[Kommentare]

[327] 1. Atha, zunächst, bedeutet nach dem Upaskâra entweder eine Zeitangabe »nach«, nämlich nach der Bitte der Schüler um Belehrung, oder Ankündigung des Heils. Ataḥ, denn, deshalb, weil nämlich fähige und von Misgunst freie Schüler da sind.

Mit Ausnahme der Nyâya beginnen alle Darçana, oder philosophischen Lehrsysteme der Inder, mit atha, die Vedânta, Mîmânsa, Yoga und Vaiçeshika mit derselben Formel, athâtah.

2. Der Upaskâra erklärt abhyudaya, Erhebung, durch tattwajnâna, Wissen der Wahrheit, und nihçreyasa, das höchste Gut, durch unendliche Befreiung vom Uebel. Danach müsste die Uebersetzung lauten entweder: Verdienst ist das, wodurch das Wissen der Wahrheit und das höchste Gut hervorgebracht werden; oder: Verdienst ist das, wodurch vermittelst des Wissens der Wahrheit das höchste Gut hervorgebracht wird. Dieser letzten Erklärung folgt Ballantyne in seiner Uebersetzung dieses Sûtra: Duty is that from which there results emancipation through exaltation. Anders die Vivriti; in Uebereinstimmung mit dem Verfasser der Vritti, welcher abhyudaya durch »Glück« erklärt, ist ihr zufolge Erhebung: der Bimmel, das höchste Gut: unendliche Befreiung. Die Ursache, welche den Himmel die unendliche Befreiung hervorbringt, ist Verdienst. Verdienst als Ursache des Himmels wirkt durch wahrnehmbare Mittel, als Ursache der Befreiung aber durch das Wissen der Wahrheit.

[309] 3. Zur Einleitung in dieses Sûtra bemerkt die Vivriti: Was ist nun der Beweis, dass es ein solches Verdienst wirklich giebt, und dass es das Wissen der Wahrheit hervorbringt? Etwa der Veda? Die Beweiskraft desselben wird aber bezweifelt, wie es in einem Sûtra des Akshacharana (Nyâya-Sûtra II, 9, 57) heisst: »Der Veda hat keine Beweiskraft, weil er an den Gebrechen der Unwahrheit, des Widerspruchs und der Wiederholung leidet.« Mit der Absicht, Zweifel solcher Art zu lösen, ist dieses Sûtra verfasst.

Das Fürwort »tat« kann sich, nach dem Upaskâra, entweder auf Gott, oder auf das im vorhergehenden Sûtra erwähnte »Verdienst« beziehen. Im letztern Falle würde die Uebersetzung lauten: »Weil der Veda das Verdienst erklärt, hat er Beweiskraft.« Die erstere Erklärung ist vorzuziehen, weil zunächst nach einem Beweise des Verdienstes gefragt wird. Dieser ist anerkanntermassen im Veda gegeben; der Veda aber hat Beweiskraft, weil er »von ihm« ausgesprochen ist, d.h. nach den Worten der Vivriti, weil er von dem ewigen, allwissenden und heiligen Geiste herrührt. Diese Auffassung nämlich, dass sich das »tat« auf Gott bezieht, wird durch das Schluss-Sûtra des ganzen Werkes, welches eine wörtliche Wiederholung des gegenwärtigen ist, noch bestätigt, indem dort kaum eine andere Auslegung als die gegebene möglich ist. Vergl. auch II, 1, 18-19, welches die Bedeutung »tat« feststellt, und VI, 1, 1-4.

4. Nach der Ansicht des Upaskâra und der Vivriti bezieht sich dieses Sûtra auf beide Arten des Verdienstes, sowohl auf das, welches das Glück in einer höhern Welt hervorbringt, als auch auf das, welches der Grund der Befreiung ist. Im Gegentheil möchte ich es nur auf das erste beziehen, weil das zweite Verdienst, welches zur schliesslichen Befreiung von der Welt führt, im nächstfolgenden Sûtra angeführt wird.

1. Der Upaskâra und die Vivriti weichen in der Erklärung des Prädikates »welche erzeugt wird durch ein besonderes Verdienst« von einander ab. Ein solches Wissen, sagt der Upaskâra, hängt ab von dem Lehrsystem der Vaiçeshika; demnach ist dieses auch der Grund des höchsten Gutes. Und ferner: Der Satz »welche erzeugt wird durch ein besonderes Verdienst«, ist ein Prädikat des Wissens der Wahrheit. In diesem Falle hat das besondere Verdienst den Charakter des sich Lossagens von weltlicher Thätigkeit. Wenn aber der Ausdruck »Wissen der Wahrheit (tattwajnâna)« durch [310] die Herleitung »die Wahrheit wird dadurch gewusst«, als gleichbedeutend mit Lehrsystem aufgefasst wird, so muss man das besondere Verdienst als Anordnung und Gnade Gottes annehmen; denn der grosse Weise Kaṇâda soll sein Lehrsystem, nachdem er es durch die Anordnung und Gnade Gottes erhalten, verkündet haben. Unter dem Wissen der Wahrheit aber ist hier die Wahrheit der Seele gemeint, indem eben diese die trügerische und unwahre Erkenntniss zu vernichten im Stande ist.

Hier bestreitet nun die Vivriti, dass unter dem besonderen Verdienst entweder das sich Lossagen von weltlicher Thätigkeit oder die Anordnung und Gnade Gottes gemeint sei, und versteht darunter selbst »eine besondere gute That, entweder in diesem oder in einem früheren Leben verrichtet«. Obwohl diese Auslegung durch den Text, dessen wörtliche Uebersetzung sie ist, unterstützt wird, so darf man doch die Richtigkeit derselben bezweifeln; denn eine solche besondere gute That müsste doch eine der im Veda vorgeschriebenen Handlungen sein; in diesem Falle aber würde sie nur eins der Mittel sein, um eine höhere Welt zu gewinnen; auch würde das System in diesem Falle wohl kaum unterlassen haben, Handlungen von solcher Wichtigkeit zu beschreiben. Vielmehr müssen solche Handlungen darunter verstanden werden, wie sie das 6te Sûtra des zweiten Abschnitts des 6ten Buches andeutet: »Wenn die Handlungen der Seele Statt finden, so ist die Befreiung erklärt«.

