a. Das positive Urteil

[311] 1. Das Subjekt und Prädikat sind, wie erinnert worden, zunächst Namen, deren wirkliche Bestimmung erst durch den Verlauf des Urteils erhalten wird. Als Seiten des Urteils aber, welches der gesetzte bestimmte Begriff ist, haben sie die Bestimmung der Momente desselben, aber um der Unmittelbarkeit willen die noch ganz einfache, teils nicht durch Vermittlung bereicherte, teils zunächst nach dem abstrakten Gegensatze als abstrakte Einzelheit und Allgemeinheit. –[311] Das Prädikat, um von diesem zuerst zu sprechen, ist das abstrakte Allgemeine; da das Abstrakte aber durch die Vermittlung des Aufhebens des Einzelnen oder Besonderen bedingt ist, so ist sie insofern nur eine Voraussetzung. In der Sphäre des Begriffs kann es keine andere Unmittelbarkeit geben als eine solche, die an und für sich die Vermittlung enthält und nur durch deren Aufheben entstanden ist, d. i, die allgemeine. So ist auch das qualitative Sein selbst in seinem Begriffe ein Allgemeines; als Sein aber ist die Unmittelbarkeit noch nicht so gesetzt; erst als Allgemeinheit ist sie die Begriffsbestimmung, an welcher gesetzt ist, daß ihr die Negativität wesentlich angehört. Diese Beziehung ist im Urteil vorhanden, worin sie Prädikat eines Subjekts ist. – Ebenso ist das Subjekt ein abstrakt Einzelnes oder das Unmittelbare, das als solches sein soll; es soll daher das Einzelne als ein Etwas überhaupt sein. Das Subjekt macht insofern die abstrakte Seite am Urteil aus, nach welcher in ihm der Begriff in die Äußerlichkeit übergegangen ist. – Wie die beiden Begriffsbestimmungen bestimmt sind, so ist es auch ihre Beziehung, das Ist, Kopula; sie kann ebenso nur die Bedeutung eines unmittelbaren, abstrakten Seins haben, Von der Beziehung, welche noch keine Vermittlung oder Negation enthält, wird dies Urteil das Positive genannt.

2. Der nächste reine Ausdruck des positiven Urteils ist daher der Satz: »Das Einzelne ist allgemein

Dieser Ausdruck muß nicht gefaßt werden »A ist; denn A und B sind gänzlich formlose und daher bedeutungslose Namen; das Urteil überhaupt aber, und daher selbst schon das Urteil des Daseins, hat Begriffsbestimmungen zu seinen Extremen. »A ist kann ebensogut jeden bloßen Satz vorstellen als ein Urteil. In jedem, auch dem in seiner Form reicher bestimmten Urteile aber wird der Satz von diesem bestimmten Inhalt behauptet: »das Einzelne ist allgemein«, insofern nämlich jedes Urteil auch abstraktes Urteil überhaupt ist. Von dem negativen Urteile, inwiefern es unter diesen Ausdruck gleichfalls gehöre, wird sogleich die Rede[312] sein. – Wenn sonst eben nicht daran gedacht wird, daß mit jedem, zunächst wenigstens positiven Urteile die Behauptung gemacht werde, daß das Einzelne ein Allgemeines sei, so geschieht dies, weil teils die bestimmte Form, wodurch sich Subjekt und Prädikat unterscheiden, übersehen wird – indem das Urteil nichts als die Beziehung zweier Begriffe sein soll –, teils etwa auch, weil der sonstige Inhalt des Urteils »Cajus ist gelehrt« oder »die Rose ist rot« dem Bewußtsein vorschwebt, das, mit der Vorstellung des Cajus usf. beschäftigt, auf die Form nicht reflektiert, – obgleich wenigstens solcher Inhalt, wie der logische Cajus, der gewöhnlich zum Beispiel herhalten muß, ein sehr wenig interessanter Inhalt ist und vielmehr geradeso uninteressant gewählt wird, um nicht die Aufmerksamkeit von der Form ab auf sich zu ziehen.

