Erster Act.

[3] Der König Duschianta, eine Gazelle verfolgend, mit gespanntem Bogen auf dem Wagen stehend sammt dem Wagenlenker.


WAGENLENKER.

Richt' ich den Blick auf die Gazelle

Und dich den Bogenspannenden,

Glaub' ich den Hirschverfolgenden

Pinakaführer2 selbst zu sehn.

KÖNIG. Wagenlenker! Diese Gazelle hat uns weit mit sich fortgerissen. Sie aber

Mit lieblichen Halsbiegungen

Von Zeit zu Zeit um nach dem Wege blickend,

Die hintre Hälft' aus Furcht vorm Pfeil

Ganz in den Vorderleib zusammen schiebend,

Den Weg mit halbgekautem Gras

Bestreuend aus ermattet offnem Munde,

O schau sie gehn in hohem Sprung

Mehr in der Luft und weniger am Boden:

Wie ist sie mir doch auf der Stelle fast unsichtbar geworden![4]

WAGENLENKER. Langlebender! Der Boden war holperig, deswegen weil ich die Zügel anzog, war des Wagens Flug langsam geworden; daher hat das Thier einen weiten Vorsprung gewonnen. Jetzt auf ebenem Grunde fahrend, wird es dir nicht schwer einzuholen sein.

KÖNIG. So laß die Zügel schießen.

WAGENLENKER. Wie der Langlebende befiehlt Schnell fahrend. Langlebender, siehe, siehe:

Die Zügel laß ich schießen und mit langestreckten Leibern,

Mit wanklos stetem Federbusch und steil gereckten Ohren,

Selbst uneinholbar dem von ihnen aufgeregten Staube,

Rennen wie eifersüchtig auf des Wildes Lauf die Rosse.

KÖNIG freudig. In der That, die Pferde überbieten das Gespann des Sonnengottes und die Falben Indra's. Denn also

Was einem Punkte glich,

Hat schnell zu einer Masse sich entfaltet;

Was erst halb sichtbar war,

Ist gleichsam plötzlich aufgetaucht als ganzes;

Was kaum noch schräg erschien,

Ist schon in gleicher Linie mit den Augen;

Nichts bleibt dem Augenblick

Vor oder neben mir, so fliegt der Wagen.

Wagenlenker! Siehe wie ich sie jetzt erlege! Zielt.[5]

EINE STIMME VON DRINNEN: Ho ho König! Schieß nicht, schieß nicht auf sie!

WAGENLENKER horchend und hinblickend. Langlebender! Zwischen die schußgerechte Gazelle und dich haben sich Einsiedler gestellt.

KÖNIG mit Ehrerbietung. So seien die Rosse angehalten.

WAGENLENKER. Wohl. Er hält den Wagen an.


Ein alter Eremit selbdritt auftretend.


EREMIT die Hand erhebend. König! Das ist ein Einsiedelei-Wild.

O nicht, o nicht geworfen

Sei dein Geschoß auf diesen

Den zarten Leib des Thieres,

Wie Feuer auf Baumwollballen.

Was ist auch eines armen

Gazellchens weiches Leben

Und was mit scharfem Falle

Dein stahlgespitzter Pfeil!

Darum wolan, das angelegte

Geschoß, zieh wieder es zurück!

Die Waffe dient zum Schutz Bedrängter,

Zum Angriff nicht Unschuldiger.

KÖNIG. Sieh, es ist zurückgezogen Er thut so.[6]

EREMIT. Das ziemt dir, der Leuchte des Purustammes.

O der du bist von Puru's Stamme

Geboren, das steht wohl dir an;

Es sei ein Sohn von gleicher Tugend,

Ein Weltbeherrscher dir verliehn!

DIE BEIDEN ANDERN EREMITEN. Ja ein Weltbeherrscher sei dir zum Sohne verliehen!

KÖNIG sich verneigend. Ich nehm' es an.

EREMIT. König! Opferbrandholz zu holen sind wir ausgegangen; du siehst hier Vater Kanwa's am Malini-Ufer belegene Siedelei; wenn du kein anderes Geschäft hast, so tritt ein und empfange die gastlichen Ehren. Dann auch,

Wenn du die frohen Opfer

Der Büßer ohne Störung siehst ergehn,

Erkennest du: so vieles

Beschützt mein von der Senne narbiger Arm.3

KÖNIG. Ist auch der Hausvater daheim?