2. Ueber das Verhältniss des Lehrsystems zu sei nem Zwecke und Inhalt bemerkt der Upaskâra: Das gegenwärtige Sûtra hat die Absicht, die Verbindung der zu behandelnden Gegenstände auseinanderzusetzen. Die Verbindung zwischen dem Lehrsystem und dem höchsten Gute ist die des Verhältnisses zwischen Ursache und Wirkung; die Verbindung zwischen dem Lehrsystem und dem Wissen der Wahrheit die des Verhältnisses zwischen Thätigkeit und dem Instrumente derselben, die Verbindung zwischen dem höchsten Gute und dem Wissen der Wahrheit die des Verhältnisses zwischen Wirkung und Ursache; die Verbindung zwischen den Kategorien und dem Lehrsysteme die des Verhältnisses zwischen dem zu Erklärenden und dem Erklärenden. Die Vivriti giebt diesen Zusammenhang wie folgt. Der Zweck ist das höchste Gut, die Gegenstände, welche behandelt werden sollen, sind die Kategorien; die Verbindung zwischen dem Lehrsystem und dem höchsten Gute, so wie zwischen dem Wissen der Wahrheit vermittelst der Kategorien und dem höchsten Gute ist die des Verhältnisses zwischen Mittel and Zweck; die Verbindung zwischen dem Lehrsystem und dem Wissen der Wahrheit vermittelst der Kategorien die des Verhältnisses zwischen Wirkung und Ursache; die Verbindung zwischen den Kategorien und dem Wissen der Wahrheit die des Verhältnisses zwischen dem Gegenstande und dem Instrumente; die Verbindung [311] zwischen den Kategorien und dem Lehrsystem die des Verhältnisses zwischen dem Hervorzubringenden und dem Hervorbringenden.

3. Nach der Erklärung des Upaskâra ist das höchste Gut absolute Befreiung vom Uebel. Nachdem er über die Giltigkeit dieser Erklärung steh weitläufig ausgelassen, fasst er zuletzt das Ganze zusammen: Man könnte nun sagen, vielleicht ist dennoch das Aufhören des Uebels nicht das höchste Gut, weil es unmöglich ein Aufhören des künftigen Uebels geben kann, weil das vergangene Uebel vergangen ist, und weil das gegenwärtige Uebel vermöge der Bestrebung des Menschen eben aufhört. Eine solche Ansicht ist nicht richtig, weil die Thätigkeit des Menschen, gleich wie die Sühnung, auf die Vernichtung der Ursache des Uebels sich richtet (und mit der Ursache ist auch die Wirkung aufgehoben). Die Ursache des weltlichen Daseins ist nämlich das trügerische, falsche Wissen; das wird aber durch das Wissen der Wahrheit der Seele vernichtet; und das Wissen der Wahrheit entsteht durch die Ausübung des Yoga. Deshalb (weil das höchste Gut = Befreiung vom Uebel, erreichbar ist) ist das Streben (nach dem höchsten Gut) zulässig.

Die Ansicht nun, dass Befreiung, anstatt des Nicht-Daseins des Uebels die Offenbarung eines ewigen Wohles sei, ist nicht richtig, weil es an einem Beweise eines ewigen Wohles fehlt; gäbe es aber einen solchen, so wäre es nicht ewig, weil wegen der Offenbarung desselben kein Unterschied zwischen dem Befreiten und dem im weltlichen Dasein Befangenen, Statt findet, und wegen des Entstehens des Offenbarwerdens bei dem Aufhören desselben das weltliche Dasein wieder erfolgen würde.

Ferner ist die Ansicht, dass Befreiung die Auflösung der individuellen Seele in die allgemeine sei, nicht richtig. Soll Auflösung Eins-Sein bedeuten, so ist dies widersinnig; denn zwei sind nicht eins. Soll aber Auflösung das Aufhören des ursprünglichen, feinen Körpers, und der ursprüngliche, feine Körper die eilf Sinne, und das Aufhören von diesem und dem (groben) Körper Auflösung bedeuten, so ist auch dies nicht richtig, weil damit nur die Freiheit von den Gegenständen des Uebels ausgesagt wird. Es ist demnach ausgemacht, dass Befreiung eben das Nicht-Sein des Uebels ist.

Hiermit ist auch die Ansicht der Ekadandi (einer Sekte der Vedânta, welche das Tragen eines Stabes als ein Symbol der Lehre ansehen, dass Alles das eine Brahma sei), dass beim Aufhören der Unwissenheit der Zustand der Seele, worin sie nur sich selbst gleich ist, Befreiung sei, und dass die Seele die Natur des Wissens und des Wohles an sich trage, widerlegt; denn es giebt keinen Beweis, dass die Seele Wissen und Wohl ist. Der Text der Çruti nämlich: »Brahma ist ewiges Wissen und Seligkeit«, ist kein Beweis, weil dieser durch das Haben von Wissen und Seligkeit zu [312] erklären ist; denn es giebt eine solche Ueberzeugung, wie: ich weiss, mir ist wohl, nicht aber: ich bin Wissen, ich bin Wohl.

Die Vivriti fasst dies kurz zusammen: Nach der Nyâya, Vaiçeshika und Sânkhya ist das höchste Gut absolute Befreiung vom Uebel, bestimmt durch die Vernichtung des Uebels in dem ihm (dem Uebel) gemeinsamen Substrate des nicht gemeinsamen zeitlichen Uebels; denn die Vernichtung des der Zeit nach letzten Uebela ist nicht gleichzeitig mit (der Vernichtung) des Uebels in dem ihm gemeinsamen Substrate, weil zu der Zeit in der befreiten Seele kein Uebel entsteht; nach einer Abtheilung der Nyâya ist es die absolute Befreiung von der Sünde; nach den Vedânti, welche Ekadandi heissen, Befreiung von der Unwissenheit; nach den Vedânti, welche Tridandi (eine Sekte der Vedânta, welche drei in eins verbundene Stäbe tragen, als ein Symbol ihrer vollständigen Beherrschung von Gedanken, Worten und Thaten) heissen, die Auflösung der individuellen Seele in die höchste Seele; nach den Bhatta der Genuss eines unwandelbaren Glücks; das unwandelbare Glück aber, wie es durch den Veda bewiesen, ist während des weltlichen Daseins unentwickelt, obwohl es jeder individuellen Seele einwohnt, und wird erst nach dem Offenbarwerden der Wahrheit der Seele offenbar. Die schwachen Seiten in diesen Ansichten sind hier nicht weiter auseinandergesetzt; aber so viel steht fest, dass alle einer absoluten Befreiung vom Uebel in dem Zustande der Befreiung nicht entgegen sind.

4. Nach der Vivriti sind die Begriffe der Substanz, der Eigenschaft und der Bewegungen Gattungen; der Begriff des Allgemeinen (d.h. der Gattung) ist das Verbundensein von vielen bei der Existenz des Unvergänglichen, der Begriff des Besondern das Verbundensein mit Einem allein bei der Existenz von irgend etwas, welches von der Gattung verschieden ist; der Begriff der Inhärenz ist beständige (unwandelbare) Verbindung.

