Vorwort an die Leser

[68] Dinge, deren Verheißung bei den Lesern die meiste Aufmerksamkeit erweckt, also: ein wertvoller und nützlicher Gegenstand, der zur Behandlung kommt; ein richtiges Verfahren bei der Untersuchung; ehrliche Anlässe und Absichten bei der Abfassung der Schrift; endlich ein Maßhalten von seiten des Verfassers – dies, verehrte Leser, verspreche ich Ihnen und möchte es Ihnen hier mit einigen Worten vor Augen legen. Ich handle in dieser Schrift von den Pflichten der Menschen, zuerst als Menschen, dann als Bürger, zuletzt als Christen. In diesen Pflichten sind sowohl die Elemente des Natur- und Völkerrechts und der Ursprung und die Macht der Gerechtigkeit, wie das Wesen der christlichen Religion (soweit es der Plan dieser Schrift verstattet) enthalten.

Lehren dieser Art haben (mit Ausnahme der christlichen Religion) die ältesten Weisen nur in Gedichten verherrlicht oder in Allegorien dunkel dargeboten; sie meinten, das Mysterium der Herrschaft, als das Schönste und Heiligste, müsse unbefleckt durch die persönlichen Streitigkeiten einzelner den Nachkommen überliefert werden. Indes untersuchten andere Philosophen zum Vorteil des Menschengeschlechts die Gestalten und Bewegungen der Dinge, und andere ohne Nachteil für das menschliche Geschlecht die Natur und Ursachen der Dinge. In den darauf folgenden Zeiten soll zuerst Sokrates jene bürgerliche Wissenschaft, die, wenn sie auch nicht voll erkannt war, doch teilweise bei der Leitung der Staaten wie durch eine Wolke hindurchleuchtete, liebgewonnen und so gepflegt haben, daß er alle andern Teile der Philosophie verachtete und bloß diese seines Geistes für würdig hielt. Nach ihm haben[68] dann Plato, Aristoteles, Cicero und andere griechische und lateinische Philosophen, zuletzt sogar bei allen Völkern nicht bloß die Philosophen, sondern auch die Müßiggänger sich damit beschäftigt und tun es noch, als handelte es sich um einen leichten, ohne lange Arbeit zu erfassenden Gegenstand, der eines jeden natürlichem Verstande offen und bloß stehe.

Zur Würde dieses Teils der Philosophie trägt es vorzüglich bei, daß die, welche ihn innezuhaben wähnen oder an einer Stelle stehen, wo sie dies sollten, sich so sehr in dessen Glanze gefallen, daß es ihnen gleichgültig ist, ob man sie auch in den übrigen Wissenschaften für bewandert hält und ob sie scharfsinnig, gelehrt, belesen und sonstwie genannt werden, wenn sie nur für klug gelten; denn dieser Name, meinen sie, gebühre wegen der Vortrefflichkeit der bürgerlichen Gesetzeskenntnis nur ihnen allein.