Nach der objektiven Bedeutung bezeichnet der Satz, daß das Einzelne allgemein ist, wie vorhin gelegentlich erinnert, teils die Vergänglichkeit der einzelnen Dinge, teils ihr positives Bestehen in dem Begriffe überhaupt. Der Begriff selbst ist unsterblich, aber das in seiner Teilung aus ihm Heraustretende ist der Veränderung und dem Rückgange in seine allgemeine Natur unterworfen. Aber umgekehrt gibt sich das Allgemeine ein Dasein. Wie das Wesen zum Schein in seinen Bestimmungen, der Grund in die Erscheinung der Existenz, die Substanz in die Offenbarung, in ihre Akzidenzen herausgeht, so entschließt sich das Allgemeine zum Einzelnen; das Urteil ist dieser sein Aufschluß, die Entwicklung der Negativität, die es an sich schon ist. – Das letztere drückt der umgekehrte Satz aus: »das Allgemeine ist einzeln«, der ebensowohl im positiven Urteile ausgesprochen ist. Das Subjekt, zunächst das unmittelbar Einzelne, ist im Urteile selbst auf sein Anderes, nämlich das Allgemeine, bezogen; es ist somit als das Konkrete gesetzt, – nach dem Sein als ein Etwas von vielen Qualitäten oder als das Konkrete der Reflexion, ein Ding von mannigfaltigen Eigenschaften, ein Wirkliches von mannigfaltigen Möglichkeiten,[313] eine Substanz von ebensolchen Akzidenzen. Weil diese Mannigfaltigen hier dem Subjekte des Urteils angehören, so ist das Etwas oder das Ding usf. in seinen Qualitäten, Eigenschaften oder Akzidenzen in sich reflektiert oder sich durch dieselben hindurch kontinuierend, sich in ihnen und sie ebenso in sich erhaltend. Das Gesetztsein oder die Bestimmtheit gehört zum Anundfürsichsein. Das Subjekt ist daher an ihm selbst das Allgemeine. – Das Prädikat dagegen, als diese nicht reale oder konkrete, sondern abstrakte Allgemeinheit, ist gegen jenes die Bestimmtheit und enthält nur ein Moment der Totalität desselben mit Ausschluß der anderen. Um dieser Negativität willen, welche zugleich als Extrem des Urteils sich auf sich bezieht, ist das Prädikat ein abstrakt Einzelnes. – Es drückt z.B. in dem Satze »die Rose ist wohlriechend« nur eine der vielen Eigenschaften der Rose aus; es vereinzelt sie, die Im Subjekte mit den anderen zusammengewachsen ist, wie in der Auflösung des Dings die mannigfaltigen Eigenschaften, die ihm inhärieren, indem sie sich zu Materien verselbständigen, vereinzelt werden. Der Satz des Urteils lautet daher nach dieser Seite so: »das Allgemeine ist einzeln«.

Indem wir diese Wechselbestimmung des Subjekts und Prädikats im Urteile zusammenstellen, so ergibt sich also das Gedoppelte: 1. daß das Subjekt zwar unmittelbar als das Seiende oder Einzelne, das Prädikat aber das Allgemeine ist. Weil aber das Urteil die Beziehung beider und das Subjekt durch das Prädikat als Allgemeines bestimmt ist, so ist das Subjekt das Allgemeine; 2. ist das Prädikat im Subjekte bestimmt, denn es ist nicht eine Bestimmung überhaupt, sondern des Subjekts; die Rose ist wohlriechend; dieser Wohlgeruch ist nicht irgendein unbestimmter Wohlgeruch, sondern der der Rose; das Prädikat ist also ein Einzelnes. – Weil nun Subjekt und Prädikat im Verhältnisse des Urteils stehen, sollen sie nach den Begriffsbestimmungen entgegengesetzt bleiben; wie in der Wechselwirkung der Kausalität, ehe sie ihre Wahrheit erreicht, die beiden Seiten gegen die[314] Gleichheit ihrer Bestimmung noch selbständige und entgegengesetzte bleiben sollen. Wenn daher das Subjekt als Allgemeines bestimmt ist, so ist vom Prädikate nicht auch seine Bestimmung der Allgemeinheit aufzunehmen – sonst wäre kein Urteil vorhanden –, sondern nur seine Bestimmung der Einzelheit; so wie, insofern das Subjekt als Einzelnes bestimmt ist, das Prädikat als Allgemeines zu nehmen ist. – Wenn auf jene bloße Identität reflektiert wird, so stellen sich die zwei identischen Sätze dar:

