a. Die sittliche Welt. Das menschliche und göttliche Gesetz, der Mann und das Weib

[328] Die einfache Substanz des Geistes teilt sich als Bewußtsein. Oder wie das Bewußtsein des abstrakten, des sinnlichen Seins in die Wahrnehmung übergeht, so auch die unmittelbare Gewißheit des realen sittlichen Seins; und wie für die sinnliche Wahrnehmung das einfache Sein ein Ding von vielen Eigenschaften wird, so ist für die sittliche der Fall des Handelns eine Wirklichkeit von vielen sittlichen Beziehungen. Jener zieht sich aber die unnütze Vielheit der Eigenschaften in den wesentlichen Gegensatz der Einzelheit und[328] Allgemeinheit zusammen; und noch mehr dieser, die das gereinigte, substantielle Bewußtsein ist, wird die Vielheit der sittlichen Momente das Zwiefache eines Gesetzes der Einzelheit und eines der Allgemeinheit. Jede dieser Massen der Substanz bleibt aber der ganze Geist; wenn in der sinnlichen Wahrnehmung die Dinge keine andere Substanz als die beiden Bestimmungen der Einzelheit und der Allgemeinheit haben, so drücken sie hier nur den oberflächlichen Gegensatz der beiden Seiten gegeneinander aus.

Die Einzelheit hat an dem Wesen, das wir hier betrachten, die Bedeutung des Selbstbewußtseins überhaupt, nicht eines einzelnen zufälligen Bewußtseins. Die sittliche Substanz ist also in dieser Bestimmung die wirkliche Substanz, der absolute Geist in der Vielheit des daseienden Bewußtseins realisiert; er ist das Gemeinwesen, welches für uns bei dem Eintritt in die praktische Gestaltung der Vernunft überhaupt das absolute Wesen war und hier in seiner Wahrheit für sich selbst als bewußtes sittliches Wesen und als das Wesen für das Bewußtsein, das wir zum Gegenstande haben, hervorgetreten ist. Es ist Geist, welcher für sich [ist], indem er im Gegenschein der Individuen sich, – und an sich oder Substanz ist, indem er sie in sich erhält. Als die wirkliche Substanz ist er ein Volk, als wirkliches Bewußtsein Bürger des Volkes. Dies Bewußtsein hat an dem einfachen Geiste sein Wesen und die Gewißheit seiner selbst in der Wirklichkeit dieses Geistes, dem ganzen Volke, und unmittelbar darin seine Wahrheit, also nicht in etwas, das nicht wirklich ist, sondern in einem Geiste, der existiert und gilt.

Dieser Geist kann das menschliche Gesetz genannt werden, weil er wesentlich in der Form der ihrer selbst bewußten Wirklichkeit ist. Er ist in der Form der Allgemeinheit das bekannte Gesetz und die vorhandene Sitte; in der Form der Einzelheit ist er die wirkliche Gewißheit seiner selbst in dem Individuum überhaupt, und die Gewißheit seiner als einfacher Individualität ist er als Regierung; seine Wahrheit ist die offene, an dem Tage liegende Gültigkeit, eine Existenz,[329] welche für die unmittelbare Gewißheit in die Form des frei entlassenen Daseins tritt.

Dieser sittlichen Macht und Offenbarkeit tritt aber eine andere Macht, das göttliche Gesetz, gegenüber. Denn die sittliche Staatsmacht hat als die Bewegung des sich bewußten Tuns an dem einfachen und unmittelbaren Wesen der Sittlichkeit ihren Gegensatz; als wirkliche Allgemeinheit ist sie eine Gewalt gegen das individuelle Fürsichsein, und als Wirklichkeit überhaupt hat sie an dem inneren Wesen noch ein Anderes, als sie ist.