5. Die Vivriti sucht, gleich dem Upaskâra, zu beweisen, dass die Kategorie der Nicht-Existenz ebenfalls durch Kaṇâda aufgestellt sei, folgendermassen: Obwohl die sechs Kategorien als existirend ausgesprochen sind, so ist doch in Wahrheit auch die Nicht-Existenz als eine andere Kategorie beabsichtigt. Deshalb stimmt es hiermit überein, was im ersten Sûtra des zweiten Abschnitts des ersten Buches: »Bei der Nicht-Existenz der Ursache existirt die Wirkung nicht«, und im ersten Sûtra des ersten Abschnitts des neunten Buches: »(Eine Wirkung ist) vorher nicht seiend, weil Bewegungen und Eigenschaften nicht (darauf) angewandt werden«, und in andern Sûtras gesagt wird. Demnach heisst es in der Nyâyalîlâvatî: Auch die Nicht-Existenz ist zu erwähnen, weil sie, gleich den Kategorien der Existenz, mit dem höchsten Gute verbunden ist; denn durch den Beweis, dass mit der Ursache auch die Wirkung nicht existirt, [313] ist das Verbundensein bewiesen. Ebenso in der Dravyakiranâvali durch die Lehrer der Nyâya: Diese (sechs) Kategorien sind angeführt, weil sie die hauptsächlichsten sind, die Nicht-Existenz dagegen, obwohl sie ihren eigenen Begriff hat, ist nicht eingeführt, nicht deshalb, weil sie verwerflich ist, sondern weil ihre Bestimmung in der des Entgegengesetzten enthalten ist.

Es war unnöthig, einen solchen indirekten Beweis, dass Kaṇâda die Nicht-Existenz als eine Kategorie angesehen, zu führen; denn die Nicht-Existenz wird im neunten Buche von Kaṇâda selbst aufgestellt und eingetheilt; ja sogar behauptet, dass sie durch sinnliche Wahrnehmung aufgefasst werde. Obwohl sie an dem angeführten Orte nicht ausdrücklich als Kategorie erklärt wird, so versteht sich dies doch von selbst, indem sie keinem andern Begriffe untergeordnet werden kann.

6. Dr. Ballantyne in seiner Uebersetzung der »Aphorisms o the Vaiçeshika« giebt die Namen der Kategorien folgendermassen: Substance, quality, action (karma), community, distinction und concretion. Karma (Bewegung) bedeutet im gewöhnlichen Sprachgebrauch allerdings »action«, Handlung, »Werk, in der technischen Sprache der Vaiçeshika aber nur Bewegung. Community für sâmânya (Allgemeines) ist nicht bestimmt genug, indem sâmânya immer die Begriffsallgemeinheit, community aber diese nur ausnahmsweise bezeichnet. »Concretion« für samavâya ist gleichfalls nicht passend. Samavâya ist nach den Vaiçeshika unwandelbare Verbindung, welche erstens zusammengesetzte Substanzen mit den einfachen haben, aus welchen sie zusammengesetzt sind, welche zweitens Eigenschaften und Bewegungen mit der Substanz haben, ohne welche sie nicht gedacht werden können, und welche drittens das Individuum mit der Art, und die Art mit der Gattung hat. Concretion bezeichnet dies nun keineswegs, indem es vielmehr die Verbindung gleichartiger Theile zu einem Ganzen ausdrückt. – In Dr. Ballantyne's Vorlesungen, welche 1852 erschienen, werden sâmânya und viçesha durch genus und difference, und samavâya durch coinherence übersetzt. Genus und difference sind vollkommen zulässig, und coinherence trifft auch im Allgemeinen das Richtige, indem Inhärenz nach philosophischem Sprachgebrauche das Einwohnen des Einen in dem Andern bedeutet. Das »Co« giebt aber einen überflüssigen Zusatz, indem die samavâya nicht die nothwendige Mehrheit des Inhärirenden, sondern nur das Inhäriren des Einen in einem Andern bezeichnen soll.

Prof. Müller in seinen »Beiträgen zur Kenntniss der indischen Philosophie« (Zeitschr. d.D.M.G. Bd. VI) überträgt die Kategorien durch: Gegenstand, Eigenschaft, Bewegung, das Allgemeine, das Besondere, Inhärenz. Diese Ausdrücke, mit Ausnahme des Gegenstandes, habe ich adoptirt. Dravya, im gewöhnlichen Sprachgebrauche, [314] meint in der That nichts Andres als Gegenstand, Ding u.s.w., als Kunstausdruck des Vaiçeshika aber das Seiende, auf welches alles andere Seiende als auf seinen Grund zurückgeführt werden muss. Gegenstand dagegen bedeutet im Allgemeinen das, was der Empfindung, der Wahrnehmung, dem Denken u.s.w. vorliegt, und näher etwas ausser dem Subjekte Liegendes und ihm Entgegengesetztes, und hat daher nicht die bestimmte Bedeutung des dem Abgeleiteten, den Eigenschaften u.s.w. zum Grunde Liegenden. Der angemessenste Ausdruck dafür ist Substanz.

5. 1. Alle indischen Systeme nehmen, ausser Erde, Wasser, Licht und Luft noch ein fünftes Element an, welches sie gewöhnlich âkâça nennen. Dies fünfte Element, welches unendlich ist, hat Colebrooke durch »Aether« wiedergegeben, welcher Ausdruck deshalb nicht unangemessen ist, weil der Aether nach der Theorie von vielen Physikern ebenfalls einen durch den ganzen Weltenraum verbreiteten Stoff bezeichnet. Nur ist zu beachten, dass der Aether der indischen Philosophie nicht, wie der unserer Physiker, die Quelle des Lichts, sondern des Tons ist, und dass die Vaiçeshika besonders den Aether den übrigen vier Elementen entgegensetzt, indem diese aus Atomen bestehen, während der Aether nach ihrer Ausdrucksweise zu den unendlichen Substanzen gehört.

2. Professor Müller übersetzt âtmâ (Seele) durch Selbst, und manas (innerer Sinn) durch Seele. Âtmâ ist nach Kaṇâda die Substanz, aus welcher Wissen, Lust und Unlust, Wollen u.s.w. entspringen, und dieser Begriff wird durch Seele, welche immer als Grund aller geistigen Erscheinungen gegolten hat, am angemessensten wiedergegeben. Der Manas dagegen hat an und für sich weder Wissen noch andre geistige Eigenschaften, sondern ist nur die nothwendige Bedingung, durch welche das Wissen u.s.w. zur Erscheinung kommt, indem alles in der Seele Entstehende durch den Manas hindurch muss. Aus diesem Grunde wird er denn auch, von der Vaiçeshika sowohl wie der Nyâya, als antarindriya, als innerer Sinn, bezeichnet. Insofern ist die Uebertragung »innerer Sinn« für Manas durchaus gerechtfertigt, doch ist sie unpassend, insofern innerer Sinn nach unserem Sprachgebrauch als ein Vermögen der Seele dieser selbst zugehört, während Manas eine von der Seele verschiedene atomistische Substanz ist. Dennoch habe ich diesen Ausdruck gewählt, weil ich keinen passendem in unserer Sprache fand, und weil er wenigstens die Funktion des Manas vollständig ausdrückt.

