Wilhelm von Humboldt

Latium und Hellas oder Betrachtungen über das classische Alterthum

Dionysius Hal. Antiquit. I. 4. hê de Rômaiôn polis – katoikeitai. Die Stadt der Römer beherrscht die ganze Erde, so weit sie nicht unzugänglich ist, und von Menschen bewohnt wird.


Es giebt einen vierfachen Genuss des Alterthums:

in der Lesung der alten Schriftsteller,

in der Anschauung der alten Kunstwerke,

in dem Studium der alten Geschichte,

in dem Leben auf classischem Boden. – Griechenland, Empfindungen tieferer Wehmuth. Rom, höherer Standpunkt, mehr Vollständigkeit der Uebersicht.

Alle diese verschiedenen Genüsse geben im Ganzen denselben, nur zu anderen Graden gesteigerten Eindruck, und das Charakteristische dieses Eindrucks besteht darin,

dass jeder andre Gegenstand immer nur zu einer einzelnen Beschäftigung tauglich, das Alterthum hingegen eine bessere Heimath, zu der man jedesmal gern zurückkehrt, scheint,

dass von ihm aus alle mannigfaltigen menschlichen Sinnes und Vorstellungsarten verständlich werden, die man, wenn man unmittelbar von einer zur andern übergienge, nicht leicht verstehen würde,

dass viele andre Gegenstände auf vielfache Weise ergreifen, allein keiner so alle Ansprüche befriedigt, so in nichts anstösst, so eine vollkommene und zugleich energische Ruhe einflösst,

dass die Beschäftigung mit dem Alterthume die Untersuchung nie zu einem Ende und den Genuss nie zur Sättigung[25] führt, dass es scheint, als könne man auf einem kleinen, eng begrenzten Felde in immer unergründlichere Tiefe graben, um immer grössere Ansichten zu erhalten, dass die längst bekannten Formen immer zu neuer Erhabenheit und Lieblichkeit übergehen, und zu neuem Einklang zusammentreten.

Was diesen Eindruck hervorbringt, kann man die Behandlungsart der Alten nennen.

Das Eigenthümlichste dieser Behandlungsart nun ist:

die menschliche Natur in ihren individuellsten und einfachsten Wirkungen, bloss durch Läuterung und Zusammenhaltung, überall das Idealische anspielen zu lassen;

mit der höchst möglichen Freiheit von stoffartigem Interesse immer nur diese Form vor Augen zu haben, diesen Uebergang vom Individuellen zum Idealen, vom Einfachsten zum Höchsten, vom Einzelnen zum Universum, ihn wie einen freien Rhythmus, nur mit ewig verschiedenem untergelegtem Texte überall ertönen zu lassen;

daher alles im Ganzen und Einzelnen, nur mehr oder minder, symbolisch zu behandeln, und darin mit so glücklichem Tacte begabt zu seyn, dass ebensosehr die Reinheit der Idee, als die Individualität der Wirklichkeit geschont wird. – Hierbei Bestimmung des Begriffs des Symbols und Warnung nicht das Sichtbare und Unsichtbare so zu trennen, als sey eins bloss die Hülle des sonst unabhängigen Andern.

Der Geist, der sich eine solche Behandlungsart erschafft (denn Schöpfer derselben waren die Griechen unläugbar) muss ihr selbst ähnlich seyn. Auf eine wenig verschiedene, aber die Ansicht weiter führende Weise lässt sich nun der Griechische (der, welchen allein man sich als Urheber der ächt griechischen Werke denken kann) auch so beschreiben:

dass sein wesentlicher Charakter darin besteht, die Form der menschlichen Individualität, wie sie seyn sollte, darzustellen, und zwar, welches eine mehr zufällige Nebenbeschaffenheit ist, dies vorzugsweise an Gegenständen der Anschauung zu thun.

Dies zu erklären wird eine Episode über Individualität, wie sie ist und seyn sollte, erfordert.[26]

Eine fast oberflächliche Betrachtung und ein geringes Nachdenken geben schon folgende Sätze an die Hand.

Soviel sich auch ein Charakter nach seinen Aeusserungen und selbst seinen Eigenschaften schildern lässt, so bleibt die eigentliche Individualität immer verborgen, unerklärlich und unbegreiflich. Sie ist das Leben des Individuums selbst, und der Theil, der von ihr erscheint, ist der geringste an ihr.

Auf gewisse Weise lässt sie sich indess doch als die Consequenz eines gewissen Strebens, das eine Menge anderer ausschliesst, erkennen; als etwas positiv Werdendes durch Beschränkung.

Diese Beschränkung führt vermöge der Einrichtung unsrer Vernunft auf ein über dem Individuum stehendes Ideal.

Die Vergleichung mehrerer Individuen mit diesem und unter sich macht die Ansicht der gegenseitigen Ergänzung verschiedener zur Darstellung des Ideales möglich, und einige Individuen führen ausdrücklich zu derselben.

Das auffallendste Beispiel hiervon ist die Verschiedenheit der Geschlechter, und ein auf dieselbe vorzüglich aufmerksames Gemüth kann durch sie am vollständigsten das Verhältniss des Individuums zum Ideal kennen lernen, und von ihr aus am leichtesten alle andre ähnliche in der Schöpfung vorkommende Fälle auffinden.

Besonders an diesem Beispiele lernt man, dass es auch für die beschränktere Klasse, und endlich sogar für das Individuum ein Ideal giebt, das man dadurch erreicht, dass man die Consequenz des Strebens strenger und weniger einseitig macht, oder anders ausgedrückt die Eigenthümlichkeit mehr durch das, was sie ist, als was sie ausschliesst, an den Tag legt.

Da aber jedes Wesen nur dadurch etwas seyn kann, dass es etwas anderes nicht ist, so ist ein wahrer, nicht aufzuhebender Widerstreit, und eine unüberspringbare Kluft zwischen jedem und jedem auch der verwandtesten Individuen und zwischen allen und dem Ideal, und das Gebot in der Individualität das Ideal zu erreichen ist von unmöglicher Ausführung.

Dennoch kann dies Gebot nicht aufgehoben werden.[27]

Jener Widerstreit muss daher nur scheinbar seyn, und in der That entsteht er nur aus einer unrichtigen Trennung dessen, was, richtiger gefühlt, Eins und dasselbe ist.

Nichts Lebendiges und daher keine Kraft keiner Art kann als eine Substanz angesehen werden, die entweder selbst, oder in der irgend etwas ruhte; sondern sie ist eine Energie, die einzig und allein an der Handlung hängt, die sie in jedem Moment ausübt. Die längste Vergangenheit existirt nur noch in dem gegenwärtigen Moment, und das ganze Universum wäre vernichtet, wenn sein jedesmaliges Wirken vernichtet werden könnte.

Keine Kraft ist mit dem, was sie bis jetzt gewirkt hat, vollendet. Sie erhält mit jedem Wirken Vermehrung; sie hat schon einen nie bekannten Ueberschuss über jedes ihr Wirken, und ihre künftigen Erzeugnisse lassen sich nicht nach den vorhergehenden berechnen. Es kann und muss ewig fort Neues entstehen.

Wenn man sich daher ein göttliches allgenugsames und unveränderliches Wesen denkt, so ist das ein Unding. Denn es ist nicht bloss etwas für uns, die wir an Bedingungen der Zeit gebunden sind, Unbegreifliches, sondern enthält, als ruhende Kraft, einen eigentlichen Widerspruch und gründet sich, indem es der Zeit entflieht, auf falsch angewendeten Begriffen von Raum und Substanz. Die wahre Unendlichkeit der göttlichen Kraft beruht auf dem allem Geschaffnen beiwohnenden Vermögen sich ewig neu und immer grösser zu gestalten, kann aber nicht, abgesondert von dem Geschaffenen, hypostasirt werden.

Die individuelle Kraft des Einen ist dieselbe mit der aller Andern, und der Natur überhaupt. Denn ohne das wäre kein Verstehen, keine Liebe und kein Hass möglich; auch erkennt man überall dieselbe Form wieder.

Worin die Geschiedenheit der Individuen besteht? ist schwieriger zu begreifen, und eigentlich unerklärbar. Allein wie, wenn, da der Mensch sich nur durch Reflexion deutlich werden, und diese nur durch das Gegenüberstellen eines Objects und Subjectes geschehen kann, auch die Kraft des Universums, auf der Stufe, auf der wir sie kennen,[28] sich in Vielheit zerspalten müsste, um sich selbst klar zu werden?

Nach dieser Ansicht gewinnt nun der vorhin erwähnte Widerspruch eine ganz verschiedne Gestalt.

Es ist einmal nicht von festen, durch unveränderliche Gränzen umschriebenen Substanzen, sondern von ewig wechselnden Kraftenergien die Rede; es ist ferner überall eine gleiche, vielleicht eine einzige Kraft, die mehr verschiedene Ansichten desselben Resultats, als verschiedene Resultate giebt; und das Ideal ist nur ein Gedankenbild, das eben darum die Allgemeinheit der Idee haben kann, weil ihm die Bestimmtheit des Individuums mangelt.

Denn um sich die individuelle Kraft vollständig vorzustellen, muss man sich, ausser dem beschränkten Daseyn des Moments, noch zweierlei an ihr denken: das verborgene und unergründbare Vermögen derselben, das sich bloss jetzt in solcher Beschränktheit offenbart, und die Ideen, die ein unmittelbarer Abglanz dieses Vermögens sind, die sie aber nicht Kraft besitzt als Wirklichkeit d.i. als Leben gelten zu machen. Daher ist zwischen Idee und Leben zwar ein ewiger Abstand, aber auch ein ewiger Wettkampf. Leben wird zur Idee erhoben und Idee in Leben verwandelt.

So ist, um näher zu unserm Vorwurf zurückzukommen, die Form der Individualität, wie sie seyn sollte, das Aufstreben einer von dem lebendigen Bewusstseyn, dass sie auf das engste mit dem geheimnissvollen, und unergründlichen, aber auch unendlichen Vermögen der Natur zusammenhängt, durchdrungenen Kraft innerhalb der Grenzen einer bestimmten Wirklichkeit zu demjenigen, was jenem verborgnen Vermögen entspricht, aber bloss als Ahndung gefasst und bloss als Idee dargestellt werden kann.

Zu dem Uebergange vom Endlichen zum Unendlichen, der immer nur idealisch ist, taugen ausschliessend die schaffenden Kräfte des Menschen: Einbildungskraft, Vernunft und Gemüth, und diese bedienen sich gewisser Formen, welche nur soviel vom Stoff annehmend, um noch sinnlich zu bleiben, mit eigentlichen Ideen in genauer Verwandtschaft stehend, und daher allbestimmbar, immer[29] einen solchen Eindruck hervorbringen, dass ihre Bestimmtheit niemals beschränkende Gränze scheint.

Diese Formen sind Gestalt, Rhythmus, und Empfindung. Es lässt sich aber wohl noch eine vierte, aber schwer erklärbare hinzufügen, die dem ächten Philosophiren so vorherschwebt, wie das Silbenmass dem noch nicht gefundnen Gedicht.

Die Gestalt steht unter den ewigen Gesetzen der Mathematik des Raums, hat zur Grundlage die ganze sichtbare Natur und spricht auf mannigfaltige Weise zum Gefühl.