Es ist schon erinnert worden, daß jede der entgegengesetzten Weisen der sittlichen Substanz, zu existieren, sie ganz und alle Momente ihres Inhalts enthält. Wenn also das Gemeinwesen sie als das seiner bewußte wirkliche Tun ist, so hat die andere Seite die Form der unmittelbaren oder seienden Substanz. Diese ist so einerseits der innere Begriff oder die allgemeine Möglichkeit der Sittlichkeit überhaupt, hat aber andererseits das Moment des Selbstbewußtseins ebenso an ihr. Dieses, in diesem Elemente der Unmittelbarkeit oder des Seins die Sittlichkeit ausdrückend, oder ein unmittelbares Bewußtsein seiner wie als Wesens so als dieses Selbsts in einem Anderen, d.h. ein natürliches sittliches Gemeinwesen, – ist die Familie. Sie steht als der bewußtlose, noch innere Begriff seiner sich bewußten Wirklichkeit, als das Element der Wirklichkeit des Volks dem Volke selbst, als unmittelbares sittliches Sein der durch die Arbeit für das Allgemeine sich bildenden und erhaltenden Sittlichkeit, – [als] die Penaten dem allgemeinen Geiste gegenüber.

Ob sich aber wohl das sittliche Sein der Familie als das unmittelbare bestimmt, so ist sie innerhalb ihrer sittliches Wesen nicht, insofern sie das Verhältnis der Natur ihrer Glieder oder deren Beziehung die unmittelbare einzelner wirklicher ist; denn das Sittliche ist an sich allgemein, und dies Verhältnis der Natur ist wesentlich ebensosehr ein Geist und nur als geistiges Wesen sittlich. Es ist zu sehen, worin seine eigentümliche Sittlichkeit besteht. – Zunächst, weil das Sittliche[330] das an sich Allgemeine ist, ist die sittliche Beziehung der Familienglieder nicht die Beziehung der Empfindung oder das Verhältnis der Liebe. Das Sittliche scheint nun in das Verhältnis des einzelnen Familiengliedes zur ganzen Familie als der Substanz gelegt werden zu müssen, so daß sein Tun und Wirklichkeit nur sie zum Zweck und Inhalt hat. Aber der bewußte Zweck, den das Tun dieses Ganzen, insofern er auf es selbst geht, hat, ist selbst das Einzelne. Die Erwerbung und Erhaltung von Macht und Reichtum geht teils nur auf das Bedürfnis und gehört der Begierde an; teils wird sie in ihrer höheren Bestimmung etwas nur Mittelbares. Diese Bestimmung fällt nicht in die Familie selbst, sondern geht auf das wahrhaft Allgemeine, das Gemeinwesen; sie ist vielmehr negativ gegen die Familie und besteht darin, den Einzelnen aus ihr herauszusetzen, seine Natürlichkeit und Einzelheit zu unterjochen und ihn zur Tugend, zum Leben in und fürs Allgemeine zu ziehen. Der der Familie eigentümliche positive Zweck ist der Einzelne als solcher. Daß nun diese Beziehung sittlich sei, kann er nicht, weder der, welcher handelt, noch der, auf welchen sich die Handlung bezieht, nach einer Zufälligkeit auftreten, wie etwa in irgendeiner Hilfe oder Dienstleistung geschieht. Der Inhalt der sittlichen Handlung muß substantiell oder ganz und allgemein sein; sie kann sich daher nur auf den ganzen Einzelnen oder auf ihn als allgemeinen beziehen. Auch dies wieder nicht etwa so, daß sich nur vorgestellt wäre, eine Dienstleistung fördere sein ganzes Glück, während sie so, wie sie unmittelbare und wirkliche Handlung ist, nur etwas Einzelnes an ihm tut, – noch daß sie auch wirklich als Erziehung in einer Reihe von Bemühungen ihn als Ganzes zum Gegenstand hat und als Werk hervorbringt, wo außer dem gegen die Familie negativen Zwecke die wirkliche Handlung nur einen beschränkten Inhalt hat, – ebensowenig endlich, daß sie eine Nothilfe ist, wodurch in Wahrheit der ganze Einzelne errettet[331] wird; denn sie ist selbst eine völlig zufällige Tat, deren Gelegenheit eine gemeine Wirklichkeit ist, welche sein und auch nicht sein kann. Die Handlung also, welche die ganze Existenz des Blutsverwandten umfaßt und ihn – nicht den Bürger, denn dieser gehört nicht der Familie an, noch den, der Bürger werden und aufhören soll, als dieser Einzelne zu gelten, sondern ihn, diesen der Familie angehörigen Einzelnen – als ein allgemeines, der sinnlichen, d. i. einzelnen Wirklichkeit enthobenes Wesen zu ihrem Gegenstande und Inhalt hat, betrifft nicht mehr den Lebenden, sondern den Toten, der aus der langen Reihe seines zerstreuten Daseins sich in die vollendete eine Gestaltung zusammengefaßt und aus der Unruhe des zufälligen Lebens sich in die Ruhe der einfachen Allgemeinheit erhoben hat. – Weil er nur als Bürger wirklich und substantiell ist, so ist der Einzelne, wie er nicht Bürger ist und der Familie angehört, nur der unwirkliche marklose Schatten.