Mag man nun den Wert einer Wissenschaft nach dem Wert derer, welche sie gebrauchen, oder nach der Zahl derer, welche darüber geschrieben haben, oder nach dem Urteile der weisesten Männer bemessen, so bleibt diejenige sicherlich die wertvollste, deren die Fürsten und die mit der Regierung des menschlichen Geschlechts beschäftigten Männer bedürfen, an deren Glanze, selbst wenn er verfälscht ist, sich beinahe alle Menschen ergötzen, und mit der die ausgezeichnetsten Geister unter den Philosophen sich hauptsächlich beschäftigt haben. Ihren Nutzen, wenn sie recht gelehrt wird, d.h. wenn sie aus wahren Grundsätzen durch klare Schlußfolgerungen abgeleitet wird, erkennt man dann am besten, wenn man den Schaden betrachtet, der aus einer falschen und geschwätzigen Behandlung derselben dem Menschengeschlecht erwächst. Wenn in Dingen, die man nur zur Übung der Geisteskräfte erforscht, auch ein Irrtum sich einschleicht, so tut er keinen Schaden und verursacht höchstens einen Zeitverlust; in Dingen aber, die jeder des Lebens wegen zu erwägen hat, müssen notwendig nicht bloß aus Irrtümern, sondern schon aus der Unwissenheit Beleidigungen, Streitigkeiten und Mordtaten hervorgehen. So groß wie diese Schäden sind, so groß ist der Nutzen einer gut dargestellten Pflichtenlehre. Wieviel Könige, die auch gute Männer waren, sind nicht[69] durch den einzigen Irrtum, wonach ein tyrannischer König von den Untertanen mit Recht getötet werden könne, ums Leben gekommen! Wieviel Menschen sind nicht gewürgt worden bloß aus dem Irrtum, daß der Landesfürst aus gewissen Gründen von gewissen Personen seiner Herrschaft entsetzt werden könne! Wieviel Menschen hat nicht jene irrige Lehre in den Tod geführt, daß die Könige nicht die Vorgesetzten der Massen, sondern ihre Diener seien! Wieviel Aufstände hat nicht jene irrige Lehre verursacht, wonach die Prüfung der Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit der königlichen Anordnungen den Privatpersonen zustehen solle, und wonach die Prüfung der Rechtmäßigkeit, bevor diese Anordnungen in Kraft treten, öffentlich nicht bloß geschehen könne, sondern auch müsse! Auch in der Moral herrschen viele nicht minder gefährliche Sätze, die ich nicht aufzuführen brauche. Ich glaube, jene Männer der Vorzeit haben dies vorausgesehen, denn sie wollten lieber, daß die Wissenschaft des Rechts in Fabeln gekleidet als den öffentlichen Streitigkeiten ausgesetzt werde. Denn ehe man noch Fragen dieser Art zu erörtern begann, beanspruchten die Fürsten ihre Macht nicht bloß, sondern übten sie bereits. Sie schützten ihre Herrschaft nicht durch Beweisgründe, sondern durch Strafen gegen die Verbrecher und durch Verteidigung der Rechtschaffenen; und die Bürger bemaßen gegenseitig die Gerechtigkeit nicht nach den Reden von Privatpersonen, sondern nach den Gesetzen des Staates; der Friede wurde nicht durch öffentliche Verhandlungen über das Recht, sondern durch die Kraft der Staatsgewalt gewahrt; ja man verehrte die höchste Staatsgewalt, mochte sie in den Händen eines Menschen oder einer Versammlung sein, wie eine sichtbare Gottheit. Deshalb fanden die ehrgeizigen und heruntergekommenen Menschen keinen Anhang, wie jetzt, um die Staatsverfassung umzustoßen; man konnte es nicht begreifen, daß sie selbst das nicht erhalten wollten, auf dem doch ihre eigene Erhaltung beruhte, denn die Einfalt jener Zeiten konnte eine so gelehrte Torheit nicht fassen.

Deshalb herrschte der Friede und das goldene Zeitalter, und dies erlosch nicht eher, als bis mit Vertreibung des Saturn die Lehre begann, daß man auch gegen die Könige[70] die Waffen ergreifen dürfe. Dies, meine ich, haben die Alten nicht bloß eingesehen, sondern auch in einer ihrer Fabeln vortrefflich angedeutet. Sie erzählten nämlich, daß Ixion, als ihn Jupiter sogar zu seinem Mahle zugelassen, sich in die Juno verliebt und Gewährung von ihr verlangt habe. Darauf sei ihm statt der Göttin eine Wolke in ihrer Gestalt zugeführt worden, aus der die Zentauren entsprossen, halb von Menschen-, halb von Pferdegestalt, ein kampflustiges und unruhiges Geschlecht. Das will mit andern Worten sagen, daß wenn die Privatpersonen zu den Beratungen über die Staatsangelegenheiten berufen werden, sie die Gerechtigkeit, die Schwester und Göttin der Staatshoheit, ihrem eigenen Ermessen zu unterwerfen streben, und daß sie dann die falsche und leere Gestalt derselben gleich einer Wolke umfassen und so jene mißgestalteten Lehrsätze der Moralphilosophie erzeugen, die, halb recht und schön, halb töricht und wild, zur Ursache alles Streitens und Mordens werden.