3. Iti (Dies), hinter »innerer Sinn« soll die abschliessende Bestimmung anzeigen, so dass es weder mehr noch weniger als neun Substanzen giebt. Andere nämlich haben noch andere Substanzen angenommen, z.B. die Sânkhya Finsterniss, Andere Gold u.s.w.[315] Upaskâra und Vivriti suchen diese Ansicht hier zu widerlegen, während Kaṇâda selbst die Meinung, nach welcher Finsterniss eine Substanz sein soll, an einem andern Orte (5, 2, 19) zurückweist.

4. Nach der Vivriti bilden weder der Aether, noch Zeit und Raum Gattungen, weil sie nur in Einem gefunden werden; die übrigen Substanzen, als viele einer Art, bilden Gattungen.

6. 1. Es ist bemerkenswerth, dass in diesem Sûtra, welches alle Eigenschaften aufzählen sollte, von den 24 diesem Systeme eigenthümlichen Eigenschaften nur 17 angeführt werden. Ueber diese Hinweglassung sagt der Upaskâra: Durch das »Und« werden Schwere, Flüssigkeit, Zähigkeit, Selbstwiedererzeugung, Verdienst, Nicht-Verdienst und Ton zusammengefasst, und diese werden deshalb nicht namentlich angeführt, weil ihre Natur als Eigenschaft bekannt ist. Späterhin aber werden sie, ihrer Erklärung und ihrer Natur nach als unter den Begriff der Eigenschaft fallend, an den gehörigen Orten erwähnt werden.

Dies ist in der That der Fall. Flüssigkeit und Zähigkeit werden II. 1. 2., Ton II. 1, 25-27 und II. 2. 22, Schwere V.l. 7, Verdienst und Nicht-Verdienst im 6ten Buche, und Selbstwiedererzeugung IX. 2. 6 angeführt; auch ist es unzweifelhaft, dass sie Eigenschaften im Sinne des Kaṇâda sein sollen, weil sie eben in Verbindung mit den übrigen Eigenschaften erklärt werden. Der Grund aber, welchen der Upaskâra für ihre Nicht-Erwähnung in dem gegenwärtigen Sûtra angiebt, ist nicht stichhaltig; denn die namentlich angeführten Eigenschaften sind wenigstens eben so bekannt, wie die nicht namentlich angeführten.

Eine andere Eigenthümlichkeit dieses Sûtra ist die Art der grammatischen Verbindung der Eigenschaften; sie werden nämlich nicht in eine Reihe, sondern gruppenweise zusammengestellt. So bilden Farbe, Geschmack, Geruch und Tastbarkeit ein zusammengesetztes Wort im Plural; Zahlen und Ausdehnungen sind jedes im Plural; Verbindung und Trennung als ein Wort im Dual; und Einzelheit im Singular angegeben. Zur Erklärung bemerkt der Upaskâra: Farbe, Geschmack, Geruch und Tastbarkeit bilden ein zusammengesetztes Wort, um anzudeuten, dass für gleichzeitige Farben u.s.w. kein gemeinsames Substrat vorhanden ist (weil jede dieser Eigenschaften einer verschiedenen Substanz angehört); Zahlen und Ausdehnungen aber sind Plurale und nicht in ein Wort zusammengefasst, um anzudeuten, dass die gleichzeitigen Zahlen und Ausdehnungen ein gemeinsames Substrat haben. Obwohl das gemeinsame Substrat der Einheit nicht eine andere Einheit, und das [316] gemeinsame Substrat der Länge und Breite nicht eine andere Länge und Breite ist, so sind doch die Zweiheit und andere Zahlen sich gegenseitig ein gemeinsames Substrat, und Breite und Länge u.s.w. ein gemeinsames Substrat für anderweitige Ausdehnungen. Wenn auch die Einzelheit als gemeinsames Substrat für die Einzelheit von zweien u.s.w. aus diesem Grunde durch die Vielheit der Zahl zu bestimmen ist, so hat doch der Singular die Bestimmung, den Gegensatz zur Zahl, welcher durch das Offenbarmachen der Gränze charakterisirt ist, anzudeuten. Verbindung und Trennung, obwohl sie zwei sind, sind (als ein Wort) im Dual zusammengestellt, um anzudeuten, dass sie die eine Bewegung hervorbringen. Nähe und Ferne (ein Wort bildend) haben den Dual, um ihre gegenseitige Abhängigkeit zu bestimmen, und um anzudeuten, dass sie ohne Unterschied ein Zeichen des Raums und der Zeit sind. Erkenntnisse sind im Plural um durch die Eintheilung des Wissens u.s.w. die Ansicht der Sânkhya, dass die Einsicht nur eins sei, zu widerlegen. Wohl und Wehe, obwohl zwei Eigenschaften, haben den Dual (als ein erzeugen, ferner, dass sie ohne Unterschied das Schicksal herbeiführen, und dass das Wohl als ein Uebel gedacht werden muss. Verlangen und Abscheu (als Theile eines Wortes) stehen im Dual, um anzuzeigen, dass sie die Ursachen des Handelns sind, und Bestrebungen im Plural, um auszusagen, dass sie der Grund des Verdienstes von zehn Arten von gebotenen und verbotenen Gegenständen und der Grund der Sünde von zehn Arten (solcher Gegenstände) sind.

Oder auch: Farbe, Geschmack, Geruch und Tastbarkeit sind zusammen angeführt, um die Ursachlichkeit des Verhältnisses zwischen den Elementen (Erde, Wasser, Licht, Luft, deren jedes der Gegenstand nur eines Sinnes ist) und den Sinnesorganen (deren jedes einem bestimmten Elemente entspricht) deutlich zu machen, oder auch, um die Wirkungen, welche durch Anwendung von Hitze entstehen, festzustellen. – Ferner: um den Gegensatz der Zweiheit und Vielheit u.s.w. hinsichtlich der Zahl zu entfernen, ist sie im Plural angeführt. Ferner, die Einzelnheit ist einzeln angeführt, um anzudeuten, dass sie durch die Vielheit der Zahl auch eine vielfache, und ihr Gegensatz zur Zahl das Offenbarmachen des Wissens der Gränze ist. Ferner steht Ausdehnung im Plural, um den Widerspruch zwischen Breite und Länge zu entfernen; Verbindung und Trennung im Dual, um den Gegensatz zwischen ihnen hervorzuheben; Nähe und Ferne aber im Dual, weil wegen der Eintheilung (derselben) nach Raum und Zeit in Folge einer Vermuthung ihrer Verschiedenheit vier Eigenschaften herauskämen, und (deshalb) die Eintheilung der Eigenschaften eine geringere (?) sein würde.

Die Auslegung des Upaskâra scheint gezwungen zu sein, ist aber der künstlichen Anordnung der Eigenschaften im Sûtra vollkommen [317] angemessen, und erklärt im Ganzen gewiss richtig den beabsichtigten Sinn jener Gruppierung.

