2. Prinzip des Guten

[467] Dies ist kurz die Manier (und die Philosophie) des Sokrates. Es scheint, als hätten wir noch nicht viel von der Sokratischen Philosophie dargelegt, indem wir uns nur an das Prinzip gehalten haben; dies ist aber die Hauptsache, daß das Bewußtsein des Sokrates selbst erst zu diesem Abstrakten gekommen ist. Das Gute ist das Allgemeine, es ist nicht mehr so abstrakt, es ist durch das Denken hervorgebracht; es ist[467] nicht der nous des Anaxagoras, sondern das Allgemeine, welches sich selbst in sich selbst bestimmt, sich realisiert und realisiert werden soll, – das Gute als Zweck der Welt, des Individuums. Es ist ein in sich konkretes Prinzip, das aber in seiner konkreten Bestimmung noch nicht dargestellt ist; und in dieser abstrakten Haltung liegt der Mangel des Sokratischen Prinzips. Affirmatives läßt sich nicht angeben; denn es hat keine weitere Entwicklung.

a) Die erste Bestimmung in Rücksicht auf das Sokratische Prinzip ist die große Bestimmung, die jedoch nur formell ist, daß das Bewußtsein aus sich selbst das schöpfe, was das Wahre sei, und dies da her zu schöpfen habe. Dies ist das Prinzip der subjektiven Freiheit, daß man das Bewußtsein in sich selbst führt.

In dem Bewußtsein des Sokrates selbst war dies so, daß die anderen Wissenschaften dem Menschen zu nichts nützlich seien und er sich nur um das zu bekümmern habe, was seine moralische Natur wesentlich ist, um das Beste zu tun und das Wahrste zu wissen. Wir sehen ihn dies Allgemeine, dies Absolute im Bewußtsein aus jedem als sein unmittelbares Wesen finden lehren. Wir sehen hier im Sokrates das Gesetz, das Wahre und Gute, das vorher als ein Sein vorhanden war, ins Bewußtsein zurückkehren. Aber es ist nicht eine einzelne zufällige Erscheinung an diesem Individuum Sokrates; wir haben den Sokrates und seine Erscheinung zu begreifen. Im allgemeinen Bewußtsein, im Geiste des Volkes, dem er angehörte, sehen wir die Sittlichkeit in Moralität umschlagen und ihn an der Spitze als Bewußtsein dieser Veränderung stehen. Der Geist der Welt fängt hier eine Umkehr an, die er später vollständig ausgeführt hat. Von diesem höheren Standpunkt ist sowohl Sokrates als das athenische Volk und Sokrates in ihm zu betrachten. Es beginnt hier die Reflexion des Bewußtseins in sich selbst, das Wissen des Bewußtseins von sich als solchem, daß es das Wesen ist, – wenn man will, daß das Bewußtsein, daß Gott ein Geist ist und, wenn man will, in einer gröberen, sinnlicheren[468] Form, daß Gott menschliche Gestalt anzieht. Diese Epoche beginnt da, wo das Wesen als ein Sein, es sei auch abstraktes Sein, gedachtes Sein wie bisher, aufgegeben wird.

Diese Epoche überhaupt aber an einem sittlichen Volke in der höchsten Blüte erscheint als das drohende oder einbrechende, noch ungehinderte Verderben desselben. Denn seine Sittlichkeit bestand, wie die der alten Völker überhaupt, darin, daß das Sittliche als sittliche Natur, als vorhandenes Allgemeines war, ohne daß es die Form der Überzeugung des Individuums in seinem einzelnen Bewußtsein gehabt hätte, sondern die des unmittelbaren Absoluten. Es ist das geltende, vorhandene Gesetz, ohne Prüfung, Untersuchung; dies ist das Letzte, und bei sich dies sittliche Bewußtsein beruhigt. Das moralische Bewußtsein aber fragt: Ist dies auch wirklich an sich Gesetz? Es ist wohl Staatsgesetz, es gilt als Wille der Götter; so ist es das allgemeine Schicksal, es hat die Gestalt eines Seienden, alle anerkennen es dafür. Das in sich aber aus allem, was die Gestalt des Seienden hat, zurückgekehrte Bewußtsein fordert zu wissen, daß es auch in Wahrheit gesetzt sei, zu begreifen, – d.h. es fordert, sich als Bewußtsein darin zu finden. In dieser Rüchkehr-in-sich sehen wir das athenische Volk begriffen; es ist die Ungewißheit über die seienden Gesetze als seiende eingetreten, ein Schwanken dessen, was als seiendes Recht galt, – die höchste Freiheit über alles Sein und Gelten. Diese Rückkehr-in-sich ist die höchste Blüte des griechischen Geistes, insofern sie nicht mehr ein Sein dieser Sitten, sondern ein lebendiges Bewußtsein derselben ist, das noch denselben Inhalt hat, aber als Geist frei in ihm sich bewegt, – eine Bildung, zu der wir die Lakedämonier nie kommen sehen. Die Sitten sind gleichsam ein freies Selbstgefühl dieser Sitten oder des Gottes, ein freudiger Genuß derselben, – höchste Lebendigkeit der Sittlichkeit. Unmittelbar ist dies Selbstgefühl Geist; es ist gleicher Wert und Rang des Bewußtseins und des Seins.

Was ist, ist Bewußtsein, keines ist mächtig über das andere; Gelten der Gesetze ist nicht ein Joch für das Bewußtsein,[469] ebenso ist alle Realität für dasselbe kein Widerstand, es seiner selbst gewiß. Aber diese Rückkehr ist jetzt auf dem Sprunge, diesen Inhalt zu verlassen und das, als abstraktes Bewußtsein ohne diesen Inhalt und ihm entgegen, als einem Sein, sich zu setzen. Aus diesem Gleichgewicht des Bewußtseins und des Seins tritt das Bewußtsein für sich als selbständig heraus; die Seite der Trennung ist selbständiges Begreifen; denn eben in jener Einheit und Gefühl seiner Selbständigkeit, was gelten will, anerkennt es nicht mehr unmittelbar, es muß sich ihm legitimieren, d.h. es will sich selbst darin begreifen. So ist diese Rückkehr das Isolierendes Einzelnen von dem Allgemeinen; es ist Verbrechen, es ist Sorge für sich auf Kosten des Staats (ob ich ewig selig oder verdammt sei; die philosophische Ewigkeit ist in der Zeit gegenwärtig: der wesentliche substantielle Mensch). Der Staat hat seine Kraft, welche in der Kontinuität des Allgemeinen bestand – ununterbrochen von den einzelnen Individuen, ein Geist, daß das einzelne Bewußtsein keinen anderen Inhalt und Wesen kennt als das Gesetz –, verloren. Thukydides sagt im Peloponnesischen Krieg, jeder meinte, es gehe da nicht gut, wo er nicht dabei sei. Die Sitten sind schwankend geworden, weil die Aussicht da ist, daß der Mensch sich seine besonderen Maximen schaffe, und das Individuum muß für sich, für seine Sittlichkeit sorgen, – d.h. es wird moralisch. Keine öffentlichen Sitten und Moralität, – dies tritt zugleich miteinander ein.

So sehen wir nun Sokrates mit dem Gefühl auftreten, daß in dieser Zeit jeder für seine Sittlichkeit selbst zu sorgen habe. So sorgte er für die seinige durch Bewußtsein und Reflexion über sich, – den allgemeinen Geist, als realen verschwunden, in seinem Bewußtsein zu suchen; so half er anderen für ihre Sittlichkeit sorgen, indem er dies Bewußtsein in ihnen erweckte, in ihren Gedanken das Gute und Wahre, d.h. das Ansichseiende des Handelns und des Wissens zu haben. Man hat es nicht mehr unmittelbar, wie Wasser in Gegenden und wie in Gegenden ein Schiff, wo man Provision[470] davon machen muß. Das Unmittelbare gilt nicht mehr, muß sich rechtfertigen für den Gedanken. So begreifen wir die Eigentümlichkeit des Sokrates und seine Weise der Philosophie aus dem Ganzen, und wir begreifen auch sein Schicksal daraus.