EREMIT. Eben jetzt, nachdem er seiner Tochter Sakuntala die Gäste-Bewirthung aufgetragen, ist er um ein sie bedrohendes Geschick abzuwenden, nach Somatirtha gewallfahrtet.[7]

KÖNIG. Nun gut; ich werde sie sehen; sie soll meine Verehrung dem großen Weisen melden.

EREMIT. Machen wir uns auf! Er geht mit den zwei Jüngern ab.

KÖNIG. Wagenlenker! Treib die Rosse an. Wir wollen im Anblick dieses reinen Aufenthalts uns selbst reinigen.

WAGENLENKER. Wie der Langlebende befiehlt Er fährt rasch.

KÖNIG überall umblickend. Auch ungesagt würde man gewahr, wie hier die Wonne eines Bußhaines ist.

WAGENLENKER. Wie so?

KÖNIG. Wie! Siehst du nicht? Hier ja,

Reiskörner aus der Papageienbrütenden

Baumhöh' herab zu Fuß des Stamms gefallen,

Und Stein', auf denen Ingudi4 gerieben ward,

Sind hier und dort am feuchten Glanz erkennbar.

Zutraulich längst geworden sind, ohn' ihren Weg

Zu ändern, nicht vor Stimmen scheu die Rehe;

Und um die Wasserbecken sind durch Träufelung

Von Bastgewändersaum gestreift die Pfade.5[8]

WAGENLENKER. Alles ist so.

KÖNIG. Den Bußhainbewohnern werde keine Störung! Halte hier den Wagen an; ich will absteigen.

WAGENLENKER. Die Zügel sind angezogen; der Langlebende steige ab.

KÖNIG abgestiegen. Wagenlenker! Im Gewande der Demuth nur soll man Bußhaine betreten: darum nimm dieses! Er übergibt ihm seinen Schmuck und den Bogen. Wagenlenker! Während ich die Siedeleibewohner hier besuche, kühle inzwischen die Pferde ab.

WAGENLENKER. Das soll geschehen Ab.

KÖNIG umhergehend und schauend. Hier ist der Eingang; ich will eintreten. Beim Eintreten empfindet er ein Wahrzeichen.

Hier ist das Haus des Friedens,

Und wie? es zuckt mein Arm, was soll das hier?

Doch freilich überall ist

Das Thor der Zukunft aufgethan.

EINE STIMME VON DRINNEN. Hieher, hieher Freundin!

KÖNIG hinhorchend. Ah! Rechts von jener Baumgruppe ist mir als hör' ich reden. Ich will hin gehn Geht. Ah! Einsiedlermädchen[9] mit Gießkannen nach ihrem Maße sind da mit Tränkung der jungen Bäume beschäftigt; Sie betrachtend. ha, wie lieblich ist ihr Anblick:

Wenn solchen Leib, wie in Haremen selten

Zu finden ist, Einsiedlermädchen tragen,

So sind des Gartens Ziergewächse

Von Waldesranken aus dem Feld geschlagen.

Ich will hier in den Schatten treten und sie herankommen lassen Er steht beobachtend.


Sakuntala in der angegebenen Beschäftigung tritt auf mit zwei Freundinnen.


SAKUNTALA. Hieher, hieher Freundin!

ANASUJA. Schwester Sakuntala! Noch mehr als du selber müssen dem Vater Kanwa die Siedeleibäume am Herzen liegen, da er dich die Jasminblüthenzarte so zum Füllen der Bewässerungsrinnen anhält.

SAKUNTALA. Es ist ja nicht blos des Vaters Befehl; ich selbst auch habe Geschwisterliebe zu diesen Sie begießt die Bäume.

KÖNIG. Wie? Ist das Kanwa's Tochter? Der Verehrungswürdige sieht nicht richtig, der sie zum Bußhaindienst anhält.[10]

Wer diesen Leib, den ohne Künste reizenden

Zu Bußgeschäften abzurichten trachtet,

Der will mit eines Lotosblattes feinem Rand,

Traun, Opferbrennholz spalten.

Nun gut! Hier im Gebüsch verborgen, will ich unbesorgt zusehen Er thut so.

SAKUNTALA. Freundin Anasuja! Priamwada hat mich zu fest in das Bußgewand eingeschnürt; lockere mir es doch!

