Fußnoten

1 Der Begriff des Colorits ist hier in einem eingeschränkten Sinne gebraucht. Um dem Misverständnisse vorzubeugen, das unfehlbar entstehen müsste, wenn man ihm einen allgemeineren unterlegte, sey es erlaubt, noch folgende Erläuterung hinzuzufügen. Die Mahlerei (von der man natürlich, so oft von Colorit die Rede ist, immer ausgehn muss) hat ein zwiefaches Mittel, ihren Gegenstand darzustellen: den Umriss und die Farbe. Die letztere dient unmittelbar, die Aehnlichkeit des Bildes auch von dieser Seite zu vermehren; aber in so fern wirkt sie nur auf eine untergeordnete Weise. Ihre hauptsächlichste Wirkung bringt sie durch die Stimmung hervor, in welche sie unsre Phantasie bloss für sich und unabhängig von aller Natur-Nachahmung versetzt. Denn geht man (wie bei ästhetischen Untersuchungen häufiger geschehen sollte) auf die Natur derjenigen Sinne zurück, welche die Kunst zunächst beschäftigt, so findet man, dass das Auge sich in einer doppelten Beziehung auf der einen Seite auf unsre höheren intellectuellen, auf der andern auf die niedrigeren sinnlichen Kräfte befindet, und dass seine Verwandtschaft mit den ersteren durch den Eindruck der Gestalt, die mit den letzteren durch den Eindruck der Farbe entsteht. Daher ist die blosse Ge stalt (wenn sie ohne alle Farbe, also auch ohne Licht und Schatten, möglich wäre) kalt und trocken, die blosse Farbe hingegen (auch durchaus formlos) so frisch, lebendig und sinnlich, dass sie allein Empfindungen zu welken im Stande ist. In so fern nun der Mahler sich dieser beiden Mittel zugleich bedient, schlägt er zugleich einen objectiven und subjectiven Weg ein, sich unserer Einbildungskraft zu bemeistern; und diese beiden Wege sind es, die in der That immer zugleich betreten werden müssen, wenn man zu einer wahrhaft künstlerischen Wirkung gelangen will. Denn obgleich beide, der Umriss sowohl, als die Farbe, die Natur des Gegenstandes (der beide mit einander verbindet) nachzuahmen dienen, so arbeitet der erstere dennoch mehr darauf hin, uns denselben zu zeigen, die letztere mehr, uns selbst lebendig genug zu stimmen, ihn vollkommen zu sehen. Indess kommen immer beide darin überein, nur ihn allein darzustellen. Wird aber das Gleichgewicht zwischen beiden gestört und dem Colorit ein Vorzug eingeräumt, so tritt alsdann der Fall ein, von dem oben die Rede ist. In diesem nun bleiben dem Künstler nur noch zwei Wege einzuschlagen übrig, entweder bloss die Sinne zu ergötzen oder die Phantasie auf eine gleichsam rhythmische Weise zu stimmen. Die Möglichkeit, auf diese letzte Art zu wirken, wird aber immer nur äusserst beschränkt seyn, da die Natur des Gegenstandes hier keine fortschreitende Reihe (keinen steigenden oder fallenden Rhythmus), sondern nur eine in sich selbst zurückkehrende erlaubt und diese noch dazu auf Einmal gegeben ist. Ohne also auf die Erregung lebhafter oder gar heftiger Empfindungen rechnen zu dürfen, muss man sich hier allein an Harmonie und Lieblichkeit begnügen.

Wenn die Phantasie bei der Einwirkung der Kunst auf dieselbe ganz in Thätigkeit gesetzt werden soll, so muss immer zugleich objectiv und subjectiv auf sie eingewirkt werden. Man muss einen Gegenstand vor ihr bilden und ihre Kraft stimmen. Darum sagten wir, dass jede Kunst ihr Colorit habe, weil wir das Mittel, wodurch jede diess letztere ausrichtet, mit keinem schicklicheren Namen zu benennen wussten, da in der That die Farbe es am vollkommensten und am reinsten zu bewirken vermag. In der Musik ist diess Colorit eine gewisse schwer zu bestimmende Behandlung der Töne; in der Bildhauerkunst, in welcher die Form sonst so ausschliesslich herrscht, scheint es diejenige Bearbeitung des Materials, durch welche der harte und todte Stein für das Auge Weichheit und Leben erhält. Denn obgleich diess nur durch Form hervorgebracht werden kann, so wirkt es doch nicht als Form, da auch das Gefühl (auf das wir jedes Werk der Sculptur selbst dann, wenn wir es bloss ansehen, doch immer beziehen) in einer doppelten Verwandtschaft mit den intellectuellen und sinnlichen Kräften steht. Wie mächtig der Unterschied zwischen der Musik und der Bildhauerkunst in Absicht auf die Objectivität beider ist, sieht man daran, dass, da in der letzteren das, was in ihr das Colorit ausmacht, nur allein durch Form bewirkt wird, dagegen in der ersteren sich dasjenige, was eigentlich einen Gegenstand schildert oder eine bestimmte Empfindung ausdrückt (und also dem entspricht, was in der darstellenden Kunst die Form ist), kaum noch nur überhaupt von demjenigen unterscheiden lässt, was, ohne diess zu thun, bloss die Phantasie beschäftigt oder das Ohr ergötzt. Die Mahlerei steht in diesem Punkt zwischen beiden in der Mitte; denn in ihr ist Form und Colorit am meisten und beinahe vollkommen von einander geschieden.