Dies Zurückführen des Bewußtseins in sich erscheint (bei Platon sehr ausführlich) in der Form, daß der Mensch nichts lernen könne, auch nicht die Tugend, – nicht als der Wissenschaft nicht angehörig; sondern das Gute komme nicht von außen, zeigt Sokrates auf; es könne nicht gelehrt werden, sondern sei in der Natur des Geistes enthalten. Überhaupt könne der Mensch nicht etwas als ein von außen Gegebenes empfangen, passiv aufnehmen, wie Wachs die Form aufnimmt, sondern es liegt alles im Geiste des Menschen, und alles scheint er nur zu lernen. Es fängt zwar alles von außen an, aber dies ist nur der Anfang; das Wahre ist, daß es nur ein Anstoß ist für die Entwicklung des Geistes. Alles, was Wert für den Menschen hat, das Ewige, Anundfürsichseiende ist im Menschen selbst enthalten, aus ihm selbst zu entwickeln. Lernen heißt hier nur, Kenntnis von äußerlich Bestimmten erhalten. Dies Äußerliche kommt zwar durch die Erfahrung; aber das Allgemeine daran gehört dem Denken, nicht dem subjektiven, schlechten Denken an, sondern es ist wahrhaft Allgemeines. Das Allgemeine ist, beim Gegensatz des Subjektiven und Objektiven, das, was ebensosehr subjektiv als objektiv ist. Das Subjektive ist nur ein Besonderes; das Objektive ist ebenso auch nur ein Besonderes gegen das Subjektive; das Allgemeine ist die Einheit beider. Nach dem Sokratischen Prinzip gilt dem Menschen nichts, hat nichts Wahrheit für ihn, wo nicht der Geist das Zeugnis gibt. Der Mensch ist dann frei darin, ist bei sich; es ist die Subjektivität des Geistes. Wie es in der Bibel heißt, »Fleisch von meinem Fleisch, Bein von meinem Bein«, so ist das, was mir gelten soll als Wahrheit, als Recht, Geist von meinem Geiste. Was der Geist so aus sich selbst schöpft, was ihm so gilt, muß aus ihm als dem Allgemeinen, als dem als Allgemeines[471] tätigen Geiste sein, nicht aus seinen Leidenschaften, Interessen, Belieben, Willküren, Zwecken, Neigungen usf. Dies ist zwar auch ein Inneres, »von der Natur in uns gepflanzt«, aber nur auf natürliche Weise unser eigenes. Es gehört dem Besonderen an; das Höhere darüber ist das wahrhafte Denken, der Begriff, das Vernünftige. Dem zufälligen partikulären Innern hat Sokrates jenes allgemeine, wahrhafte Innere des Gedankens entgegengesetzt. Und dieses eigene Gewissen erweckte Sokrates, indem er nicht bloß aussprach: Der Mensch ist das Maß aller Dinge, sondern: Der Mensch als denkend ist das Maß aller Dinge. Bei Platon werden wir späterhin die Form sehen, daß der Mensch sich nur dessen erinnere, was er aufzunehmen scheint.

Es ist nun die Frage, was das Gute sei. Sokrates hat die Bestimmung für das Gute nicht nach der natürlichen Seite aufgenommen; das Gute, was an und für sich Zweck ist, ist auch Prinzip der Naturphilosophie. Sokrates hat vornehmlich das Gute in Beziehung auf die Handlungen der Menschen oder auf den Endzweck der Welt überhaupt genommen. Die Bestimmung des Guten in dieser Rücksicht wird als Bestimmtheit in der Besonderheit erkannt, gewußt, in der empirischen Wissenschaft aufgenommen. Sokrates hat alle anderen philosophischen Wissenschaften verschmäht, für gering geachtet und häufig behauptet, daß es leere Kenntnisse seien, ohne Zweck für den Menschen; der Mensch müsse nur erkennen, was gut sei, nur das den Menschen Nützliche solle er aufsuchen, – eine Einseitigkeit, die für Sokrates ganz konsequent ist. Diese Religion sei nicht nur das Wesentliche, worauf man seinen Gedanken Richtung zu geben habe, sondern das Ausschließliche. Die Bestimmtheit in dieser Rücksicht hat Sokrates beim Guten ausgeschlossen; selbst in Beziehung auf die Handlungen der Menschen ist bei ihm das Gute noch unbestimmt geblieben, und die letzte Bestimmtheit (das Bestimmende) ist das, was wir Subjektivität überhaupt nennen können.

Wenn wir sagen, daß das Gute bestimmt werden soll, so hat[472] dies zunächst den Sinn, daß erstens das Gute nur allgemeine Maxime ist (durch diese einfache Allgemeinheit tritt es selbst in den Gegensatz gegen das Sein der Realität, oder Individualität, Tätigkeit fehlt dem Guten), daß es aber zweitens nicht träge, nicht bloß Gedanke, sondern als Bestimmendes, Wirkliches, und so als Wirksames vorhanden sein soll. Dies ist es nur durch die Subjektivität, durch die Tätigkeit des Menschen. Daß das Gute ein Bestimmtes ist, heißt näher, daß es ein Wirkliches sei, – d.h. daß es verknüpft sei mit der Subjektivität, mit den Individuen; d.h. daß die Individuen gut sind, daß sie wissen, was das Gute ist, und dies Verhältnis nennen wir Moralität. Die Menschen sollen das Rechte wissen und es tun mit diesem Bewußtsein; dies ist Moralität und so unterschieden von der Sittlichkeit, die das Rechte unbewußt tut. Der sittliche (rechtschaffene) Mensch ist so, ohne daß er vorher Betrachtungen darüber anstellt, es ist sein Charakter, es ist bei ihm fest, was gut ist; sowie es dagegen auf das Bewußtsein ankommt, tritt die Wahl ein, ob ich gerade das Gute will oder nicht. Dies Bewußtsein der Moralität wird so leicht gefährlich, veranlaßt die Aufgeblasenheit des Individuums von diesem Dunste der Meinung von sich, die aus seinem Bewußtsein der Wahl hervorgeht: Ich bin der Herr, der Wähler des Guten; und darin liegt: Ich weiß, daß ich ein rechtschaffener Mann – vortrefflicher Mensch – bin. Durch die Willkür, mich für das Gute zu entscheiden, erhalte ich so das Bewußtsein von meiner Vortrefflichkeit; dieser Eigendünkel hängt nahe mit der Moralität zusammen. Bei Sokrates geht es noch nicht zu dieser Entgegenstellung des Guten und des Subjekts als Wählenden! fort, sondern es handelt sich nur um die Bestimmung des Guten und Verknüpfung der Subjektivität damit, die als Individuum das beschließt, d.i. als Person, die wählen kann, sich mit dem inneren Allgemeinen verknüpft. Darin ist zweierlei: Das Wissen des Guten, und daß das Subjekt gut ist, daß dies sein Charakter, seine Gewohnheit (habitus) ist, – dies haben die Alten Tugend genannt, das Subjekt ist so.[473]

Wir verstehen hieraus folgende Kritik, welche Aristoteles über die Bestimmung der Tugenden, das Prinzip bei Sokrates macht. Er sagt: »Sokrates hat besser von der Tugend gesprochen als Pythagoras, aber auch nicht ganz richtig, da er die Tugenden zu einem Wissen epistêmas machte. Dies ist nämlich unmöglich. Denn alles Wissen ist mit einem Grunde logos verbunden, der Grund aber ist nur im Denken; mithin setzt er alle Tugenden in die Einsicht (Erkenntnis). Es widerfährt ihm daher, daß er die alogische-empfindende –31 Seite der Seele aufhebt: nämlich die Leidenschaft pathos und die Sitte êthos«, die doch auch zur Tugend gehören. Pathos ist hier nicht Leidenschaft, mehr Neigung, Wollen des Gemüts.