2. Sind nun die Begriffe der Eigenschaften Klassen, und ist der Begriff der Eigenschaft selbst eine Klasse? Darüber sagt die Vivriti: Hier sind nun alle Theilungsglieder der Eigenschaft, nämlich die Begriffe der Farbe, des Geschmacks u.s.w. Klassen; der Verfasser der Sâkti jedoch hält den Begriff der Selbstwiedererzeugung, wie er in der Geschwindigkeit, Elasticität und in der Erinnerung gefunden wird, nicht für eine Klasse, weil kein Beweis dafür vorhanden wäre. Hinsichtlich eines Beweises der Klasse: Eigenschaft, bemerkt der Verfasser der Muktâvalî: Die Ursachlichkeit, welche in dem Statt findet, was eine von den Substanzen und den Bewegungen verschiedene Allgemeinheit besitzt (d.h. in den Eigenschaften), ist durch irgend welchen Charakter bestimmt, indem eine unbestimmte Ursachlichkeit undenkbar ist; denn hier ist nicht der Begriff der Farbe (der niedere Begriff), oder das Sein (der höhere Begriff) bestimmend, weil sonst ein kleinerer oder grösserer Umfang (des Begriffes) Statt fände; deshalb ist ein in den 24 Eigenschaften selbst Enthaltenes anzunehmen. – Die Neuern aber nehmen an, dass der Begriff der Eigenschaft durch Wahrnehmung bewiesen ist.

3. Dr. Ballantyne und Prof. Müller übersetzen parimâna durch Grösse; es ist aber räumliche Grösse, indem es Länge und Breite umfasst. Sanskâra wird von Pr. M. durch Anlage wiedergegeben; Anlage jedoch ist etwas ursprünglich Vorhandenes, während sanskâra die Wiederherstellung eines früher Vorhandenen, wie dies erhält aus der Tarka-Sangraha (§ 87): Selbstwiedererzeugung ist dreifach, Geschwindigkeit, Einbildung und Elasticität, Geschwindigkeit findet sich in der Erde, dem Wasser, dem Licht und dem innern Sinn (denen allein Bewegung zukommt); Einbildung, die Wirkung der Auffassung, und die Ursache der Erinnerung, findet nur in der Seele Statt. Elasticität ist das, welches das Veränderte zu seinem früheren Zustande zurückführt, und sich in erdigen Substanzen, wie in Matten u.s.w. findet. In meiner Uebertragung bin ich Dr. Ballantyne, der es in der Tarka-Sangraha durch: the self-reproductive übersetzt, gefolgt.

7. 1. Die Bewegungen, sagt der Upaskâra, sind wahrnehmbar, sie die Wirkungen von Substanzen und Eigenschaften sind, und weil sie farbigen Substanzen inhäriren; aus diesem Grunde geschieht die namentliche Angabe und Eintheilung der Bewegung nach der Aufzählung der Substanzen und Eigenschaften.

2. Die Bewegung ist offenbar eingetheilt nach den verschiedenen Hauptrichtungen, welche ein bewegter Gegenstand von einem und demselben Punkte aus nehmen kann, nämlich nach oben, nach [318] unten, und horizontal nach zwei entgegengesetzten Seiten. Das fünfte Glied, wenn es wörtlich »Gehen« bedeutet, scheint überflüssig zu sein; denn im Gehen sind die übrigen Bewegungen schon begriffen, und es würde deshalb den Begriff, welcher eingetheilt werden soll, nur wiederholen. Dies wird denn auch von den meisten Erklärern zugegeben, und sie nehmen deshalb an, dass »das Gehen« hier nicht in seinem ursprünglichen Sinne aufzufassen sei, sondern alle übrigen nicht angeführten Bewegungen, wie die Kreisbewegung, die Bewegung durch Ausleerung, Tröpfeln u.s.w. enthalte. – Nichts ist bezeichnender für den blinden Autoritätsglauben der Inder, als die Erklärung dieser Stelle in dem Dinâkari, welche Ballantyne (Vaiçeshika Aphorisms p. 14) anführt. Nun denn, weil Aufwerfen u.s.w. vom Gehen allein gewonnen wird, so ist die Eintheilung in Aufwerfen u.s.w. nicht angemessen. Auch kann man nicht sagen, dass der Begriff des Gehens im Aufwerfen u.s.w. sich nicht erkennen lasse; denn wenn ein Erdkloss u.s.w. auf- oder niedergeworfen wird, so findet die Auffassung Statt, er geht aufwärts, oder er geht niederwärts. Diese eure Meinung indess ist nicht richtig; denn es ist unmöglich, einen grossen Weisen (wie Kaṇâda) beschränken zu wollen.

8. Um dieses Sûtra zu verstehen, muss man die Ansicht des Kaṇâda hinsichtlich der Substanzen kennen. Die Substanzen sind nämlich entweder einfach, und deshalb unvergänglich, oder zusammengesetzt, und deshalb vergänglich. Einfach sind 1. die Atome, deren Mass oder Grösse ein Atom, d.h. unendlich klein ist, und 2. die sogenannte Vibhu, oder unendlichen Substanzen, wie Raum, Zeit u.s.w., deren Mass unendlich gross ist. Die zusammengesetzten Substanzen bestehen aus Atomen, und sind als zusammengesetzt vorzüglich, indem sie immer wieder in ihre einfachen Bestandtheile aufgelöst werden können. Die ersten drei Merkmale, welche in diesem Sûtra als das Gemeinschaftliche der Substanz, Eigenschaft und Bewegung angegeben werden, passen nun in der That nicht auf Substanzen; denn diese sind nicht vergänglich, nicht anderen Substanzen inhärirend, und nicht Wirkungen. Sie passen nur auf Bewegungen und auf vergängliche Substanzen und Eigenschaften. Warum denn diese Zusammenstellung? Dem Verlasser des Sûtra war es offenbar darum zu thun, die Bewegungen mit Substanzen und Eigenschaften zu vergleichen, und dies wäre unmöglich gewesen, wenn er sie mit der einfachen Substanz oder mit unvergänglichen Eigenschaften verglichen hätte. Upaskâra und Vivriti bemühen sich nun, das Widersprechende dieser Zusammenstellung hinwegzuerklären. Die Vivriti, im Ganzen mit dem Upaskâra übereinstimmend, [319] sagt darüber: Das Allgemeine (die Gattung in der Substanz, Eigenschaft und Bewegung) ist das Sein, das Besondere die Begriffe der Substanz, der Eigenschaft und Bewegung. Die Auffassung »Sein« kommt sowohl den Substanzen, wie den Eigenschaften und Bewegungen zu. Demnach besteht das Gemeinschaftliche der Substanzen, Eigenschaften und Bewegungen darin, dass sie 1. das Sein haben, 2. dass die das Gegentheil der Zerstörung (= Vergänglichkeit) sind, 3. dass die Substanz ihre inhärente Ursache (= Inhärenz in der Substanz) ist, 4. dass sie Ursachen sind und 5. dass sie eine Gattung haben, welche im Sein enthalten ist. Obwohl Vergänglichkeit, Inhärenz in der Substanz, und Wirkung nicht enthalten sind in einer unvergänglichen Substanz oder Eigenschaft, noch Ursachlichkeit in dem, dessen Mass ein Atom ist, oder in unvergänglichen Substanzen, so ist Vergänglichkeit doch eine Eigenschaft der Theilungsglieder der drei Kategorien, welche in der Substanz als inhärenter Ursache vorhanden ist; Wirkung ebenso eine Eigenschaft der Theilungsglieder der drei Kategorien, welche in dem Gegentheile der vorangehenden Nicht-Existenz vor handen ist; ebenso Ursache eine Eigenschaft der Theilungsglieder der drei Kategorien, welche Statt findet entweder in der inhärenten oder in der nicht-inhärenten Ursache. Das erste und letzte (Gemeinschaftliche) aber (nämlich das Sein, und das Haben des Allgemeinen und Besonderen) ist wörtlich zu verstehen. Dieser Versuch der Vivriti, das Widersprechende in dem Sûtra hinwegzuerklären, ist offenbar mislungen. Ihre Erklärung nämlich beruht darauf, die Substanzen in der Möglichkeit als vergänglich u.s.w. aufzufassen; dies ist aber eben unmöglich. Die allgemeinen Merkmale von Substanz, Eigenschaft und Bewegung (wie diese Begriffe durch Kaṇâda bestimmt werden) sind eben nichts als Allgemeines, d.h. Sein und Besonderes, d.h. die Begriffe der Substanz, Eigenschaft und Bewegung selbst. Die spätern Darstellungen der Vaiçeshika haben denn auch die Erklärung dieses Sûtra fallen lassen, so z.B. der Bhâshaparichheda, wo (4) nur das Sein als das Gemeinschaftliche jener drei Kategorien ausgesagt wird.