Da alltäglich solche Meinungen auftauchen, so sollte man diese Nebel näher untersuchen und mit den triftigsten Gründen darlegen, daß Lehren über das Recht und Unrecht, über das Gute und Schlechte, wenn sie die in jedem Staate bestehenden Gesetze überschreiten, keinen Glauben verdienen, und daß niemand über die Rechtlichkeit oder Unrechtlichkeit, über die Güte oder Schlechtigkeit möglicher Handlungen Untersuchungen anzustellen habe, als die, denen der Staat die Auslegung seiner Gesetze übertragen hat. Damit würde sicherlich nicht bloß die königliche Straße zum Frieden, sondern auch die dunkeln düstern Seitenwege zum Aufruhr klar gelegt werden, und ein solches Unternehmen wäre das nützlichste, was erdacht werden könnte.

Was meine Methode anlangt, so habe ich mich nicht mit bloßer Deutlichkeit im Vortrage begnügt, sondern geglaubt, das Ganze methodisch aufbauen zu müssen. Daher habe ich mit dem Wesen des Staates begonnen; dann bin ich zu dessen Entstehung und Gestaltung und dem ersten Ursprung der Gerechtigkeit übergegangen. Denn die Elemente, aus denen eine Sache sich bildet, dienen auch am besten zu ihrer Erkenntnis. Schon bei einer Uhr, die sich[71] selbst bewegt, und bei jeder etwas verwickelten Maschine kann man die Wirksamkeit der einzelnen Teile und Räder nicht verstehen, wenn sie nicht auseinandergenommen werden und die Materie, die Gestalt und die Bewegung jedes Teiles für sich betrachtet wird. Ebenso muß bei den Rechten des Staates und bei Ermittelung der Pflichten der Bürger der Staat zwar nicht aufgelöst, aber doch wie ein aufgelöster betrachtet werden, d.h. es muß die menschliche Natur untersucht werden, wieweit sie zur Bildung des Staates geeignet ist oder nicht, und wie die Menschen sich zusammentun sollen, wenn sie eine Einheit werden wollen; denn nur so kann hier die rechte Einsicht gewonnen werden. Hiernach bin ich verfahren; an erster Stelle setze ich deshalb den allen durch Erfahrung bekannten und von jedermann anerkannten Grundsatz, daß der Sinn der Menschen von Natur so beschaffen ist, daß, wenn die Furcht vor einer über alle bestehenden Macht sie nicht zurückhielte, sie einander mißtrauen und einander fürchten würden, und daß jeder durch seine Kräfte sich mit Recht vor dem einzelnen schützen könne und gewiß auch wolle. Man entgegnet vielleicht, daß manche dies leugnen; und es ist richtig, daß gar viele dies bestreiten. Widerspreche ich mir da nicht selbst, wenn ich sage, daß dieselben Personen es zugestehen und leugnen? Indes nicht ich, sondern jene widersprechen sich, weil sie durch ihre Handlungen das zugestehen, was sie in ihren Worten bestreiten. Wir sehen, daß alle Staaten, selbst wenn sie mit ihren Nachbarn in Frieden sind, ihre Grenzen durch militärische Besatzungen oder ihre Städte durch Mauern, Tore und Wächter schützen. Wozu geschähe dies, wenn sie die Nachbarn nicht fürchteten? Selbst in den einzelnen Staaten, wo Gesetze bestehen und gegen die Übeltäter Strafen bestimmt sind, gehen die einzelnen Bürger nicht ohne eine Waffe zu ihrer Verteidigung auf Reisen und nicht zur Ruhe, bevor die Türen gegen ihre Mitbürger verschlossen werden; ja man gebraucht selbst gegen die Hausgenossen Riegel und Schlösser. Können wohl die Menschen deutlicher zeigen, daß sie einander und alle allen nicht trauen? Indem alle so handeln, gestehen sowohl die Staaten wie die einzelnen ihre Furcht und ihr gegenseitiges Mißtrauen ein; nur im Wortstreit wird es geleugnet,[72] und aus Eifer andern zu widersprechen, widerspricht man sich selbst.