Diese Allgemeinheit, zu der der Einzelne als solcher gelangt, ist das reine Sein, der Tod; es ist das unmittelbare natürliche Gewordensein, nicht das Tun eines Bewußtseins. Die Pflicht des Familiengliedes ist deswegen, diese Seite hinzuzufügen, damit auch sein letztes Sein, dies allgemeine Sein, nicht allein der Natur angehöre und etwas Unvernünftiges bleibe, sondern daß es ein Getanes und das Recht des Bewußtseins in ihm behauptet sei. Oder der Sinn der Handlung ist vielmehr, daß, weil in Wahrheit die Ruhe und Allgemeinheit des seiner selbst bewußten Wesens nicht der Natur angehört, der Schein eines solchen Tuns hinwegfalle, den sich die Natur angemaßt, und die Wahrheit hergestellt werde. – Was die Natur an ihm tat, ist die Seite, von welcher sein Werden zum Allgemeinen sich als die Bewegung eines Seienden darstellt. Sie fällt zwar selbst innerhalb des sittlichen Gemeinwesens und hat dieses zum Zwecke; der Tod ist die Vollendung und höchste Arbeit, welche das Individuum als solches für es übernimmt. Aber insofern es wesentlich einzelnes ist, ist es zufällig, daß sein Tod unmittelbar mit seiner Arbeit[332] fürs Allgemeine zusammenhing und Resultat derselben war; teils wenn er's war, ist er die natürliche Negativität und die Bewegung des Einzelnen als Seienden, worin das Bewußtsein nicht in sich zurückkehrt und Selbstbewußtsein wird; oder indem die Bewegung des Seienden diese ist, daß es aufgehoben wird und zum Fürsichsein gelangt, ist der Tod die Seite der Entzweiung, worin das Fürsichsein, das erlangt wird, ein Anderes ist als das Seiende, welches in die Bewegung eintrat. – Weil die Sittlichkeit der Geist in seiner unmittelbaren Wahrheit ist, so fallen die Seiten, in die sein Bewußtsein auseinandertritt, auch in diese Form der Unmittelbarkeit, und die Einzelheit tritt in diese abstrakte Negativität herüber, welche, ohne Trost und Versöhnung an sich selbst, sie wesentlich durch eine wirkliche und äußerliche Handlung empfangen muß. – Die Blutsverwandtschaft ergänzt also die abstrakte natürliche Bewegung dadurch, daß sie die Bewegung des Bewußtseins hinzufügt, das Werk der Natur unterbricht und den Blutsverwandten der Zerstörung entreißt, oder besser, weil die Zerstörung, sein Werden zum reinen Sein, notwendig ist, selbst die Tat der Zerstörung über sich nimmt. – Es kommt hierdurch zustande, daß auch das tote, das allgemeine Sein ein in sich Zurückgekehrtes, ein Fürsichsein oder die kraftlose reine einzelne Einzelheit zur allgemeinen Individualität erhoben wird. Der Tote, da er sein Sein von seinem Tun oder negativen Eins freigelassen, ist die leere Einzelheit, nur ein passives Sein für Anderes, aller niedrigen vernunftlosen Individualität und den Kräften abstrakter Stoffe preisgegeben, wovon jene um des Lebens willen, das sie hat, diese um ihrer negativen Naturwillen jetzt mächtiger sind als er. Dies ihn entehrende Tun bewußtloser Begierde und abstrakter Wesen hält die Familie von ihm ab, setzt das ihrige an die Stelle und vermählt den Verwandten dem Schöße der Erde, der elementarischen unvergänglichen Individualität; sie macht ihn hierdurch zum Genossen eines Gemeinwesens, welches vielmehr die Kräfte der einzelnen Stoffe und die niedrigen Lebendigkeiten, die gegen[333] ihn frei werden und ihn zerstören wollten, überwältigt und gebunden hält.