Der Rhythmus entspringt aus den geheimnissvollen, aber nothwendigen Verhältnissen der Zahl, beherrscht die ganze tönende Natur, und ist der beständige, unsichtbare Begleiter des Gefühls.

Die Empfindung fügt zu der Form des letzteren die Gewalt des Gefühls, und folgt den leitenden Ideen des Gemüths.

Kehrt man nun zu den einzelnen Eigenschaften des Griechischen Geistes zurück, so findet man die Form der geläuterten Individualität bei ihm in folgenden Momenten:

1. darin, dass alles in ihm Bewegung, ewig mannigfaltig quellendes Leben ist, und es ihm mehr auf Streben, als auf Erstrebtes ankommt.

2. dass das Streben immer idealischer und geistiger Natur ist.

3. dass es ihm eigen ist, in der Wirklichkeit den wahren und rein natürlichen Charakter der Gegenstände aufzufassen,

4. und ihn in der Verarbeitung idealisch zu behandeln.

5. dass er bei der Wahl eines Stoffs immer, soviel es möglich ist, die Endpunkte alles geistigen Daseyns, Himmel und Erde, Götter und Menschen, zusammennimmt und in der Vorstellung des Schicksals, wie in einem Schlusssteine wölbt. Die Formen, deren er sich bedient, sind vorzugsweise:

1. die Gestalt der Plastik,

2. der Rhythmus der Dichtkunst,

3. die Empfindung der durch Phantasiebegeisterung geweckten Religion. Man wird dieser Schilderung vielleicht entgegensetzen,[30] dass sie zu künstlich sey, und behaupten: Griechischer Geist lasse sich hinlänglich durch die Einwirkung einer jugendlichen Natur auf das phantasiereiche Gemüth eines unter glücklichem Himmelstrich und günstigen Zeitumständen auftretenden Volkes erklären. Allein insofern dies von der Möglichkeit der Entstehung einer Nation, wie die Griechische, Rechenschaft geben soll, wird weiter unten die Rede davon seyn. Als Schilderung aber widerspricht ihm das Vorhergehende keinesweges, drückt es aber nur bestimmter und erschöpfender aus.

Denn es endigt darin, dass es den Griechen die Bahn von der schlichtesten NaturEinfachheit bis zur unerreichbarsten Schönheit und Erhabenheit ewig von neuem beginnen und zurücklegen lässt, und seine Eigenthümlichkeit in die Verbindung eines höchst praktischen und höchst idealischen Charakters setzt.

Ueberhaupt lässt sich jede bedeutende menschliche Eigenthümlichkeit durch mannigfaltige Ansichten schildern, von denen eine nur bald bestimmter, bald leichter erklärbar, bald fruchtbarer ist, als die andern. Eine, die sich unmittelbar aus dem Vorigen ergiebt, und sich durch vielfache Anwendbarkeit empfiehlt, ist noch folgende:

Alles, was Griechischer Geist hervorbrachte, athmet tief aufgefasste Ansicht der Form der Natur, und unverwandte Richtung der Phantasie auf die ewigen und steten Gesetze des Raums und des Rhythmus. Beides kommt in dem Begriffe der Organisation zusammen, der die ganze lebendige Natur beherrscht, und selbst wieder durch die höheren Verhältnisse des Raums und der Zahl beherrscht wird. Da zugleich Leben und Organisation sich wechselseitig fordern, so sprach den Griechen in dem Organischen zugleich die von innen ausbildende Kraft an. Dieser vorherrschende Begriff des Organismus in ihm machte nun, dass er alles scheute und verachtete,

was sich nicht in klaren Verhältnissen zu Theilen und Ganzen aus einander legte,

was nicht seinen Stoff und selbst seine Form der Idee eines Ganzen unterordnete,

was nicht eine innere, frei wirkende Kraft athmete.[31]

Mehr aber sinnlicher, als intellectueller Natur liebt der Grieche nur was sich ohne Mühe zusammenfügt, und die Idee unendlicher, immer wieder in sich organischer Theile, die sich leicht an einander gliedern, und eines Ganzen, das leicht in solche Theile zerfällt, ist eine zur Schilderung und Erklärung Griechischer Eigenthümlichkeit überaus fruchtbare Idee.

Nachdem wir das Bisherige im Allgemeinen vorausgeschickt haben, wollen wir jetzt, die hauptsächlichsten Gegenstände, aus denen sich der Griechische Geist noch erkennen lässt, durchgehend, versuchen, kurz und in wenigen Momenten das vorzüglich Charakteristische an ihnen darzustellen; wir thun dies nach einander an

der Kunst,

der Dichtung,

der Religion,

den Sitten und Gebräuchen,

dem öffentlichen und Privatcharakter und der Geschichte.

1. an der Kunst.

Der einzige Grundsatz, welcher zu einer richtigen Erklärung der Griechischen Kunst führt, ist der, dass sie gerade einen entgegengesetzten Weg ging, als man gewöhnlich voraussetzt, nicht, von roher Nachahmung der Natur beginnend, sich zum Götterideale erhob, sondern, ausgehend von dem reinen Sinn für die allgemeinen Formen des Raums, für Symmetrie und Richtigkeit der Verhältnisse, sich aus ihnen ein Götterideal schuf, und so zu den Menschen herabstieg.

Es wird lächerlich scheinen, der Griechischen Kunst einen Gang a priori anzuweisen, sie eher aus den trocknen Formeln der Mathematik, als der quellenden Fülle des Lebens herzuleiten. Allein ich berufe mich auf das Unheil eines jeden, der die Antike mit gesundem Gefühle zu sehen versteht, ob – es verhalte sich auch mit der Wahrheit, wie es wolle – es nicht wenigstens vollkommen so scheint, als habe der Griechische Künstler seinen Weg von der Idee aus und nicht zur Idee hin genommen. Dann versteht es sich von selbst, dass bei der Kunst, in der nothwendig Idee und Erfahrung[32] zusammentreten, nie von einem Ausschliessen, sondern nur von einem Vorwalten einer von beiden die Rede seyn kann. Auch macht folgende Herleitung das Gesagte vielleicht begreiflicher und minder paradox.

Die neuere Kunst, insofern sie nicht die alte und im alten Sinn nachbildet, geht in der Darstellung auf Naturnachahmung aus, und hascht in der Bedeutung nach Schönheit oder Charakter, oder nach beidem zugleich. Sie behandelt die Natur, ohne einen Schlüssel zu haben, durch den sie dieselbe zur Erkennung der reinen allein brauchbaren Formen, die von ihrer unendlichen Mannigfaltigkeit und Individualität bedeckt und gleichsam eingehüllt sind, erschliessen könnte, und von den Zielen, die sie sich vorsetzt, ist eins dunkel und schwer bestimmbar, und das andere führt leicht auf ein Gebiet, dem die Kunst fremd ist.

Die neuere Kunst ist hierin zu entschuldigen, weil selbst die Leichtigkeit der Ausführung, die soviele Vorübungen ihr verschaft haben, sie verführt, weil sie unübertrefliche Vorbilder hat, und verleitet wird, diesen unmittelbar gleichkommen zu wollen, ohne nur in ihnen die mühvolle Bahn zu studiren, welche sie, so wie ihre ältere Schwester, noch gegenwärtig durchgehen müsste.

Die Griechische Kunst beherrschte die Mannigfaltigkeit der Natur durch den einfachen Begriff des organischen Verhältnisses, und gelangte zu Schönheit und Charakter, ohne unmittelbar nach ihnen zu streben, und einzig bemüht, ihrem Werk jene einfachen Formen in möglichster Richtigkeit und Symmetrie einzuprägen.

Die Griechische Kunst hätte indess diesen Weg nie einschlagen können, wenn sie, so zu sagen, vom Anfang hätte anheben sollen, und nicht nur aufgenommen hätte, was ein anderes Volk mit tiefem, nur zu starrem Sinn, und eisernem, nur zu einförmigem Fleisse Jahrhunderte hindurch ausgearbeitet hatte. Die Aegyptische zwar steife, aber grandiose, und in den Verhältnissen bis zur Gewissenhaftigkeit genaue Kunst durfte nur einen freieren und glücklicheren Schwung erhalten, und Aegyptische Wissenschaft machte die Griechen mit mathematischen Grundsätzen bekannt, die[33] vielleicht (wie die Kugellehre, die Herkules aus Aegypten gebracht haben sollte) sehr einfach waren, aber den jugendlichen Geist, der hier zum erstenmal durch Ideenschönheit gerührt wurde, unendlich mächtig ergriffen.

Da die Bestimmung der Griechischen Kunstwerke ursprünglich eine religiöse war, so gewann der Begriff des Verhältnisses eine doppelte Aufmerksamkeit. Denn die Griechen verschmähten die überirrdische Macht der Götter hieroglyphisch in Zeichen anzudeuten, und suchten dieselbe in dem Ebenmass ihrer Glieder unmittelbar auszudrücken, indem sie ihrer Gestalt den Typus der Gesetze der Harmonie und der Ordnung anbildeten, nach welchen die Sphären und die Gestirne sich bewegten, und nach welchen sie selbst das Weltall regierten.

Diese Verhältnisse beherrschen aber Glieder eines organischen Körpers, die eine ihm einwohnende Kraft belebt, und hierin nun liegt die wundervollste Eigenthümlichkeit der alten Kunst, dass jeder einzelne Theil nur dieser Kraft zu entströmen, und sich in sie zurückzusenken scheint. Begreiflich zu machen, wie dies zugeht, zu zeigen, wie es zu machen sey, ist durchaus unmöglich; es ist der Theil der Kunst, der sich nicht durch Richtigkeit der Verhältnisse, Wahl der Formen, Nachbildung der Natur u.s.f. erklären lässt, da es in nichts Einzelnem liegt, sondern vielmehr alles Einzelne zusammenschmelzt und belebt. Aber auf folgende Weise ist es dennoch möglich, dem Geheimniss etwas näher zu rücken.

Der menschliche Geist hat eine unläugbare Kraft, unmittelbar selbst und in seiner eigenthümlichsten Gestalt aus sich herauszustrahlen, an einem Stoffe zu haften, sobald dieser nur von einer Idee, als etwas seiner Natur Verwandtem, bezwungen ist, und an ihm erkennbar zu seyn. Inwiefern ihm dieses gelingen soll, hängt von seiner Anstrengung und unverwandten Richtung, und der Reinheit und Macht ab, mit welcher die Idee in dem gegebenen Stoff ausgeprägt ist. Dadurch also, dass die Phantasie des griechischen Künstlers von der Idee dieser sein Kunstwerk belebenden, und jeden Theil desselben aus sich erzeugenden Kraft durchaus begeistert[34] war, und dass sie seinem Sinn mehr Grösse und Innigkeit, seinem Auge mehr Schärfe, seiner Hand mehr Sicherheit gab, lässt sich die wundervolle Erscheinung einigermassen erklären. Denn daraus kann eine Consequenz und ein Zusammenstimmen der unmerkbarsten Theile aller Umrisse entstehen, die jedem Mass und jeder Andeutung im Einzelnen entflieht, und selbst an der Stärke und Zartheit, mit der zwei übrigens vollkommen gleiche Linien gezogen sind, ist die verschiedene Phantasiekraft des Künstlers erkennbar.