Man hat mir ferner eingewendet, daß nach diesem Grundsatze die Menschen alle nicht bloß tatsächlich schlecht (was zwar hart klingt, aber willig eingeräumt werden muß, da es in der Heiligen Schrift deutlich ausgesprochen ist), sondern auch von Natur notwendig schlecht sein müßten (was man ohne Gottlosigkeit nicht zugestehen kann). Indes folgt letzteres aus diesem Grundsatze nicht. Wenn es auch weniger böse als gute Menschen gäbe, so kann man doch die Guten von den Bösen nicht unterscheiden, und deshalb müssen auch die Guten und Bescheidenen fortwährend Mißtrauen hegen, sich vorsehen, versorgen, sich verbinden und auf alle Weise sich verteidigen. Aber es folgt keineswegs, daß die, welche schlecht sind, von Natur schlecht waren: denn wenn auch die Geschöpfe von Natur oder von ihrer Geburt ab so beschaffen sind, daß sie alles ihnen Angemessene begehren und vollbringen, soviel sie können, und daß sie den drohenden Übeln entweder aus Furcht entfliehen oder sie im Zorn von sich abhalten, so pflegt man sie deshalb doch nicht böse zu nennen; denn die Begierden, die aus der tierischen Natur herkommen, sind nicht selbst böse, sondern nur die daraus hervorgehenden Handlungen sind es bisweilen, nämlich wenn sie schädlich sind und zugleich gegen die Pflichten verstoßen. Die Kinder, denen man nicht alles, was sie begehren, gibt, weinen und zürnen, ja schlagen selbst ihre Eltern: dies Benehmen liegt in ihrer Natur; dennoch sind sie schuldlos und nicht böse: nicht weil sie nicht schaden können, sondern weil ihnen der Gebrauch der Vernunft abgeht und sie deshalb aller Pflichten ledig sind. Wenn sie aber erwachsen sind und nach Gewinnung der Kräfte, mit denen sie schaden können, so zu handeln fortfahren, dann werden sie böse genannt und sind es auch. Deshalb gleicht ein böser Mann so ziemlich einem kräftigen Knaben oder einem Manne mit kindischem Sinn, und die Bosheit ist nur der Mangel an Vernunft in dem Alter, wo der Mensch naturgemäß durch Zucht und erlittene Schäden sich vernünftig zu benehmen gelernt haben sollte. Wenn man daher die Menschen nicht schon deshalb[73] von Natur böse nennen will, weil sie nicht von Natur die Zucht und den Gebrauch der Vernunft haben, so muß man anerkennen, daß die Menschen zwar von Natur Begierden, Furcht, Zorn und andere tierische Leidenschaften haben, aber deshalb von Natur nicht böse erschaffen sind.

Die Grundlage, von der ich ausgehe, bleibt sonach unerschüttert. Darauf zeige ich nun, daß der Zustand der Menschen außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft (den ich den Naturzustand zu nennen mir erlaube) nur der Krieg aller gegen alle ist, und daß in diesem Kriege alle ein Recht auf alles haben. Ferner, daß alle Menschen aus diesem elenden und peinlichen Zustande vermöge ihrer natürlichen Triebe herauskommen wollen, sobald sie dessen Elend einsehen; daß dies aber nur möglich ist, wenn sie durch Eingehung von Verträgen ihr Recht auf alles aufgeben. Ich entwickele dann die Natur der Verträge und wie Rechte von einem auf den andern übertragen werden müssen, damit die Verträge gültig bleiben; ferner, welche Rechte zur Befestigung des Friedens und welchen Personen sie zugestanden werden müssen, d.h. was die Gebote der Vernunft verlangen, die eigentlich die natürlichen Gesetze genannt werden können. Das ist der Inhalt des Teils des Buches, der die Überschrift »Freiheit« führt.