Dies ist eine gute Kritik. Wir sehen, daß dasjenige, was Aristoteles an der Bestimmung der Tugend bei Sokrates vermißt, die Seite der subjektiven Wirklichkeit – heutigentages Herz – ist: »Das Gute ist wesentlich nur ein Eingesehenes«; die Erkenntnis ist so das einzige Moment in der Tugend. Tugend ist, sich nach allgemeinen Zwecken bestimmen, nicht nach partikulären Zwecken. Aber die Tugend ist nicht nur diese Einsicht, dies Bewußtsein, sondern das eingesehene Gute und Wahre, daß es Tugend sei, fehlt ihm noch, daß auch der Mensch, das Herz, das Gemüt identisch damit sei, – das Moment, wir können entweder sagen des Seins oder der Realisierung überhaupt; und diese Seite des Seins ist das, was Aristoteles das Alogische nennt. Wenn das Gute diese Realität hat, als allgemeine Realität, so ist es, als allgemeines Sein, Sitte; oder die Realität als einzelnes Bewußtsein, [so] ist es Leidenschaft; denn Leidenschaft ist eben eine Bestimmtheit des subjektiven einzelnen Willens. Der Einsicht fehlt sozusagen die Substantialität oder die[474] Materie. Es ist in der Bestimmung der Tugend eben dies ausgelassen, was in der Wirklichkeit, wie wir sahen, verschwunden, nämlich der reale Geist eines Volkes, woher die Rückkehr des Bewußtseins in sich; ebenso ist die Bestimmung nur das Subjektive der Einsicht, ohne die Realität als Sitte und, am Einzelnen, als Pathos. Das allgemeine Gute am Einzelnen als solchen ist Pathos, das Allgemeine, das ihn treibt. Doch eben, weil wir gewohnt sind, das Gute, die Tugend, praktische Vernunft und dergleichen auf die eine Seite zu stellen, so ist uns die andere Seite im Gegensatze gegen das Moralische eine ebenso abstrakte Sinnlichkeit, Neigung, Leidenschaft – und dies das Schlechte. Aber daß jenes Allgemeine eben Realität sei, muß es durch das Bewußtsein als einzelnes betätigt werden; und eben dieser Einzelheit gehört die Betätigung an. Ohne diesen Mißverstand drückten wir es Interesse aus, daß es für den Einzelnen als solchen ist. Die Leidenschaft (Liebe, Ehrgeiz, Ruhm sucht) ist das Allgemeine, wie es nicht in der Einsicht, sondern in der Tätigkeit ist, und wie das Allgemeine ist, als sich realisierend. – Doch gehört es nicht hierher, die ganze Menge der schiefen Vorstellungen und Gegensätze unserer Bildung zu entwirren.

Aristoteles sagt ferner, Sokrates habe einerseits ganz richtig geforscht, andererseits aber unrichtig. Daß die Tugend Wissenschaft sei, sei unwahr, aber daß sie nicht ohne Einsicht (ohne Wissen) sei, darin habe er recht; das Allgemeine des Zwecks gehöre dem Denken an. Er habe die Tugend zum Logos gemacht: »Wir aber sagen, sie ist mit dem Logos.« Dies ist eine sehr richtige Bestimmung; es ist die eine Seite die, daß das Allgemeine mit dem Denken anfängt; aber zur Tugend als Charakter gehört, daß der Mensch es sei, dazu gehört Herz, Gemüt usf. Diese zwei Seiten: α) das Allgemeine, β) die betätigende Individualität, der reale Geist, sind es, die uns notwendig vorkommen müssen. Der letztere[475] ist in eigener Form bei Sokrates, das erstere näher zu betrachten.

b) Das Allgemeine hat selbst eine positive und negative Seite an ihm. Daß die Realität der Sittlichkeit in dem Volksgeiste schwankend geworden, dies kam in Sokrates zum Bewußtsein; er steht darum so hoch, weil er eben das Bewußtsein dessen hatte, was war, er seine Zeit ausspricht. Er erhob in diesem Bewußtsein die Sittlichkeit zur Einsicht; aber dies Tun ist eben dies, es zum Bewußtsein zu bringen, daß Sitten, sittliche Gesetze in ihrer Bestimmtheit, in ihrer Unmittelbarkeit schwankend sind, – ist die Macht des Begriffs, welche dies unmittelbare Sein und Gelten derselben, die Heiligkeit ihres Ansichseins aufhebt. Wenn die Einsicht positiv dasselbe als Gesetz erkennt, was als Gesetz gilt (das Positive ist, doch zu den Gesetzen seine Zuflucht zu nehmen), so ist dies Geltende doch durch die negative Weise hindurchgegangen und hat nicht mehr die Form dieses absoluten Ansichseins (es ist noch nicht Platonische Republik). Wenn nämlich also dem Begriffe es sich aufgelöst hat, daß die geltenden Gesetze in der Form, wie sie dem einsichtlosen Bewußtsein gelten, keine Wahrheit haben, sondern nicht diese allgemeinen sind, wie sie eine Bestimmtheit haben (nicht dies Gute und jenes Rechte, sondern das rein an sich Allgemeine, das absolute Gute ist das Wahre), so sehen wir, dies ist leer, hat keine Realität. Wenn wir von dem an sich Guten und Schönen sprechen hören, wenn wir anders nicht in einem leeren Herumtreiben uns gefallen, so fordern wir, daß wieder herausgegangen werde zur Ausbreitung der Bestimmung des Allgemeinen.

Das zweite ist, daß, indem Sokrates bei der Unbestimmtheit des Guten bleibt, die Bestimmtheit die nähere Bedeutung hat, daß sie das Besondere ausdrückt, das Bestimmen sich auf das besondere Gute bezieht. Da tritt denn ein, daß das Allgemeine nur resultiert aus der Negation des besonderen Guten; dies besondere Gute nun aber sind die besonderen Gesetze, Gesetze als geltende Gesetze, – das Sittliche überhaupt,[476] das, was zur griechischen Zeit als Sitte war. Wenn nun der Gedanke, die Reflexion des Gedankens auf das Allgemeine dringt, so kann dies nicht anders geschehen, als daß das Besondere in seiner Beschränkung aufgezeigt und wankend gemacht wird. Dies ist eine richtige, aber gefährliche Seite. Das denkende Bewußtsein, die Reflexion weiß von allem Besonderen seine Mängel aufzuzeigen; so gilt es nicht als fest, seine Festigkeit wird erschüttert. An sich ist eine Inkonsequenz darin, Beschränktes als ein Absolutes gelten zu lassen; aber sie wird von dem sittlichen Menschen bewußtlos verbessert, und diese Verbesserung liegt in dem Sittlichen des Subjekts, in dem Ganzen des Zusammenlebens.

Es kann zwar Extreme von Kollisionen geben, die unglücklich sind; sie sind aber ungewöhnlich seltene Fälle. Ein Beispiel aus dem Xenophon wird näher erläutern, wie durch das Denken, das das Allgemeine nur in Form des Allgemeinen festhalten will, das Besondere ins Schwanken gerät.

Wenn nun das gewußte Allgemeine, das Wahre und Gute das Höchste ist, so liegt darin, daß das Besondere dagegen nicht ein Geltendes ist. Daß sich das Besondere als mangelhaft zeigte, haben wir schon aus der Dialektik kennengelernt, in der das Beschränkte sich aufhob; aber auch das Allgemeine, das abstrakte Ansich, ist nicht das Geltende. Beide Seiten des Allgemeinen, die positive und negative, finden wir verbunden vorgestellt in Xenophons Memorabilien.

Dies Werk hat den Zweck, Sokrates zu rechtfertigen, und er hat ihn uns viel genauer und getreuer geschildert als Platon. Im vierten Buche (2, § 40) will Xenophon zeigen, wie Sokrates teils die Jünglinge an sich gezogen und zur Erkenntnis gebracht habe, daß sie der Bildung bedürften – hiervon haben wir schon gesprochen –, teils aber erzählt er auch, wie Sokrates sie auch wirklich selbst gebildet habe und was sie in seinem Umgange gelernt haben, in welchem »er sie dann nicht mehr durch Spitzfindigkeiten verwirrte (quälte), sondern ihnen das Gute aufs Deutlichste und Offenste (Unzweideutigste) lehrte«; er zeigte ihnen das Gute[477] und Wahre in dem Bestimmten, in das er zurückging, da er es nicht bei dem bloß Abstrakten bewenden lassen wollte.

α) Von dem Letzteren gibt Xenophon ein Beispiel an einer Unterredung mit dem Sophisten Hippias. Sokrates behauptet da, führt dies aus, daß der Gerechte der sei, welcher den Gesetzen gehorche, und diese Gesetze seien göttliche Gesetze. Xenophon läßt den Hippias dagegen sprechen, wie Sokrates es für an sich absolut erklären könne, den Gesetzen zu gehorchen, da das Volk doch und die Regenten sie oft selbst auch mißbilligen, indem sie sie ändern; dies setze voraus, daß sie nicht absolut seien. Sokrates antwortet, ob denn diejenigen, welche Krieg führen, nicht auch wieder Frieden machen – und so den Krieg mißbilligen, also das, was sie gewollt haben, wieder aufheben, es für nichts an sich Seiendes erklären –, und spricht überhaupt davon, daß dies der beste und glücklichste Staat sei, wo die Bürger eines Sinnes sind und den Gesetzen gehorchen. Dies ist nun eine Seite, worin Sokrates von dem Widerspruche wegsieht und die Gesetze, das Recht, so wie es jedem in der Vorstellung ist, gelten läßt. Hier sehen wir affirmativen Inhalt. Fragen wir nun, was diese Gesetze sind, so sind es eben diese, die einmal gelten, wie sie so im Staate und in der Vorstellung vorhanden sind, das andere Mal als bestimmte sich aufheben und als nicht absolut gelten; z.B. nicht lügen, nicht betrügen, nicht stehlen, nicht rauben.