Worauf also der Griechische Künstler vorzüglich hinarbeitete, war etwas, das er der Tiefe seines Werks anvertraute, damit es aus ihm wieder als freies Leben hervorstralte; er hielt sich gern innerhalb bestimmt abgesteckter Grenzen, weil er dies kleine Feld anders und anders fruchtbar zu machen verstand; suchte mehr Einfachheit, als Mannigfaltigkeit, mehr Festigkeit, Richtigkeit und Strenge, als Leichtigkeit und Reiz. Dadurch und durch die äussere religiöse oder doch öffentliche Bestimmung der Kunst, durch die Lehrmethode in Schulen, und durch eine edle Scheu, das einmal treflich Erfundene zu verunedlen, entstand das Arbeiten in bestimmten Charakteren, und da man unverrückt die grössesten und reinsten Verhältnisse der Gestalt und das tiefste Leben im Auge behielt, in idealen Göttercharakteren.

Was aber am meisten Bewunderung verdient, ist dass schon in der Epoche der strengeren Kunst immer Trockenheit und Härte vermieden blieb, und hiernach alle Fülle des Lebens so sehr jene ursprünglichen grossen Formen umgoss, dass die schlichteste Naturnachahmung bloss in einem edleren Element ihre irdische Dürftigkeit ausgetilgt zu haben schien. Die Kunst keiner Nation und keines Zeitalters schäumt von einem solchen Reichthum und einer solchen Ueppigkeit der Gestalten über, und hier bewährt sich aufs neue die Treflichkeit der nie verlassnen Grundmethode. Denn wie er nicht der Riesenmasse der Aegypter bedarf um gross zu erscheinen, so fordert sein Reichthum nicht übermässige Vielfachheit der Gestalten. Aus der tiefen Kraft, die er seinen Werken einhaucht, quillt eben so wohl die[35] Ueppigkeit einer Bacchantin, als die Erhabenheit eines Zeus. Er ist gross ohne Uebertreibung und reich ohne Aufwand.

Aber wie die reine Form der Verhältnisse in der einzelnen Gestalt vorwaltet, ebenso thut sie in der Mannigfaltigkeit mehrerer verbundner, und die blossen, ganz bedeutungslos, nur als lieblich verschlungene Linien genommenen Umrisse eines Bacchanals oder eines Tritonen und Nymphenzuges begleiten und umgeben, gleich einem anschmiegenden Element, die wirklichen Gestalten, wie das Silbenmass die Worte und Bilder eines Dithyrambus.

Denn da der Grieche immer die zarte Gränze hielt, die Kunst als Kunst und nicht als Natur zu behandeln, so bestimmte die äussere Anordnung, gewissermassen die Einfassung seines Werks, die Form eines Sarkophags, eines Frontons, einer Tempelnische vorzüglich mit die Behandlungsart seines Stoffs, und gab dem Werk, ausser seiner organischen und bedeutenden, noch eine abgesonderte architektonische Form.

Bis in die tiefste Ader der Brust fühlte der Grieche, dass die Kunst etwas Höheres als die Natur, und das lebendigste und sprechendste Symbol der Gottheit ist; mit unermüdeter Sorgfalt vernachlässigte er keinen, noch so kleinen und unwichtig scheinenden Zug, sie als Kunst von der Wirklichkeit, und als Wirklichkeit von der intellectuellen Idee abzusondern, und so innig schlang er Gestalt und Bedeutung in einander, dass nur der geistloseste Beschauer seiner Werke die eine als die träge Hülle der andern ansehen könnte.

So verfuhr er bei dem einzelnen Kunstwerk; aber in der Folge aller schied er mit gleich bestimmten Gränzen die besonderen Gattungen; und umfasste mit ihrem vollständigen Cyclus die ganze Schöpfung, und die ihm bekannte Welt und Geschichte, ging alle Momente der Kraft des lebendigen Daseyns durch vom halb thierischen Tritonen bis zum Vater der Götter und Menschen; alle Elemente von den Lüften bis zu dem Grunde des Meers und der Erde; alle Epochen des Lebens von der Geburt bis zur Vergötterung und den Strafen der Unterwelt; die Endpunkte seiner Welttafel[36] von den Indischen Zügen des Bacchus bis zu den Gärten der Hesperiden; und die ganze Folge des Heroenalters von dem Kampf der Titanen bis zur Eroberung Ilions.

2. an der Dichtung.

Die Poesie hat nicht, wie die bildende Kunst ein beschränktes, sondern ein unermessliches alles Daseyn umfassendes Feld. Sie ist Kunst, indem sie die Schöpfung als ein lebendiges, sich durch eigne Kraft von innen aus gestaltendes Ganzes darzustellen, das belebende Prinzip auszusprechen versucht, das keine andre Beschreibung schildern, und keine nicht von Begeisterung ausgehende Untersuchung erreichen kann, und sie bedient sich zur Vollendung ihres Geschäfts des Rhythmus, der, als ein wahrer Vermittler, als äussere Gesetzmässigkeit, die Bewegungen der Welt, und als innere, die Veränderungen des Gemüths beherrscht.

Das Charakteristische der Griechischen ist, dass sie diesen allgemeinen Zweck aller Dichtung auf eine mehr umfassende, mit mehr Klarheit, Einfachheit, und einer sich leichter zum Ganzen fügenden Harmonie ausführt. Auch hier strebt der Grieche vor allem nur nach Grösse und Reinheit der Formen; bezeichnet mehr einfach den zurückzulegenden Weg, als er bei einzelnen Punkten verweilt, und hebt aus der Mannigfaltigkeit des endlichen Stoffs die Idee heraus, die ihn unmittelbar an das Unendliche knüpft. Auch hier erreicht er dadurch auf einem leichteren Wege einen höheren Grad der Kunst, und bedeutungsvollere Symbole der Wirklichkeit.

Dass diese Empfindung, und nicht, wie bei andern Nationen, eine beschränktere und mehr subjective der Griechischen Dichtung zum Grunde liegt, beweisen die Griechischen Silbenmasse. Nie hat sich die Dichtung irgend eines Volks in einem so weiten, sich allen Empfindungen sogleich anschmiegenden, so voll wogenden Elemente bewegt. Der ursprünglichste und älteste Vers der Griechen, der Hexameter, ist zugleich der Inbegriff und der Grundton aller Harmonien des Menschen und der Schöpfung. Wenn man bewundert, wie es möglich war einen solchen Umfang und solche Tiefe in so einfache Grenzen einzuschliessen, wenn man erwägt, dass dieser einzige Vers die Grundlage aller andern[37] poetischen Rhythmen ist, und dass ohne den Zauber dieser Harmonien die wundervollsten Geheimnisse des Gemüths und der Schöpfung ewig unerschlossen geblieben wären, so versucht man umsonst sich die Entstehung einer so plötzlich auftretenden Erscheinung zu erklären. Wenn man sich das Hin- und Wiederfluten aller lebendigen Bewegung der ganzen Schöpfung nach gesetzmässiger Harmonie hinstrebend denkt, so ist es, als hätte sie endlich ihr üppiges Ueberschwanken in diese leicht beschränkenden Masse beschwichtigt, sich beruhigend in diese Weise eingewiegt, die dann ein glücklich organisirtes Volk ergriff, und in seiner Sprache heftete. So viel mehr scheint dieser Vers dem Rhythmus der Welt, als dem Stammeln menschlicher Laute anzugehören.

Denn in der That ist eine grössere Objectivität in den Silbenmassen der Griechen, als in denen aller andern uns bekannten Nationen, und dies zeigt sich ohne Mühe in der Zusammenfügung ihrer Elemente und der Organisation ihrer Glieder. Das Gemüth verfährt in seiner Empfindungsart meistentheils stossweise, macht harte Abschnitte, grelle Gegensätze, offenbart seine oft zur Willkühr werdende Eigenmacht. In den Bewegungen hingegen, wie in den Formen der Natur ist mehr Stätigkeit, die Uebergänge sind sanfter, die Gesetzmässigkeit zeigt sich mehr im Ganzen, als sie sich im Einzelnen vordrängt, und gerade dies ist auch die Eigenthümlichkeit der Griechischen Versmasse, die überall die Rückkehr durchaus gleicher, besonders kürzerer Clauseln vermeiden, das Gesetz immer in Mannigfaltigkeit verbergen und wiederum in ihr, auch sie doch in feste Grenzen einschliessend, auch zeigen, das einmal Angeklungene mehr von selbst austönen lassen, als willkührlich abschneiden. Die Gesetzmässigkeit des Griechischen Metrums scheint nur bestimmt, die zu üppige und reiche Fülle des Wohllauts massigen, und in leicht zu fassenden Abschnitten dem Ohr vortragen zu sollen; da sie besonders bei den neueren Nationen hingegen die Anmuth des Wohllauts selbst vertreten muss.

Dass in der That die Griechische Poesie diesen Weg genommen hat, zeigt die Sprache selbst. Keine unter allen uns bekannten ist so reich an mannigfaltigen Rhythmen, bietet[38] den Verseinschnitten so passende Worteinschnitte dar, und trägt so weit mehr den Charakter der tönenden Natur als einer einzelnen menschlichen Empfindungsart, wie z.B. die Lateinische in der Feierlichkeit, die Italienische in der Weichheit, die Englische in der Kraft ans Herz zu gehn und zu rühren an sich.

Auf welche Weise nun wäre dies möglich, wenn man nicht annähme, dass ein grosses, noch ausserdem in verschiedene Stämme getheiltes, unendlich lebhaftes, ewig schwatzendes und singendes Volk von einem von Natur auf Rhythmus und Wohlklang gerichteten Sinne beseelt gewesen sey? Nur in dem Munde eines solchen Volks konnten sich die Härten zusammenstossender Silben, die ganz andre Grundsätze, als die des Ohres, zusammenführten, abschleifen, mussten sich von selbst Laute zusammenziehn und verlängern.

Das hauptsächlichste und ursprüngliche Streben des griechischen Rhythmus geht auf Fülle und Reichthum leichtgeregelter Elemente, und wenn man mit dem vorhin über die Empfindung Gesagten einig ist, dass nemlich, wo sie den Impuls giebt, die Form mehr nakt und trocken dasteht, so sieht man, dass dies Streben zugleich, wie überall bei den Griechen, ein Streben aus sich heraus, nach der Natur hin, nach der Annäherung an ihr allbelebendes Princip ist.

Denn es ist immer dasselbe Suchen des Unendlichen im Endlichen, der Gottheit im Irrdischen, da einmal unläugbar ist, dass in diesem mehr als bloss Irrdisches liegt und dieses Mehr doch nur der Begeisterung zugänglich ist. Ueberall bezeichnet dieser Trieb nach dem Göttlichen den Griechischen Charakter. In den edlen Bestrebungen der Einzelnen und des Volks stellt er sich in seiner ganzen Schönheit dar; aber noch in den ganz unbedeutenden, selbst in den Fehlern und Verirrungen waltet sein Schattenbild, wie Herkules Schatten in der Unterwelt umherwandelt, indess er selbst unter den Himmlischen thront. Nichts aber bringt dem unerreichten Höchsten so unmittelbar nahe, als Musik und Rhythmus, da in der bildenden Kunst die Beschränktheit auf einen bestimmten Gegenstand immer hinderlich ist, und die Alten hatten nun zugleich, was sie allein dem Wohllaut[39] ihrer Sprache verdankten, den Vortheil geradezu mit dem Ausdruck des Gedankens eine so wundervolle Musik verbinden zu können, dass ihnen die Trennung der Poesie und Musik fremd blieb, die ohne ein Zeitalter, das zu arm an Gedanken und Sprache war, um einer würdigen Poesie fähig zu seyn, und zu reich an durch Frömmigkeit gesteigertem Gefühl um sich mit dürftiger Musik zu behelfen, vielleicht nie entstanden wäre.

