α). Qualitatives Urteil
§ 172

[323] Das unmittelbare Urteil ist das Urteil des Daseins, das Subjekt in einer Allgemeinheit, als seinem Prädikate, gesetzt, welches eine unmittelbare (somit sinnliche) Qualität ist. 1. Positives Urteil: das Einzelne ist ein Besonderes. Aber das Einzelne ist nicht ein Besonderes; näher, solche einzelne Qualität entspricht der konkreten Natur des Subjekts nicht; 2. negatives Urteil.

Es ist eines der wesentlichsten logischen Vorurteile, daß solche qualitative Urteile wie »die Rose ist rot« oder »ist nicht rot« Wahrheit enthalten können. Richtig können sie sein, d. i. in dem beschränkten Kreise der Wahrnehmung, des endlichen Vorstellens und Denkens; dies hängt von dem Inhalte ab, der ebenso ein endlicher, für sich unwahrer ist. Aber die Wahrheit beruht nur auf der Form, d. i. dem gesetzten Begriffe und der ihm entsprechenden Realität; solche Wahrheit aber ist im qualitativen Urteile nicht vorhanden.
[323]


§ 173

In dieser als erster Negation bleibt noch die Beziehung des Subjekts auf das Prädikat, welches dadurch als relativ Allgemeines ist, dessen Bestimmtheit nur negiert worden; (»die Rose ist nicht rot« enthält, daß sie aber noch Farbe hat, – zunächst eine andere, was aber nur wieder ein positives Urteil würde). Das Einzelne ist aber auch nicht ein Allgemeines. So zerfällt 3. das Urteil in sich aa) in die leere identische Beziehung: das Einzelne ist das Einzelne, – identisches Urteil; und bb) in sich als die vorhandene völlige Unangemessenheit des Subjekts und Prädikats; sogenanntes unendliches Urteil.

Beispiele von letzterem sind: »der Geist ist kein Elephant«, »ein Löwe ist kein Tisch« usf. – Sätze, die richtig, aber widersinnig sind, gerade wie die identischen Sätze: »ein Löwe ist ein Löwe«, »der Geist ist Geist«. Diese Sätze sind zwar die Wahrheit des unmittelbaren, sogenannten qualitativen Urteils, allein überhaupt keine Urteile und können nur in einem subjektiven Denken vorkommen,[324] welches auch eine unwahre Abstraktion festhalten kann. – Objektiv betrachtet, drücken sie die Natur des Seienden oder der sinnlichen Dinge aus, daß sie nämlich sind ein Zerfallen in eine leere Identität und in eine erfüllte Beziehung, welche aber das qualitative Anderssein der Bezogenen, ihre völlige Unangemessenheit ist.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 8, Frankfurt a. M. 1979, S. 323-325.
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