β) Diese andere negative Seite sehen wir aber ebenso in demselben Zusammenhange. Um nämlich (erzählt Xenophon) dem Euthydemos das Bedürfnis der Einsicht fühlbar zu machen, bringt Sokrates ihn zum Gespräche, indem er ihn fragt, ob er nicht nach der Tugend strebe, ohne die weder der Privatmann noch der Bürger sich und den Seinigen nützlich, noch dem Staate es sein könne. Euthydemos erklärt dies allerdings für sein Bestreben. Ohne Gerechtigkeit aber,[478] erwidert Sokrates, sei dies nicht möglich, und er fragt weiter, ob Euthydem also ein Gerechter sei, die Gerechtigkeit an ihm selbst vollbracht habe. Euthydem bejaht dies, indem er sagt, er denke nicht weniger als irgendeiner, gerecht zu sein. Sokrates entgegnet nun: »Wie von ihren Arbeiten Handwerker aufzeigen können, so werden auch die Gerechten zu sagen wissen, was ihre Werke seien.« Auch dies gibt jener zu, erwidert, daß er dies wohl leicht tun könne. Sokrates schlägt vor, wenn dies sei, »unter Δ auf die eine Seite das Tun des Gerechten, auf die andere Seite unter A das Tun des Ungerechten zu schreiben«. Mit Einstimmung des Euthydem komme also Lügen, Betrügen, Rauben (Stehlen), einen Freien zum Sklaven Machen (andrapodizesthai) unter das Ungerechte auf die andere Seite. Nun fragt Sokrates: »Wenn aber ein Feldherr den feindlichen Staat unterjocht, gehört dies nicht unter die Gerechtigkeit?« Euthydemos sagt ja. »Ebenso, wenn er den Feind täuscht, belügt, beraubt, zum Sklaven macht?« Euthydemos muß dies zugeben: dies sei auch gerecht. Es zeigt sich so, »daß dieselben Qualitäten«, Lügen, das Eigentum und die Freiheit Berauben, Betrügen, »ebensowohl unter die Bestimmung der Gerechtigkeit als der Ungerechtigkeit kommen«. Euthydemos fällt ein, die Bestimmung hinzuzusetzen, daß er gemeint habe, Sokrates verstehe jenes Tun, Lügen, Betrügen usf., nur gegen Freunde; gegen diese sei es ungerecht. Sokrates nimmt dies also an, fährt aber nun fort: Wenn ein Feldherr im entscheidenden Moment der Schlacht seine eigene Armee in Schrecken sehe und er täusche sie, indem er lüge, daß eine Hilfe eben ankomme, um sie zum Siege zu führen, ob dies gerecht zu nennen sei? Euthydemos gibt dies zu. – »Sokrates: Wenn ein Vater seinem kranken Kinde eine Arznei, die das Kind nicht nehmen will, unter die Speisen tut und es durch diese Täuschung gesund macht, ist dies gerecht? – Euthydemos: Ja. – Sokrates: Oder ist jemand ungerecht, der seinem Freunde, den er in der Verzweiflung und im Begriffe sieht, sich das Leben zu nehmen, seine Waffen heimlich oder mit[479] offener Gewalt nimmt?« Euthydem muß ebenso zugeben, daß dies nicht Unrecht sei. So zeigt sich hier wieder, daß sich dieselben Bestimmungen also auch gegen Freunde auf beiden Seiten finden, unter die Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit zu stehen kommen usf.

Hier sehen wir die negative Seite, daß Sokrates das wankend macht, was der Vorstellung sonst fest war. Nicht lügen, nicht betrügen, nicht rauben gilt in der unbefangenen Vorstellung für recht, – dies ist ihr das Feste; aber durch die Vergleichung dieses für fest Gehaltenen mit anderem, das ihr ebenso fest als wahr gilt, zeigt sich, daß sie sich widersprechen, – und jenes Feste wird wankend, es gilt nicht mehr für fest. Das Positive, was Sokrates an die Stelle des Festen setzt, ist einesteils im Gegensatze wieder dieses, den Gesetzen zu gehorchen; wir sehen ganz das Allgemeine, Unbestimmte, und »den Gesetzen gehorchen« versteht nun jeder, der dies hört, eben die Gesetze ausgedrückt, wie die allgemeine Vorstellung derselben sich bewußt ist, nicht lügen, nicht betrügen; aber diese Gesetze sind eben dies, daß sie so im Allgemeinen Lügen, Betrügen, Rauben als Unrecht aufstellen, – Bestimmungen, die für den Begriff nicht aushalten. Andernteils aber die Einsicht, in welcher das unmittelbar Gesetzte, gesetzt auch in der Vermittlung, Negation, sich rechtfertigt, bezeichnet, wenn sie wahrhaft ist, die Grenze desselben, seine Bestimmtheit, – Konstruktion des Ganzen. Aber teils finden wir diese Einsicht eben nicht bei Sokrates, sondern sie wird das Unbestimmte in ihrem Inhalt, wie oben den Gesetzen überhaupt gehorchen; teils hat sie eben die Seite der Erscheinung des Aufhebens der geltenden Gesetze, und sie ist als Realität eine Zufälligkeit. α) Nicht jeder hat die Einsicht; β) wer sie hat, kann beim Negativen stehenbleiben; sie ist das Zufällige des Umgangs und der Bildung durch Sokrates' Charakter, der eigentlich das Feste ist und woran sich der Umgehende durch substantielle Mitteilung[480] und Gewohnheit befestigt, – aber »es sind viele solche dem Sokrates untreu geworden«.

Sokrates zeigt allgemeine Gebote: »Du sollst nicht töten« usf.; diese Allgemeinheit ist verbunden mit einem besonderen Inhalte, und dieser ist bedingt. Wenn nun dies Bedingte des Inhalts zum Bewußtsein gebracht wird, so ist die Festigkeit, die diese Gebote durch die Allgemeinheit haben, schwankend. Bei Gesetzen oder Geboten kommt es sonach auf Umstände an, sie sind ein von Umständen, Meinungen Bedingtes, und die Einsicht ist es, die solche Bedingungen, Umstände erfindet, wodurch Ausnahmen für dies unbedingt geltende Gesetz entstehen. Eigentum nehmen, ist ungerecht; dies ist fest. Durch solche Überlegung, daß es im besonderen Falle nicht Unrecht sei, wird die Festigkeit vernichtet; die Grundsätze werden so wankend. Denn ihnen ist die Form der Allgemeinheit notwendig; nur so sind sie fest. Wenn durch besondere Fälle, Instanzen die Allgemeinheit beschränkt wird, so verschwindet mit der Allgemeinheit auch die Festigkeit des Grundsatzes; dieser erscheint als besonderer, der gilt und nicht gilt. Es kommt auf die Umstände an; diese sind zufällig – objektiv –, oder es tritt Zufälligkeit meiner Interessen ein.