Doch muss man bei dieser ganzen Materie nie vergessen, dass hier nur zum Behuf der Untersuchung getrennt wird, was in der Wirklichkeit schlechterdings unzertrennlich verbunden ist.


2 Es wird befremdend scheinen, die Tragödie hier so dicht an die lyrische Poesie angeschlossen zu sehen. Allein man erinnere sich, dass ich von ihr hier nur im Gegensatz gegen die epische rede und dass der Weg meiner Untersuchung mich gerade auf den Punkt führt, in welchem der Unterschied zwischen beiden am schärfsten ins Auge fällt. Ich habe nemlich die Dichtungsarten nicht sowohl nach ihrer äussern Form, als nach der Stimmung unterschieden, die sie in dem Dichter voraussetzen und in dem Leser hervorbringen. Nun ist der einfachste Unterschied zwischen der Epopee und Tragödie unstreitig: die vergangene und die gegenwärtige Zeit. Jene erlaubt Klarheit, Freiheit, Gleichgültigkeit; diese bringt Erwartung, Ungeduld, pathologisches Interesse hervor. Daher drängt die letztere das Gemüth in sich selbst zurück, da die Epopee den Menschen vielmehr in die Klarheit der Gestalten herausführt. Dadurch nun eignet sich die Tragödie offenbar der lyrischen Gattung an. Uebrigens aber ist sie, als die Darstellung einer Handlung, eben so sehr, als das Epos und vollkommen plastisch. Die Hauptgesetze derselben werden sogar nur aus ihrer plastischen Natur hergeleitet werden können; aber da sie alle durch den lyrischen Zweck, die Erregung der Empfindung, modificirt seyn müssen, so werden die Gesetze der epischen Poesie gar keine Anwendung auf sie finden, da sie hingegen mit den Gesetzen der lyrischen Dichtung in durchgängiger Uebereinstimmung stehen müssen. So lange man daher bloss epische und lyrische Poesie unterscheidet, muss die Tragödie wirklich mehr der letzteren, als der ersteren beigezählt werden. Unstreitig aber wäre es besser, alle Poesie in plastische und lyrische und die erstere wieder in epische und dramatische (unter der ich hier bloss die tragische verstehe, da die Komödie eine ganz eigne Erörterung fordert) abzutheilen. Alsdann würden alle Gesetze der plastischen Dichtung zwar zugleich für die Tragödie gelten; aber man würde bestimmt fühlen, wie mit dem Begriff der gegenwärtigen Handlung unmittelbar auch der Begriff der Empfindung und nothwendige Rücksicht auf die allgemein lyrischen Gesetze gegeben ist.


3 In so fern die Wahrheit überhaupt die durch den Verstand erkannte Uebereinstimmung eines Begriffs oder Satzes mit seinem Gegenstand ist, kann es eben so viel Arten der Wahrheit, als der Gegenstände geben. Nun unterscheiden wir von diesen vorzüglich vier in Absicht ihrer intellectuellen Behandlung sehr von einander abweichende Gattungen: 1., wirkliche; dann idealische und zwar solche, die entweder 2., ein Werk der reinen Abstraction, metaphysische und mathematische, oder 3., der Einbildungskraft sind, poetische; endlich 4., solche, die, an sich idealisch, auf wirkliche bezogen werden, empirisch-philosophische. Hieraus entstehen nun auch vier Gattungen der Wahrheit: 1., und 2., die historische und poetische; 3., die speculative (metaphysische oder mathematische); 4., die philosophische (physische oder moralische), die nicht auf der Uebereinstimmung mit einer besondern Erfahrung, wohl aber mit der Erfahrung im Ganzen beruht.

Quelle:
Wilhelm von Humboldt: Werke in fünf Bänden. Band 2, Darmstadt 1963.
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