Abtheilung IX.
Ueber die Vernunft der Thiere.

[95] Alles Schliessen in Bezug auf Thatsachen stützt sich auf eine Aehnlichkeit, die uns bestimmt, von einer Ursache denselben Erfolg zu erwarten, den man aus ähnlichen Ursachen hat hervorgehen sehen. Ist die Aehnlichkeit vollständig, so ist die Analogie vollkommen, und die darauf gestützte Folgerung gilt als sicher und beweisend.

Niemand zweifelt bei dem Anblick eines Stück Eisens, dass es schwer und fest sein werde, gerade wie andere Stücke, die ihm früher vorgekommen sind. Haben die Gegenstände aber keine volle Gleichheit, so ist die Analogie weniger vollkommen, und der Schluss weniger überzeugend, obgleich er einige Kraft nach Verhältniss der Aehnlichkeit und Uebereinstimmung behält. Die anatomischen Beobachtungen,[95] die man bei einem Thiere macht, werden durch diese Art der Begründung auf alle ausgedehnt, und wenn z.B. der Blutumlauf bei einem Geschöpf voll erwiesen ist, wie bei dem Frosch oder Fisch, so ergiebt dies eine starke Vermuthung, dass dieser Blutumlauf überall Statt habe. Diese Schlüsse der Analogie kann man weiter, selbst bis zu der hier behandelten Wissenschaft ausdehnen und jede Lehre, welche die Vorgänge innerhalb des Denkens oder den Ursprung und die Verbindung der Gefühle beim Menschen erklärt, wird in ihrer Gültigkeit steigen, wenn sich ergiebt, dass nur diese Lehre dieselben Erscheinungen auch bei andern lebenden Geschöpfen erklärt. Wir wollen eine solche Probe mit der Hypothese machen, durch welche im Vorgehenden die Erklärung aller Erfahrungsschlüsse versucht worden ist. Hoffentlich dient dieser neue Gesichtspunkt zur Bestätigung der frühern Ausführung.

Erstens scheint es ausgemacht, dass die Thiere so gut wie die Menschen von der Erfahrung lernen und von ihr annehmen, dass dieselben Wirkungen immer denselben Ursachen folgen. Durch diese Regel werden sie mit den nächsten Eigenschaften der äussern Gegenstände bekannt und sammeln allmählich von ihrer Geburt an einen Schatz von Kenntnissen über die Natur des Feuers, des Wassers, der Erde, der Steine, der Höhen, der Tiefen u.s.w., so wie über die Wirkungen, welche daraus hervorgehen. Die Unwissenheit und Unerfahrenheit der Jungen kann man leicht gegen die Vorsicht und Klugheit der Alten unterscheiden, die durch lange Beobachtung gelernt haben, das Schädliche zu vermeiden und das Angenehme und Nützliche zu suchen. Ein an das Freie gewöhntes Pferd wird mit der bestimmten Höhe bekannt, die es überspringen kann und wird nichts versuchen, was seine Kraft und Fähigkeit übersteigt. Ein alter Windhund wird den anstrengendsten Theil der Jagd dem jungem überlassen und sich selbst so stellen, dass er auf den Hasen bei dessen Schwenkung trifft; seine Voraussetzungen bei solchen Gelegenheiten stützen sich lediglich auf seine Beobachtung und Erfahrung.

Dies erhellt noch deutlicher aus den Wirkungen der Zucht und Erziehung der Thiere, welche durch die passende Anwendung von Belehrungen und Strafen zuletzt eine Reihe von Handlungen lernen, welche ihrem natürlichen Instinkt und Neigung geradezu zuwider sind. Ist es nicht die Erfahrung,[96] weshalb ein Hund Schmerz fürchtet, wenn man ihm droht oder die Peitsche zum Schlag erhebt? Ist es nicht die Erfahrung, welche ihn auf seinen Namensruf antworten und schliessen lässt, dass man mit einem solchen willkürlichen Laut eher ihn als seinen Kameraden meine, und das man ihn rufen wolle, wenn man diesen Laut in einer gewissen Weise und mit einem bestimmten Tone und Accent ausspricht?

In all diesen Fällen folgert das Thier offenbar eine Thatsache über das hinaus, was seine Sinne trifft, und diese Folgerung stützt sich nur auf frühere Erfahrung, indem das Thier von demselben Gegenstand dieselben Folgen erwartet, die es bei seinen Beobachtungen aus ähnlichen Gegenständen früher hat hervorgehen sehen.

Zweitens: Unmöglich kann diese Folgerung des Thieres sich auf einen Beweisgrund und einen Vorgang Innerhalb der Vernunft gründen, wodurch es schlösse, dass gleiche Folgen sich mit gleichen Gegenständen verbinden, und dass die Natur in ihren Vorgängen immer regelmässig sei. Denn wenn wirklich Beweisgründe dieser Art bestehen sollten, so liegen sie doch für die Beobachtung und für einen so schwachen Verstand zu versteckt; nur die äusserste Sorgfalt und Aufmerksamkeit eines philosophischen Geistes kann sie entdecken und bemerken. Die Thiere werden deshalb bei diesen Folgerungen nicht durch Vernunftgründe geleitet, so wenig wie die Kinder und die meisten Menschen; bei ihren gewöhnlichen Handlungen und Folgerungen, ja selbst die Philosophen nicht, welche für den thätigen Theil des Lebens sich in der Hauptsache von der Menge nicht unterscheiden und nach gleichen Regeln verfahren. Die Natur musste für ein breiteres, allgemeiner anwendbares und nutzbares Prinzip sorgen, und ein Verfahren von so ungeheurer Wichtigkeit für das Leben konnte nicht den unsichern Folgerungen aus Gründen und Beweismitteln anvertraut werden. Sollte dies bei dem Menschen noch zweifelhaft sein, so ist es doch bei der unvernünftigen Schöpfung unfraglich, und wenn dieser Satz in dem einen Falle vollständig gelten muss, so hat man nach den Regeln der Analogie allen Grund, zur Annahme, dass er allgemein und ohne Ausnahme und Vorbehalt gelte. Nur die Gewohnheit ist es, welche die Thiere veranlasst, bei jedem wahrgenommenen Gegenstande dessen gewöhnlichen Begleiter zu erwarten; diese führt ihr Vorstellen[97] bei dem Auftreten des Einen zur Vorstellung des Andern in der besondern Weise, welche ich Glauben nenne. Keine andere Erklärung ist von diesem Vorgange möglich, und dieses gilt sowohl für die hohen, wie niedern Klassen der lebendigen Wesen, so weit wir sie kennen und beobachten.A7[98]