Die griechischen Silbenmasse leiden daher mit den unsrigen, ihnen nicht geradezu nachgebildeten, ganz und gar keine Vergleichung. Jene sind wirkliche Musik, diese oft nur eine Künstlichkeit, die erst durch das Genie des Künstlers zur Kunst erhoben werden muss. Selbst mit der Nachbildung derselben hat es seine Gränzen. Denn es lässt sich immer vorzüglich nur die Gesetzmässigkeit der Organisation, nicht die Fülle und Schönheit der Elemente nachbilden, und gerade in dieser liegt, wie wir gesehen haben, das wichtigste Moment bei der Wirkung derselben.

In demselben Geiste, welcher in dem Rhythmus der Griechischen Poesie herrscht, ist nun auch der Inhalt bearbeitet, nemlich so, dass auch hier alles der Form untergeordnet ist; nur wird gerade dadurch die Behandlung beinahe plastisch.

Denn es ist, als ginge der Zweck aller Griechischen Dichter nur dahin, das Menschengeschlecht, in seinem Gegensatz und seiner Gemeinschaft mit den Göttern, und zugleich mit ihnen untergeordnet dem Schicksal, als Eine kolossale Gestalt darzustellen. So mächtig und so rein strebt alles dahin zusammen.

Alles zu Individuelle wird daher verschmäht, und mit Fleiss vermieden. Nicht der Einzelne, sondern der Mensch soll auftreten in den bestimmt geschiedenen, aber einfachen Zügen seines Charakters.

Selbst diese Züge sind schon in der Dichtung, wie in der Plastik, unveränderlich festgesetzt. Man denkt nicht darauf, sie zu vervielfachen, sondern nur sie dem Gemüth anders und anders einzuprägen. Auch hat die Dichtung ebenso einen bestimmten Kreis, und die ernsthafte steigt nicht in das bürgerliche und gemeine Leben herab.[40]

Der Gedanke hält sich, wie die Empfindung innerhalb derselben allgemeinen, unbestreitbaren Klarheit und Evidenz. Wie in jener das zu Partikulaire, so wird in dieser das zu Abstracte vermieden.

Aber in diesem so bestimmten Umfang alles, was Tiefe, Klarheit, Sinnlichkeit und Idealität in ihrem lebendigsten Zusammenwirken hervorzubringen vermögen.

Die Tiefe ist nicht eine durch Nachdenken ergrübelte, sondern die, welche sich, so zu sagen, von selbst aufthut, so wie das Gemüth auf die rechte Weise erschüttert wird.

Die Klarheit ist keine solche, die was dunkel oder verwickelt scheint entfernt, sondern die, welche den reichsten und gehaltvollsten Stoff bestimmt aus einander legt.

Die Sinnlichkeit beruht nicht bloss auf dem Reichthum sinnlicher Gegenstände und Bilder, sondern auf der weisen Behandlung derselben, welche die dem Sinn nur hinderliche Ueberladung hinwegschneidet, und auf der Wahl, die gerade diejenigen heraushebt, die allgemein auf gleiche Weise empfunden werden.

Die Idealität endlich geht zwar grossentheils aus der hohen und edlen Ansicht, den Menschen immer mit den Göttern zusammenzuknüpfen, aus der Methode ihn immer auf Standpunkte zu stellen, wo die Einbildungskraft schon gewohnt ist, alles Kleinliche und Gewöhnliche zu verbannen, und aus dem unaufhörlichen Zurückkommen auf die tiefsten und eingreifendsten Reflexionen, aber noch ausserdem ganz vorzüglich aus der Kunstmässigkeit der ganzen Anordnung hervor.

Denn alles hier Geschilderte arbeitet allein darauf hin, die Wirklichkeit, so rein und so treu als möglich, zum Symbol der Unendlichkeit zu machen; indem man einestheils nur das an ihr heraushebt, was vorzüglich fähig ist, die sich in ihr ausprägende Idee darzustellen, und anderntheils das Gemüth stimmt in ihren Zügen nur diese Idee zu erkennen.

Alle Dichtung, die sich, erreichte sie auch von gewissen Seiten einzelne Vorzüge vor ihr, von der Griechischen entfernt, oder hinter ihr zurückbleibt, geht entweder zu einseitig[41] auf die Idee, oder klebt an der Wirklichkeit, oder hat nicht Kraft diese mit voller Sinnlichkeit noch symbolisch zu erhalten. Die Eigenthümlichkeit der Griechischen ist, nur darauf gerichtet zu seyn, und alle Mittel, diesen Zweck zu erreichen, zu besitzen, wozu, um es mit Einem Worte zu sagen, gehört, den Typus der die ganze Schöpfung belebenden Kraft zu fühlen. Denn dieser Typus besteht darin, den jedesmaligen Moment der Wirkung nicht als für sich bedeutend und isolirt, sondern als Ausdruck der ganzen Unendlichkeit der Kraft gelten zu lassen, deren schon entwickelte Aeusserungen er als Resultat in sich trägt, und deren noch nie gesehene er in seiner Idee andeutet.

3. an der Religion.

Der Geist der Griechen offenbart sich theils in der Beschaffenheit ihrer Religion, theils in der Art, dieselbe zu gebrauchen.

In beidem wird klar, dass der Grieche sich überall zum Uebersinnlichen erhob,

dass er dies nicht bloss aus abergläubischen Beweggründen, sondern aus reiner Freude an Ideen that, denen er durchaus freies Feld liess,

dass er die Natur des Uebersinnlichen in den reinen Ideen suchte, die in der That die Wirklichkeit, wie grosse und ewige Gesetze beherrschen,

dass er aber endlich doch mit ihnen wiederum auf wundervolle Weise die lebendigste Sinnlichkeit verband, und also auch hier

symbolisch blieb.

Dass den Griechen die Religion nicht bloss ein ärmliches Bedürfniss des Aberglaubens war, sondern dass sie ihren ganzen Geist und ihren ganzen Charakter in dieselbe verwebten, dass der Einzelne dazu in sich Bestreben fühlte, und die Staaten Freiheit gewährten, zeigt sich, wenn man sieht, wieviel der Grieche eigentlich in seiner Religion fand.

1., den eigentlich religiösen und moralischen Gehalt, vor allem die Scheu vor dem Unbegreiflichen, Uebersinnlichen, ohne die an keine wahre Grösse und Schönheit des menschlichen Wesens gedacht werden kann.[42]

2., eine lebendige Welt von Wesen, die, ihrer ganzen Beschaffenheit nach, Menschen bloss von ihren Mängeln frei sind. Ja selbst von diesen noch das an sich tragen, was gross, stark und üppig ist, und nur auf eine wunderbare Weise das moralisch Misfällige daran durch die eine Voraussetzung, dass sie Götter sind, austilgen. Der ächt Griechische Geist kennt im Olymp keine moralische Imputation, die Götter sind ihm nur blosse Symbole der Naturkräfte in ihrem freien Walten; sind die Kinder der Unendlichkeit und hinweg über den traurigen Ernst des Erkennens des Guten und Bösen, aus welchem der Begriff der Schuld entspringt. Von der Zeit an, da besonders Philosophen (denn der Scherz der Dichter glitt unschädlich ab) gegen die Immoralität der alten Götter eiferten, wie zuerst Socrates und Plato that, war es um die Unschuld des Griechischen Geistes geschehen, und bald darauf erhielt auch Kunst und Poesie einen tödtlichen Stoss, in dem sie um ihren Ernst und ihre Wahrheit gebracht wurden. Denn übrigens ruhte das ganze Gebiet der Kunst so auf der Religion, als seiner Grundlage, dass beide sich wechselsweis in einander wiederfanden.

3., dunkle, aber selbst dadurch nur mächtiger wirkende Ideen über die Zusammenfügung und die Entstehung des Weltalls. Denn wenn man auch die spätere, oft kindische und kleinliche Allegorie absondern muss, so liegen doch gewisse Urbegriffe davon unläugbar auch in den ältesten Vorstellungsarten zum Grunde.

4., ihre vaterländische Geschichte und die ganze Summe ihrer Weltkunde und Tradition.

Auf diese Weise war die Religion der Griechen ein Inbegriff aller tiefen und verborgnen Geheimnisse in der moralischen, physischen und historischen Welt, in dem Kunst, Philosophie und Volksglaube sich die Hände reichten, und wo die dichtende Phantasie, die grübelnde Speculation, und die allegorisirende Mystik gleich grossen Reiz fanden, tiefer und tiefer einzugehen.

Die einzige Idee schon, dass an der Spitze von Allem ein Schicksal stand, dem Menschen und Götter gleich unterworfen waren, und das nach durchaus blinden und unverstandenen[43] Rathschlüssen herrschte, gab der Religion für ein Volk von Griechischem Geist und Griechischer Empfindung eine unergründliche Tiefe. Sie zog dieselbe von dem Himmel, als einem abgesonderten, uns unzugänglichen Sitze herab, und senkte sie mitten in die Natur, aus deren wundervollen Kräften und ihrem räthselhaften Zusammenwirken doch nur jenes unverstandene Schicksal hervorgehen konnte. Sie führte den Geist von der unseligen, alles zerstörenden Methode ab, alle Erscheinungen der moralischen Welt erklären, alles Wunderbare abschneiden, überall menschlicher Weise Wirkung aus Ursach herleiten zu wollen, unter dem Namen des Zufalls übersehene, nicht beobachtete anzunehmen, und das ewige Wirken der Urkräfte zu verkennen. Sie widersetzte sich eben so sehr derjenigen, welche, die Gottheit aufs mindeste um Vieles verkleinernd, eine ewig Unglück zu Glückseligkeit wendende Vorsehung annimmt, und unter dem Scheine die Gottheit zu ehren, einer unaufhörlich vor Schmerz zitternden Kleinmüthigkeit fröhnend, die Menschheit herabwürdigt. In der Idee des Schicksals wurde frei und ohne Rückhalt das Wunder angenommen, durch welches ewig fort die Welt dauert und wirkt, und mit Muth der Gedanke umfasst, dass das menschliche Daseyn ein hinfälliges, schattenähnliches und jammervolles, aber mit grossen und reichen Freuden durchsäetes ist, und durch die Erhabenheit eben dieser Idee löste sich die Unruhe und der Schmerz, den diese Betrachtung erwecken musste, in milde Wehmuth auf. Kein Volk hat das Gefühl der Melancholie so zu steigern gewusst, als die Griechen, weil sie in der lebendigsten Schilderung des Wehs dem üppigsten Genuss sein Recht nicht versagen und dem Schmerz selbst Heiterkeit und Grösse zu erhalten verstehen. Um hiermit durchaus einverstanden zu werden, erinnere man sich nur, ein wie viel besserer Trostgrund das Homerische: auch Herakles Kraft entfloh nicht dem Tode! als die unsrigen sind, die, dem Schmerze zum Hohne, jedes Unglück in ein Gut verwandeln; und wie lebendig selbst in den wehmüthigsten tragischen Chören doch die Lust zu Licht und Luft und Leben ausgesprochen ist, und berichtige die Ideen[44] über Glück und Unglück, Heiterkeit und Melancholie. Wenn man die letztere mehr in den Neueren findet, so verwechselt man das Physische, Unidealische mit dem Stärkeren und Höheren.

