c. Der disjunktive Schluß

[398] Wie der hypothetische Schluß im allgemeinen unter dem Schema der zweiten Figur A – E – B steht, so steht der disjunktive unter dem Schema der dritten Figur des formalen Schlusses E – A – B. Die Mitte ist aber die mit der Form erfüllte Allgemeinheit; sie hat sich als die Totalität, als entwickelte objektive Allgemeinheit bestimmt. Der Medius Terminus ist daher sowohl Allgemeinheit als Besonderheit und Einzelheit. Als jene ist er erstlich die substantielle Identität der Gattung, aber zweitens als eine solche, in welche die Besonderheit, aber als ihr gleich, aufgenommen ist, also als allgemeine Sphäre, die ihre totale Besonderung enthält, – die in ihre Arten zerlegte Gattung: A, welches sowohl B als C als D ist. Die Besonderung ist aber als Unterscheidung ebensosehr das Entweder-Oder des B, C und D, negative Einheit, das gegenseitige Ausschließen der Bestimmungen. – Dies Ausschließen ist nun ferner nicht nur ein gegenseitiges[398] und die Bestimmung bloß eine relative, sondern ebensosehr wesentlich sich auf sich beziehende Bestimmung, – das Besondere als Einzelheit mit Ausschließung der anderen.


A ist entweder B oder C oder D,

A ist aber B;

also ist A nicht C noch D.

Oder auch:

A ist entweder B oder C oder D,

A ist aber nicht C noch D;

also ist es B.


A ist nicht nur in den beiden Prämissen Subjekt, sondern auch im Schlußsatz. In der ersten ist es Allgemeines und in seinem Prädikate die in die Totalität ihrer Arten besonderte allgemeine Sphäre; in der zweiten ist es als Bestimmtes oder als eine Art; im Schlußsatz ist es als die ausschließende, einzelne Bestimmtheit gesetzt. – Oder auch ist es schon im Untersatze als ausschließende Einzelheit und im Schlußsatze als das Bestimmte, was es ist, positiv gesetzt.

Was hiermit überhaupt als das Vermittelte erscheint, ist die Allgemeinheit des A mit der Einzelheit. Das Vermittelnde aber ist dieses A, welches die allgemeine Sphäre seiner Besonderungen und ein als Einzelnes Bestimmtes ist. Was die Wahrheit des hypothetischen Schlusses ist, die Einheit des Vermittelnden und des Vermittelten, ist somit im disjunktiven Schlusse gesetzt, der aus diesem Grunde ebensosehr kein Schluß mehr ist. Die Mitte, welche in ihm als die Totalität des Begriffes gesetzt ist, enthält nämlich selbst die beiden Extreme in ihrer vollständigen Bestimmtheit. Die Extreme, im Unterschiede von dieser Mitte, sind nur als ein Gesetztsein, dem keine eigentümliche Bestimmtheit gegen die Mitte mehr zukommt.

Dies noch in bestimmterer Rücksicht auf den hypothetischen Schluß betrachtet, so war in ihm eine substantielle Identität, als das innere Band der Notwendigkeit, und eine davon unterschiedene negative Einheit – nämlich die Tätigkeit oder[399] die Form, welche ein Dasein in ein anderes übersetzte – vorhanden. Der disjunktive Schluß ist überhaupt in der Bestimmung der Allgemeinheit; seine Mitte ist das A als Gattung und als vollkommen Bestimmtes; durch diese Einheit ist jener vorher innere Inhalt auch gesetzt, und umgekehrt das Gesetztsein oder die Form ist nicht die äußerliche negative Einheit gegen ein gleichgültiges Dasein, sondern identisch mit jenem gediegenen Inhalte. Die ganze Formbestimmung des Begriffs ist in ihrem bestimmten Unterschied und zugleich in der einfachen Identität des Begriffes gesetzt.

Dadurch hat sich nun der Formalismus des Schließens, hiermit die Subjektivität des Schlusses und des Begriffes überhaupt aufgehoben. Dies Formelle oder Subjektive bestand darin, daß das Vermittelnde der Extreme der Begriff als abstrakte Bestimmung und [diese] dadurch von ihnen, deren Einheit sie ist, verschieden ist. In der Vollendung des Schlusses dagegen, worin die objektive Allgemeinheit ebensosehr als Totalität der Formbestimmungen gesetzt ist, ist der Unterschied des Vermittelnden und Vermittelten weggefallen. Das, was vermittelt ist, ist selbst wesentliches Moment seines Vermittelnden, und jedes Moment ist als die Totalität der Vermittelten.

Die Figuren des Schlusses stellen jede Bestimmtheit des Begriffs einzeln als die Mitte dar, welche zugleich der Begriff als Sollen ist, als Forderung, daß das Vermittelnde seine Totalität sei. Die verschiedenen Gattungen der Schlüsse aber stellen die Stufen der Erfüllung oder Konkretion der Mitte dar. In dem formalen Schlüsse wird die Mitte nur dadurch als Totalität gesetzt, daß alle Bestimmtheiten, aber jede einzeln, die Funktion der Vermittlung durchlaufen. In den Schlüssen der Reflexion ist die Mitte als die die Bestimmungen der Extreme äußerlich zusammenfassende Einheit. Im Schlusse der Notwendigkeit hat sie sich zur ebenso entwickelten und totalen als einfachen Einheit bestimmt, und die Form des Schlusses, der in dem Unterschiede der Mitte[400] gegen seine Extreme bestand, hat sich dadurch aufgehoben.

Damit ist der Begriff überhaupt realisiert worden; bestimmter hat er eine solche Realität gewonnen, welche Objektivität ist. Die nächste Realität war, daß der Begriff als die in sich negative Einheit sich dirimiert und als Urteil seine Bestimmungen in bestimmtem und gleichgültigem Unterschiede setzt und im Schlusse sich selbst ihnen entgegenstellt. Indem er so noch das Innerliche dieser seiner Äußerlichkeit ist, so wird durch den Verlauf der Schlüsse diese Äußerlichkeit mit der innerlichen Einheit ausgeglichen; die verschiedenen Bestimmungen kehren durch die Vermittlung, in welcher sie zunächst nur in einem Dritten eins sind, in diese Einheit zurück, und die Äußerlichkeit stellt dadurch den Begriff an ihr selbst dar, der hiermit ebensosehr nicht mehr als innerliche Einheit von ihr unterschieden ist.

Jene Bestimmung des Begriffs aber, welche als Realität betrachtet worden, ist umgekehrt ebensosehr ein Gesetztsein. Denn nicht nur in diesem Resultate hat sich als die Wahrheit des Begriffs die Identität seiner Innerlichkeit und Äußerlichkeit dargestellt, sondern schon die Momente des Begriffs im Urteile bleiben auch in ihrer Gleichgültigkeit gegeneinander Bestimmungen, die ihre Bedeutung nur in ihrer Beziehung haben. Der Schluß ist Vermittlung, der vollständige Begriff in seinem Gesetztsein. Seine Bewegung ist das Aufheben dieser Vermittlung, in welcher nichts an und für sich, sondern jedes nur vermittels eines Anderen ist. Das Resultat ist daher eine Unmittelbarkeit, die durch Aufheben der Vermittlung hervorgegangen, ein Sein, das ebensosehr identisch mit der Vermittlung und der Begriff ist, der aus und in seinem Anderssein sich selbst hergestellt hat. Dies Sein ist daher eine Sache, die an und für sich ist, – die Objektivität.[401]

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 6, Frankfurt a. M. 1979, S. 398-402.
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