Das Einzelne ist Einzelnes,

das Allgemeine ist Allgemeines,

worin die Urteilsbestimmungen ganz auseinandergefallen, nur ihre Beziehung auf sich ausgedrückt, die Beziehung derselben aufeinander aber aufgelöst und das Urteil somit aufgehoben wäre. – Von jenen beiden Sätzen drückt der eine, »das Allgemeine ist einzeln«, das Urteil seinem Inhalte nach aus, der im Prädikate eine vereinzelte Bestimmung, im Subjekte aber die Totalität derselben ist; der andere, »das Einzelne ist allgemein«, die Form, die durch ihn selbst unmittelbar angegeben ist. – Im unmittelbaren positiven Urteile sind die Extreme noch einfach: Form und Inhalt sind daher noch vereinigt. Oder es besteht nicht aus zwei Sätzen; die gedoppelte Beziehung, welche sich in ihm ergab, macht unmittelbar das eine positive Urteil aus. Denn seine Extreme sind a) als die selbständigen, abstrakten Urteilsbestimmungen, b) ist jede Seite durch die andere bestimmt, vermöge der sie beziehenden Kopula. An sich aber ist deswegen der Form- und Inhaltsunterschied in ihm vorhanden, wie sich ergeben hat; und zwar gehört das, was der erste Satz, »das Einzelne ist allgemein« enthält, zur Form, weil er die unmittelbare Bestimmtheit des Urteils ausdrückt. Das Verhältnis dagegen, das der andere Satz ausdrückt, »das Allgemeine ist einzeln«, oder daß das Subjekt als Allgemeines, das Prädikat dagegen als Besonderes oder Einzelnes bestimmt [ist], betrifft den Inhalt, weil sich seine Bestimmungen erst durch die Reflexion-in-sich erheben, wodurch die unmittelbaren[315] Bestimmtheiten aufgehoben werden und hiermit die Form sich zu einer in sich gegangenen Identität, die gegen den Formunterschied besteht, zum Inhalte macht.

3. Wenn nun die beiden Sätze der Form und des Inhalts


(Subjekt) (Prädikat)

Das Einzelne ist allgemein

Das Allgemeine ist einzeln


darum, weil sie in dem einen positiven Urteile enthalten sind, vereinigt würden, so daß somit beide, sowohl das Subjekt als [das] Prädikat, als Einheit der Einzelheit und Allgemeinheit bestimmt wären, so wären beide das Besondere, was an sich als ihre innere Bestimmung anzuerkennen ist. Allein teils wäre diese Verbindung nur durch eine äußere Reflexion zustande gekommen, teils wäre der Satz »das Besondere ist das Besondere« der daraus resultierte, kein Urteil mehr, sondern ein leerer identischer Satz, wie die bereits darin gefundenen Sätze »das Einzelne ist einzeln« und »das Allgemeine ist allgemein« waren. – Einzelheit und Allgemeinheit können noch nicht in die Besonderheit vereinigt werden, weil sie im positiven Urteile noch als unmittelbare gesetzt sind. – Oder es muß das Urteil seiner Form und seinem Inhalte nach noch unterschieden werden, weil eben Subjekt und Prädikat noch als Unmittelbarkeit und Vermitteltes unterschieden sind oder weil das Urteil nach seiner Beziehung beides ist: Selbständigkeit der Bezogenen und ihre Wechselbestimmung oder Vermittlung.

Das Urteil also erstens nach seiner Form betrachtet, heißt es: »Das Einzelne ist allgemein«. Vielmehr aber ist ein solches unmittelbares Einzelnes nicht allgemein; sein Prädikat ist von weiterem Umfang, es entspricht ihm also nicht. Das Subjekt ist ein unmittelbar für sich seiendes und daher das Gegenteil jener Abstraktion, der durch Vermittlung gesetzten Allgemeinheit, die von ihm ausgesagt werden sollte.

Zweitens das Urteil nach seinem Inhalt betrachtet oder als der Satz »Das Allgemeine ist einzeln«, so ist das Subjekt ein[316] Allgemeines von Qualitäten, ein Konkretes, das unendlich bestimmt ist, und indem seine Bestimmtheiten nur erst Qualitäten, Eigenschaften oder Akzidenzen sind, so ist seine Totalität die schlecht unendliche Vielheit derselben. Ein solches Subjekt ist daher vielmehr nicht eine einzelne solche Eigenschaft, als sein Prädikat aussagt. Beide Sätze müssen daher verneint werden und das positive Urteil vielmehr als negatives gesetzt werden.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 6, Frankfurt a. M. 1979, S. 311-317.
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