Diese letzte Pflicht macht also das vollkommene göttliche Gesetz oder die positive sittliche Handlung gegen den Einzelnen aus. Alles andere Verhältnis gegen ihn, das nicht in der Liebe stehenbleibt, sondern sittlich ist, gehört dem menschlichen Gesetze an und hat die negative Bedeutung, den Einzelnen über die Einschließung in das natürliche Gemeinwesen zu erheben, dem er als wirklicher angehört. Wenn nun aber schon das menschliche Recht zu seinem Inhalte und Macht die wirkliche ihrer bewußte sittliche Substanz, das ganze Volk, hat, das göttliche Recht und Gesetz aber den Einzelnen, der jenseits der Wirklichkeit ist, so ist er nicht ohne Macht; seine Macht ist das abstrakte rein Allgemeine, das elementarische Individuum, welches die Individualität, die sich von dem Elemente losreißt und die ihrer bewußte Wirklichkeit des Volks ausmacht, in die reine Abstraktion als in sein Wesen ebenso zurückreißt, als es ihr Grund ist. – Wie diese Macht am Volke selbst sich darstellt, wird sich noch weiter entwickeln.

Es gibt nun in dem einen Gesetze wie in dem anderen auch Unterschiede und Stufen. Denn indem beide Wesen das Moment des Bewußtseins an ihnen haben, entfaltet sich innerhalb ihrer selbst der Unterschied, was ihre Bewegung und eigentümliches Leben aus macht. Die Betrachtung dieser Unterschiede zeigt die Weise der Betätigung und des Selbstbewußtseins der beiden allgemeinen Wesen der sittlichen Welt sowie ihren Zusammenhang und Übergang ineinander. Das Gemeinwesen, das obere und offenbar an der Sonne geltende Gesetz, hat seine wirkliche Lebendigkeit in der Regierung, als worin es Individuum ist. Sie ist der in sich reflektierte wirkliche Geist, das einfache Selbst der ganzen sittlichen Substanz. Diese einfache Kraft erlaubt dem Wesen zwar, in seine Gliederung sich auszubreiten und jedem Teile Bestehen und eigenes Fürsichsein zu geben. Der Geist hat hieran seine Realität oder sein Dasein, und die Familie ist[334] das Element dieser Realität. Aber er ist zugleich die Kraft des Ganzen, welche diese Teile wieder in das negative Eins zusammenfaßt, ihnen das Gefühl ihrer Unselbständigkeit gibt und sie in dem Bewußtsein erhält, ihr Leben nur im Ganzen zu haben. Das Gemeinwesen mag sich also einerseits in die Systeme der persönlichen Selbständigkeit und des Eigentums, des persönlichen und dinglichen Rechts, organisieren; ebenso die Weisen des Arbeitens für die zunächst einzelnen Zwecke – des Erwerbs und Genusses – zu eigenen Zusammenkünften gliedern und verselbständigen. Der Geist der allgemeinen Zusammenkunft ist die Einfachheit und das negative Wesen dieser sich isolierenden Systeme. Um sie nicht in dieses Isolieren einwurzeln und festwerden, hier durch das Ganze auseinanderfallen und den Geist verfliegen zu lassen, hat die Regierung sie in ihrem Innern von Zeit zu Zeit durch die Kriege zu erschüttern, ihre sich zurechtgemachte Ordnung und Recht der Selbständigkeit dadurch zu verletzen und zu verwirren, den Individuen aber, die sich darin vertiefend vom Ganzen losreißen und dem unverletzbaren Fürsichsein und der Sicherheit der Person zustreben, in jener auferlegten Arbeit ihren Herrn, den Tod, zu fühlen zu geben. Der Geist wehrt durch diese Auflösung der Form des Bestehens das Versinken in das natürliche Dasein aus dem sittlichen ab und erhält und erhebt das Selbst seines Bewußtseins in die Freiheit und in seine Kraft. – Das negative Wesen zeigt sich als die eigentliche Macht des Gemeinwesens und die Kraft seiner Selbsterhaltung; dieses hat also die Wahrheit und Bekräftigung seiner Macht an dem Wesen des göttlichen Gesetzes und dem unterirdischen Reiche.