Obgleich indess die Thiere einen grossen Theil ihres Wissens durch Erfahrung erlangen, so verdanken sie doch einen andern Theil der ursprünglichen Verleihung der Natur. Er ist der, welcher den Grad ihrer Fähigkeiten für gewöhnliche Fälle übersteigt, und wo die längste Uebung und Erfahrung sie wenig oder gar nicht weiter bringt. Man nennt diesen Theil Instinkt und bewundert ihn als etwas Ausserordentliches, was durch keine Untersuchung unseres Verstandes erklärt werden kann. Indess wird diese Bewunderung vielleicht aufhören oder sich vermindern, wenn man bedenkt, dass das Folgern aus Erfahrung, was wir mit den Thieren gemein haben, und von welchem alles Verhalten im Leben abhängt, nur eine Art von Instinkt oder mechanischer Kraft ist, welche in uns, und zwar uns selbst unbewusst, thätig ist und in seiner Hauptwirksamkeit nicht durch solche Beziehungen und Vergleichungen der Begriffe geleitet wird, welche den eigentlichen Gegenstand unserer geistigen Fähigkeiten ausmachen. Die Instinkte sind vielleicht verschieden; aber es ist ein Instinkt, welcher den Menschen heisst, das Feuer zu meiden, wie es ein Instinkt ist, welcher dem Vogel die richtige Art des Brütens und die Einrichtung und Ordnung in Aufziehung seiner Jungen zeigt.[99]

A7

Wenn alles Folgern von Thatsachen oder Ursachen sich nur auf Gewohnheit stützt, so entsteht die Frage, weshalb die Menschen die Thiere im Begründen so übertreffen, und weshalb ein Mensch hierin den andern übertrifft? Die gleiche Gewohnheit müsste doch den gleichen Einfluss auf Alle haben!

Ich will hier kurz den grossen Unterschied in dem Verstande der einzelnen Menschen erklären; daraus ergiebt sich dann leicht der Grund für denselben Unterschied zwischen Menschen und Thieren.

1. Wenn man einige Zeit gelebt und sich an die Gleichförmigkeit der Natur gewöhnt hat, so neigt man dann allgemein dazu, das Bekannte auf das Unbekannte zu übertragen und letzteres als dem erstern gleich vorauszusetzen. Vermittelst dieser allgemeinen Neigung genügt schon ein Experiment für die Folgerung, und man erwartet mit grosser Gewissheit den gleichen Erfolg, wenn der Versuch genau und frei von allen ungehörigen Nebenumständen vorgenommen worden ist. Die Beobachtung der Folgen der Dinge ist deshalb eine Sache von grosser Wichtigkeit, und da ein Mensch den andern in Aufmerksamkeit, Gedächtniss und Beobachtung übertrifft, so macht dies für ihre Folgerungen einen grossen Unterschied.

2. Wenn mehrere Ursachen zur Hervorbringung einer Wirkung zusammenwirken, so ist ein Verstand umfassender als der andere und fähiger, den ganzen Zusammenhang der Gegenstände zu begreifen und ihre Folgen richtig abzuleiten.

3. Einer kann die Kette der Schlüsse weiter ziehen als der Andere.

4. Wenige Menschen können lange denken, ohne die Vorstellungen zu verwirren und zu verwechseln, und diese Schwäche hat ihre verschiedenen Grade.

5. Der Umstand, von dem die Wirkung abhängt, ist oft in andern, anscheinend fremden und äusserlichen Umständen verhüllt; seine Trennung erfordert oft grosse Genauigkeit, Aufmerksamkeit und Scharfsinn.

6. Einzelne Beobachtungen gleich zu allgemeinen Regeln zu erheben, ist ein angenehmes Geschäft, und es ist sehr häufig, dass man aus Hast oder Geistesbeschränktheit die Sache nicht allseitig betrachtet und deshalb in Missgriffe geräth.

7. Wenn die Analogie bei den Folgerungen benutzt wird, so ist der im Vortheil, der das Meiste erfahren hat oder am geschicktesten in Auffindung von Aehnlichkeiten ist.

8. Vorurtheile, Erziehung, Gefühle, Parteiungen beirrenden Einen mehr als den Andern.

9. Nachdem man Vertrauen in menschliches Zeugniss gewonnen hat, erweitern Bücher und Unterhaltung den Gesichtskreis des Einen in seinem Wahrnehmen und Denken mehr als den des Andern.

So liessen sich noch manche andere Umstände auffinden, aus welchen der Unterschied in den Verstandeskräften der Einzelnen hervorgeht.

Quelle:
David Hume: Eine Untersuchung in Betreff des menschlichen Verstandes. Berlin 1869, S. 95-100.
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