ANASUJA. So! Sie lockert das Gewand.

PRIAMWADA. Schilt doch sie, die dir den Busen schwellt, die eigene Jugend; was schiltst du mich?

KÖNIG. Sie hat Recht:

Hier das mit leichtem Knoten

Der Schulter umgeworfne

Des Brüstepaares Umfang

Hüllende Bastgewand,

So wenig birgt's die Fülle

Des jugendlichen Leibes

Als die geschwellte Blüthe

Der welke Blätterkelch.

Freilich nicht angemessen ist ihrem zarten Alter das Bastgewand; gleichwol ist es nicht ohne Anmuth.[11]

Denn ja

Schön wächst die Wasserlilie zwischen Binsen,

Und reizend wird der Mond durch dunkle Flecken;

Im Bastgewand höchst lieblich ist die Schlanke:

Denn was dient Huldgestalten nicht zu Schmucke?

SAKUNTALA. Dort mit windbewegtem Zweigfinger winkt mir gleichsam der Kesara-Baum; ich will ihn doch besuchen Sie geht hin.

PRIAMWADA. Schwester Sakuntala! Bleib doch einen Augenblick dort so stehn, damit, wie du dich an ihn lehnest, der Kesara-Baum seine Liane zu haben scheine.

SAKUNTALA. Darum heißest du Priamwada, die Liebrednerin.

KÖNIG. Wenn gleich liebes, doch wahres hat sie von Sakuntala geredet. Denn an ihr

Knospend ist die Lippe,

Zarte Zweige ahmen nach die Arme,

Und wie volle Blüthe

Webt der Jugend Liebreiz um die Glieder.

ANASUJA. Schwester Sakuntala! Hier steht, aus eigener Wahl dem Amra-Baume vermählt, die von dir Waldmondschein genannte Nawamalika: hast du sie vergessen?

SAKUNTALA. Dann würde ich mich selbst vergessen Sie tritt zu der Liane und betrachtet sie. Schwestern! Zu lieblicher Zeit ist dieses[12] Paares, der Liane und des Baumes Wonnevereinigung ergangen. Waldmondschein zeigt in neuen Blüthen ihre Jugendfülle, der Amra ist mit Knospendrang lustbereit Sie steht betrachtend.

PRIAMWADA. Anasuja! Weißt du wol, warum Sakuntala Waldmondschein so angelegentlich betrachtet?

ANASUJA. Ich errath' es nicht, sag' es!

PRIAMWADA. Wie Waldmondschein mit dem passenden Baum sich verbunden hat, werde auch ich so den mir passenden Geliebten erlangen? denkt sie.

SAKUNTALA. Das ist wol dein eigener Herzenswunsch Sie gießt ihre Kanne aus.

KÖNIG. Wie? Wäre sie vielleicht nicht priesterlichen Geschlechts geboren?6 Hinweg Bedenken!

Zu Kriegers Ehe taugt sie ohne Zweifel,

Weil nach ihr strebt mein adliches Gemüthe.

Für Edle dürfen wol in Zweifelsfällen

Die innern Regungen zur Richtschnur dienen.

Gleichwol werde ich mir Gewißheit über sie zu verschaffen suchen.[13]

SAKUNTALA erschrocken. Ach, ach, da hat aus Furcht vor den Besprengen mit Wasser aus der Nawamalika hieher auf mein Gesicht eine Biene sich gewendet Sie sucht sich der Biene zu erwehren.

KÖNIG gefühlvoll.

Bald an's Auge streifst du, des bewegte Wimpern zittern,

Summst wie ein Geheimnis flüsternd lieblich nach dem Ohre,

Trinkst, gescheucht von Händen, aller Wonne Born, die Lippe;

Ich der arme such'; o Biene, du hast Glück gefunden.

Auch wie sich ihre Furchtsamkeit äußert, ist reizend.

Wohin, wohin sich der Sechsfüßler wendet,

Dahin, dahin die schrägen Blicke kehrend,

Mit Brauenzucken lernt sie nothgedrungen

Und ohne Liebe heut das Spiel der Augen.

SAKUNTALA. Der Bösewicht gibt keine Ruh. Ich will nur wo anders hin gehn! Sie geht einige Schritte und sieht sich um. Wie? Auch hieher kommt er? Schwestern! Helft mir, helft mir von diesem Missethäter, dem garstigen Honigmacher.