Nach Feststellung dessen zeige ich, was der Staat und die höchste Staatsgewalt ist, in welche Arten sie sich sondert, wie diese entstehen, und welche Rechte von den einzelnen Menschen, die einen Staat bilden wollen, auf den höchsten Gebieter, sei es ein einzelner Mensch oder eine Versammlung von Menschen, übertragen werden müssen, wenn überhaupt ein Staat zustande kommen und das Recht aller auf alles, d.h. das Recht des Krieges, aufhören solle. Dann zeige ich die Unterschiede der einzelnen Arten des Staates, d.h. der Monarchie, der Aristokratie, der Demokratie, des patriarchalischen und des despotischen Regiments, lehre, wie sie sich bilden, und vergleiche sie untereinander nach ihren Vorzügen und Nachteilen. Ferner lege ich die Ursachen dar, welche den Staat zerstören, und die Pflichten, welche dem Inhaber der Staatsgewalt obliegen; endlich erläutere ich die Natur der Gesetze und der Vergehen, sowie den Unterschied des Gesetzes vom bloßen[74] Rat, vom Vertrag und vom Recht. Dies ist der Inhalt des »Staatsgewalt« überschriebenen Teiles.

Im letzten Teile, der die Überschrift »Religion« führt, zeige ich, daß die Rechte, welche nach dem Vorhergehenden die Inhaber der Staatsgewalt gegen die Bürger vernunftgemäß haben müssen, der Heiligen Schrift nicht widersprechen; und zwar zunächst, daß sie demjenigen göttlichen Rechte nicht widerstreiten, das Gott den Herrschern durch die Natur, d.h. durch die Gebote der natürlichen Vernunft, gegeben hat. Zweitens zeige ich, daß sie nicht jenem göttlichen Rechte widerstreiten, wonach Gott die besondere Herrschaft über die Juden durch den alten Vertrag der Beschneidung innehatte. Drittens zeige ich, daß sie auch nicht dem göttlichen Rechte widerstreiten, wonach Gott über die Christen durch den Taufvertrag herrscht; und deshalb stehen die Rechte der höchsten Staatsgewalt oder das höchste Recht des Staates mit der Religion in keinem Widerspruch. Endlich zeige ich, welche Pflichten zum Eingang in das himmlische Reich erfüllt werden müssen, und daß somit der Gehorsam, welchen nach meiner Darlegung die einzelnen christlichen Bürger ihrem christlichen Fürsten schuldig sind, mit der Religion nicht in Widerspruch steht, indem ich dies auf das klarste aus den Aussprüchen der Heiligen Schrift nach der ihnen allgemein gegebenen Auslegung folgere und beweise.