γ) Hier sehen wir also das Allgemeine so bestimmt, realisiert: allgemeines Nennen der Gesetze; in Wahrheit aber, da diese verschwindende Momente sind, das unbestimmte Allgemeine und den Mangel seiner Unbestimmtheit noch nicht ergänzt. Wir sehen nur vielmehr die bestehenden Gesetze verschwinden; das Nächste, bei dem wir stehen, ist dies, daß durch die Bildung des reflektierenden Bewußtseins das im Bewußtsein Geltende, die Sitte, das Gesetzliche wankend geworden ist. Hierbei ist anzuführen, daß es Aristophanes ist, der die Sokratische Philosophie von dieser negativen Seite aufgefaßt hat. Dies Bewußtsein des Aristophanes über die Einseitigkeit des Sokrates kann als ein Vorspiel[481] davon angesehen werden, wie auch das athenische Volk seine negative Weise wohl erkannte und ihn zum Tode verurteilte. Es ist bekannt, daß Aristophanes den Sokrates aufs Theater so gut als nicht nur z.B. den Aischylos und besonders den Euripides, sondern auch die Athenienser überhaupt, alsdann ihre Feldherren, das personifizierte athenische Volk und die Götter selbst brachte, – eine Freiheit, die wir uns nicht einfallen lassen würden, wenn sie uns nicht geschichtlich aufbewahrt wäre. Es gehört nicht hierher, die eigene Natur der Aristophanischen Komödie zu betrachten, noch besonders den Mutwillen, den er an Sokrates verübt haben soll. Fürs erste darf uns überhaupt dies nicht auffallen, noch brauchen wir den Aristophanes zu rechtfertigen oder nur zu entschuldigen. Es kann nur soviel gesagt werden, daß es freilich unserer deutschen Ernsthaftigkeit widerspricht, zu sehen, wie Aristophanes lebende Männer im Staate mit ihren Namen auf die Bühne bringt, um sie lächerlich zu machen, besonders aber einen so moralischen und rechtschaffenen Mann wie Sokrates.

Durch chronologische Bestimmungen hat man soviel eruieren wollen, daß seine Darstellungen keinen Einfluß auf die Verurteilung des Sokrates gehabt hätten. Man sieht, es geschieht dem Sokrates ganz Unrecht; dann erkennt man auch den Wert des Aristophanes, er hat in seinen Wolken ganz recht gehabt. Und jener Dichter, der ihn auf das Lächerlichste und Bitterste dem Hohne preisgab, ist kein gewöhnlicher Possenreißer, Lustigmacher, seichter Spaßvogel gewesen, der das Heiligste und Vortrefflichste verspotte und dem Witze seines Spottes alles preisgebe und aufopfere, um die Athenienser lachen zu machen. Allein alles hat viel tieferen Grund; bei seinen Späßen liegt tiefer Ernst zugrunde. Bloß spotten wollte er nicht; Ehrwürdiges bespotten, ist kahl und platt. Ein elender Witz ist der, welcher nicht substantiell ist, nicht auf Widersprüchen beruht, die in der Sache selbst liegen; Aristophanes ist kein schlechter Witzling gewesen. Es ist nicht möglich, an etwas Spott äußerlich anzuhängen, das[482] nicht den Spott seiner selbst, die Ironie über sich, an sich selbst hat. Das Komische ist: Mensch, Sache aufzuzeigen, wie es sich in sich selbst auflöst in seinem Aufspreizen. Ist die Sache nicht in ihr selbst ihr Widerspruch, so ist das Komische oberflächlich, grundlos. Aristophanes macht sich nicht nur über den dêmos, den Euripides lustig; sondern bei dem Spott über den dêmos; liegt tiefer politischer Ernst zugrunde. Aus allen seinen Stücken geht hervor, welch gründlich tiefer Patriot er gewesen ist, – ein edler, vortrefflicher, wahrhaft athenischer Bürger.

Was diese Erscheinung des Aristophanes betrifft, so ist die Aristophanische Komödie für sich ein wesentliches Ingrediens im athenischen Volke, – Aristophanes eine ebenso notwendige Figur, als es der erhabene Perikles, der leichtsinnige Alkibiades, der göttliche Sophokles und der moralische Sokrates gewesen; Aristophanes gehört ebensosehr in den Kreis dieser Sterne. Im tiefsten Ernste sehen wir einen Patrioten vor uns, der, obgleich Todesstrafe darauf gesetzt war, doch in einem seiner Stücke sich nicht scheute, den Frieden anzuraten. In ihm, der den tiefsten und verständigsten Patriotismus hatte, stellt sich der selige, seiner selbst gewisse Genuß eines Volkes dar, das sich selbst preisgibt. Es gehört zum Komischen eine Sicherheit seiner selbst, die – indem sie sich auf etwas verläßt, an etwas festhält, mit allem Ernst dies betreibt, während ihr immer das Gegenteil dessen wird, was sie ausrichtet – darüber gar in keinen Zweifel gerät, zu keiner Reflexion über sich kommt, sondern vollkommen ihrer und ihrer Sache gewiß bleibt. Diese Seite des freien athenischen Geistes, diesen vollkommenen Genuß seiner selbst im Verluste, diese ungetrübte Gewißheit seiner selbst bei aller unmittelbaren Fehlschlagung des Erfolgs und der Realität – das höchst Komische – genießen wir im Aristophanes.

In den Wolken sehen wir nicht dies unbefangene Komische; sondern Widerspruch wird mit bestimmter Absicht. Aristophanes also schildert den Sokrates auch komisch, wie er[483] in seinem moralischen Bemühen das Gegenteil dessen hervorbringt, worauf er geht, und Schülern von ihm Freude über die einsichtsvollen Entdeckungen entspringt, die sie durch ihn gemacht und die sie für ihr Glück halten, die sich ihnen aber häßlich verkehren und zum Gegenteil dessen werden, was sie meinten. Die vortreffliche Einsicht, die hier vorgestellt wird, daß die Schüler des Sokrates erlangen, ist eben die Einsicht in die Nichtigkeit der Gesetze des bestimmten Guten, wie es dem unbefangenen Bewußtsein als Wahrheit galt.

Er hat Späße gemacht, daß Sokrates sich mit gründlichen Untersuchungen beschäftigt habe: wie weit die Flöhe springen, und daß er ihnen deshalb Wachs an die Füße geklebt habe. Dies ist nichts Historisches; aber begründet ist es, daß Sokrates in seiner Philosophie diese Seite hatte, die Aristophanes da mit Bitterkeit hervorgehoben hat. Es ist ein Beweis der Richtigkeit, mit der Aristophanes die Sokratische Philosophie aufgefaßt hat.

Die kurze Fabel der Wolken ist also diese. Strepsiades, ein ehrlicher atheniensischer Bürger von alter Art, hat große Not mit seinem neumodischen, verschwenderischen Sohne, der, von Frau Mutter und Herrn Onkel verzogen, Pferde hält, eine Lebensweise führte, die seinen Umständen unangemessen war. Der Vater hat dadurch Not mit den Gläubigern, geht in seiner Not zum Sokrates und tritt bei ihm als Schüler ein. Da lernt der Alte, daß nicht dies und nicht dies, – jenes gerecht ist; oder er lernt große und kleine Gründe (Verständchen, hêttôn logos), er lernt die Dialektik der Gesetze, Gründe zu finden, das bestimmte Gesetzliche, als z.B. seine Schulden zu bezahlen, durch Gründe umzustoßen. Und er nötigt dann seinen Sohn, auch bei Sokrates in die Schule zu gehen, der dann auch seine gehörige Weisheit profitiert. Mit dieser neuen Weisheit von Gründen und Gründe-Erfinden ausgerüstet, ist er gewaffnet gegen das Hauptübel, das ihn drückt, gegen seine mahnenden Gläubiger. Diese kommen denn nun auch bald nacheinander, die Bezahlung[484] zu holen. Strepsiades weiß sie nun mit guten Gründen abzuspeisen, zeigt ihnen, daß er zu bezahlen nicht nötig habe, beschwichtigt sie durch allerlei titulos, ja verhöhnt sie selbst (womit er sie wegräsoniert) und ist sehr vergnügt, dies bei Sokrates gelernt zu haben. Aber bald ändert sich die Szene, wendet sich die Sache. Der Sohn kommt herbei, beträgt sich sehr ungezogen gegen seinen Vater, sosehr, daß der Sohn den Vater am Ende ausprügelt. Der Vater schreit darüber aufs Höchste als über die letzte Unwürdigkeit; der Sohn aber erweist ihm mit ebenso guten Gründen nach der Methode, die er bei Sokrates profitiert hatte, daß er ein vollkommenes Recht habe, ihn zu schlagen. Strepsiades endigt die Komödie mit der Verwünschung der Sokratischen Dialektik, mit der Rückkehr zu seiner alten Sitte und der Abbrennung des Hauses des Sokrates.