ANASUJA UND PRIAMWADA lachend. Wie können wir helfen? Ruf Duschianta herbei. Die Bußhaine stehn ja im Schutze des Königs.

KÖNIG. Das ist die Gelegenheit mich zu zeigen. Fürchtet nicht – Innehaltend, für sich. Doch, da würde ich als König erkannt werden. Nun, ich will es so machen –

SAKUNTALA weiter zurückweichend. Wie, auch hier kommt er mir nach?[14]

KÖNIG schnell hinzutretend.

Wer, da ein Purusohn

Den Erdkreis zügelt, Zügler jedes Frevels,

Wer wagt zu freveln hier

An den unschuldigen Büßermädchen?


Alle zeigen sich beim Anblick des Königs etwas erschrocken.


ANASUJA. Verehrungswürdiger, hier ist nichts arges vorgefallen; hier unsere liebe Freundin ist durch die Zudringlichkeit einer Biene in Schrecken versetzt worden Sie zeigt auf Sakuntala.

KÖNIG zu Sakuntala.

Gedeihen die heiligen Uebungen des Haines?


Sakuntala steht furchtsam sprachlos.


ANASUJA antwortet statt ihrer.

Ja, mit dem Eintritt eines so edlen Gastes. – Schwester Sakuntala, geh zur Hütte, bring das Gastgeschenk nebst Früchten. Hier Auf die Gießkanne zeigend. wird Gastfußwasser sein.

KÖNIG. Durch eure freundliche Rede ist dem Gastrecht Genüge gethan.

PRIAMWADA. So möge in dieser schattenkühlen Siebenblattlaube einen Augenblick sich niederlassend der Verehrungswürdige von der Reiseermüdung ausruhn.

KÖNIG. Seid ihr nicht auch von eurer Arbeit ermüdet?[15]

ANASUJA. Schwester Sakuntala! Einem Gaste müssen wir Gesellschaft leisten: komm laß uns hier niedersetzen.


Alle setzen sich.


SAKUNTALA für sich. Wie bin ich doch, diesen erblickend, einer dem Bußhain widerstrebenden Gemüthsbewegung zugänglich geworden!

KÖNIG alle anblickend. Wie anmuthig durch Gleichheit an Alter und Gestalt ist der Jungfrauen Freundschaftsbund!

PRIAMWADA zur Seite. Anasuja! Wer mag das sein? Gewandt und würdevoll, liebes und angenehmes redend, scheint er ein vornehmer Mann zu sein.

ANASUJA. Freundin! Auch ich bin neugierig. Ich will ihn ausforschen. Laut. Des Herrn freundliche Anrede gibt mir das Vertrauen zu fragen: welches Geschlecht königlicher Weisen ist von dem Herrn geschmückt; oder welches Landes Bewohner sind durch die Trennung in Sehnsucht versetzt? oder aus welchem Grunde hat der so zarte sich der Bußwaldreisemühsal unterzogen?

SAKUNTALA für sich. Herz, zage nicht! Anasuja hier spricht deine Gedanken aus.

KÖNIG für sich. Wie? Soll ich mich nun zu erkennen geben oder mich verbergen? Wolan, ich will so zu ihr reden. Laut. Wertheste! Von dem König aus Puru's Stamm zur Pflege der[16] Gerechtigkeit angestellt, bin ich zur Wahrnahme ungestörter Opferpflege in diesen Bußhain gekommen.

ANASUJA. Nun haben die Büßenden ihren Beschützer.


Sakuntala zeigt das Geberdenspiel verschämter Liebe. Die beiden Freundinnen beobachten sie.


DIE EINE zur Seite.

Sakuntala, Schwester! Wenn der liebe Vater hier wäre –

SAKUNTALA. Was wäre es dann?

DIE ANDERE. Er würde mit dem was ihm das allertheuerste ist, den hohen Gast zu erfreuen bemüht sein.

SAKUNTALA. Gehet ihr! Ihr habt etwas im Sinn bei euren Reden; ich will euch nicht hören.

KÖNIG. Dürfte auch ich an euch in Betreff eurer Freundin eine Frage richten?

DIE BEIDEN. Des Herrn Begehren ist uns eine Gunstbezeugung.