Ein fernerer Mangel dieses Sûtra ist, dass dasselbe Merkmal zwei Mal angeführt wird, nämlich das Sein und das Allgemeine, welches eben das Sein ist, wenn man nicht Sâmânyaviçeshavat (das Haben des Allgemeinen und Besondern) durch das Haben der besondern Allgemeinheit erklären will.

9. Die Erklärung wird nach dem Upaskâra in dem nächsten Sûtra gegeben. Die Vivriti dagegen sagt: Die erdigen Grundatome bilden den Anfang einer Verbindung von zwei, drei u.s.w. erdigen Atomen, die blaue Farbe u.s.w. der erdigen Grundatome den Anfang einer Verbindung der blauen Farbe von zwei Atomen u.s.w. Dieses findet zwar in dem Aether u.s.w., sowie in dem letzten [320] Ganzen (d.h. dem einzelnen Atome) und in dessen Eigenschaft nicht Statt, doch soll es das Haben eines allgemeine Merkmals der Theilungsglieder der beiden Kategorien, welches vorhanden ist in dem Anfange der eigenen Klasse, bedeuten. – Diese Erklärung der Vivriti ist eben so unhaltbar wie die im vorigen Sûtra.

11. Weil es an einem Beweise dafür fehlt. Sollte eine Bewegung nämlich eine andre hervorbringen, so müsste sie es im nächsten Augenblicke ihrer Entstehung thun, gleich wie beim Tone (wo der erste Ton den zweiten, dieser den dritten u.s.w. hervorbringt); denn eine spätere Wirkung gehört, beim Dasein des Dinges, dem Schicksal an. Demnach wenn durch die ersten Bewegungen (und Bewegungen sind ihrer Erklärung nach unmittelbare Ursache der Trennung und Vereinigung.; siehe S. 318.) eine Trennung (von den Substanzen, mit welchen das bewegte Ding in Verbindung stand) hervorgebracht ist, welche Trennung könnte durch die zweite Bewegung hervorgebracht werden? Und wenn sie keine Trennung hervor bringt, so ist sie auch keine Bewegung; denn es ist das unterscheidende Merkmal der Bewegung, dass sie die unmittelbare Ursache von Verbindung und Trennung ist. Vivriti.

12. 1. In diesem und den beiden folgenden Sûtra wird der Unterschied zwischen der Substanz und der Eigenschaft und Bewegung gezeigt.

Zur Erläuterung sagt die Vivriti: Eine entstandene (d.h. zusammengesetzte) Substanz wird entweder durch die Vernichtung ihres Substrates (d.h. der Substanzen, welche sie zusammensetzen), oder durch Vernichtung der Verbindung, wodurch sie ins Dasein tritt, aufgehoben; doch hebt sie weder ihre Ursache noch ihre Wirkung auf (indem z.B. eine aus zwei Substanzen zusammengesetzte Substanz diese wieder enthält).

2. Sowohl durch die Ursache als durch die Wirkung derselbe. Als ein Beispiel wird von der Vivriti der Ton angeführt; der erste Ton wird nämlich durch seine Wirkung (den zweiten), und der letzte durch seine Ursache (den vorletzten) aufgehoben. – Wir mögen dies zugeben, so wie auch, dass ein Gegenstand des Wissens durch einen andern aus dem Bewusstsein verdrängt wird; aber die Behauptung ist im Sûtra allgemein, und passt doch nicht auf alle Eigenschaften, z.B. nicht auf Farbe, Tastbarkeit u.s.w.

[321] 14. D.h. die Bewegung wird durch ihre Wirkung aufgehoben; die Wirkung der Bewegung nämlich ist die Verbindung der bewegten Substanz mit einer andern; sobald sie erfolgt ist, hört die Bewegung auf.

15. Das heisst, sagt der Upaskâra, die Substanz ist das Substrat für Bewegungen und Eigenschaften. Das unterscheidende Kennzeichen (lakshanam) meint hier ein Zeichen, und zwar eine Art von ausschliessendem Zeichen, wodurch etwas von gleichartigen und ungleichartigen Dingen abgesondert wird, nach der Etymologie: lakshyate anena, man kennzeichnet dadurch. Hier nun wird die Substanz als solche durch Bewegung und Eigenschaft gekennzeichnet. Durch das Haben von Eigenschaften wird die Substanz von allem Andern, sei es von gleicher oder ungleicher Gattung, als abgesondert gekennzeichnet. Die Eigenschaft und die vier nächstfolgenden Kategorien sind, wegen des Begriffs der Existenz, von derselben Gattung mit der Substanz, die Nicht-Existenz von verschiedener. Demnach ist die Substanz von der Eigenschaft u.s.w. abgesondert, weil sie unter den Begriff des Habens der Eigenschaft fällt; was (nämlich) von der Eigenschaft u.s.w. nicht abgesondert ist, das ist kein Substrat der Eigenschaft, wie die Eigenschaft u.s.w. Obwohl das Haben der Eigenschaft im ersten Augenblicke (des Entstehens) nicht in einem zusammengesetzten Ganzen vorhanden ist1, so ist doch hier (mit dem Haben der Eigenschaft) das Gegentheil der absoluten Nicht-Existenz der Eigenschaft gemeint, weil auch die vorangehende Nicht-Existenz und die Zerstörung der Eigenschaft das Gegentheil der absoluten Nicht-Existenz der Eigenschaft sind. –