Das göttliche Gesetz, das in der Familie waltet, hat seinerseits gleichfalls Unterschiede in sich, deren Beziehung die lebendige Bewegung seiner Wirklichkeit ausmacht. Unter den drei Verhältnissen aber, des Mannes und der Frau, der Eltern und der Kinder, der Geschwister als Bruder und Schwester, ist zuerst das Verhältnis des Mannes und der Frau das unmittelbare Sich-Erkennen des einen Bewußtseins im andern[335] und das Erkennen des gegenseitigen Anerkanntseins. Weil es das natürliche Sich-Erkennen, nicht das sittliche ist, ist es nur die Vorstellung und das Bild des Geistes, nicht der wirkliche Geist selbst. – Die Vorstellung oder das Bild hat aber seine Wirklichkeit an einem Anderen, als es ist; dies Verhältnis hat daher seine Wirklichkeit nicht an ihm selbst, sondern an dem Kinde – einem Anderen, dessen Werden es ist und worin es selbst verschwindet; und dieser Wechsel der sich fortwälzenden Geschlechter hat seinen Bestand in dem Volke. – Die Pietät des Mannes und der Frau gegeneinander ist also mit natürlicher Beziehung und mit Empfindung vermischt, und ihr Verhältnis hat seine Rückkehr in sich nicht an ihm selbst; ebenso das zweite, die Pietät der Eltern und Kinder gegeneinander. Die der Eltern gegen ihre Kinder ist eben von dieser Rührung affiziert, das Bewußtsein seiner Wirklichkeit in dem Anderen zu haben und das Fürsichsein in ihm werden zu sehen, ohne es zurückzuerhalten; sondern es bleibt eine fremde, eigene Wirklichkeit, – die der Kinder aber gegen die Eltern umgekehrt mit der Rührung, das Werden seiner selbst oder das Ansich an einem anderen Verschwindenden zu haben und das Fürsichsein und eigene Selbstbewußtsein zu erlangen nur durch die Trennung von dem Ursprung – eine Trennung, worin dieser versiegt.