Die Übertreibung, die man dem Aristophanes zuschieben könnte, ist, daß er diese Dialektik zur ganzen Bitterkeit der Konsequenz fortgetrieben hat; es kann jedoch nicht gesagt werden, daß dem Sokrates Unrecht geschehen mit dieser Darstellung. Aristophanes hat durchaus nicht Unrecht, ja man muß sogar seine Tiefe bewundern, die Seite des Dialektischen des Sokrates als eines Negativen erkannt und (nach seiner Weise freilich) mit so festem Pinsel dargestellt zu haben. Denn die Entscheidung wird beim Verfahren des Sokrates immer in das Subjekt, in das Gewissen gelegt werden; wo aber das schlecht ist, muß sich die Geschichte des Strepsiades wiederholen. Sokrates' Allgemeinheit hat die negative Seite des Aufhebens der Wahrheit (Gesetze), wie sie im unbefangenen Bewußtsein ist (die wir in einem Beispiele seines Unterrichts sahen); dies Bewußtsein wird so die reine Freiheit über den bestimmten Inhalt, der ihm als an sich galt. Diese inhaltslose Freiheit, die Realität als Geist, ist gleichgültig gegen den Inhalt, – erfüllt, so daß ihr der Inhalt nicht ein fester ist, sondern die Durchdringung der Freiheit und des Allgemeinen ist der Geist. Er, als die Einheit des Inhalts und der Freiheit, ist eigentlich das Wahrhafte;[485] wie der Inhalt der Freiheit für das ungebildete Bewußtsein ist, ist er zerstreut und gilt in seiner Bestimmtheit für absolut, er erscheint ihm nicht als geistiger Inhalt. Die Sokratische Dialektik geht gegen dies Wissen des ungebildeten Geistes von seinem Inhalte; es macht ihn wankend, zeigt, daß er, so wie er ihm erscheint, keine Wahrheit hat. Das Bewußtsein verliert diese Vorstellung von seiner Wahrheit als diesem zerstreut geltenden Inhalte und wird frei.

c) Wenn wir näher dies betrachten, was denn das Wahre ist in diesem Bewußtsein, so machen wir den Übergang zu der Weise, wie dem Sokrates selbst das Realisierende des Allgemeinen erschien.

Es ist zu bemerken, daß der ungebildete Geist dem Inhalte seines Bewußtseins nicht so folgt, wie er ihm in seinem Bewußtsein erscheint, sondern daß er ihm, als Geist, zugleich ein aufgehobener ist, – oder er, als Geist, das selbst korrigiert, was unrichtig in seinem Bewußtsein ist; an sich, aber nicht für sich, ist er als Bewußtsein frei. Z.B. im Bewußtsein gilt dies Gebot als Pflicht: »Du sollst nicht töten«; es ist allgemeines Gesetz; wenn es gefragt wird, spricht es dies als Gebot aus. Allein dasselbe Bewußtsein – wenn nämlich kein feiger Geist in ihm wohnt – wird im Kriege tapfer auf die Feinde losschlagen und sie totschlagen; hier, wenn es gefragt, ob es Gebot ist, seine Feinde zu töten, wird es dies bejahen. (Der Scharfrichter tötet auch.) Allein, wenn es in Privathändel mit Widersachern und Feindschaften verwickelt ist, so wird ihm dies Gebot, seine Feinde zu töten, nicht einfallen. Wir können eben dies also den Geist nennen, der ihm zur rechten Zeit das eine und zur rechten Zeit das Entgegengesetzte einfallen läßt; es ist Geist, aber ein ungeistiges Bewußtsein. Der erste Schritt, ein geistiges Bewußtsein zu werden, ist die negative Seite der Erwerbung der Freiheit seines Bewußtseins; diese ist so leer (diese Wirkung bringt die Sokratische Dialektik hervor), aber dies, was dem Bewußtsein einfällt, die Weise, wie sie als allgemein gedacht wird, ihre Erfüllung sehen wir, bei Aristophanes, durch sein[486] Privatinteresse; oder an ihr als diesem Geist, der seiner Form zuerst allgemein bewußt wird, sehen wir einen schlechten Geist, des Strepsiades und seines Sohns, der nur das negative Bewußtsein des Inhalts der Gesetze ist. Für ein konsequent gewordenes Bewußtsein ist dies Gesetz des einzelnen Falles ein aufgehobenes; es bringt dasselbe mit seinem Gegenteil zusammen, und es hat ihm keine Wahrheit an sich; es erhebt sich über die Weise, wie sie ihm in diesem Falle erschien, und zugleich hat es noch nicht die positive Wahrheit, welche in ihrer Bestimmtheit erkannt wäre.

Dieser Mangel kann auf doppelte Weise aufgefaßt werden: α) diese Freiheit ist, als ein Sein, das allgemeine an sich Seiende, – so vermißt Aristoteles die Betätigung, das reale Moment daran, bestimmende Freiheit; β) oder – da sie, als reine Bewegung, Freiheit bleibt – den Inhalt. α) Bei Sokrates nun sehen wir in Ansehung der Erfüllung dieses Inhalts (des Positiven) eben wieder das Vorige, den Gesetzen zu gehorchen, an die Stelle treten – d.h. eben die Weise des inkonsequenten Denkens und Vorstellens –, auch die Einsicht in die Wahrheit einzelner Gesetze, allein eine Einsicht, welche so beschaffen ist wie die Beweise unserer Moral. Sie gehen von einer Bestimmung aus, worunter als dem Grunde und Allgemeinen das bestimmte Gesetz oder die Pflicht subsumiert wird; allein dieser Grund ist selbst nichts Absolutes und fällt unter dieselbe Dialektik. Z.B. Mäßigkeit als eine Pflicht aus dem Grunde geboten, weil Unmäßigkeit die Gesundheit untergrabe: hier ist Gesundheit das Letzte, das hier als absolut gilt. Allein diese ist ebenso nichts Absolutes es gibt andere Pflichten, die gebieten, die Gesundheit, ja das Leben selbst in Gefahr zu bringen und aufzuopfern. Die sogenannten Kollisionen sind nichts anderes als eben dies, daß die Pflicht, die als absolut ausgesprochen wird, sich zeigt als nicht absolut; in diesem beständigen Widerspruche treibt sich die Moral herum. Eben dieser Widerspruch bei Sokrates' Begriffen zeigt das rein Allgemeine als das Wesen auf, worin alle Bestimmung, die sonst dem Bewußtsein als an sich seiend[487] gilt, sich auflöst, – und [zeigt] auf der andern Seite, indem dies Allgemeine einen Inhalt erhalten soll, dasselbe an die Stelle treten. Das Wahre ist hieran die reine Einsicht,-diese Bewegung des Bewußtseins und das Allgemeine. β) Dieser Mangel des Inhalts, der Erfüllung ist Wiederherstellung eines Inhalts, nicht der Willkür, sondern als eingesehene Gesetze, die sich dem Bewußtsein gerechtfertigt. Bei Sokrates sehen wir diese Begeistung des Inhalts eintreten, – ein Wissen, Erkennen desselben, Aufzeigen seines Grundes, der das Allgemeine ist; aber nur formell als Grund, ohne eben aus diesem Allgemeinen, das nicht das absolut reale Allgemeine, welches die Entgegengesetzten enthielte, – formale Einsicht, noch nicht das Wesen. Es bleiben vielerlei selbständige Gründe, wie vorhin vielerlei Gesetze; die Einsicht ist noch nicht ausgesprochen als das reale Moment, das Unbezogene, was sie unterjocht, ihr Wesen ist. Es kommt uns dasselbe als eine Menge Gründe vor, nicht ihre Einheit; oder wir können die Gründe als viele Gesetze, Pflichten betrachten, die die bestehenden Gesetze für das Bewußtsein darstellen. Der wahre Grund ist der Geist, und zwar der Geist eines Volkes; eine Einsicht in die Konstitution eines Volkes und Einsicht in den Zusammenhang des Individuums mit diesem realen allgemeinen Geiste.

Die Beschränkung des Allgemeinen, die so eintritt, zu erkennen, so daß sie fest ist, nicht zufällig wird, d.h. das Allgemeine in seiner Bestimmtheit zu erkennen, ist nur möglich im ganzen Zusammenhang eines Systems der Wirklichkeit. Im gemeinen Leben macht sich die Beschränkung auf bewußtlose Weise (im athenischen Leben waren es teils die Sitten, welche diese Beschränkung machten), der Grundsatz bleibt dabei fest; haben wir die Ausnahme, so sagen wir: So ist es mit dieser Allgemeinheit nicht gemeint, daß die Beschränkung wegfallen soll. Diese Beschränkung der Grundsätze, die bestimmt ist durch Gesetz in uns, oder Staatsgesetze, Zustand des Lebens überhaupt, vergessen wir; das Feste hat uns sogleich die Gestalt der Allgemeinheit. Das[488] Andere ist, daß die Beschränkung vors Bewußtsein tritt; wird gesagt, der Grundsatz ist nicht allgemein, ohne daß die Beschränkung in ihrer Bestimmtheit erkannt wird, so ist der Grundsatz nur überhaupt wankend gemacht. Die Gesetze, die Sitten, die Regierung, das Regieren, das wirkliche Staatsleben hat in sich sein Korrektiv gegen das Inkonsequente, was darin liegt, solchen bestimmten Inhalt als absolut geltend auszusprechen.