Das Haben der Bewegung passt nicht auf alle Substanzen, nämlich z.B. nicht auf den Aether, Raum u.s.w., welche als unendliche Substanzen sich nicht bewegen. Deshalb will die Vivriti dieses Merkmal nur bedingt gelten lassen, nämlich so, dass das Haben der Bewegung nur eine Eigenschaft der Theilungsglieder der Kategorie, welche in dem Bewegten vorhanden, oder dass es zu verstehen sei durch das Verhältniss zu dem, welches eine durch sich selbst hervorgebrachte Verbindung habe. Die Erklärung, welche die Bhâshâparichheda (23) von der Substanz giebt, ist, dass sie unter den Begriff der Substanz fällt, und diese Erklärung ist auch im Sinne dieses Systems die einzig richtige.

[322] 16. Der Upaskâra erklärt dies Sûtra folgendermassen: Inhärenz in der Substanz kommt auch der Substanz (nämlich der zusammengesetzten) zu (und ist demnach kein unterscheidendes Merkmal der Eigenschaft); deshalb wird gesagt »ohne Eigenschaft.« Diese Bestimmung ist dennoch zu weit, denn sie schliesst auch die Bewegung in sich; deshalb wird gesagt, dass sie nicht unmittelbare Ursache von Verbindungen und Trennungen ist. (Mittelbare Ursache kann sie allerdings sein, wie die Hand, welche einen auf dem Boden stehenden Stock hält, mittelbar, durch ihre Verbindung mit dem Stocke nämlich, auch mit dem Boden verbunden ist. Hier ist eine Eigenschaft, die Verbindung der Hand mit dem Stocke, die mittelbare Ursache der Verbindung der Hand mit dem Boden). Die Erklärung, welche die Vivriti von der Eigenschaft giebt, ist: Eigenschaft ist das Allgemeinheit (nämlich eben den Begriff der Eigenschaft) Habende, welches von dem Eigenschaft Habenden (der Substanz) und der Bewegung verschieden ist. – »Verschieden von der Bewegung« bedarf einer Erläuterung, und so ist die Definition der Vivriti keine Verbesserung.

17. Bewegung kommt nur einer Substanz zu. Eine Substanz mag aus mehreren Substanzen bestehen, eben so eine Eigenschaft durch mehrere Eigenschaften, z.B. die Farbe eines Ganzen durch die Farben der Theile hervorgebracht werden, eine Bewegung gehört aber immer nur einer Substanz an. Ferner hat die Bewegung gleich der Eigenschaft, keine Eigenschaft; denn diese ist das unterscheidende Merkmal der Substanz, und schliesslich ist die Bewegung, die unmittelbare, oder die direkte Ursache von Vereinigungen und Trennungen. Wenn die Bewegung einer Substanz aufhört, so geht diese eine neue Verbindung mit andern Substanzen ein, und so ist die Bewegung die direkte Ursache der Verbindung, obwohl diese eine Reihe von Mittelursachen, z.B. den Willen Gottes, menschliche Absicht, das Schicksal u.s.w. haben kann. V.

18. Das Gemeinschaftliche der drei ersten Kategorien wird nun vermittelst der Ursache wieder aufgenommen. Der Sinn dieses Sûtra ist, dass selbst in einer Substanz als inhärenter Ursache Substanz, Eigenschaft und Bewegung Statt finden. Das Gemeinschaftliche der drei Kategorien ist das Haben einer Gattung, welche in der Substanz als inhärenter Ursache sich findet. U.

[323] 19. Das Gemeinsame der drei Klassen besteht in dem Haben einer Klasse, welche der Eigenschaft als nicht-inhärenter Ursache einwohnt. Von Substanzen ist Verbindung die nicht-inhärente Ursache von Eigenschaften, wenn sie Produkte sind, wie Farbe, Geschmack, Geruch, Tastbarkeit, Zahl, Ausdehnung, Einzelnheit u.s.w. sind die ursachlichen Eigenschaften (z.B. die Farbe, der Geruch u.s.w., welche in den Theilen, welche ein Ganzes bilden, vorhanden sind) die nicht-inhärente Ursache, von Erkenntnissen und andern Eigenschaften der Seele ist die Verbindung des innern Sinnes (mit der Seele und respective mit den Gegenständen der Sinne) die nicht-inhärente Ursache, von den Eigenschaften der erdigen Grundatome (doch gewiss nur, wenn sie eine Veränderung zeigen) ist die Verbindung mit Feuer die nicht-inhärente Ursache, von Bewegungen aber sind sanfte Berührung mit Feuer, Schlag, Schwere, Flüssigkeit, Selbstwiedererzeugung, die Verbindung der Seele in ihrer Abhängigkeit vom Schicksal (adrishtavat), die Verbindung der Seele, wenn sie will u.s.w. die nicht-inhärente Ursache. Zuweilen ist selbst eine einzige Eigenschaft der Anfang von allen dreien, von Substanzen, Eigenschaften und Bewegungen; z.B. die Verbindung eines mit Geschwindigkeit begabten Haufens Baumwolle verursacht in einem andern Haufen Baumwolle Bewegung, und bringt eine Substanz aus zwei solchen Haufen bestehend, und die Ausdehnung derselben hervor. Upaskâra. Dr. Ballantyne liest, statt tathâ (so), ubhayathâ, und übersetzt: In two ways a quality (may be a cause of all the three) und erklärt: Of substances the non-intimate cause is conjunction (as the conjunction of the threads is the non-intimate cause of the web). Then again the colour of the threads is the non-intimate cause of the colour of the web. And thus a quality may be a cause in two ways, in as much as the quality may be already existing in the cause-e.g. the colour, – or it may be one existent only in the product-e.g. the conjunction. Die Bemerkung, dass eine Eigenschaft entweder schon in der Ursache, oder erst im Produkte, existiren kann, ist zwar richtig; dennoch scheint Dr. Ballantyne's Lesart verwerflich, indem eine Eigenschaft, welche schon in der Ursache vorhanden ist, z.B. eine Farbe, nicht alle drei, Substanzen, Eigenschaften und Bewegungen, zugleich hervorbringen kan.

20. Wie z.B. die Bewegung, welche in einem Pfeile entsteht, die Trennung desselben vom Bogen, Verbindung mit einem andern Orte, und Schnelligkeit im Pfeile hervorbringt. V.