Auch ist es nicht richtig (und dies verdient hier vor Allem Beherzigung), dass der Mensch nur immer nach Genuss und Glückseligkeit jagt. Sein wahrer Instinct, seine tiefe, innere Leidenschaft ist, seine Bestimmung, und sey es auch eine unglückliche zu erfüllen, wie die Raupe sich einspinnt und andre Thiere auf andre Weise ihrem Tode entgegeneilen. Es giebt kein höheres, thätig und leidend starkes und mit edler Scheu vor einer übersinnlichen, alles beherrschenden Macht ergebenes Gefühl, als das, in dem Hektor ausruft: denn es kommt einst der Tag, an dem die heilige Ilios sinkt! und doch keinen Augenblick vom muthvollsten Kampfe ablässt.

Ein zweites, überaus wichtiges Moment ist es, dass die Religion nicht in einer Reihe erweisbarer oder geoffenbarter Wahrheiten bestand, sondern ein Inbegriff von oft widersprechenden Sagen und Ueberlieferungen war. Das Suchen nach religiöser Wahrheit, das aus der moralischen Unruhe des Gewissens, oder der intellectuellen, die durch den Zweifel erregt wird, entspringt, war den Alten, wenigstens in ihrer schönsten Eigenthümlichkeit, fremd. Ihre Religion war dem Volke von der einen Seite blosser Opfer und Götzendienst, von der andern Theil der Staatsverfassung, des öffentlichen und häuslichen Lebens, und allen, die sich über das Volk erhoben, Beschäftigung mit einer überirrdischen Welt, die jeder nach der Natur seines Geistes sinnlicher und geistiger, buchstäblicher und symbolischer ansehen, in die er durch das Thor der Kunst und der Philosophie, der Wissenschaft und der Geschichte eingehen konnte. Die Griechen selbst wussten sehr gut, dass ein grosser Theil ihrer Mythen fremden Ursprungs war, und sie besassen daher in denselben die dunkel ausgesprochene Weisheit aller Völker, die Versuche, das Stammeln der Menschheit das Unendliche auszusprechen. Was isolirt nothwendig hätte verlieren müssen, hüllte sich nun in die Ehrwürdigkeit der Zeit, der ältesten und entferntesten Nationen.[45]

Aber der Grieche goss alles Fremde immer in seine Eigenthümlichkeit, erst in den späteren Zeiten Griechenlands und Roms wurden fremde, von dem Aberglauben herbeigeführte Götterdienste ohne Verbindung neben einander aufgestellt. Er liess sogar alles von sich ausgehn und machte Delphi zum Nabel der Welt, auf dem die von Zeus zu zwei Seiten ausgeschickten Adler zusammentrafen. Alles dadurch sich und seiner Empfindungsart näher bringend verstärkte und belebte er die Wirkung auf die Einbildungskraft und das Gemüth.

Der Grieche sahe alle seine Götter, mehr oder weniger, als Söhne des Bodens an, den er bewohnte; es hatte für ihn eine Zeit gegeben, in welcher sie unter den Menschen umherwandelten; sie waren grossentheils unter ihnen gebohren, und man zeigte selbst einiger Grab. Die nüchterne Erklärung, dass die Götter aus Dankbarkeit vergötterte Menschen waren, gehört nur den Späteren an. Der frühere und schönere Glaube fragte nicht nach der physischen Möglichkeit oder der historischen Wahrheit. Er dachte sich eine Zeit, wo die Elemente der Schöpfung noch nicht so geschieden, die Lose noch nicht so regelmässig vertheilt waren, wo sich der Olymp und die Erde noch mit einander vermischten, und jeder Stamm verwebte diese Zeit in die Geschichte seiner Vorväter. Dies unmittelbare Walten der Naturkräfte wurde nicht einmal für durchaus geendigt gehalten; es dauerte einzeln noch fort, und ward nur in entfernte oder einsame Gegenden versetzt.

An das Leben der Götter auf Erden knüpft sich unmittelbar das Geschlecht der Heroen an, ihre Geschichte und ihr Dienst. Die Aegypter kannten diese nicht.

Wohl alle Nationen haben Menschen in den Himmel, und ihre Götter auf die Erde versetzt, mehrere haben vergötterte Menschen den Göttern gleich gestellt oder untergeordnet. Aber dass keins dies so weit ausgedehnt, so genau ausgesponnen, so tief in alle seine Umgebungen verwebt, keins so für die Bereicherung der Kunst und der Dichtung und die Belebung des Nationalgeistes benutzt hat, als die Griechen, zeigt, dass nur sie ein ewig lebendiges Streben besassen, zu[46] dem Höheren und Ueberirrdischen überzugehen, und es in edle und schöne Formen der Anschaulichkeit zu prägen.

Wie die Religion der Griechen auf der einen Seite auf die eben gesagte Weise eine gewissermassen üppige und überschiessende Ausbildung durch die künstlerische Einbildungskraft erhielt, so bekam sie bald durch ein tieferes Bedürfniss nach Religiosität, bald durch Philosophie und Forschungsgeist eine zweite von einer anderen Seite durch die Mysterien. In ihnen wurde die Fabel durch sonst verborgen gehaltene Mythen erweitert, zugleich aber auch oft durch freiere Aufdeckung ihres Ursprungs berichtigt; es entstanden allegorische Vorstellungen, welche die reineren vorbereiteten; die ersten Keime wahrer Religionsbegriffe kamen empor; und zugleich bildete sich ein Begriff einer höheren moralischen und religiösen Heiligkeit, als der gewöhnliche Götterdienst forderte. Alles dies aber blickte im Leben, bei Dichtern, Philosophen und Geschichtschreibern nur immer wie durch einen Schleier durch, und belebte dadurch in einem von selbst gern die Sinnlichkeit zum Symbole erhebenden Volk immer aufs neue theils diesen Trieb, theils das intellectuelle Streben überhaupt.

Merkwürdig ist es noch, dass die Religion der Kunst so unbeschränkte Freiheit liess, und sie nicht, wie wenigstens zum Theil in Aegypten der Fall war, an eine gewisse Strenge der Form oder ein festes Costüm band; dass ferner so viele Geburten des Aberglaubens von Hexenkünsten, Gespenstern und bösen Geistern, von denen man doch auch vielfältige Spuren antrift, schlechterdings keinen Theil der Kunst durch abentheuerliche, oder gar fratzenhafte Behandlung entstellten.

Für den rohen Menschen ist die Religion immer, mehr oder minder, Götzendienst; der besserer Empfindungen fähige schöpft daraus Ueberzeugung, Gesetz und Hofnung. Dies ist das eigentlich religiöse Bedürfniss. Aus diesem entstehen in Familien und Völkern Ueberlieferungen und Gebräuche; diese benutzt der Staat und wendet sie zu seinen Zwecken. Insoweit sind die Religionen aller, besonders der älteren Völker einander gleich.[47]

Die Eigenthümlichkeit des Griechen in seiner Religion zeigt sich darin, dass er so weit über dies blosse Bedürfniss herausging, sich aus der Religion ein eignes Feld für seinen Hang zum Ueberirrdischen machte und dies auf eine mit seiner Kunst, und seiner Dichtung harmonische Weise, versinnlichend und symbolisirend und sich immer in den Schranken wahrer, nur vergrösserter und idealisirter Menschheit haltend, that, dass der Staat ihm hierin so viele Freiheit gab, dass die Griechische Religion nur Volks, nie Staatsreligion heissen darf, und dass er diese Freiheit nie misbrauchte.

Um dies ganz zu fühlen erinnere man sich an das Ungeheure und Unästhetische so vieler Religionen des Orients und selbst zum Theil der Aegyptischen, an den Zwang ihrer Priesterkasten, die strenge Verwebung von Gesetz und Gottesdienst bei den Römern, die Dürftigkeit und Trockenheit ihrer Götter und Fabellehre, und die durch die schändlichsten Ausschweifungen gerechtfertigte Verfolgung einiger Mysterien. Bei den Griechen mag nicht leicht nur ein einziges Beispiel gemisbrauchter Mysterien vorkommen.

4. an den Sitten und Gebräuchen.

Aus diesem weiten Felde ist es nur möglich einige einzelne Punkte herauszuheben.

Diodor von Sicilien bemerkt an einem Ort, dass die Aegypter nicht Musik noch Palästra trieben, und an einem andern sagt er: Jolaus richtete Gymnasien und Göttertempel und alles andre ein, was zur Glückseligkeit der Menschen gehört, und man findet noch Spuren davon. Verehrung der Götter also, und Ausbildung des Körpers zu Schönheit und Kraft machten die ersten Bedürfnisse der Griechischen Menschheit aus. Rechnet man dazu nun noch die Musik in der Ausdehnung, in der sie die Griechen nahmen, und die Akademieen der Philosophen, so sieht man, dass die Griechen ausser ihrem öffentlichen und häuslichen Leben noch ein drittes hatten, das keine andre Nation in dieser Ausdehnung kannte, noch in diesem Grade benutzte. Denn das Eigenthümliche davon liegt darin, dass es sich mit Dingen beschäftigte, die nicht unmittelbar auf[48] einen äusseren Zweck gerichtet waren, dass es frei war von den Fesseln des Staats und der Gesetze, und doch fortdauernd um einen grossen Theil und zwar der gebildetsten Bürger Bande schöner Geselligkeit schloss, in der Alter und Jugend eine gleich passende Stelle fanden. Auffallend contrastirt hiermit der Müssiggang einiger Orientalischer Völker, der Kastenzwang der Aegypter, und die einseitige Richtung auf Krieg, Rechtskunde und Ackerbau der Römer.

Der Werth, den die Griechen auf einen frei ausgebildeten Körper legten, zeichnet sie vor allen Nationen aus. Es liegt darin der feine und tiefe Sinn, dass das Geistige nicht von dem Körperlichen getrennt werden, sondern sich in ihm aussprechen muss, und dass der freie Mensch nicht sich der Beschäftigung, sondern diese sich unterzuordnen bestimmt ist, und diese Sorgfalt, diese Ansicht, körperliche Stärke und Behendigkeit zu ehren, wurde durch zwei Dinge bis in die spätesten Zeiten unterhalten, durch das Andenken an die vaterländischen Heroen, und durch den Ruhm der Sieger in den öffentlichen Spielen.