Es stehen sich zwei Seiten entgegen: die eine ist das Allgemeine als solches, Gesetze, Pflichten überhaupt; das andere der Geist überhaupt, in seiner Abstraktion das betätigende Individuum, das Entscheidende, Subjektive. Diese beiden Seiten sind notwendig auch im Bewußtsein des Sokrates: Inhalt und Herrschaft über diesen Inhalt. Allgemein ist der Mangel des Negativen an diesem Allgemeinen selbst, als Entwicklung. Dies Negative, als Reales gegen das Allgemeine, ist das Moment der Individualität als solcher, das Tätige, das Bestimmung hereinbringt, das, was sich entschließt. Wenn wir das vollkommene Bewußtsein haben, daß im wirklichen Handeln die bestimmten Pflichten und das Verhalten danach nicht ausreicht, sondern jeder konkrete – Fall eigentlich eine Kollision von Pflichten, eine Konkretion vielfacher Bestimmungen ist, welche sich im moralischen Verstande unterscheiden, die aber der Geist als nicht absolut behandelt, sondern sie in der Einheit seiner Entschließung verbindet, so nennen wir diese reine entschließende Individualität, das Wissen, was das Rechte ist, das Gewissen, – wie das rein Allgemeine des Bewußtseins, nicht ein besonderes, sondern eines jeden, die Pflicht. Oben ist es, als der Geist des Volks, die Sitte genannt worden. An die Stelle dieses allgemeinen einigen Geistes tritt der einzelne Geist, die sich entscheidende Individualität. Indem nun so das Besondere, das Gesetzliche dem Bewußtsein wankend gemacht wird, so ist das Subjekt das Bestimmende, Entscheidende. Ob guter oder schlechter Geist entscheide, bestimmt jetzt das Subjekt. Der Punkt der Entscheidung aus sich[489] selbst fing an, bei Sokrates aufzugehen; dieses war bei den Griechen bewußtloses Bestimmen. Bei Sokrates wird dieser entscheidende Geist in das subjektive Bewußtsein des Menschen verlegt, und die Frage ist nun zunächst, wie diese Subjektivität an Sokrates selbst erscheint. Indem die Person, das Individuum zum Entscheidenden wird, so kommen wir auf diese Weise auf Sokrates als Person, als Subjekt zurück; und das Folgende ist nun eine Entwicklung seiner persönlichen Verhältnisse.

Was die Persönlichkeit des Sokrates überhaupt betrifft, so ist von dieser am Anfang schon die Rede gewesen; er selbst war ein durchaus edler, ein plastisch gebildeter Mann, – und darüber ist nichts mehr hinzuzusetzen. Es kann noch bemerkt werden, daß »der Umgang mit seinen Freunden für sie im ganzen sehr wohltuend, lehrreich gewesen ist«; aber indem das Sittliche auf die Subjektivität gestellt ist, so tritt denn hier die Zufälligkeit des Charakters ein. Die Erziehung der Staatsbürger, das Leben im Volk ist eine ganz andere Macht im Individuum, als daß dasselbe sich so durch Gründe bilden sollte. So wahrhaft bildend der Umgang des Sokrates gewesen ist, so tritt dennoch diese Zufälligkeit ein. Wir sehen so die mit dem genialischsten Naturell, z.B. Alkibiades, Kritias, nachher diese Rolle spielen, daß sie in ihrem Vaterlande als Feinde, als Verräter ihrer Mitbürger, als Verderber, ja als Unterdrücker, Tyrannen des Staats beurteilt werden, – unglückliche Zeichen der Verwirrung.

Die eigentümliche Gestalt, in der diese Subjektivität, dies in sich Gewisse, was das Entscheidende ist, – wie dies bei Sokrates erscheint, ist noch zu erwähnen. Es hat jeder hier einen eigenen solchen eigenen Geist; oder er für sich erscheint ihm als sein Geist. So sehen wir, wie damit zusammenhängt, was unter dem Namen des Genius (daimonion) des Sokrates bekannt ist; er enthält das, daß jetzt der Mensch nach seiner Einsicht aus sich entscheidet. Aber es darf uns bei diesem[490] berühmten Genius des Sokrates, als einer so viel beschwatzten Bizarrerie seines Vorstellens, weder die Vorstellung von Schutzgeist, Engel und dergleichen einfallen, noch auch das Gewissen. Denn Gewissen ist die Vorstellung allgemeiner Individualität, des seiner selbst gewissen Geistes, der zugleich allgemeine Wahrheit ist. Der Dämon des Sokrates ist die ganz notwendige andere. Seite zu seiner Allgemeinheit; wie ihm diese zum Bewußtsein kam, so auch die andere Seite, die Einzelheit des Geistes. Sein reines Bewußtsein stand über beiden Seiten. Welcher Mangel in dieser Seite, werden wir sogleich bestimmen: nämlich der Mangel des Allgemeinen ist ersetzt selbst mangelhaft, auf eine einzelne Weise, nicht Wiederherstellung des Verdorbenen für das Negative. Sein Entschließen im Einzelnen, im Tun und Lassen war Gegenstand für ihn; er hatte ein Bewußtsein über dies individuelle Tun. Es ist darin weiter keine Phantasterei, kein Aberglaube, oder wie man es nennen will, zu sehen; sondern es ist eine notwendige Betrachtungsweise, nur daß Sokrates diese Notwendigkeit nicht erkannte, sondern dies Moment nur über haupt vor seiner Vorstellung war. Es erscheint darum als eine Eigenheit, welche nur einem Einzelnen zukam; dadurch erhält er den Schein der Einbildung, erscheint ihm nicht, wie er in Wahrheit.

Das Innere des Subjekts weiß, entscheidet aus sich; dies Innere hat bei Sokrates noch eine eigentümliche Form gehabe. Der Genius ist noch das Bewußtlose, Äußerliche, das entscheidet; und doch ist es ein Subjektives. Der Genius ist nicht Sokrates selbst, nicht seine Meinung, Überzeugung, sondern ein Bewußtloses; Sokrates ist getrieben. Das Orakel ist zu gleich nichts Äußerliches, sondern sein Orakel. Es hat die Gestalt gehabt von einem Wissen, das zugleich mit einer Bewußtlosigkeit verbunden ist, – ein Wissen, was sonst auch als magnetischer Zustand unter anderen Umständen eintreten kann. Bei Sterbenden, im Zustande der Krankheit, der Katalepsie kann es kommen, daß der Mensch Zusammenhänge kennt, Zukünftiges oder Gleichzeitiges weiß, was[491] nach dem verständigen Zusammenhang für ihn durchaus verschlossen ist. Dies sind Tatsachen, die man roherweise häufig durchaus leugnet. In dieser Weise ist das, was das Wissen, das Beschließen, das Bestimmen in sich betrifft und aus Bewußtsein und Besonnenheit geschieht, in der Form des Bewußtlosen bei Sokrates angetroffen.

Dies ist nun der Genius des Sokrates; es ist not wendig, daß dieser Genius an Sokrates erschienen ist. Es ist eigentümlich, daß bei ihm diese Form des Wissens des Innern die Gestalt eines Daimonion angenommen hat, und in Beziehung auf das Folgende müssen wir dies Verhältnis noch näher betrachten. Zu was er den Sokrates bestimmt habe und welche Form der Entscheidung früher gewesen sei, darüber spricht sich Xenophon geschichtlich auf das Bestimmteste aus.

Das Gute nämlich ist der gedachte Zweck, da entsteht Kollision von Pflichten; über diese ist auch durch Staatsgesetze, Sitte, Wirklichkeit des Lebens entschieden. In der Freiheit des Wissens, für sich, was recht, was gut sei, zu bestimmen, die wir bei Sokrates hervortreten sehen, ist dann außer diesem Allgemeinen enthalten, daß der Mensch auch für sich in Ansehung des Partikulären, was er zu tun hat, das Entscheidende ist, das Subjekt sich zum Entscheidenden macht. In dieser Rücksicht müssen wir das auffassen, was dem Standpunkte der griechischen Freiheit wesentlich war.