Nachdem ich so meinen Plan dargelegt, habe ich nun den Anlaß zu dieser Schrift und meine Absicht dabei mitzuteilen. Ich habe mich aus reiner Neigung zur Philosophie mit ihr beschäftigt, ihre ersten Elemente in allen Zweigen gesammelt und allmählich in drei Teilen zusammengestellt: im ersten handle ich von den Körpern und ihren allgemeinen Eigenschaften; im zweiten von den Menschen und insbesondere von seinen Vermögen und Leidenschaften; im dritten vom Staat und den Pflichten der Bürger. Sonach befaßt der erste Teil die erste Philosophie und einige Elemente der Physik; es werden darin die Begriffe der Zeit, des Orts, der Ursache, der Macht, der Beziehungen, der Verhältnisse, der Größe, der Gestalt, der Bewegung erwogen. Der zweite Teil handelt von der Einbildungskraft, dem Gedächtnis, dem Verstande, der Vernunft, dem Begehren,[75] dem Willen; vom Guten, vom Übel, vom Sittlichen und Unsittlichen und andern verwandten Begriffen. Was der dritte Teil behandelt, habe ich schon oben gesagt. Indem ich dies alles vervollständigte, ordnete, langsam und vorsichtig niederschrieb – denn ich ergehe mich nicht ins Breite, sondern rechne –, traf es sich, daß mein Vaterland, einige Jahre vor Ausbruch des Bürgerkrieges, durch Erörterungen über die Rechte der Herrscher und den schuldigen Gehorsam der Bürger, die Vorläufer des nahenden Krieges, heftig aufgeregt wurde. Deshalb eilte ich, diesen dritten Teil mit Zurückstellung der vorgehenden zunächst zur Reife und zum Abschluß zu bringen. So ist es gekommen, daß der der Reihenfolge nach letzte Teil zuerst fertig geworden ist, zumal da ich sah, daß er sich auf seine eigenen, durch Erfahrung zu erkennenden Grundsätze stützte und deshalb der vorgehenden Teile nicht bedurfte.

Meine Absicht ist indes nicht auf Gewinnung von Lob gerichtet gewesen (obgleich, wenn es der Fall wäre, ich mich damit entschuldigen könnte, daß die, welche nicht gelobt sein mögen, selten etwas Lobenswertes zustande bringen), sondern ich habe das Buch Ihretwegen, der Leser wegen geschrieben. Wenn Sie die von mir aufgestellte Lehre erfaßt und begriffen haben werden, so hoffe ich, daß Sie lieber einige Unbequemlichkeiten im Privatleben, da die menschlichen Dinge nicht frei von aller Unbequemlichkeit sein können, mit Geduld ertragen werden, als daß Sie den Staat in Verwirrung bringen; daß Sie die Gerechtigkeit Ihrer Unternehmungen nicht nach den Reden und dem Rate einzelner Bürger, sondern nach den Gesetzen des Staates bemessen werden, und daß Sie nicht mehr von ehrgeizigen Menschen sich werden mißbrauchen lassen, um mit Ihrem Blute diesen zur Macht zu verhelfen. Ich hoffe, daß Sie es vielmehr vorziehen werden, unter den gegenwärtigen Staatszuständen, auch wenn sie nicht die besten sind, Ihr Leben zu genießen, als Krieg zu beginnen, damit, nachdem Sie selbst getötet worden oder das Alter Sie verzehrt hat, andere in einem spätern Jahrhundert eine verbesserte Verfassung besitzen. Wenn Personen der bürgerlichen Obrigkeit nicht untertan sein und die öffentlichen Lasten nicht tragen mögen, aber doch im Lande bleiben[76] und vom Staate gegen Gewalt und Unrecht geschützt sein wollen, so hoffe ich, daß meine Leser dergleichen Leute nicht als Bürger, sondern als Feinde und Späher ansehen werden, und daß sie nicht alles, was diese ihnen als das Wort Gottes öffentlich oder im stillen vorsagen, gläubig annehmen werden.

Aber ich muß noch deutlicher sprechen. Wenn irgendein Volksredner, Bekenner oder Spitzfindiger die Lehre aufstellt, daß der Herrscher des Landes, ja jeder Mensch, auch ohne Befehl des Herrschers, von einem Bürger getötet werden dürfe, oder daß die Bürger Aufruhr, Verschwörungen und Bündnisse gegen den Staat mit Recht unternehmen dürfen, und daß solche Lehren mit dem Worte Gottes übereinstimmen, so glauben Sie, meine Leser, ihm nicht, sondern zeigen Sie seinen Namen der Obrigkeit an. Wer mir hierin beistimmt, der wird auch meinen Zweck bei Abfassung dieses Buches billigen.