KÖNIG. Der heilige Kanwa lebt in ewiger Entsagung, wie bekannt. Diese eure Freundin, wie soll sie seine Tochter sein?

ANASUJA. Höre, Herr! Kausika mit seinem Stammnamen genannt ist ein großmächtiger königlicher Weiser.[17]

KÖNIG. Das ist er, ich hör' es.

ANASUJA. In diesem sollst du unserer lieben Freundin Ursprung erkennen. Durch der Verlassenen leibliche Pflege ward der gute Kanwa ihr Vater.

KÖNIG. »Der Verlassenen« – das Wort hat meine Neugier erregt. Ich wünsche es aus dem Grunde zu hören.

ANASUJA. Höre, Herr! Am Gautami-Ufer vordem, von jenes königlichen Weisen strenger Buße erschreckt, haben die Götter, sagt man, die Nymphe Menaka gesandt, um sein Gelübde zu brechen.

KÖNIG. Ja, solche Furcht haben die Götter vor eines andern Andacht.7

ANASUJA. Als er nun bei des Frühlingstages Herniedersteigen ihre bezaubernde Gestalt erblickte – Sie hält beschämt inne.

KÖNIG. Das weitere ist zu errathen. Sie ist also einer Nymphe Kind.

ANASUJA. Wie anders?[18]

KÖNIG. Natürlich.

Oder wie könnte Menschenweibe

Solche Gestalt entsprungen sein?

Das glanzzitternde Leuchten geht ja

Nicht aus dem Erdenschooß hervor.


Sakuntala schlägt die Augen nieder.


KÖNIG für sich. Mein Wunsch hat Aussicht auf Erfüllung. Doch was ihre Gespielen vorher von Gattenlust im Scherz geäußert, macht mich wieder bedenklich.

PRIAMWADA sieht Sakuntala lächelnd an und wendet sich wieder zum König.

Der Herr scheint noch etwas sagen zu wollen.


Sakuntala droht der Freundin mit dem Finger.


KÖNIG. Die gute Freundin hat recht gesehen. Wir haben zur vollständigen Kenntniß des frommen Wandels noch eine Frage zu thun.

PRIAMWADA. Ohne Bedenken! An Büßerleute darf man sich zwanglos wenden.

KÖNIG. Ueber deine Freundin wünsche ich zu erfahren,

Soll sie des Klausners Liebeswerk verschwörendes

Gelübde nur bis zur Vermählung halten?

Wie, oder ewig hier bei den mit schönem Aug'

Ihr gleichenden Gazellenweibchen wohnen?[19]

PRIAMWADA. Herr! Auch in der Pflichtübung hängt dieses Mädchen nicht von sich selbst ab; des Vaters Absicht aber ist sie einem passenden Gatten zu geben.

KÖNIG für sich. Da ist ja mein Wunsch nicht so schwer zu erlangen.

Sei Herz nur voll Verlangen!

Gekommen ist Entscheidung deiner Zweifel:

Was du als Feuer scheutest

Ist ein berührbares Juwel geworden.

SAKUNTALA thut erzürnt. Anasuja, ich gehe fort.

ANASUJA. Weswegen?

SAKUNTALA. Das lose Geschwätze dieser Priamwada will ich der Mutter Gautami sagen.

ANASUJA. Freundin, es ziemt dir nicht einen hohen Gast ohne Bewirthung zu lassen und nach Laune fortzugehen.


Sakuntala will ohne etwas zu sagen weggehn.


KÖNIG. Wie, sie geht? Er richtet sich auf und will sie halten, doch bezwingt er sich; für sich. O wie drückt sich eines Verliebten Gemüthsbewegung in der Geberde aus!

Der Klausner-Tochter will ich folgen,

Bescheidenheit hemmt meinen Vorschritt plötzlich.

Nicht von der Stelle kann ich, doch

Vom Gange gleichsam bin ich umgewendet.[20]

PRIAMWADA Sakuntala zurückhaltend. Schwester, du darfst nicht gehn.

SAKUNTALA die Brauen furchend. Warum nicht?

PRIAMWADA. Du bist noch zwei Bäumen Begießung schuldig; komm nur, entledige dich der Schuld, dann magst du gehn.