Diese beiden Verhältnisse bleiben innerhalb des Übergehens und der Ungleichheit der Seiten stehen, die an sie verteilt sind. – Das unvermischte Verhältnis aber findet zwischen Bruder und Schwester statt. Sie sind dasselbe Blut, das aber in ihnen in seine Ruhe und Gleichgewicht gekommen ist. Sie begehren daher einander nicht, noch haben sie dies Fürsichsein eines dem anderen gegeben noch empfangen, sondern sie sind freie Individualität gegeneinander. Das Weibliche hat daher als Schwester die höchste Ahnung des sittlichen Wesens; zum Bewußtsein und der Wirklichkeit desselben kommt es nicht, weil das Gesetz der Familie das ansichseiende, innerliche Wesen ist, das nicht am Tage des Bewußtseins liegt, sondern innerliches Gefühl und das der Wirklichkeit[336] enthobene Göttliche bleibt. An diese Penaten ist das Weibliche geknüpft, welches in ihnen teils seine allgemeine Substanz, teils aber seine Einzelheit anschaut, so jedoch, daß diese Beziehung der Einzelheit zugleich nicht die natürliche der Lust sei. – Als Tochter muß nun das Weib die Eltern mit natürlicher Bewegung und mit sittlicher Ruhe verschwinden sehen, denn nur auf Unkosten dieses Verhältnisses kommt sie zu dem Fürsichsein, dessen sie fähig ist; sie schaut in den Eltern also ihr Fürsichsein nicht auf positive Weise an. Die Verhältnisse der Mutter und der Frau aber haben die Einzelheit teils als etwas Natürliches, das der Lust angehört, teils als etwas Negatives, das nur sein Verschwinden darin erblickt; teils ist sie eben darum etwas Zufälliges, das durch eine andere ersetzt werden kann. Im Hause der Sittlichkeit ist es nicht dieser Mann, nicht dieses Kind, sondern ein Mann, Kinder überhaupt, – nicht die Empfindung, sondern das Allgemeine, worauf sich diese Verhältnisse des Weibes gründen. Der Unterschied seiner Sittlichkeit von der des Mannes besteht eben darin, daß es in seiner Bestimmung für die Einzelheit und in seiner Lust unmittelbar allgemein und der Einzelheit der Begierde fremd bleibt; dahingegen in dem Manne diese beiden Seiten auseinandertreten, und indem er als Bürger die selbstbewußte Kraft der Allgemeinheit besitzt, erkauft er sich dadurch das Recht der Begierde und erhält sich zugleich die Freiheit von derselben. Indem also in dies Verhältnis der Frau die Einzelheit eingemischt ist, ist seine Sittlichkeit nicht rein; insofern sie aber dies ist, ist die Einzelheit gleichgültig, und die Frau entbehrt das Moment, sich als dieses Selbst im Anderen zu erkennen. – Der Bruder aber ist der Schwester das ruhige gleiche Wesen überhaupt, ihre Anerkennung in ihm rein und unvermischt mit natürlicher Beziehung; die Gleichgültigkeit der Einzelheit und die sittliche Zufälligkeit derselben ist daher in diesem Verhältnisse nicht vorhanden; sondern das Moment des anerkennenden und anerkannten einzelnen Selbsts darf hier sein Recht behaupten, weil es mit dem Gleichgewichte des Blutes[337] und begierdeloser Beziehung verknüpft ist. Der Verlust des Bruders ist daher der Schwester unersetzlich und ihre Pflicht gegen ihn die höchste.

Dies Verhältnis ist zugleich die Grenze, an der sich die in sich beschlossene Familie auflöst und außer sich geht. Der Bruder ist die Seite, nach welcher ihr Geist zur Individualität wird, die gegen Anderes sich kehrt und in das Bewußtsein der Allgemeinheit übergeht. Der Bruder verläßt diese unmittelbare elementarische und darum eigentlich negative Sittlichkeit der Familie, um die ihrer selbst bewußte, wirkliche Sittlichkeit zu erwerben und hervorzubringen.

Er geht aus dem göttlichen Gesetz, in dessen Sphäre er lebte, zu dem menschlichen über. Die Schwester aber wird oder die Frau bleibt der Vorstand des Hauses und die Bewahrerin des göttlichen Gesetzes. Auf diese Weise überwinden die beiden Geschlechter ihr natürliches Wesen und treten in ihrer sittlichen Bedeutung auf, als Verschiedenheiten, welche die beiden Unterschiede, die die sittliche Substanz sich gibt, unter sich teilen. Diese beiden allgemeinen Wesen der sittlichen Welt haben ihre bestimmte Individualität darum an natürlich unterschiedenen Selbstbewußtsein[en], weil der sittliche Geist die unmittelbare Einheit der Substanz mit dem Selbstbewußtsein ist, – eine Unmittelbarkeit, welche also nach der Seite der Realität und des Unterschieds zugleich als das Dasein eines natürlichen Unterschieds erscheint. – Es ist diejenige Seite, welche sich an der Gestalt der sich selbst realen Individualität, in dem Begriffe des geistigen Wesens, als ursprünglich bestimmte Natur zeigte. Dies Moment verliert die Unbestimmtheit, die es dort noch hat, und die zufällige Verschiedenheit von Anlagen und Fähigkeiten. Es ist jetzt der bestimmte Gegensatz der zwei Geschlechter, deren Natürlichkeit zugleich die Bedeutung ihrer sittlichen Bestimmung erhält.