Der Standpunkt des griechischen Geistes ist nach der moralischen Seite als unbefangene Sittlichkeit bestimmt. Der Mensch hatte ein solches Verhältnis noch nicht, sich so in sich zu reflektieren, aus sich sich zu bestimmen; noch weniger war das vorhanden, was wir Gewissen nennen. Solches, Gesetze, Sitten usf. sind nicht nur, sondern sie werden festgesetzt, sie treten hervor; von einer Seite werden sie der Grundlage nach als Tradition angesehen, die für sich sich entwickelt ohne bestimmtes Bewußtsein. Diese Gesetze hatten nun die Gestalt, daß sie göttliche Gesetze, von den Göttern sanktioniert waren. Wir wissen, daß die Griechen für die Entschließung zwar Gesetze hatten; auf der andern[492] Seite aber war ebenso zu entscheiden über unmittelbare Fälle sowohl in Privat- als Staatsangelegenheiten. Die Griechen entschieden aber noch nicht aus dem subjektiven Willen. Der Feldherr oder das Volk selbst nahm noch nicht die Entscheidung auf sich, was das Beste im Staate sei; ebenso auch nicht das Individuum in seinen Familienangelegenheiten. In Ansehung eines Entschlusses haben die Griechen zu Orakeln ihre Zuflucht genommen, das Orakel gefragt (dies war das Subjektive, Entscheidende), die Römer den Vogelflug; Betrachten der Opfertiere gehört auch dahin, ebenso auch, daß man einen mantis um Rat fragte. Der Feldherr, der eine Schlacht liefern sollte, hatte aus den Eingeweiden der Opfertiere seine Entscheidung zu nehmen, wie sich dies in Xenophons Anabasis öfter findet; Pausanias quält sich einen ganzen Tag lang, ehe er den Befehl zur Schlacht gibt. Dies Moment ist wesentlich, daß das Volk so nicht das Beschließende ist, das Subjekt dies noch nicht auf sich nahm, sondern sich von einem Anderen, Äußeren bestimmen ließ, – wie denn Orakel überall notwendig sind, wo der Mensch sein Inneres noch nicht so unabhängig, so frei weiß, daß er die Entschließung nur aus sich selbst nimmt; und dies ist der Mangel der subjektiven Freiheit. Und diese Freiheit ist das, was wir darunter verstehen, wenn wir in jetzigen Zeiten von Freiheit sprechen. Diese war bei den Griechen nicht so vorhanden; in der Platonischen Republik werden wir mehr davon sehen. Es gehört der modernen Zeit an, daß wir dafür stehen wollen, was wir tun; wir wollen uns nach Gründen der Klugheit entscheiden und halten es fürs Letzte. Die Griechen hatten noch nicht das Bewußtsein dieser Unendlichkeit.

Im ersten Buche von Xenophons Denkwürdigkeiten, bei Gelegenheit der Verteidigung des Sokrates über sein Daimonion, sagt Sokrates gleich anfangs: »Die Götter haben sich das Wichtigste ta megista zu wissen vorbehalten. Baukunst,[493] Ackerbau, Schmiedekunst usf. seien menschliche Künste; ebenso Regierungskunst, Rechenkunst, auch zu Haus und im Krieg zu kommandieren, – der Mensch könne Geschicklichkeiten darin erlangen. Für jenes aber« (nämlich die wichtigen Gegenstände in diesem Felde) »sei die manteia (divinatio) erforderlich«, die sich die Götter vorbehalten. Solches, was Recht und Unrecht, was tapfer, feig sei, wissen ebenso die Menschen. »Aber der das Feld baut, weiß nicht, wer die Früchte genießen (ernten) werde; wer ein Haus baut, nicht, wer es bewohnen wird; der Feldherr weiß nicht, ob es geraten sei, die Armee ins Feld zu führen; wer einem Staate vorsteht, ob es ihm (dem Individuum) gedeihlich oder gefährlich sei; noch wer eine schöne Frau (kalên, eine Geliebte) heiratet, ob er werde Freude daran erleben, ob ihm nicht Kummer und Leid daraus entspringen wird; noch wer mächtige Verwandte im Staate hat, kann wissen, ob es ihm nicht geschieht, wegen derselben aus dem Staate verbannt zu werden. Wegen dieses Ungewissen muß man aber zu der manteia seine Zuflucht nehmen«, sie sei verschieden: Orakel, Opfer, Vögelflug usf. betrachten, – für Sokrates aber sei nun dies Orakel sein Daimonion gewesen. So drückt sich Xenophon aus. Dieses Orakel ist wesentliche Bedingung des griechischen Bewußtseins gewesen; bei ihrer Freiheit suchten die Griechen zugleich die Entscheidung in einem Äußerlichen: das Wichtigste haben sich die Götter vorbehalten. Bei uns ist dies anders. Wenn einer das Zukünftige vorausweiß im Somnambulismus oder im Sterben, so sieht man dies für eine höhere Einsicht an; näher betrachtet sind es aber nur Interessen der Individuen, Partikularitäten. Will einer heiraten oder ein Haus bauen usf., so ist der Erfolg nur für dieses Individuum wichtig; dieser Inhalt ist nur partikulär. Das wahrhaft Göttliche, Allgemeine ist die Institution des Ackerbaues selbst, der Staat, die Ehe, gesetzliche Einrichtungen; gegen dies ist das etwas Geringes,[494] daß ich weiß, daß, wenn ich zu Schiffe gehe, ich umkommen werde oder nicht. Es ist eine Verkehrung, die auch in unserer Vorstellung leicht vorkommt; das zu wissen, was recht, was sittlich ist, ist viel etwas Höheres, als solche Partikularitäten zu wissen.

Das Daimonion des Sokrates offenbart sich in ihm auch durch nichts anderes als durch Rat über solche partikuläre Erfolge. Auf etwas Allgemeines jedoch in Kunst und Wissenschaft hat es sich nicht bezogen, vielmehr gehöre dies dem allgemeinen Geiste an; es gibt dem Sokrates nur Rat, wann und ob z.B. seine Freunde reisen sollen. Allgemeines aber liegt auch darin; ein kluger Mann kann vieles vorauswissen, ob dies ratsam ist oder nicht. Bei Sokrates war es also notwendig, daß in einem Innern die Entscheidung aber noch als daimôn, Orakel darüber aufging, worüber früher das Orakel entscheiden mußte. Das Daimonion steht demnach in der Mitte zwischen dem Äußerlichen der Orakel und dem rein Innerlichen des Geistes; es ist etwas Innerliches, aber so, daß es als ein eigener Genius, als vom menschlichen Willen unterschieden vorgestellt wird, – nicht als seine Klugheit, Willkür. Das Nähere in Ansehung des Daimonion des Sokrates ist mithin eine an den Somnambulismus, an diese Gedoppeltheit des Bewußtseins hingehende Form; und bei Sokrates scheint sich auch ausdrücklich etwas von der Art, was magnetischer Zustand ist, gefunden zu haben, da er öfter (im Lager) in Starrsucht, Katalepsie, Verzückung verfallen sein soll. In neueren Zeiten sahen wir dies als Starrheit der Augen, inneres Wissen, Sehen von diesem und jenem, Vergangenem, von dem, was das Rätlichste sei usw. Der Dämon des Sokrates ist so als wirklicher Zustand zu nehmen; er ist merkwürdig, weil er nicht nur krankhaft ist, sondern notwendig durch den Standpunkt seines Bewußtseins. Aber diese Rückkehr-in-sich bei Sokrates hat hier in ihrem ersten Auftreten noch die Form einer physiologischen Weise gehabt. Dies ist nun der Mittelpunkt der ganzen weltgeschichtlichen Konversion, die das Prinzip des[495] Sokrates macht, daß an die Stelle der Orakel das Zeugnis des Geistes der Individuen getreten ist und daß das Entscheiden das Subjekt auf sich genommen hat. Damit ist die andere Seite des Sokratischen Bewußtseins vollendet. Das ist die Lebensweise und die Bestimmung des Sokrates gewesen.

31

wohl alogische; gleich nachher heißt es von Platon: dieileto tên psychên eis te to logon echon, kai eis to alogon.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 18, Frankfurt am Main 1979, S. 467-496.
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