Diese Sitte, den Olympischen Kranz höher zu achten, als den ernsthaftesten Sieg und das nützlichste Bestreben, dies Schattenbild des Ruhms bloss aus dem Alter der Spiele, der Ehrwürdigkeit ihres Stifters, den damit verknüpften heiligen Feierlichkeiten, dem Zusammenströmen aller griechischen Völker, dem lauten Beifall der sich unter einander entzündenden Menge zusammenzusetzen, zeugt lebendiger, als sonst irgend etwas, für die sinnlich idealische Natur der Griechen, so wie für ihre schlichte Einfachheit, dass der älteste und einfachste Kampf, der Lauf zu Fuss, immer bis zu den spätesten Zeiten so sehr der geehrteste blieb, dass jede Olympiade nach dem Sieger in ihm den Namen trug, und nie von dieser Stelle durch die Pracht und den Reichthum der Viergespanne verdrängt wurde.

An diese Art des Lebens schlossen sich nun und aus derselben entsprangen zwei andere, auch nur den Griechen vorzüglich eigene Dinge: gesellige, selten ganz von Philosophie, Dichtung und Kunst entblösste Feste, und Liebe zu schönen Jünglingen.[49]

Der letzten wird niemand geradezu das Wort reden. Aber im höchsten Grade merkwürdig bleibt es, welchen Gebrauch die Griechen von einer Leidenschaft machten, die nun in ihrer eigenthümlichen Lage einmal leicht entstand, und wie sie dieselbe benutzten, statt zu schaden, vielmehr eine Quelle schöner und grosser Gefühle und Ideen wurde. Dass sie aber hierin von einer gewissen Pedanterei und Gravität der Sittlichkeit frei waren, dass sie der Laune der Einbildungskraft, selbst der Ueppigkeit der Begierde ein freieres Spiel Hessen, zeigt gerade, wie sie, nicht einseitig in bestimmte Formen gegossen, gern die Stufenleiter aller menschlichen Empfindungen durchgingen, aber sie immer zum Edleren und Höheren führten.

Man hat die Knabenliebe oft aus der geringen Ausbildung des weiblichen Geschlechts herleiten wollen. Allein es möchte schwer zu beweisen seyn, dass diese wirklich so gering gewesen sey. Die Geschichte bietet Beispiele genug dar, dass Weiber theils im Ganzen sich für ihr Vaterland thätig bewiesen, und im Einzelnen in mehr als Einer Gattung hohes Talent verriethen. Ich würde daher jenen Geschmack mehr aus einer grösseren, gleichsam überschiessenden Fülle der Griechischen Sinnlichkeit und äusserlich aus dem Umstand erklären, dass, da der gesellige Umgang des Griechen vorzüglich durch die natürlich allein den Männern ofnen Gymnasien und Philosophenschulen entstand, die Frauen davon, so oft derselbe sich nicht auf die nächsten Verwandten beschränkte, ausgeschlossen blieben.

Uebrigens waren aber unsinnige Prachtliebe und Ausschweifungen bei den Griechen bei weitem nicht so herrschend, als im Orient und bei den Römern. Ein gewisser von Natur feinerer Geschmack und ein mehr lebendiger Trieb, die Sinnlichkeit durch Kunst zu läutern und zu verfeinern, bewahrten sie vor diesen Abwegen.

Indess ist es nicht zu läugnen, dass das weibliche Geschlecht in Griechenland einer geringeren Achtung genoss, und dass sich hierin der Römer bei weitem edler bewies. Ich glaube nicht, dass dies durch einen stärkeren Einfluss, den[50] morgenländische Sitten in Griechenland ausübten, entstand. Denn im Heroenalter verhielt es sich damit in hohem Grade anders, und ich sehe nicht, woher in der Folge jener Einfluss entsprungen wäre. Die an sich auffallende Erscheinung kann, dünkt mich, hinreichend daraus erklärt werden, dass die Griechen in der Zeit ihrer Volksregierungen weder ein patriarchalisches, noch ein politisches, sondern recht allgemein ein menschliches Leben führten. Ehe aber Sittlichkeit und Empfindung, die allein eigentlich das wahre Verhältniss der Geschlechter zu einander bestimmen können, eine so überwiegende Ausbildung erhielten, als ihnen die neuere Zeit besonders durch die christliche Religion und die Rittersitten gegeben hat, kann die Achtung der Frauen nur aus dem Werth entspringen, den man auf die Familienverbindung legt, und dieser ist nur in jenen beiden vorher genannten Zuständen gross. Der Grieche betrachtete alle äusseren Verhältnisse mit mehr Leichtigkeit, war minder streng in seinen Federungen, aber auch minder pünktlich in seinen Leistungen. Waren die Griechischen Frauen weniger geachtet, als die Römischen Matronen, so verdammte sie dagegen auch das Gesetz nicht zu einer so unbeschränkten Knechtschaft gegen den Mann.

Das weibliche Geschlecht ist dergestalt an seine ursprüngliche Naturbestimmung gebunden, dass es die Frage ist, ob das zarteste und edelste Verhältniss desselben zu dem männlichen, für welches man ohne Partheilichkeit das heutige ausgeben kann, anders entstehen konnte, als indem man vorher durch ein einseitiges und gewissermassen unnatürliches durchging.

Aus den beiden so eben erwähnten Eigenschaften des Griechen, in den äussern Verhältnissen des Lebens minder mit Härte dringend zu seyn, und in seinen Vergnügungen, bis selbst in wahre Ausschweifungen seiner Sinnlichkeit hinein, mehr Mass zu halten und einen feineren Geschmack zu beweisen, muss man die sanftere Behandlung herleiten, deren seine Sklaven genossen. Doch waren freilich hier, wie in so vielem Andern die verschiedenen Griechischen Stämme einander nicht wenig ungleich.[51]

5. an dem öffentlichen und Privatcharakter und der Geschichte.

Der politische Charakter der Griechen ist oft und nicht mit Unrecht ein Gegenstand des Tadels und selbst des Spottes gewesen. Er bewies, vorzüglich bei den Atheniensern, unläugbar Mangel an Stätigkeit und oft nicht geringen Leichtsinn.

Indess verläugneten sich doch niemals zwei Dinge in demselben: Anhänglichkeit an Volksgleichheit und vaterländischen Ruhm.

Die Bedrückung der niedrigen Bürger durch die vornehmem, und der Armen durch die Reichen war den Griechischen Staaten durchaus fremd, und schlich sich in keiner Zeit ein.

Untergang der Freiheit in einheimischer und fremder Tyrannei hatte zwar von Zeit zu Zeit Statt, aber niemals auf eine daurende Weise, und wenn man sich fragt, was eigentlich im Ganzen namentlich in Athen immer herrschend blieb, so war es Demagogie, also zwar Herrschaft, aber durch das Volk selbst. Selbst gegen fremde Uebermacht regte sich der alte Freiheitsgeist immer wieder, und kein andres Volk kann leicht einen so hartnäckigen, ohne alle auch die mindeste Wahrscheinlichkeit eines günstigen Erfolges geleisteten Widerstand aufweisen, als Athen in seinem letzten Kampfe den Römern unter Sylla entgegensetzte.

Auch ist nicht zu übergehen, dass die Griechen sehr gut den Werth einer edeln Abstammung und grosser Reichthümer kannten, ohne dennoch weder das eine, noch das andre dieser Gefühle im öffentlichen oder im Privatleben zu misbrauchen.

Unter der Mannigfaltigkeit von Charakteren, die eine aus so vielen Stämmen zusammengesetzte Nation in einer Reihe von Jahrhunderten nothwendig aufweisen muss, lassen sich einige auszeichnen, die vorzüglich die Eigenthümlichkeiten ihrer Nation an sich tragen.

In der edelsten Art thun dies Aristomenes, den noch gewissermassen der Glanz des noch nicht zu fernen Heldenalters umgiebt, Epaminondas, der Milde und Zartheit mit[52] edler Ruhmbegierde und tiefem Edelmuth verband, und Philopömenes, der zeigte, was ein grosser Charakter noch in der Entartung vermochte.

Unter den glänzenden Charakteren, die den (besonders Atheniensischen) Nationalgeist selbst in ihren Fehlern verriethen, waren Perikles und Alcibiades.

Dagegen stechen Aristides, Cimon, Phocion und andere so ab, dass man kaum begreift, wie sie derselben Nation angehören konnten.

Endlich in dem Sinken der Griechischen Staaten darf man die Feigheit, leere Anmassung, Schmeichelei und Charakterlosigkeit nicht vergessen, welche unter den Römern der späteren Zeit selbst den Griechischen Namen verächtlich machte.

Eine Schilderung der Eigenthümlichkeit des Griechischen Nationalcharakters müsste alle diese Verschiedenheiten umfassen, oder wenigstens ihre Möglichkeit zu erklären im Stande seyn. Wir wollen eine solche mit wenigen Worten hier anzugeben versuchen:

in dem Griechen waltete die natürlich gelassene, nicht auf irgend etwas beschränkte, noch an etwas Einzelnes gebundene Menschheit reiner und einfacher, als in irgend einer andern Nation.

Er war ofner gegen alle Eindrücke der Aussenwelt und vorzüglich empfänglich für die auf Sinnlichkeit und Einbildungskraft.

Seine inneren Kräfte waren immer rege, den Eindrücken entgegenzuwirken, und zwar in eben der Art, in der diese geschahen.

Er liess dem Eindruck Weile und übereilte ihn nicht; er lieh der inneren Thätigkeit Schnelligkeit und verzögerte sie nicht. Dadurch gewann er in der Ansicht Klarheit und Anschaulichkeit, und in dem Wirken Leben und Feuer.

Er hatte dieses letzteren (und darin liegt vorzüglich der Schlüssel von Allem) so unglaublich viel, dass es ihm schon darum unmöglich wurde, von irgend einer Seite in Materialität zu versinken, die immer die Kraft abstumpft, dass er dadurch das natürliche Gleichgewicht in sich erhielt, weil[53] die stärkere Kraft sich einem innern Instinkte gemäss von selbst in den Mittelpunkt versetzt, den die einseitige flieht, weil sie ihn nicht zu füllen vermag, und dass sie, um sich nicht in ihrem Streben gehemmt zu sehen, sich lieber an die leichter zu verknüpfende sinnliche Welt hielt, als sich zu sehr in die noch tiefer liegende versenkte; wodurch er, nach den verschiedenen Stufen seines Werthes und seiner Bildung bald chimärisch und prahlerisch, bald ruhmbegierig und heldenmässig, bald erhaben und idealisch im Denken, Dichten und Bilden wurde.

Die Angeln seiner wundervollen Eigenthümlichkeit sind also die Intensität dieser kraftvollen Beweglichkeit, und ihre natürlich richtige und gleichförmige Stimmung, die ihn im Aeussern zu Klarheit und Richtigkeit, im Innern zu Festigkeit, Consequenz und der höchsten Klarheit des inneren Sinns, der Idealität fähig machte.

Auf diese Weise konnte der Griechische Charakter die sonst unbegreiflichsten Widersprüche in sich vereinigen:

auf der einen Seite Geselligkeit und Trieb nach Mittheilung, wie ihn vielleicht keine Nation je gekannt hat, auf der andern Sucht nach Abgezogenheit und Einsamkeit;

auf der einen beständiges Leben in Sinnlichkeit und Kunst, auf der andern in der tiefsinnigsten Speculation;

auf der einen den verächtlichsten Leichtsinn, die ungeheuerste Inconsequenz, die unglaublichste Wandelbarkeit, wo die Beweglichkeit und Reizbarkeit allein herrschten, auf der andern die musterhafteste Beharrlichkeit und die strengste Tugend, wo sich ihr Feuer, als ernste Kraft, in den Grundvesten des Gemüths sammelte.