Der Unterschied der Geschlechter und ihres sittlichen Inhalts bleibt jedoch in der Einheit der Substanz, und seine Bewegung ist eben das bleibende Werden derselben. Der Mann[338] wird vom Familiengeiste in das Gemeinwesen hinausgeschickt und findet in diesem sein selbstbewußtes Wesen; wie die Familie hierdurch in ihm ihre allgemeine Substanz und Bestehen hat, so umgekehrt das Gemeinwesen an der Familie das formale Element seiner Wirklichkeit und an dem göttlichen Gesetze seine Kraft und Bewährung. Keins von beiden ist allein an und für sich; das menschliche Gesetz geht in seiner lebendigen Bewegung von dem göttlichen, das auf Erden geltende von dem unterirdischen, das bewußte vom bewußtlosen, die Vermittlung von der Unmittelbarkeit aus und geht ebenso dahin zurück, wovon es ausging. Die unterirdische Macht dagegen hat auf der Erde ihre Wirklichkeit; sie wird durch das Bewußtsein Dasein und Tätigkeit.

Die allgemeinen sittlichen Wesen sind also die Substanz als Allgemeines und sie als einzelnes Bewußtsein; sie haben das Volk und die Familie zu ihrer allgemeinen Wirklichkeit, den Mann aber und das Weib zu ihrem natürlichen Selbst und der betätigenden Individualität. In diesem Inhalt der sittlichen Welt sehen wir die Zwecke erreicht, welche die vorhergehenden substanzlosen Gestalten des Bewußtseins sich machten; was die Vernunft nur als Gegenstand auffaßte, ist Selbstbewußtsein geworden, und was dieses nur in ihm selbst hatte, als wahre Wirklichkeit vorhanden. – Was die Beobachtung als ein Vorgefundenes wußte, an dem das Selbst keinen Teil hätte, ist hier vorgefundene Sitte, aber eine Wirklichkeit, die zugleich Tat und Werk des Findenden ist. – Der Einzelne, die Lust des Genusses seiner Einzelheit suchend, findet sie in der Familie, und die Notwendigkeit, worin die Lust vergeht, ist sein eigenes Selbstbewußtsein als Bürgers seines Volks; – oder es ist dieses, das Gesetz des Herzens als das Gesetz aller Herzen, das Bewußtsein des Selbsts als die anerkannte allgemeine Ordnung zu wissen; es ist die Tugend, welche der Früchte ihrer Aufopferung genießt; sie bringt zustande, worauf sie geht, nämlich das Wesen zur wirklichen Gegenwart herauszuheben, und ihr Genuß ist dies allgemeine Leben. – Endlich das Bewußtsein [339] der Sache selbst wird in der realen Substanz befriedigt, die auf eine positive Weise die abstrakten Momente jener leeren Kategorie enthält und erhält. Sie hat an den sittlichen Mächten einen wahrhaften Inhalt, der an die Stelle der substanzlosen Gebote getreten, die die gesunde Vernunft geben und wissen wollte, – sowie hierdurch einen inhaltsvollen, an ihm selbst bestimmten Maßstab der Prüfung nicht der Gesetze, sondern dessen, was getan wird.

