Zehnter Einwand

[175] »Einzig die Idee von Gott bleibt, bei der zu erwägen ist, ob sie etwas ist, das aus mir nicht stammen kann. Unter dem Namen Gottes verstehe ich eine unendliche, unabhängige, höchst weise, höchst mächtige Substanz, die mich und auch alles, was es sonst außer mir gibt, geschaffen hat. Alles Bestimmungen, die, je sorgfältiger ich sie erwäge, um so weniger von mir allein hervorgebracht zu sein scheinen. Und daraus folgt nach den früheren Ausführungen, daß Gott notwendig existiert.«

Betrachtet man die Attribute Gottes, um daraus die Idee Gottes zu erhalten, und prüft man, ob in ihnen etwas ist, was nicht von uns hervorgebracht sein kann, so finde ich, wenn ich mich nicht täusche, daß das, was wir bei dem Namen Gottes denken, zwar nicht von uns stammt, aber[175] darum doch nicht einen anderen Ursprung als in den Außendingen haben müßte. Denn unter dem Namen Gottes verstehe ich eine Substanz; das heißt, ich denke ihn als existierend, nicht auf Grund einer Idee, sondern eines Schlusses; ich denke diese Substanz als unendlich, das heißt so, daß ich Grenzen (nämlich äußerste Teile, über die hinaus weitere nicht mehr vorzustellen sind) in ihr weder gedanklich noch sinnlich vorzustellen vermag. Woraus folgt, daß, wenn ich das Wort »Unendlich« gebrauche, damit noch keine Idee einer göttlichen Unendlichkeit gesetzt ist; ich werde vielmehr nur meiner Grenzen oder Schranken bewußt. Endlich denke ich jene Substanz als unabhängig, das heißt, ich kenne keine Ursache, aus der Gott hervorginge.

Daraus erhellt, daß meine Idee der Unabhängigkeit nichts anderes als die Erinnerung an Ideen von mir enthält, die zu verschiedenen Zeiten beginnen und deshalb abhängig sind. Die Behauptung: Gott sei unabhängig, besagt somit nur, daß Gott zu der Klasse von Dingen gehört, deren Ursprung ich nicht einsehe, wie die Unendlichkeit Gottes nichts anderes meint, als daß Gott zu der Klasse von Dingen gehört, bei denen wir uns keine Grenzen vorstellen. Damit aber wird jede Idee von Gott aufgehoben, denn was wäre eine Idee ohne Ursprung und Grenzen?

Was heißt »höchst weise«? Ich frage, durch welche Idee weiß Descartes etwas von der Weisheit Gottes? Was ist »höchst mächtig«? Welche Idee gibt uns von der Macht, also von künftigen, jetzt noch nicht existierenden Dingen eine Vorstellung? Entspringt uns doch der Begriff von Macht oder Vermögen allein aus der Besinnung auf bereits vollzogene Leistungen, indem geschlossen wird: irgendwas, das existiert, handelte, also konnte es so handeln, also wird es noch einmal so handeln können, also besitzt es die Macht zu handeln. All dies sind Ideen, die von äußeren Objekten gewonnen werden können.

Was nun die Vorstellung eines »Schöpfers alles Existierenden« anbetrifft, so vermag ich mir ein Bild der Schöpfung nur aus dem zu machen, was ich gesehen habe. So etwa, wie ein Mensch geboren wird oder gleichsam aus einem Punkt zu seiner gegenwärtigen Gestalt und Größe heranwächst. Eine andere Idee hat niemand bei dem Namen[176] »Schöpfer«. Um die Schöpfung der Welt zu erweisen, genügt es nicht, daß wir sie uns als geschaffen vorstellen können.

Mag auch bewiesen werden, daß ein Unendliches, Unabhängiges, höchst Mächtiges existiere, so folgt daraus nicht, daß ein Schöpfer existiere. Man müßte denn den Schluß für richtig halten: weil etwas existiert, von dem wir glauben, daß er alles andere geschaffen hat, ist auch die Welt von ihm einst geschaffen worden.

Wenn Descartes übrigens sagt, daß die Ideen Gottes und der Seele uns eingeboren sind, möchte ich wissen, ob der Geist auch im tiefen traumlosen Schlaf denkt. Wenn nicht, so besitzt er zu dieser Zeit keine Ideen. Daher ist uns keine Idee eingeboren; denn was uns eingeboren ist, ist immer da.


Erwiderung

Nichts von dem, was wir Gott zuschreiben, kann von Außendingen als gleichsam den Mustern stammen, da in Gott nichts ist, was dem gleicht, das in äußeren, d.h. körperlichen Dingen enthalten ist. Offenbar kann aber, was wir ihnen entgegengesetzt denken, nicht vor ihnen, sondern allein von der Ursache stammen, die macht, daß wir dieser Gegensätzlichkeit uns bewußt werden.

Ich frage hier, wie jener Philosoph den Verstand Gottes von den Außendingen ableitet. Meine Idee von ihm ist einfach zu erläutern; denn ich verstehe unter Idee alles, was Form einer Perzeption ist; wer also sich bewußt ist, daß er etwas versteht, hat damit zugleich die Form oder die Idee des Verstehens, den Verstand, den er nur ins Unendliche auszudehnen braucht, um zu dem göttlichen Verstand zu gelangen. Und ist es mit allen übrigen Attributen nicht genau so?

Da wir die uns einwohnende Idee Gottes zu dem Beweis seiner Existenz benutzt haben und da in dieser Idee eine so unermeßliche Macht enthalten ist, daß es ersichtlich ein Widerspruch wäre, etwas außer ihm als existierend anzunehmen, das nicht von ihm geschaffen wäre, so folgt aus dem Beweis seiner Existenz auch, daß die Gesamtheit aller von Gott verschiedenen und existierenden Dinge, d.h. die Welt, von ihm geschaffen ist.[177]

Wenn wir endlich sagen, eine Idee sei uns eingeboren, so meinen wir nicht, daß sie uns beständig gegenwärtig sei; in diesem Sinne wäre uns überhaupt keine Idee angeboren; wir meinen vielmehr nur, daß wir die Fähigkeit besitzen, sie zu entwickeln.

Quelle:
Thomas Hobbes: Grundzüge der Philosophie. Erster Teil: Lehre vom Körper. Leipzig 1949, S. 175-178.
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