Vorzüglich aber begreift man, wie bei einem solchen Charakter Begeisterung für Vaterland, Freiheit und Griechischen Ruhm mächtig seyn mussten, da sich in diesem Gefühl die natürlichsten und ursprünglichsten Empfindungen der Menschheit, die glänzendsten Bilder der Einbildungskraft und die erhabensten Ideen des Gemüths verbanden.

Ganz und gar entbehren aber auch die Griechen derjenigen Vorzüge, die man nur durch Isolirung der Kraft erhält.

Das hier Vorgetragene wird vielleicht durch eine kurze[54] Entgegenstellung der Griechen und der cultivirtesten Nationen nach ihnen noch deutlicher und bestimmter.

Am ähnlichsten im Ganzen, aber am unfähigsten sie in einzelnen Theilen ihres Charakters zu erreichen, und beides in höherem Grade als die alten Römer sind ihnen die Italiäner.

In die Hauptelemente ihres Charakters sich getheilt haben, und ihnen in diesen Theilen so ähnlich, dass sie sich gegenseitig der grössesten Unähnlichkeit mit ihnen beschuldigen, sind die Franzosen und Deutschen. Jene haben von ihnen die Reizbarkeit, Beweglichkeit und das Dringen auf eine (nur bei ihnen bestimmte, fast conventionelle) Form. Diese die Freiheit von Einseitigkeit, die Richtigkeit in der äusseren Ansicht, die Tiefe im Innern, das Streben nach Idealität, nur oft ohne hinlängliches Feuer, und immer mit mehr Streben nach dem innern nur äusserlich ausgeprägten Gehalt, als der sinnlichen Form. Obgleich aber beide Nationen die Aehnlichkeit nur unvollständig darstellen, so liesse sich nie eine Verbindung beider zur Vervollständigung des Bildes denken. Vielmehr gehen beide durchaus von einander ab, und beide leisten auch am Ende etwas von der Griechischen fast gleich entfernt Liegendes, nur gelangen die Deutschen zu etwas, das dem Sinne des Griechen näher, vielleicht sogar höher, als das von ihm Erreichte, aber eben darum eigentlich unerreichbar ist, da die Franzosen durchaus auf Abwege gerathen und unter dem Erzielten und dem wirklich Erstrebten bleiben.

Dem Griechen schlechterdings unähnlich sind der Römer in seiner politischen, der Spanier in seiner schwärmerisch überspannten, und der Engländer in seiner düster sentimentalen stoffartigen Einseitigkeit. Doch zeigt der letztere seine Verwandtschaft mit dem Deutschen dadurch, dass er in seiner politischen Beredsamkeit und seiner oft gleichfalls dahin gerichteten Satyre den Griechen als den Römern näher steht, der Franzose hingegen sich nie über die Nachahmung der Römer erhebt.

Die Geschichte der Griechen ist mehr, als irgend etwas Anderes ein triftiger Beweis des hier über den Charakter der[55] Nation Gesagten. Denn sie verräth überall, dass die öffentlichen Begebenheiten Griechenlands nur ein Resultat des Zusammenwirkens des eben geschilderten Charakters mit den jedesmaligen Umständen waren.

Man kann sie in vier Perioden abtheilen, in denen sie vorzüglich eine verschiedene Gestalt annimmt.

Vor den Persischen Kriegen fielen überaus wenig merkwürdige Begebenheiten vor; die Staaten bedurften Müsse und Zeit um sich mit ihren nächsten Nachbarn in Gleichgewicht zu setzen, und sich eine etwas dauerhafte Verfassung zu geben.

Während der Persischen Kriege verschlang die gemeinschaftliche Vertheidigung des Vaterlandes jede andere Sorge.

Den Zwischenraum zwischen diesen Kriegen und der Macedonischen Uebermacht nahm die Eifersucht der Athenienser und Lacedämonier ein, bei der sich aber, ausser dem Streit über die Oberherrschaft Griechenlands, noch Hass und Wetteifer der kleineren Staaten gegen einander auf vielfältige Weise zugleich mit offenbarte.

Von Philipp an war die Zeit der Entartung, Ohnmacht und Verräth brachte nach und nach alle Staaten unter das Joch des gemeinschaftlichen Feindes, und von Zeit zu Zeit schüttelte nur augenblicklich wiederauflebender Freiheitssinn es wiederum ab.

In dieser ganzen Reihe von Begebenheiten würde man vergebens Einheit suchen, die nur da Statt finden kann, wo die Nation eigentlich politischen Charakter besitzt. Aber keine zeigt eine solche wundervolle Mannigfaltigkeit, und in keiner gewinnen die an sich unwichtigsten Begebenheiten bloss durch den Charakter der auftretenden Menschen eine solche Wichtigkeit und Grösse. Die Begebenheiten entstehen meistentheils durch die Beweglichkeit des Volkscharakters und werden geadelt durch die Handlungsweise der Einzelnen. Reizbarkeit und Heftigkeit des Entgegenwirkens spielen auch hier die Hauptrolle, und nicht lang angelegte Plane, sondern eigentliche Privatleidenschaften, doch mehr der ganzen Völker, als ihrer einzelnen Anführer bestimmen das politische Betragen der Staaten gegen einander.[56]

Wenn man nun fragt: wie hat ein Volk, wie die Griechen entstehen können? so würde es eine vergebliche Bemühung seyn, die Bildung desselben aus dem allmähligen Einfluss einzelner Umstände gleichsam mechanisch herleiten zu wollen. Alle hierüber und über die Entstehung von Nationalcharakteren herrschenden Systeme sind nicht allein in sich mangelhaft, und nur da stark, wo sie sich gegenseitig bekämpfen, sondern allen kann man die beiden Einwendungen unwiderleglich entgegensetzen, dass diejenigen Dinge, auf deren Einfluss sie bestehen, grossentheils selbst nur Folgen des Charakters sind, den sie erklären sollen; und dass andre Nationen unter denselben Umständen eine andre Wendung des Charakters genommen haben. Auch treten alle der menschlichen Natur zu nahe, indem sie dieselbe als durchaus gleichgültig und durch die äusseren Umstände unbedingt bestimmbar annehmen.

Das wesentlichste Element in dem ausgebildeten Charakter einer Nation, wie eines Individuums ist die ursprüngliche Form seiner Eigenthümlichkeit. Die Kraft (und eine Kraft ist nie ohne irgend eine Richtung denkbar), die derselbe schon vor allem, wenigstens vor allem erkennbaren, und mit Worten anzugebenden Einfluss äusserer Umstände besitzt, ist mehr als alles auch in seiner letzten Ausbildung entscheidend. Alles geistige Leben des Menschen besteht im Ansichreissen der Welt, Umgestalten zur Idee, und Verwirklichen der Idee in derselben Welt, der ihr Stoff angehört, und die Kraft und die Art, wie dies geschieht, werden durch die äusseren Lagen nur anders bestimmt, nicht geschaffen und festgesetzt.

Eine vorzügliche Nation dankt daher ihre Vorzüglichkeit ihrer eigenen ursprünglichen Individualität, und diese entsteht, bei Einzelnen, wie bei ganzen Völkern, von selbst und durch ein Wunder. Wäre sie selbst auch von andern Ursachen durchaus abhängig, so ist diese Reihe verborgen und daher für uns nicht vorhanden. Wie im Geiste selbst ein Gedanke, wie auf der Leinwand des Malers eine Figur, so entsteht in der Natur durch das Wirken grosser, oder gerade glücklich begeisterter Kräfte eine Form des Lebens, die auf[57] einmal eine neue Reihe geistiger Erscheinungen beginnt. Erst wenn sie erschienen ist, beginnt das Reich und der Einfluss der Umstände, die sie aufhalten und zerstören, aber auch beschützen und ausbilden können.

In der Wirklichkeit mögen vielleicht, ehe eine Form des Geistes in ihrer ganzen Bestimmtheit auftritt, unzählige Versuche vorhergehen, die gewissermassen eine Stufenleiter zu dem ersten gelingenden abgeben. Allein da von diesem zu den verfehlten immer eine Kluft vorhanden seyn muss, für die jede Messung nach Graden unrichtig wäre, so steht in der Erscheinung eine solche Form immer plötzlich und auf Einmal da, und es bleibt nichts zu thun übrig, als den Moment des Erscheinens zu fixiren, und von da an die begünstigenden und hindernden Umstände, wohl verstanden aber, dass diese auch zum Theil durch jene Form bestimmt werden, aus einander zu setzen.

Auf die Frage also, wie kommt es, dass jene hinreissend schöne Form der Menschheit allein in Griechenland aufblühte? giebt es an sich keine befriedigende Antwort. Es war, weil es war. Selbst der Augenblick, wo? und die Art, wie? Griechheit zuerst auftrat, sind historisch schwer zu bestimmen, und die Ursachen, die zu ihrer Entwickelung beitrugen, liegen, insofern sie moralisch sind, vorzüglich in ihr selbst. Ehe wir uns aber hierüber in irgend eine Untersuchung einlassen, müssen wir vorher noch einen andern vorzüglich wichtigen Punkt erörtern.

Die meisten das Leben einer Nation begleitenden Umstände, der Wohnort, das Klima, die Religion, die Staatsverfassung, die Sitten und Gebräuche, lassen sich gewissermassen von ihr trennen, es kann, selbst bei reger Wechselwirkung noch, was sie an Bildung gaben und empfingen, gewissermassen abgesondert werden. Allein einer ist von durchaus verschiedener Natur, ist der Odem, die Seele der Nation selbst, erscheint überall in gleichem Schritte mit ihr, und führt, man mag ihn als wirkend oder gewirkt ansehen, die Untersuchung nur in einem beständigen Kreise herum – die Sprache.

Ohne sie, als Hülfsmittel zu gebrauchen, wäre jeder Versuch[58] über Nationaleigenthümlichkeiten vergeblich, da nur in der Sprache sich der ganze Charakter ausprägt, und zugleich in ihr, als dem allgemeinen Verständigungsvehikel des Volks, die einzelnen Individualitäten zur Sichtbarwerdung des Allgemeinen untergehen.

In der That geht ein individueller Charakter nur durch zwei Mittel, durch Abstammung und durch Sprache, in einen Volkscharakter über. Aber die Abstammung selbst scheint unwirksam, ehe durch Sprache ein Volk entstanden ist. Denn wir finden nur selten, dass Kinder die Eigenthümlichkeit ihrer Väter, und immer, dass Generationen die Eigenthümlichkeit ihres Stammes an sich tragen.

Auch ist die Sprache gleichsam eine bequemere Handhabe, den Charakter zu fassen, ein Mittel zwischen der Thatsache und der Idee, und da sie nach allgemeinen, wenigstens dunkel empfundenen Grundsätzen gebildet, und meistentheils auch aus schon vorhandenem Vorrath zusammengesetzt ist, so giebt sie nicht nur Mittel zur Vergleichung mehrerer Nationen, sondern auch eine Spur an die Hand den Einfluss einer auf die andern zu verfolgen.

Wir müssen daher hier erst vorläufig die Eigenthümlichkeiten der Griechischen Sprache untersuchen, erörtern, inwiefern sie den griechischen Charakter bestimmte, oder inwiefern dieser sich in ihr ausprägte.