[324] 22. Weil sie davon ausgeschlossen ist, weit die Bewegung zu der Zeit, wo die Substanz entsteht, nicht vorhanden ist. Die Bewegung, welche die Anfangs-Verbindung der Theile hervorbringt, ist zur Zeit der Entstehung der Substanz aufgehoben, weil die Bewegung nach der Verbindung (des bewegten Körpers mit einem andern) durch diese aufgehoben ist. Auch darf man nicht behaupten, dass die Bewegung, wenn gleich zur Zeit der Wirkung (ihrer Wirkung, d.h. der Verbindung, oder der Wirkung der Verbindung, d.h. der neuen Substanz?) nicht vorhanden, als Ursache zulässig sei, weil sie in dem Augenblicke, welcher der Wirkung vorangegangen, Statt gefunden habe; dann nach der Zerstörung eines grossen Gewebes ist im vorhergehenden Augenblicke der Entstehung von Stückgeweben in den Theilen dieser letzteren die Bewegung nicht vorhanden. In der That ist auch in der Substanz, welche abhängig ist von einer durch Bewegung hervorgebrachten Anfangs-Verbindung, Bewegung nicht die Ursache, weil die Bewegung durch die Verbindung in den Fehler, dass die Wirkung von einer andern Ursache (eben von der Verbindung) hervorgebracht wird, verfallen würde. Vivriti.

23. D.h. eine Substanz als ein Ganzes ist die Wirkung von zweien öder mehreren Substanzen, welche sie als ihre Theile zusammensetzen.

Dr. Ballantyne's Text hat dravyakâryam statt dravyam kâryam. Er übersetzt: A substance which is a product is the common property (i.e. the common result) of substances (more than one). Ich glaube aber nicht, dass sich sâmânyam in dieser Bedeutung rechtfertigen lässt.

24. Es wurde als ein gemeinschaftliches Merkmal von Substanzen und Eigenschaften ausgesagt, dass sie Gegenstände ihrer eigenen Klasse hervorbringen, von Bewegungen aber im 11ten Sûtra verneint, dass sie Bewegungen hervorbringen. Diese Verneinung wird hier wiederholt. U.

25. Hier muss man »werden hervorgebracht von mehr als einer Substanz« suppliren. Unter Einzelnheit ist die Einzelnheit ist die Einzelnheit zwischen zwei, drei u.s.w. zu verstehen. U.

Ich habe sâmânya als gleichbedeutend mit demselben Ausdrucke im 23sten Sûtra aufgefasst; der Upaskâra erklärt es durch »Vielheit«, eine Auslegung, welche durchaus unnöthig ist.

[325] 26. Wenn die Bewegung einer Vielheit einwohnte, so würde bei der Bewegung einer Substanz die Vorstellung entstehen: zwei oder mehrere Substanzen bewegen sich. Da dies aber nicht der Fall ist, so wohnt die Bewegung auch keiner Mehrheit ein. Wollte man nun einwenden: Die Bewegung des Körpers und seiner Theile wird von mehreren, dem Körper und dessen Theilen, eben angefangen; wie könnte sonst bei der Bewegung des Körpers die Vorstellung von einer Bewegung der Hände, Füsse u.s.w. vorhanden sein? Und so verhält es sich auch mit einem andern Ganzen, – so antworten wir, dies ist nicht der Fall; denn die Vorstellung ist die, dass in der gesammten Bewegung des Ganzen die gesammte Bewegung der Theile eingeschlossen ist. Hier ist auch kein Widerspruch; denn bei der Bewegung eines Theils stellt man sich nicht vor, dass sich überall das Ganze bewegt.

27. Das heisst, eine Substanz ist die Wirkung von vielen Verbindungen; diese gilt mit Ausnahme von Verbindungen solcher Substanzen, die keine Tastbarkeit haben (wie Raum, Zeit u.s.w.), ferner von letzten Ganzen (wie einem Topfe) und ungleichartigen Substanzen. U.

28. Nämlich ein und dieselbe Wirkung. Farbe an beiden Stellen dient hier nur als ein Beispiel, und schliesst auch Geschmack, Geruch, Tastbarkeit, Zähigkeit, ursprüngliche Flüssigkeit, Einheit, und Einzelnheit, sofern sie Einem zukommt, ein (die Vivriti fügt mit Recht noch Ausdehnung, Geschwindigkeit, Elasticitat und Schwere hinzu); denn die genannten Eigenschaften, welche schon in der Ursache (den Theilen, aus welchen ein Ganzes entsteht) vorhanden sind, fangen in den Wirkungen (dem zusammengesetzten Ganzen), eine Eigenschaft von derselben Gattung an.

29. Hier ist die Schwere, welche in der Hand, dem Erdklosse u.s.w. vorhanden ist, die Mittelursache, die Verbindung der Seele, in welcher Willen Statt findet, die nicht-inhärente Ursache des Aufwerfens der Hand, der Wurf mit der Hand aber die nicht-inhärente Ursache des Aufwerfens des Erdklosses. U.

Das Aufwerfen bezeichnet auch das Niederwerfen und die andern Bewegungen. Bei dem Aufwerfen finden drei Ursachen Statt, die Schwere des aufzuwerfenden Dinges, der Wille des Aufwerfenden, und der Warf der aufzuwerfenden Hand; deshalb kann Bewegung ein und dieselbe Wirkung von mehreren Ursachen sein. V.

[326] 30. Das »Und« soll nach der Vivriti anzeigen, dass auch Geschwindigkeit und Elasticität eingeschlossen sind. Geschwindigkeit, welche nach dem 20sten Sûtra eine der Wirkungen der Bewegung ist, ist ohne Zweifel eingeschlossen; wie aber Elasticität, verstehe ich nicht.

31. Aber, könnte man einwenden, es war vorhin erklärt (Sû. 21 und 24), dass Substanzen und Bewegungen nicht die Wirkungen von Bewegungen sind; aber Verbindung und Trennung sind die Wirkungen von Verbindung und Trennung; es ist demnach widersprechend, wenn der Bewegung Ursachlichkeit zuerkannt wird. Zur Antwort dient das gegenwärtige Sûtra. Durch den Ausdruck »Ursache im Allgemeinen« wird bezeichnet die Auseinandersetzung derselben. Deshalb in der Auseinandersetzung, wo Ursache im Allgemeinen erwähnt wurde, wurde die Ursachlichkeit der Bewegung mit Rücksicht auf Substanz und Bewegung geläugnet, doch war es keineswegs die Absicht, sie schlechthin zu läugnen, weil dies dem so eben vorangehenden Sûtra (30) widersprechen würde. V.

Fußnoten

1 Dies bezieht sich vermuthlich auf Eigenschaften, welche ursprünglich in einer Substanz nicht vorhanden sind, z.B. auf die rothe Farbe der Ziegelerde, welche durch Hitze hervorgebracht wird.

Quelle:
Die Lehrsprüche der Vaiçeshika-Philosophie von Kaṇâda. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, Band 21, Leipzig 1867, S. 309–420, S. 309-328.
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