KÖNIG. Beste! Aber durch das Baumbegießen sehe ich die Jungfrau ermüdet. Denn an ihr

Vom Heben des Gefäßes sind

Die Schultern schlaff und überroth die Hände,

Und beben sieht man jetzo noch

Die Brust vom angestrengten Athemholen;

Ein Netz von heißen Tropfen deckt

Die Wang' und macht die Ohr-Sirischa kleben,

Und nur gehalten von der Hand

Mit aufgegangnem Band sind wirr die Locken.

Drum will ich sie auslösen.


Er will seinen Siegelring geben. Die beiden Freundinnen, indem sie den Namen auf dem Ring buchstabiren, sehen einander an.


KÖNIG. Denkt nicht etwas anderes von uns! Des Königs Geschenk ist dieses und ihr seht in mir einen Königsmann.

PRIAMWADA. So darf auch dieser Fingerring sich nicht vom Finger trennen. Durch des Herrn Wort ist diese von der Schuld gelöst. Lachend. Schwester Sakuntala, du bist frei durch die Gnade dieses Herrn oder großen Königs; geh nun![21]

SAKUNTALA für sich. Wenn ich's vermag. Laut. Wer bist du mich gehn zu heißen oder zurück zu halten?

KÖNIG Sakuntala anblickend, für sich. Könnte wol, wie wir gegen sie, ebenso auch sie gegen uns sein? Doch mein Verlangen hat eine Aussicht. Woher?

Wenn sie auch nicht ihre Rede mischt in meine Reden,

Wendet sie doch aufmerksam mir sprechendem das Ohr zu;

Zwar sie steht mir zugekehrt nicht mit dem Angesichte,

Doch ihr Blick scheint keinen andern Gegenstand zu suchen.

STIMME VON DRINNEN. Ho, ho, ihr Einsiedler, seid bei der Hand zum Schutz unserer Thiere! Denn in der Nähe ist, wie man hört, mit der Jagd sich vergnügend, König Duschianta.

Also fällt der roßhufaufgeregte Staub,

Wo Bastkleider am Gezweig zu trocknen

Hängen, mit verglommenen Abendrothes Schein,

Als ein Heuschreckschwarm auf Bußwaldbäume.

Auch

An dem vom scharfen Anprall umgerannten Stamme

Mit einem Zahne haftend,

Und in Schlingpflanzenstrickgeflecht,

Das er an Füßen mit sich schleppt, verwickelt,

Betritt, als der Bußübungen

Leibhafter Störer, die Gazellenheerden

Zersprengend, dort der Elephant

Den Hain, vom Wagenanblick scheu geworden.


Alle horchen bestürzt.
[22]

KÖNIG bei sich. Welcher Unfall! Die uns suchenden Leute verstören den Bußhain. Nun, wir müssen ihnen entgegen treten.

DIE BEIDEN FREUNDINNEN. Herr! Durch das Waldereigniß sind wir in Bestürzung. Gib uns Urlaub zur Hütte zu gehn.

KÖNIG ehrerbietig. Gehen die edeln Jungfrauen! Auch wir wollen des Bußhaines Bedrängniß abzuwenden gehn.


Alle sind aufgestanden.


DIE BEIDEN FREUNDINNEN. Die unvollkommen geleistete Gastehre ist ein Grund ferneres Wiedersehen zu wünschen; mit Beschämung beurlauben wir uns bei dem Herrn.

KÖNIG. Nicht doch, nicht doch! Die edeln Jungfrauen zu sehen war mir genug.

SAKUNTALA. Anasuja! Eine Kusagras-Spitze hat meinen Fuß verwundet, und am Kuruwaka-Baumzweig bleibt mein Gewand hängen; wartet doch bis ich es los mache.


Nach dem König blickend zögert sie eine Weile und geht dann mit den Beiden ab.


KÖNIG. Ich habe wenig Verlangen zur Stadt zurück zu kehren. Ich will das Gefolge aufsuchen und es unfern vom Bußhain lagern lassen. In der That, ich vermag nicht mein Gemüth von der Beschäftigung mit Sakuntala abzuziehen. Denn von mir[23]

Der Leib geht vorwärts, rückwärts

Fliegt der unfolgsame Gedanke,

Wie der Wimpel der Fahne,

Gegen den Wind getragen.


Ab.

Quelle:
Sakuntala. Schauspiel von Kalidasa. Leipzig 1876, S. 3-24.
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