Wenn schon die Schilderung des Charakters eines Individuums oder gar einer Nation in Verlegenheit setzt, so thut dies noch mehr die des Charakters einer Sprache. Wer sie jemals versucht hat, wird bald inne werden, dass, wenn er etwas Allgemeines zu sagen im Begriff ist, er unbestimmt wird, und wenn er ins Einzelne eingehen will, die festen Gestalten ihm entschlüpfen, so wie eine Wolke, welche den Gipfel eines Berges deckt, wohl von fern eine feste Gestalt zeigt, aber in Nebel zerfliesst, so wie man in dieselbe hineintritt. Es wird daher, um diese Schwierigkeit dennoch glücklich zu überwinden, nothwendig seyn, uns in eine ausführlichere Abschweifung über Sprache überhaupt und die Möglichkeit der Verschiedenheit einzelner einzulassen.

Den nachtheiligsten Einfluss auf die interessante Behandlung[59] jedes Sprachstudiums hat die beschränkte Vorstellung ausgeübt, dass die Sprache durch Convention entstanden, und das Wort nichts als Zeichen einer unabhängig von ihm vorhandenen Sache, oder eines eben solchen Begriffs ist. Diese bis auf einen gewissen Punkt freilich unläugbar richtige, aber weiter hinaus auch durchaus falsche Ansicht tödtet, sobald sie herrschend zu werden anfängt, allen Geist und verbannt alles Leben, und ihr dankt man die so häufig wiederholten Gemeinplätze: dass das Sprachstudium entweder nur zu äusseren Zwecken, oder zu gelegentlicher Entwickelung noch ungeübter Kräfte nothwendig; dass die beste Methode die am kürzesten zu dem mechanischen Verstehen und Gebrauchen einer Sprache führende; dass jede Sprache, wenn man sich ihrer nur recht zu bedienen weiss, ungefähr gleich gut ist; dass es besser seyn würde, wenn alle Nationen sich nur über den Gebrauch einer und ebenderselben verstünden, und was es noch sonst für Vorurtheile dieser Art geben mag.

Genauer untersucht zeigt sich nun aber von allem diesem das gerade Gegentheil.

Das Wort ist freilich insofern ein Zeichen, als es für eine Sache oder einen Begriff gebraucht wird, aber nach der Art seiner Bildung und seiner Wirkung ist es ein eignes und selbstständiges Wesen, ein Individuum, die Summe aller Wörter, die Sprache, ist eine Welt, die zwischen der erscheinenden ausser, und der wirkenden in uns in der Mitte liegt; sie beruht freilich auf Convention, insofern sich alle Glieder eines Stammes verstehen, aber die einzelnen Wörter sind zuerst aus dem natürlichen Gefühl des Sprechenden gebildet, und durch das ähnliche natürliche Gefühl des Hörenden verstanden worden; das Sprachstudium lehrt daher, ausser dem Gebrauch der Sprache selbst, noch die Analogie zwischen dem Menschen und der Welt im Allgemeinen und jeder Nation insbesondre, die sich in der Sprache ausdrückt, und da der in der Welt sich offenbarende Geist durch keine gegebene Menge von Ansichten erschöpfend erkannt werden kann, sondern jede neue immer etwas Neues entdeckt, so wäre es vielmehr gut die verschiedenen Sprachen so sehr[60] zu vervielfältigen, als es immer die Zahl der den Erdboden bewohnenden Menschen erlaubt.

Dies vorausgeschickt lassen wir hier eine möglichst kurze Analyse der Natur der Sprache im Allgemeinen folgen, aus welcher sich dann bald ergeben wird, von welchen Seiten die besonderen Sprachen von einander abweichen, und in ihrem Werthe dem Grade nach verschieden seyn können.

Die Sprache ist nichts anders, als das Complement des Denkens, das Bestreben, die äusseren Eindrücke und die noch dunkeln inneren Empfindungen zu deutlichen Begriffen zu erheben, und diese zu Erzeugung neuer Begriffe mit einander zu verbinden.

Die Sprache muss daher die doppelte Natur der Welt und des Menschen annehmen, um die Einwirkung und Rückwirkung beider auf einander wechselseitig zu befördern; oder sie muss vielmehr in ihrer eignen, neu geschaffenen, die eigentliche Natur beider, die Realität des Objects und des Subjects, vertilgen, und von beidem nur die ideale Form beibehalten.

Ehe wir dies weiter erklären, wollen wir vorläufig als den ersten und höchsten Grundsatz im Urtheil über alle Sprachen festsetzen:

dass dieselben immer in dem Grade einen höheren Werth haben, in welchem sie zugleich den Eindruck der Welt treu, vollständig und lebendig, die Empfindungen des Gemüths kraftvoll und beweglich, und die Möglichkeit beide idealisch zu Begriffen zu verbinden leicht erhalten.

Denn der reale aufgefasste Stoff soll idealisch verarbeitet und beherrscht werden, und weil Objectivität und Subjectivität – an sich Eins und dasselbe – nur dadurch verschieden werden, dass die selbstthätige Handlung der Reflexion sie einander entgegensetzt, da auch das Auffassen wirkliche, nur anders modificirte Selbstthätigkeit ist, so sollen beide Handlungen möglichst genau in Einer verbunden werden.

Das heisst: es soll eine freie Uebereinstimmung zwischen den ursprünglichen das Gemüth und die Welt beherrschenden Grundformen geben, die an sich nicht deutlich angeschaut werden können, die aber wirksam werden, sobald[61] der Geist in die richtige Stimmung versetzt ist – eine Stimmung, die hervorzubringen gerade die Sprache, als ein absichtlos aus der freien und natürlichen Einwirkung der Natur auf Millionen von Menschen, durch mehrere Jahrhunderte, und auf weiten Erdstrichen entstandenes Erzeugniss, als eine eben so ungeheure, unergründliche, geheimnissvolle Masse, als das Gemüth und die Welt selbst, mehr, wie irgend etwas andres hervorzubringen im Stande ist.

So wenig das Wort ein Bild der Sache ist, die es bezeichnet, eben so wenig ist es auch gleichsam eine blosse Andeutung, dass diese Sache mit dem Verstande gedacht, oder der Phantasie vorgestellt werden soll. Von einem Bilde wird es durch die Möglichkeit, sich unter ihm die Sache nach den verschiedensten Ansichten und auf die verschiedenste Weise vorzustellen; von einer solchen blossen Andeutung durch seine eigne bestimmte sinnliche Gestalt unterschieden. Wer das Wort Wolke ausspricht, denkt sich weder die Definition, noch Ein bestimmtes Bild dieser Naturerscheinung. Alle verschiedenen Begriffe und Bilder derselben, alle Empfindungen, die sich an ihre Wahrnehmung anreihen, alles endlich, was nur irgend mit ihr in und ausser uns in Verbindung steht, kann sich auf einmal dem Geiste darstellen, und läuft keine Gefahr, sich zu verwirren, weil der Eine Schall es heftet und zusammenhält. Indem er aber noch mehr thut, führt er zugleich von den ehemals bei ihm gehabten Empfindungen bald diese, bald jene zurück, und wenn er in sich, wie hier, (wo man nur Woge, Welle, Wälzen, Wind, Wehen, Wald u.s.f. mit ihm vergleichen darf, um dies zu finden) bedeutend ist, so stimmt er selbst die Seele auf eine dem Gegenstande angemessene Weise, theils an sich, theils durch die Erinnerung an andere, ihm analoge. So offenbart sich daher das Wort, als ein Wesen einer durchaus eignen Natur, das insofern mit einem Kunstwerk Aehnlichkeit hat, als es durch eine sinnliche, der Natur abgeborgte Form eine Idee möglich macht, die ausser aller Natur ist, aber freilich auch nur insofern, da übrigens die Verschiedenheiten in die Augen springen. Diese ausser aller Natur liegende Idee ist gerade das, was allein die Gegenstände der Welt fähig macht, zum[62] Stoff des Denkens und Empfindens gebraucht zu werden, die Unbestimmtheit des Gegenstandes, da das jedesmal Vorgestellte weder immer vollkommen ausgemahlt, noch festgehalten zu werden braucht, ja dasselbe vielmehr von selbst immer neue Uebergänge darbietet – eine Unbestimmtheit, ohne welche die Selbstthätigkeit des Denkens unmöglich wäre – und die sinnliche Lebhaftigkeit, die eine Folge der in dem Gebrauche der Sprache thätigen Geisteskraft ist. Das Denken behandelt nie einen Gegenstand isolirt, und braucht ihn nie in dem Ganzen seiner Realität. Es schöpft nur Beziehungen, Verhältnisse, Ansichten ab, und verknüpft sie. Das Wort ist nun bei weitem nicht bloss ein leeres Substratum, in das sich diese Einzelheiten hineinlegen lassen, sondern es ist eine sinnliche Form, die durch ihre schneidende Einfachheit unmittelbar anzeigt, dass auch der ausgedrückte Gegenstand nur nach dem Bedürfniss des Gedankens vorgestellt werden soll, durch ihre Entstehung aus einer selbstthätigen Hand lung des Geistes die bloss auffassenden Seelenkräfte in ihre Grenzen zurückweist, durch ihre Veränderungsfähigkeit und die Analogie mit den übrigen Sprachelementen den Zusammenhang vorbereitet, den das Denken in der Welt zu finden, und in seinen Erzeugnissen hervorzubringen bemüht ist, und endlich durch seine Flüchtigkeit auf keinem Punkt zu verweilen, sondern von allen dem jedesmaligen Ziele zuzueilen gebietet. In allen diesen Hinsichten ist die Art der sinnlichen Form, die nicht gedacht werden kann, ohne nicht auf eine weiter unten zu untersuchende vielfache Weise selbst als solche eine Wirkung auszuüben, auf keine Weise gleichgültig, und es lässt sich daher mit Grunde behaupten, dass auch bei durchaus sinnlichen Gegenständen die Wörter verschiedener Sprachen nicht vollkommene Synonyma sind, und dass wer hippos, equus und Pferd ausspricht, nicht durchaus und vollkommen dasselbe sagt.

Wo von unsinnlichen Gegenständen die Rede ist, ist dies noch weit mehr der Fall, und das Wort erlangt eine weit grössere Wichtigkeit, indem es sich noch bei weitem mehr als bei sinnlichen von dem gewöhnlichen Begriff eines Zeichens[63] entfernt. Gedanken und Empfindungen haben gewissermassen noch unbestimmtere Umrisse, können von noch mehr verschiedenen Seiten gefasst und unter mehr verschiedenen sinnlichen Bildern, die jedes wieder eigne Empfindungen erregen, dargestellt werden. Wörter dieser Art sind daher, auch wenn sie Begriffe anzeigen, die sich vollkommen in Definitionen auflösen lassen, noch weniger gleichbedeutend zu nennen.

Quelle:
Wilhelm von Humboldt: Werke in fünf Bänden. Band 2, Darmstadt 1963.
Entstanden 1806 oder 1807. Erstdruck in: Sechs ungedruckte Aufsätze über das klassische Altertum von Wilhelm von Humboldt, herausgegeben von Albert Leitzmann, Leipzig 1896.
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