b. Der hypothetische Schluß

[395] 1. Das hypothetische Urteil enthält nur die notwendige Beziehung ohne die Unmittelbarkeit der Bezogenen. Wenn A ist, so ist B, oder das Sein des A ist auch ebensosehr das Sein eines Anderen, des B; damit ist noch nicht gesagt, weder daß A ist, noch daß B ist. Der hypothetische Schluß fügt diese Unmittelbarkeit des Seins hinzu:


Wenn A ist, so ist B,

Nun ist A,

Also ist B.


Der Untersatz für sich spricht das unmittelbare Sein des A aus.

Aber es ist nicht bloß dies zum Urteil hinzugekommen. Der Schluß enthält die Beziehung des Subjekts und Prädikats nicht als die abstrakte Kopula, sondern als die erfüllte vermittelnde Einheit. Das Sein des A ist daher nicht als bloße Unmittelbarkeit, sondern wesentlich als Mitte des Schlusses zu nehmen. Dies ist näher zu betrachten.

2. Zunächst ist die Beziehung des hypothetischen Urteils die Notwendigkeit oder innere substantielle Identität bei äußerlicher Verschiedenheit der Existenz oder der Gleichgültigkeit des erscheinenden Seins gegeneinander, – ein identischer Inhalt, der innerlich zugrunde liegt. Die beiden Seiten des[395] Urteils sind daher nicht als ein unmittelbares, sondern in der Notwendigkeit gehaltenes Sein, also zugleich aufgehobenes oder nur erscheinendes Sein. Sie verhalten sich ferner als Seiten des Urteils, als Allgemeinheit und Einzelheit; das eine ist daher jener Inhalt als Totalität der Bedingungen, das andere als Wirklichkeit. Es ist jedoch gleichgültig, welche Seite als Allgemeinheit, welche als Einzelheit genommen werde. Insofern nämlich die Bedingungen noch das Innere, Abstrakte einer Wirklichkeit sind, sind sie das Allgemeine, und es ist das Zusammengefaßtsein derselben in eine Einzelheit, wodurch sie in Wirklichkeit getreten sind. Umgekehrt sind die Bedingungen eine vereinzelte, zerstreute Erscheinung, welche erst in der Wirklichkeit Einheit und Bedeutung und ein allgemeingültiges Dasein gewinnt.

Das nähere Verhältnis, das hier zwischen den beiden Seiten als Verhältnis von Bedingung zum Bedingten angenommen worden, kann jedoch auch als Ursache und Wirkung, Grund und Folge genommen werden; dies ist hier gleichgültig; aber das Verhältnis der Bedingung entspricht insofern der in dem hypothetischen Urteile und Schlüsse vorhandenen Beziehung näher, als die Bedingung wesentlich als eine gleichgültige Existenz, Grund und Ursache dagegen durch sich selbst übergehend ist; auch ist die Bedingung eine allgemeinere Bestimmung, indem sie beide Seiten jener Verhältnisse begreift, da die Wirkung, Folge usf. ebensosehr Bedingung der Ursache, des Grundes ist als diese von jenen.

A ist nun das vermittelnde Sein, insofern es erstens ein unmittelbares Sein, eine gleichgültige Wirklichkeit, aber zweitens insofern es ebensosehr als ein an sich selbst zufälliges, sich aufhebendes Sein ist. Was die Bedingungen in die Wirklichkeit der neuen Gestalt, deren Bedingungen sie sind, übersetzt, ist, daß sie nicht das Sein als das abstrakte Unmittelbare sind, sondern das Sein in seinem Begriffe, zunächst das Werden, – aber, da der Begriff nicht mehr das Übergehen ist, bestimmter die Einzelheit als sich auf sich beziehende negative Einheit. – Die Bedingungen sind ein zerstreutes,[396] seine Verwendung erwartendes und forderndes Material; diese Negativität ist das Vermittelnde, die freie Einheit des Begriffes. Sie bestimmt sich als Tätigkeit, da diese Mitte der Widerspruch der objektiven Allgemeinheit oder der Totalität des identischen Inhalts und der gleichgültigen Unmittelbarkeit ist. – Diese Mitte ist daher nicht mehr bloß innere, sondern seiende Notwendigkeit-, die objektive Allgemeinheit enthält die Beziehung auf sich selbst als einfache Unmittelbarkeit, als Sein; – im kategorischen Schlüsse ist dies Moment zunächst Bestimmung der Extreme, aber gegen die objektive Allgemeinheit der Mitte bestimmt es sich als Zufälligkeit, damit als ein nur Gesetztes, auch Aufgehobenes, d. i. in den Begriff oder in die Mitte als Einheit Zurückgegangenes, welche selbst nun in ihrer Objektivität auch Sein ist.

Der Schlußsatz »Also ist B« drückt denselben Widerspruch aus, daß B ein unmittelbar Seiendes, aber ebenso durch ein Anderes oder vermittelt ist. Seiner Form nach ist er daher derselbe Begriff, welcher die Mitte ist; nur als das Notwendige unterschieden von der Notwendigkeit, – in der ganz oberflächlichen Form der Einzelheit gegen die Allgemeinheit. Der absolute Inhalt von A und B ist derselbe; es sind nur zwei verschiedene Namen derselben Grundlage für die Vorstellung, insofern sie die Erscheinung der verschiedenen Gestalt des Daseins festhält und vom Notwendigen seine Notwendigkeit unterscheidet; insofern diese aber von B getrennt sein sollte, so wäre es nicht das Notwendige. Es ist somit die Identität des Vermittelnden und des Vermittelten darin vorhanden.

3. Der hypothetische Schluß stellt zunächst die notwendige Beziehung als Zusammenhang durch die Form oder negative Einheit dar, wie der kategorische durch die positive Einheit den gediegenen Inhalt, die objektive Allgemeinheit. Aber die Notwendigkeit geht in das Notwendige zusammen; die Formtätigkeit des Übersetzens der bedingenden Wirklichkeit in die bedingte ist an sich die Einheit, in welcher die vorher zum gleichgültigen Dasein befreiten Bestimmtheiten des[397] Gegensatzes aufgehoben sind und der Unterschied des A und B ein leerer Name ist. Sie ist daher in sich reflektierte Einheit, – somit ein identischer Inhalt, und ist dies nicht nur an sich, sondern es ist durch diesen Schluß auch gesetzt, indem das Sein des A auch nicht sein eigenes, sondern des B und umgekehrt überhaupt das Sein des einen das Sein des anderen ist und im Schlußsatze bestimmt das unmittelbare Sein oder gleichgültige Bestimmtheit als eine vermittelte ist, – also die Äußerlichkeit sich aufgehoben [hat] und deren in sich gegangene Einheit gesetzt ist.

Die Vermittlung des Schlusses hat sich hierdurch bestimmt als Einzelheit, Unmittelbarkeit und als sich auf sich beziehende Negativität oder unterscheidende und aus diesem Unterschiede sich in sich zusammennehmende Identität, – als absolute Form und eben dadurch als objektive Allgemeinheit, mit sich identisch seiender Inhalt. Der Schluß ist in dieser Bestimmung der disjunktive Schluß.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 6, Frankfurt a. M. 1979, S. 395-398.
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