C. Fichte

[387] Fichtesche Philosophie ist Vollendung der Kantischen Philosophie. Außer diesen und Schelling sind keine Philosophien. Die anderen schnappen von diesen etwas auf und bekämpfen und bequängeln sie damit. Ils se sont battus les flancs, pour être de grands hommes. So Bouterwek, Reinhold, Fries, Krug usw.; es ist äußerste Borniertheit, die großtut.

Johann Gottlieb Fichte wurde zu Rammenau bei Bischoffswerda in der Oberlausitz den 19. Mai 1762 geboren, studierte in Jena; in der Schweiz war er Hauslehrer. Er schrieb eine Schrift über Religion; sie ist in Kantischen Ausdrücken, so daß man sie für ein Werk Kants hielt. Er wurde 1793 nach Jena von Goethe als Professor der Philosophie gerufen, welche Stelle er in, Jahre 1799 jedoch wegen einer Unannehmlichkeit, die ihm seine Schrift Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung zugezogen hatte, niederlegte. Fichte gab in Jena ein Journal heraus; ein Aufsatz von einem anderen wurde für atheistisch angesehen. Fichte hätte schweigen können. Die Regierung wollte untersuchen. Fichte schrieb einen Brief, der Drohungen enthielt; Goethe sagte, eine Regierung dürfe sich nicht drohen lassen. Fichte privatisierte hierauf einige Zeit in Berlin, wurde 1805 Professor in Erlangen und 1809 in Berlin, wo er den 27. Januar 1814 starb. Von seinen besonderen Schicksalen können wir hier nicht näher handeln.

Es muß bei dem, was Fichtesche Philosophie genannt wird, ein Unterschied gemacht werden zwischen seiner eigentlichen spekulativen Philosophie, die streng konsequent fortschreitet – sie ist weniger bekannt –, und seiner populären Philosophie, zu der die Vorlesungen in Berlin vor einem[387] gemischten Publikum gehören, so die Schrift Vom seligen Leben. Sie haben Ergreifendes, Erbauliches – sich so nennende Fichtianer kennen oft nur diese Seite –; sie sind für das gebildete religiöse Gefühl eindringende Reden. Diese können in der Geschichte der Philosophie nicht beachtet werden, sie können durch ihren Inhalt den größten Wert haben; der Inhalt muß aber spekulativ entwickelt werden, das ist nur in seinen früheren philosophischen Schriften vorhanden.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 20, Frankfurt am Main 1979, S. 387-388.
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