Endlich habe ich im ganzen Verlauf meiner Darstellung als Regel festgehalten: erstens nichts über die Gerechtigkeit einzelner Handlungen zu sagen, sondern das der Bestimmung durch die Gesetze zu überlassen, zweitens mich nicht in die Beurteilung der Gesetze der einzelnen Staaten einzulassen, d.h. nicht die wirklich vorhandenen Gesetze, sondern deren Natur überhaupt zu besprechen; drittens nichts zu sagen, woraus man schließen könnte, daß nach meiner Ansicht die Bürger dem aristokratischen oder demokratischen Staate weniger Gehorsam schuldig seien als dem monarchischen. Denn wenn ich auch im zehnten Kapitel versucht habe, durch einige Gründe zu zeigen, daß die Monarchie die angemessenere Staatsform gegenüber den andern Staatsformen sei (was der einzige Punkt in dieser Schrift ist, der, wie ich anerkenne, nicht bewiesen, sondern nur wahrscheinlich gemacht worden ist), so habe ich doch verschiedentlich und ausdrücklich gesagt, daß in jeder Staatsform die Staatsgewalt die höchste und überall die gleiche sein müsse. Viertens habe ich mich in keinen Streit über theologische Lehren eingelassen, diejenigen ausgenommen, welche den Gehorsam der Bürger lockern und die Festigkeit des Staates erschüttern. Endlich habe ich fünftens nichts leichtsinnigerweise aufgenommen, was ich nach Veröffentlichung[77] des Werkes nicht sofort als wirkliches Staatsrecht könnte gelten lassen. Ich habe deshalb auch nur einige Exemplare für mich drucken lassen, die ich an meine Freunde verteilt habe, damit, wenn nach deren Ansichten ein Irrtum, eine Dunkelheit oder Härte sich darin eingeschlichen haben sollte, ich es verbessern, mildern oder erläutern könnte.

Am heftigsten bin ich getadelt worden, daß ich die Staatsgewalt zu einer maßlosen gemacht habe, aber nur von Geistlichen; daß ich die Gewissensfreiheit aufgehoben habe, aber nur von Sektierern; daß ich den Herrscher des Staates von den Staatsgesetzen losgesprochen habe, aber nur von Juristen. Der Tadel aller dieser hat mich deshalb wenig berührt, denn sie sprechen nur für ihre eigenen Interessen; vielmehr habe ich die Knoten nur um so schärfer angezogen. Auch an den obersten Grundsätzen haben manche Anstoß genommen, wie in betreff der Natur des Menschen, des Naturrechts, des Wesens der Verträge und der Entstehung des Staates; für diese habe ich, da sie bei ihrem Tadel sich nicht von ihren Leidenschaften, sondern durch ihr unbefangenes Urteil haben leiten lassen, bei einigen Stellen Anmerkungen beigefügt, welche meinen Gegnern hoffentlich genügen werden. Endlich habe ich sorgfältig mich gehütet, jemand zu verletzen, die ausgenommen, deren Beginnen mit dem hier Dargelegten in Widerspruch steht, oder die durch jede abweichende Ansicht sich verletzt fühlen.

Wenn Sie, verehrte Leser, daher etwas finden sollten, was nicht unzweifelhaft oder was stärker als nötig ausgedrückt ist, so bitte ich, dies mit Nachsicht hinzunehmen, denn es ist nicht im Interesse einer Partei, sondern des Vaterlandes gesagt, und zwar von einem Manne, dessen gerechtem Schmerze bei dem gegenwärtigen Unglück seines Vaterlandes schon etwas nachgesehen werden darf.[78]

Quelle:
Thomas Hobbes: Grundzüge der Philosophie. Zweiter und dritter Teil: Lehre vom Menschen und Bürger. Leipzig 1918, S. 68-79.
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