Wer fein geborgnes zartes Ziel erschaut,
Gewisse Kunde kennt, in eigner Ebbung weilt,
Und innig wirbt um wache Meisterart:
Gewinnen wird er Wahnerlöschung leicht.
72
Gleichwie die Knospe zart hervorbricht oben
Und langsam nur vom Blütenknauf sich ablöst,
So hat gehemmt mich noch der Gattin Anblick:
Erkenn' mich nun, bin aufgegangen heute!
73
Ich hab' den Greis gesehn, und siechen, kranken Mann,
Gesehn den Toten, ohne Odem, abgelebt,
Bin darum fort vom Haus als Bettler zogen hin,
Verschmerzend was als Wunsch und Wähnen schmeichelt.
74
Begehrlich Hangen, Hassensgroll,
Vergrämte matte Müdigkeit,
Und Stolz, und starre Zweifelsucht
Hat sicherlich der Mönch versiegt.
Gar selig ist es rechte Recken sehn,
Unklares klärt sich auf und Weisheit wächst,
Ja schier den Toren schaffen klug sie um:
Gesellschaft Guter gilt mir selig so.
76
Vor Ungebeugten sei gebeugt,
Und vor Gebeugten ungebeugt,
Verweile gern wo keiner weilt,
Wo alles jubelt juble nicht.
Einst stürmte jubelnd dieses wilde Herz dahin,
Wohin sein Wille, seine Lust, sein Glück es trieb:
Von heut' an werd' ich tapfer halten dich zurück,
Gleichwie der Bändiger den Elefanten zwingt.
In öder, irrer Wandelwelt
Bin elend auf und ab gewallt:
In Leiden wesend überall
Hab' Leid um Leid ich ausgelebt.
79
Verleugnet hab' ich alle Lust,
Verworfen gänzlich allen Haß,
Vergangen ist mir aller Wahn:
Verglommen bin ich, ausgeglüht.
Was immer ich für Tat getan,
So kleine Tat wie große Tat,
Ist alles völlig ausgetilgt,
Und nimmer gibt es Wiedersein.
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