Das Ganze ist ein ruhiges Gleichgewicht aller Teile und jeder Teil ein einheimischer Geist, der seine Befriedigung nicht jenseits seiner sucht, sondern sie in sich darum hat, weil er selbst in diesem Gleichgewichte mit dem Ganzen ist. – Dies Gleichgewicht kann zwar nur dadurch lebendig sein, daß Ungleichheit in ihm entsteht und von der Gerechtigkeit zur Gleichheit zurückgebracht wird. Die Gerechtigkeit ist aber weder ein fremdes, jenseits sich befindendes Wesen noch die seiner unwürdige Wirklichkeit einer gegenseitigen Tücke, Verrats, Undanks usf., die in der Weise des gedankenlosen Zufalls als ein unbegriffener Zusammenhang und ein bewußtloses Tun und Unterlassen das Gericht vollbrächte; sondern als Gerechtigkeit des menschlichen Rechts, welche das aus dem Gleichgewichte tretende Fürsichsein, die Selbständigkeit der Stände und Individuen in das Allgemeine zurückbringt, ist sie die Regierung des Volks, welche die sich gegenwärtige Individualität des allgemeinen Wesens und der eigene selbstbewußte Willen Aller ist. – Die Gerechtigkeit aber, welche das über den Einzelnen übermächtig werdende Allgemeine zum Gleichgewichte zurückbringt, ist ebenso der einfache Geist desjenigen, der Unrecht erlitten, – nicht zersetzt in ihn, der es erlitten, und ein jenseitiges Wesen; er selbst ist die unterirdische Macht, und es ist seine Erinnye, welche die Rache betreibt; denn seine Individualität, sein Blut, lebt im Hause fort; seine Substanz hat eine dauernde Wirklichkeit. Das Unrecht, welches im Reiche der Sittlichkeit dem Einzelnen zugefügt werden kann, ist nur dieses, daß ihm rein etwas geschieht. Die Macht, welche dies Unrecht[340] an dem Bewußtsein verübt, es zu einem reinen Dinge zu machen, ist die Natur, es ist die Allgemeinheit nicht des Gemeinwesens, sondern die abstrakte des Seins, und die Einzelheit wendet sich in der Auflösung des erlittenen Unrechts nicht gegen jenes, denn von ihm hat es nicht gelitten, sondern gegen dieses. Das Bewußtsein des Bluts des Individuums löst dies Unrecht, wie wir gesehen, so auf, daß, was geschehen ist, vielmehr ein Werk wird, damit das Sein, das Letzte, auch ein gewolltes und hiermit erfreulich sei.

Das sittliche Reich ist auf diese Weise in seinem Bestehen eine unbefleckte, durch keinen Zwiespalt verunreinigte Welt. Ebenso ist seine Bewegung ein ruhiges Werden der einen Macht desselben zur anderen, so daß jede die andere selbst erhält und hervorbringt. Wir sehen sie zwar in zwei Wesen und deren Wirklichkeit sich teilen; aber ihr Gegensatz ist vielmehr die Bewährung des einen durch das andere, und, worin sie sich unmittelbar als wirkliche berühren, ihre Mitte und Element ist die unmittelbare Durchdringung derselben. Das eine Extrem, der allgemeine sich bewußte Geist, wird mit seinem anderen Extrem, seiner Kraft und seinem Element, mit dem bewußtlosen Geiste, durch die Individualität des Mannes zusammengeschlossen. Dagegen hat das göttliche Gesetz seine Individualisierung oder der bewußtlose Geist des Einzelnen sein Dasein an dem Weibe, durch welches als die Mitte er aus seiner Unwirklichkeit in die Wirklichkeit, aus dem Unwissenden und Ungewußten in das bewußte Reich herauftritt. Die Vereinigung des Mannes und des Weibes macht die tätige Mitte des Ganzen und das Element aus, das, in diese Extreme des göttlichen und menschlichen Gesetzes entzweit, ebenso ihre unmittelbare Vereinigung ist, welche jene beiden ersten Schlüsse zu demselben Schlüsse macht und die entgegengesetzte Bewegung[:] der Wirklichkeit hinab zur Unwirklichkeit – des menschlichen Gesetzes, das sich in selbständige Glieder organisiert, herunter zur Gefahr und Bewährung des Todes – und des unterirdischen Gesetzes herauf zur Wirklichkeit des Tages und zum[341] bewußten Dasein, deren jene dem Manne, diese dem Weibe zukommt, in eine vereinigt.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 3, Frankfurt a. M. 1979, S. 328-342.
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