

Was kühn der Mönch erkämpfen mag,

In Meistertugend eingeübt,

Errungen hat er alles recht

In heißem Eifer, Tag um Tag.


[505] 1248

Der hoch und hehr drei Wissen weiß,

Gedanken deutet, Herzen wägt,

Koṇḍañño, Erbe deiner Art,

Vor dir zu Füßen fällt er hin!


Vaṉgīso preist Moggallāno vor dem Meister


1249

Auf Bergesanhöh' ruht er aus

Der leidentschwunden schweigend sinnt,

Und Jünger sitzen rings umher,

Gewitzigt dreifach, toderlöst.


1250

Im Geiste sieht, magiebegabt,

Ihr Sinnen Moggallāno licht:

Er merkt, er mustert Herz um Herz,

Das nirgend haftet, nirgend hangt.


1251

Und also sind gesellt um Ihn,

Der leidentschwunden schweigend sinnt,

Vollkommen heil ist, herrlich klar,

Die Mönche hier um Gotamo.


1252

Wie Vollmond hell am wolkenlosen Himmel sanft,

Erstrahlend unbestritten wie der Sonne Licht

Erstrahlest, Aṉgirāse du, erlauchter Herr,

An Ruhm so reich, gewaltig über alle Welt.


Vaṉgīso über sich selbst


1253

Den Barden sind wir nachgefolgt

Von Dorf zu Dorfe, Burg zu Burg:

Da trafen wir den Meister einst,

Den Überwinder aller Art.


[506] 1254

Er hat uns Wahrheit offenbart,

Der Seher, der entlitten lebt;

Sein Wort, es hat beseligt uns,

Vertrauen treulich auferweckt.


1255

Die Satzung nahm ich innig wahr,

Sah Teil um Teile, Sinn um Sinn;

Das Grundgerüst erkannt' ich recht:

Und bin als Bettler gangen gern.


1256

Um vieler Heil, um vieler Wohl

Erscheinen wache Sieger hier,

Zum Heile Männern, Weibern Heil,

Wer immer auch der Mahnung folgt.


1257

Zu retten solche hat der Held

Errungen wache Wissenschaft,

Zum Heile Mönchen, Nonnen Heil,

Die Weg und Wandel sinnig sehn.


1258

Der selber sieht hat offenbart,

Der wache Herr, der Sonnenheld,

Die Wahrheit, vierfach, heilbewährt,

Aus Mitleid mit der Wesenwelt:


1259

Das Leiden, was da Leiden wirkt,

Was Leiden überwinden läßt,

Den heil'gen achtgeteilten Pfad,

Der uns entführt aus Leiden weg.


1260

Das ist die Wahrheit, ist das Wort,

Erwiesen seh' ich Satz um Satz;

Mein eigen Wohl ist ausgemacht,

Geschaffen was der Meister schafft.


[507] 1261

O Heil mir, daß ich kommen bin

Zum Meister, ich, vor sein Gesicht!

Von allem was die Welt gewährt

Hab' ich das Beste auserwählt.


1262

Die höchste Weisheit ward mir hell,

Das Ohr ist innen ruhig, rein;

Drei Wissen weiß ich, bin gefeit,

Gewahre Herz und Herzensart.


Vaṉgīso und der Meister


Vaṉgīso:


1263

Den Meister frag' ich, hoch in Wissen mächtig,

Der sichtbar sicher Zweifel zwingt, entfremdet:

Hier, bei Aggāḷavam, verschied ein Jünger,

Gerühmt, gepriesen wahnentwesen innig,


1264

»Nigrodhakappo«, also hieß der Hehre,

Von dir, o Herr, benannt mit diesem Namen;

Er hat erlugt Erlösung, dein gedenkend,

In kühnem Kampfe stark bestanden Wahrheit.


1265

Nun mögen alle, Sakko, jenen Jünger

Erspüren wir, erspähen, o Weltauge!

Zu hören solche Kunde sieh' uns kommen:

Denn du bist Meister, bist erhaben herrlich.


1266

So löse denn den Zweifel, lass' mich ahnen,

Den Wahnerloschnen finden, o du Weiser!

In Mönchesmitten gib uns Kunde, Seher,

Wie Sakko, tausendäugig, Göttern deutet.


[508] 1267

Und wie der Irrtum immer auch uns bändigt,

Im Dunkeln tappen läßt, in Zweifel einzwängt:

Vor auferwachtem Herrn zergeht er gänzlich,

Vor Ihm, dem höchsten Antlitz auf der Erde.


1268

Doch so der Mensch gemeine Sucht nicht ausmerzt,

Gleichwie der Sturm gestaute Wolken fortfegt:

Als Nebel nur erscheint ihm dieses Dasein,

Erleuchter selbst erleuchten seine Nacht nicht.


1269

Die Weisen sind es, die da licht uns leuchten:

Wer leuchtet, ja, nur dieser dünkt mich weise;

Zum Kenner sind gekommen wir um Wissen,

In unsrer Mitte gib uns Kunde, Meister!


1270

Lass' hören bald, o Holder, holde Botschaft,

Gleichwie der Schwan in sanftem Sang emporschwebt,

Gemessen anhebt, wie der Quelle Murmeln:

Wir alle horchen einzig auf die Antwort.


1271

Geburt und Grab hast ewig überwunden,

Geschüttelt ab: o lass' mich schauen Wahrheit,

Genosse nicht und Narr gemeiner Menschen,

Genosse wohl, Gesell erwachter Sieger!


1272

Gewisse Kunde birgst du keusch im Busen,

Der helle Seher hütet sichres Wissen;

Mit aufgehobnen Händen sieh' mich flehen:

Nicht lass', Erlauchter, harren uns in Irre!


1273

Hinüber siehst du, siehst herüber heilig,

Nicht lass', Erlöster, harren uns in Irre:

Gleichwie man Wasser dürstend sucht im Sommer

Ersehnen wir dein Wort, bereite Rat uns!


[509] 1274

Warum Asket er, Dulder ist gewesen,

Gekämpft hat Kappo sicher doch umsonst nicht:

Ist nun erloschen dieser ohne Neige,

Wie dann entlebt er sei, o sag' es, Lehrer!


Der Meister:


1275

»Bezwungen hat er hier den Durst nach Zwiesal,

Des Durstes vielgewohnte Wirbelkreise,

Gekreuzt auf ewig Gräber und Geburten«:

So sprach der Herr, der höchste Sproß der Völker.


Vaṉgīso:


1276

Verstanden hab' ich, heiter, still,

Die Botschaft, bester Denker du!

Hab' freilich nicht umsonst gefragt,

Beschieden also offenbar.


1277

Im Lehren gleich, im Leben gleich,

Des Meisters Jünger immerdar,

Er riß entzwei des Todes Netz,

Gelegt so listig, knapp geknüpft.


1278

Er hat gesehn das Ende, Herr,

Von allem Sehnen, aller Sucht:

Entschwunden, wo man schwer entrinnt,

Ist Kappo aus dem Todesreich.


1279

Den höchsten Herrscher grüß' ich hier,

Den größten Mann, und seinen Sohn,

Den heilerstandnen Helden stark,

Des echten Meisters echten Mönch.

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 3, Zürich/Wien 1957, S. 498-511.
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