a. Das Leben
§ 216

[373] Die unmittelbare Idee ist das Leben. Der Begriff ist als Seele in einem Leibe realisiert, von dessen Äußerlichkeit jene die unmittelbare sich auf sich beziehende Allgemeinheit, ebenso dessen Besonderung, so daß der Leib keine anderen Unterschiede als die Begriffsbestimmung an ihm ausdrückt, endlich die Einzelheit als unendliche Negativität ist, – die Dialektik seiner auseinanderseienden Objektivität, welche aus dem Schein des selbständigen Bestehens in die Subjektivität zurückgeführt wird, so daß alle Glieder sich gegenseitig momentane Mittel wie momentane Zwecke sind und das Leben, so wie es die anfängliche Besonderung ist, sich als die negative für sich seiende Einheit resultiert und sich in der Leiblichkeit als dialektischer nur mit sich selbst zusammenschließt. – So ist das Leben wesentlich Lebendiges und nach[373] seiner Unmittelbarkeit Dieses Einzelne Lebendige. Die Endlichkeit hat in dieser Sphäre die Bestimmung, daß um der Unmittelbarkeit der Idee willen Seele und Leib trennbar sind; dies macht die Sterblichkeit des Lebendigen aus. Aber nur insofern es tot ist, sind jene zwei Seiten der Idee verschiedene Bestandstücke.


§ 217

Das Lebendige ist der Schluß, dessen Momente selbst Systeme und Schlüsse (198, 201, 207) in sich sind, welche aber tätige Schlüsse, Prozesse, und in der subjektiven Einheit des Lebendigen nur ein Prozeß sind. Das Lebendige ist so der Prozeß seines Zusammenschließens mit sich selbst, das sich durch drei Prozesse verläuft.


§ 218

1. Der erste ist der Prozeß des Lebendigen innerhalb seiner, in welchem es sich an ihm selbst dirimiert und sich seine[374] Leiblichkeit zu seinem Objekte, seiner unorganischen Natur, macht. Diese als das relativ Äußerliche tritt an ihr selbst in den Unterschied und Gegensatz ihrer Momente, die sich gegenseitig preisgeben und eins das andere sich assimilieren und sich selbst produzierend erhalten. Diese Tätigkeit der Glieder ist aber nur die eine des Subjekts, in welche ihre Produktionen zurückgehen, so daß darin nur das Subjekt produziert wird, d. i. es sich nur reproduziert.


§ 219

2. Das Urteil des Begriffs geht als frei aber dazu fort, das Objektive als eine selbständige Totalität aus sich zu entlassen, und die negative Beziehung des Lebendigen auf sich macht als unmittelbare Einzelheit die Voraussetzung einer ihm gegenüberstehenden unorganischen Natur. Indem dies Negative seiner ebensosehr Begriffsmoment des Lebendigen selbst ist, so ist es in diesem, dem zugleich konkreten Allgemeinen, als ein Mangel. Die Dialektik, wodurch das Objekt als an sich Nichtiges sich aufhebt, ist die Tätigkeit des seiner selbst gewissen Lebendigen, welches in diesem Prozeß gegen eine unorganische Natur hiermit sich selbst erhält, sich entwickelt und objektiviert.


§ 220

[375] 3. Indem das lebendige Individuum, das in seinem ersten Prozeß sich als Subjekt und Begriff in sich verhält, durch seinen zweiten seine äußerliche Objektivität sich assimiliert und so die reelle Bestimmtheit in sich setzt, so ist es nun an sich Gattung, substantielle Allgemeinheit. Die Besonderung derselben ist die Beziehung des Subjekts auf ein anderes Subjekt seiner Gattung, und das Urteil ist das Verhältnis der Gattung zu diesen so gegeneinander bestimmten Individuen; – die Geschlechtsdifferenz.


§ 221

Der Prozeß der Gattung bringt diese zum Fürsichsein. Das Produkt desselben, weil das Leben noch die unmittelbare Idee ist, zerfällt in die beiden Seiten, daß nach der einen das lebendige Individuum überhaupt, das zuerst als unmittelbar vorausgesetzt wurde, nun als ein Vermitteltes und Erzeugtes hervorgeht; daß nach der anderen aber die lebendige Einzelheit, die sich um ihrer ersten Unmittelbarkeit willen negativ zur Allgemeinheit verhält, in dieser als der Macht untergeht.
[376]


§ 222

Die Idee des Lebens aber hat damit sich nicht nur von irgendeinem (besonderen) unmittelbaren Diesen befreit, sondern von dieser ersten Unmittelbarkeit überhaupt; sie kommt damit zu sich, zu ihrer Wahrheit, sie tritt hiermit als freie Gattung für sich selbst in die Existenz. Der Tod der nur unmittelbaren einzelnen Lebendigkeit ist das Hervorgehen des Geistes.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 8, Frankfurt a. M. 1979, S. 373-377.
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